Gericht | OLG Brandenburg 5. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 02.05.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 5 U 106/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0502.5U106.23.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 24. Mai 2023 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 18 O 37/23, abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4.812,26 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. September 2023 zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 56% und die Beklagte zu 44%. Die Kosten des Rechtsstreits I. Instanz tragen der Kläger zu 90% und die Beklagte zu 10%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 9.000 €.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeug- und Motorherstellerin wegen vermeintlich unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch. Hinsichtlich des Thermofensters hatte der Kläger bereits in der Klageschrift pauschal vorgetragen, die Abgasrückführung funktioniere nur in einem Temperaturbereich von 20-30° C optimal, bei einer Außentemperatur von unter 17°C und über 30°C schalte sich das Abgasreinigungssystem vollständig ab. Die Beklagte hatte vorgetragen, der Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung in Abhängigkeit zur Umgebungslufttemperatur in den jeweiligen Motorbetriebsarten aktiv sei, reiche von -15°C bis +42°C. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Sie hat ihren Vortrag in der Berufungsinstanz insoweit korrigiert und behauptet nunmehr, dass in einem Temperaturbereich von +12°C bis +75°C eine aktive Veränderung der AGR-Rate nicht stattfinde. Unterhalb einer Temperatur von +12°C bis zu einer Temperatur von -15°C werde die AGR-Rate graduell reduziert. Der Kläger seinerseits hat seinen Vortrag dahingehend ergänzt und konkretisiert, dass in einem Temperaturbereich von +15°C bis +10°C eine Reduzierung der AGR-Rate um bis zu 50% erfolge. Danach erfolge eine weitere Reduzierung der AGR-Rate zwischen +10°C und -12°C. Ab einer Temperatur von -15°C werde die AGR vollständig deaktiviert.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu verschiedenen Abschalteinrichtungen (Fahrkurvenerkennung, Veränderungen der Einspritzungsmengen von AdBlue, manipuliertes OBD, Rückfahren der Abgasrückführung ab einer bestimmten Umdrehungszahl auf null) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Ansprüche aus § 826 BGB kämen nicht in Betracht, weil der Kläger schon keine tatsächlichen Umstände vortrage, die das Verhalten der Beklagten oder ihrer Organe als sittenwidrig erscheinen lassen.
Die Tatsache, dass die Abgasrückführung auch temperaturabhängig gesteuert werde, könne die Annahme eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens nicht begründen. Ob es sich bei dem Thermofenster um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung in Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handle, könne dahinstehen, denn es könne nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Beklagte oder deren Organe bei der Programmierung des sog. Thermofensters in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
Auch die weiteren von dem Kläger behaupteten Umstände seien für die schlüssige Behauptung, in seinem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut, nicht ausreichend. Soweit der Kläger behaupte, die Fahrzeugsoftware schalte ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasrückführung sowie den SCR-Katalysator ab bzw. reduziere dessen Leistung, fehle dafür jeder Anhaltspunkt. Insbesondere ergebe sich nichts hierfür aus den vorgelegten Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben für EA 288 vom 18. November 2015 oder dem Statusbericht Diesel zum KBA-Termin am 21. Oktober 2015.
Einen Rückrufbescheid für ein Fahrzeug mit dem Motor EA 288 gebe es, mit Ausnahme eines solchen für bestimmte Fahrzeuge des Typs VW T6 mit einer M1-Klassifizierung, nicht. Das Fahrzeug des Klägers habe aber eine N1-Klassifizierung. Bei der Fahrkurvenerkennung handle es sich in erster Linie um ein Fahrzeugdiagnosesystem. Nach den durchgeführten Feldversuchen des KBA könne nicht davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Erkennung der Fahrkurven das Emissionskontrollsystem verändert werde.
Die Tatsache, dass das On-Board-Diagnose-System trotz erhöhter NOx-Werte im realen Fahrbetrieb keine Fehlermeldung erzeuge, sei keine unzulässige Manipulation. Die weiteren Umstände (Manipulation des SCR-Katalysators, Abgasrückführung auf null ab 2.750 Umdrehungen) behaupte der Kläger ins Blaue hinein zur Untermauerung seiner Vermutung, dass die Beklagte unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert habe, die der in dem Motor EA 189 verbauten Prüfstanderkennungssoftware gleichkämen. Sein Vortrag hierzu erschöpfe sich in der Aufzählung von Möglichkeiten, wie die Softwaremaßnahmen verschiedener Hersteller auf die Menge der NOx-Emissionen Einfluss nehmen könnten.
Dem Kläger stehe auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht zu, weil es sich bereits nicht um ein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift handle.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Juni 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) mit am 5. Juli 2023 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. September 2023, mit am 4. September 2023 eingegangenem Schriftsatz begründet. Er wiederholt seine Behauptung, in dem Fahrzeug sei zum Kaufzeitpunkt eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer sog. Umschaltlogik mittels Fahrkurvenerkennung vorhanden gewesen. Von dem Fahrzeug gehe auf der Straße ein Risiko für die Sicherheit und Gesundheit von Personen und Umwelt aus, weil der zulässige Grenzwert zeitweise überschritten werde. Die Beklagte verhalte sich sittenwidrig, weil sie weiterhin wider besseres Wissen den Eindruck erwecke, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorhanden, ohne eine Erklärung für die Ursächlichkeit der Grenzwertüberschreitungen abzugeben. Er sei seiner Darlegungslast nachgekommen, weil er durch das Aufzeigen der Lücke der offengelegten Abschalteinrichtungen hinreichend ausgeführt habe, dass es noch eine weitere Abschalteinrichtung bzw. eine Kombination an Abschalteinrichtungen geben müsse, die für die Grenzwertüberschreitung ursächlich seien.
Der Kläger hat nach seinem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag zudem das Fahrzeug am 15. Februar 2024 mit einem Kilometerstand von 120.600 zu einem Kaufpreis von 18.000 € an ein Autohaus verkauft. Das Fahrzeug hatte beim Verkauf einen Motorschaden.
Nachdem der Kläger mit seiner Berufungsbegründung neben den Anträgen auf Zahlung eines Entschädigungsbetrages von mindestens 7.218,38 € und auf Freistellung von Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung auch den Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz künftiger Schäden angekündigt hatte, hat er in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2024 den Feststellungsantrag zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung des am 24. Mai 2024 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 18 O 37/23, die Beklagte zu verurteilen,
an ihn einen Entschädigungsbetrag bezüglich des Fahrzeugs der Marke VW mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WV… zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch mindestens 7.218,38 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit betragen muss
und
ihn von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.791,74 € freizustellen.
Die Beklagte verteidigt demgegenüber die angefochtene Entscheidung. Sie hält an ihrem Vortrag fest, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgrund seines späten Produktionszeitpunktes zu keinem Zeitpunkt eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt gewesen sei. Das KBA habe EA288-Motoren über mehr als sieben Jahre in drei Phasen umfassend untersucht. Hinsichtlich des Thermofensters konkretisiert die Beklagte in der Berufungsbegründung ihren Vortrag dahingehend, dass in einem Temperaturfenster von +12° C bis +75° C eine aktive Veränderung der AGR-Rate in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur nicht stattfindet. Unter einer Temperatur von +12° C bis zu einer Temperatur von -15° C komme es zu einer graduellen Reduzierung der AGR-Rate. Dem KBA sei diese Ausgestaltung des Thermofensters zudem bekannt.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) des Klägers hat in der Sache teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg
1.
Ein zuletzt nur noch als kleiner Schadensersatz geltend gemachter Anspruch aus § 826 BGB scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger, abgesehen von einem im streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandenen „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung, die Grundlage eines Anspruchs aus § 826 BGB sein könnte, schon nicht hinreichend vorgetragen hat.
Der Kläger hat die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt an der Behauptung hinreichend konkreter Tatsachen, die den Schluss rechtfertigen könnten, die Beklagte habe dem Kläger einen Schaden in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich zugefügt. Dies käme, vergleichbar mit den anerkannten Fällen der bei VW-Motoren des Typs EA189 verbauten verbotenen Umschaltautomatik (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az. VI ZR 252/19), in Betracht, wenn die Beklagte für den im Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtungen entwickelt und eingesetzt hätte, um Fahrzeuge mit ihm in Kenntnis der Abschalteinrichtungen und im Bewusstsein ihrer Unrechtmäßigkeit in den Verkehr zu bringen. Der Kläger behauptet aber lediglich „ins Blaue hinein“, dass der von ihm gebraucht erworbene Pkw einen Motor habe, der über zumindest eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge.
Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Einer Partei ist es damit grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. ausführlich mit umfangreichen Nachweisen BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020, Az. VIII ZR 57/19, Rn. 7f., juris).
Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber „aufs Geratewohl“ gemacht, gleichsam „ins Blaue hinein“ aufgestellt, mit anderen Worten aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. In der Regel wird (nur) das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte eine solche Annahme rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 29. September 2021, Az. VII ZR 71/21 m. w. N.).
Derartige greifbare Anhaltspunkte liefert der klägerische Vortrag indes nicht. Er stützt, wie das Landgericht bereits zutreffend festgestellt hat, das Vorhandensein prüfstandsbezogener Abschalteinrichtungen im Wesentlichen darauf, dass die Abgaswerte im normalen Fahrbetrieb höher seien als auf dem Prüfstand und sich dieses allein damit erklären lasse, dass die Beklagte eine – nicht offen gelegte und damit in sittenwidriger Schädigungsabsicht verheimlichte prüfstandsbezogene – Abschalteinrichtung zum Einsatz bringe. Damit ist aber das Vorhandensein einer solchen Abschalteinrichtung durch die Herleitung aus den höheren Abgaswerten im Fahrbetrieb nicht hinreichend schlüssig vorgetragen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023, Az. Az. VII ZR619/21).
Die Beklagte hat darüber hinaus die Behauptung des Klägers, in dem Fahrzeug sei eine Fahrkurvenerkennung verbaut, bereits in I. Instanz bestritten. Schon wegen des späten Produktionszeitpunktes des Fahrzeugs sei, so die Beklagte, eine solche Fahrkurvenerkennung von Anfang nicht vorhanden gewesen. Sie, die Beklagte, habe Ende 2015 entschieden, die Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerungssoftware für neu in Produktion gehende Fahrzeugtypen mit EA288-Aggregaten nicht mehr zu hinterlegen. Bei EA288-Aggregaten mit SCR-Technologie, wie dem streitgegenständlichen Fahrzeug, habe dies für einen Produktionsstart ab Mitte November 2015 geschehen können.
Dem ist der Kläger nicht konkret entgegengetreten, so dass eine – prüfstandsbezogene – Fahrkurvenerkennung ebenfalls nicht hinreichend vorgetragen ist. Davon abgesehen hätte die auf seinen Vortrag hin veranlasste Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens den Nachweis, dass eine solche prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers ursprünglich verbaut gewesen ist, nicht den entsprechenden Nachweis erbracht.
2.
Wegen des im Fahrzeug auch nach dem Vortrag der Beklagten vorhandenen Thermofensters besteht dagegen nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Höhe von 10% des vom Kläger gezahlten Kaufpreises.
a.
Ein Thermofenster ist dann eine Abschalteinrichtung, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes begründet, wenn die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Abzustellen ist hierbei auf die Fahrbedingungen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022, Az. C-128/20 Rn. 40, Urteile vom 14. Juli 2022, Az. C-134/20 und C-145/20; BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, Az. VIa ZR 335/21, Rn 50).
Bereits nach dem Vortrag der Beklagten ist das von ihr verbaute Thermofenster eine solche Abschalteinrichtung, weil danach die Abgasrückführung nur bis zu einer Außentemperatur bis +12°C voll aktiv ist. Ab dieser Außentemperatur wird die AGR-Rate graduell reduziert. Die Funktion des Emissionskontrollsystems ist damit unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im Unionsgebiet, wo häufig Temperaturen unter 12°C vorherrschen, verringert. Es ist eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG grundsätzlich unzulässig ist (vgl. Urteil des Senats vom 22. Februar 2024, Az. 5 U 151/21). Das hier verbaute Thermofenster entspricht daher mit seinem Umfang nicht dem von Art. 5 Abs. 1 und 2 VO 715/2007/EG vorausgesetzten Regel-Ausnahme-Verhältnis.
b.
Im Rahmen der Schätzung berücksichtigt der Senat für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen sowie den Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 80, juris). Darüber hinaus berücksichtigt er das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens, um so dem Gebot einer verhältnismäßigen Sanktionierung auch bezogen auf den zu würdigenden Einzelfall Rechnung zu tragen (BGH, a.a.O., Rn. 77, juris). Im hier vorliegenden Fall ist vor dem Hintergrund, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung mit dem Thermofenster handelt, dieses einen vergleichsweise engen Temperaturbereich abdeckt, in dem die AGR-Rate unverändert bleibt, und eine Abrampung schon bei im normalen Fahrbetrieb überwiegend anzutreffenden Bedingungen stattfindet, ein Ansatz von 10 % des Kaufpreises, also 4.812,26 € € gerechtfertigt.
Der Schaden hat sich durch eine zu berücksichtigende Nutzungsvergütung und den Restwert des Fahrzeugs nicht verringert. Ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km wäre bei dem Kilometerstand zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs eine Nutzungsentschädigung von knapp 23.214,01 € in Ansatz zu bringen. Der Restwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs belief sich auf 18.000 €. Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug mit Motorschaden vom Kläger nicht zu seinem Verkehrswert veräußert worden ist, bestehen nicht. Die zu berücksichtigenden Vorteile in Höhe von 41.214,01 € übersteigen damit nicht den um 10% des Kaufpreises geminderten Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufes.
Der Schaden ist nicht dadurch entfallen, dass ein mögliches Stilllegungsrisiko nachträglich entfallen wäre. Die Beklagte hat schon nicht konkret vorgetragen, dass das in dem Fahrzeug vorhandene Thermofenster durch das KBA unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gebilligt worden wäre. Sie trägt hierzu lediglich pauschal vor, dem KBA sei die Ausgestaltung von Thermofenstern um Allgemeinen und die Ausgestaltung des Thermofensters in T6-Fahrzeugen bekannt gewesen.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen. Sie hat ihr vermutetes Verschulden in Form fahrlässigen Handelns bei Einbau und Verwendung des sog. Thermofensters nicht ausgeräumt.
Derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, muss Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung. Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, Az. VIa ZR 335/21, Rn. 59 m.w.N., juris). Allerdings kann auch bei einem objektiven Verstoß ein entlastend wirkender unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH, a.a.O., Rn. 63 m.w.N., juris).
Dafür kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen. Auf das Bestehen einer entsprechenden Verwaltungspraxis kommt es dabei nicht maßgeblich an (anders Gsell/Mehring, NJW 2023, 1099 Rn. 8). Die Grundsätze der hypothetischen Genehmigung gelten mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck auch, wenn der Fahrzeughersteller eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Neben anderen Indizien kann allerdings aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, a.a.O., Rn. 65 - 67, juris).
Die Beklagte hat sich in der Berufungsinstanz nur allgemein und abstrakt auf die Möglichkeit eines Verbotsirrtums berufen, ohne die zuvor bezeichneten Umstände, die die Annahme eines solchen Irrtums begründen könnten, konkret darzulegen. Sie hat nicht einmal, wie es erforderlich wäre (vgl. BGH; Urteil vom 25. September 2023, Az. VIa ZR 1/23), konkret zum Irrtum sämtlicher Vertreter im Sinne des § 31 BGB vorgetragen.
c.
Nachdem erstmals mit dem Schriftsatz vom 16. Mai 2023 nicht mehr die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangt worden ist, sondern der kleine Schadensersatz in Höhe von zunächst 9.600 €, kann der Kläger Rechtshängigkeitszinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB erst ab Stellung dieses Antrags in der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2023 verlangen, weil eine frühere Zustellung dieses Antrags nicht festgestellt werden kann.
3.
Ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nicht.
Der Anspruch kann nicht auf § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt werden, weil das Interesse, keinen Vermögensnachteil in Form von Rechtsverfolgungskosten zu erleiden, von den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geschützt wird (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023, Az. VIa ZR 14/22). Ein Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten aus Verzug der Beklagten mit dem Ersatz des Differenzschadens (§§ 280, 286 BGB) ist ebenfalls nicht gegeben. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Kläger diesen Schaden überhaupt vorgerichtlich anwaltlich geltend machen ließ, ohne bereits Klageauftrag erteilt zu haben.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.