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Entschließungsermessen, Ermessen, Ermessensfehler, Ermessensprüfung, Verspätungszuschlag


Metadaten

Gericht FG Cottbus 7. Senat Entscheidungsdatum 13.03.2024
Aktenzeichen 7 K 7067/22 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2024:0313.7K7067.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 152 Abs. 1 AO §

Leitsatz

Bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO ist es im Rahmen des Entschließungsermessens immer erforderlich, dass die Behörde bei der Frage, ob sie einen Verwaltungsakt erlässt oder nicht, auf die für den konkreten Sachverhalt bedeutsamen Tatsachen eingeht und diese in ihre Ermessensentscheidung einfließen lässt. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens sind die Folgen der Pflichtverletzung und die Wirkung des Verspätungszuschlags für den Steuerpflichtigen einzubeziehen.

Tenor

Der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 18.01.2023 und der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 24.08.2020 in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, gegenüber der Klägerin einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 festzusetzen.

Die Klägerin ist eine Unternehmergesellschaft -UG-, deren Gegenstand die Verwaltung eigenen Vermögens ist. Sie erzielte im Gründungsjahr 2015 nach der eingereichten Umsatzsteuererklärung 600,00 € Umsatz, der nach der Körperschaftsteuererklärung zu einem Verlust in Höhe von 3.147,00 € führte. In den Umsatzsteuervoranmeldungen 2016 erklärte die Klägerin Umsätze in Höhe von 2.400,00 €. Jahreserklärungen für 2016 und 2017 reichte die Klägerin nicht ein. Der Beklagte schätzte für 2016 Umsätze in Höhe von 2.500,00 € und 2017 Umsätze in Höhe von 3.600,00 €. Dies führte aufgrund einer Vorsteuerschätzung für 2016 zu einer Umsatzsteuer in Höhe von null Euro. Für 2017 berücksichtigte der Beklagte keine Vorsteuer und setzte daher eine Umsatzsteuer in Höhe von 684,00 € fest. Die Gewinne der Klägerin schätzte der Beklagte für 2016 und 2017 mit jeweils null Euro und für 2018 in Höhe von 500,00 €.

Am 24.08.2020 erließ der Beklagte einen Bescheid für 2018 über Umsatzsteuer, Zinsen und Verspätungszuschlag, mit dem er die Umsatzsteuer 2018 auf 760,00 € ausgehend von Umsätzen in Höhe von 4.000,00 € und einen Verspätungszuschlag in Höhe von 325,00 € festsetzte. Vorsteuer berücksichtigte der Beklagte nicht. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung -AO-. Dabei schätzte er die Besteuerungsgrundlagen, weil die Klägerin noch keine Umsatzsteuererklärung eingereicht hatte. Den Bescheid übersandte er der Klägerin mit Zustellungsurkunde. Danach wurde der Bescheid am 25.08.2020 durch Einwurf in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt.

Am 25.09.2020 legte die Klägerin mit ihrem Einspruchsschreiben vom selben Tage Einspruch unter anderem „gegen den Schätzbescheid betreffend Umsatzsteuer und die Festsetzung eines Verspätungszuschlages“ ein. Während des Einspruchsverfahrens ging am 30.11.2020 die Umsatzsteuererklärung 2018 der Klägerin auf elektronischem Weg beim Beklagten ein. Die Klägerin erklärte darin neben Umsätzen in Höhe von 2.400,00 €, die zu einer Umsatzsteuer in Höhe von 456,00 € führten, auch Vorsteuerbeträge in Höhe von 763,84 €. Daraus errechnete die Klägerin einen Vergütungsanspruch in Höhe von 307,84 €. Der Beklagte stimmte der Umsatzsteuererklärung nicht zu. Die vom Beklagten angeforderte elektronische Bilanz, ersatzweise eine Gewinn- und Verlustrechnung in Papierform, reichte die Klägerin in der Folgezeit nicht ein. Der Beklagte forderte daraufhin die Belege oder Rechnungen zu den in der Umsatzsteuererklärung 2018 erfassten Geschäftsvorfällen in Kopie an. Ausweislich der Rechtsbehelfsakte „USt 2018, Verspätungszuschlag, Zinsen“ reichte die Klägerin beim Beklagten ihre Ausgangsrechnungen für 2018 in Kopie ein, die Belege zum geltend gemachten Vorsteuerabzug jedoch nicht.

Der Beklagte änderte mit der Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 die Umsatzsteuerfestsetzung 2018 auf nunmehr 456,00 €. Den weitergehenden Einspruch zur Umsatzsteuer sowie den Einspruch gegen den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 wies der Beklagte als unbegründet zurück. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er gemäß § 164 Abs. 3 AO auf. Er führte aus, dass der Verspätungszuschlag zu Recht wie geschehen mit dem Mindestbetrag in Höhe von 25,00 € je angefangenen Monat der Verspätung gemäß § 152 Abs. 2, Abs. 5 Satz 2, Abs. 9, Abs. 7, Abs. 12 Satz 2 AO für den Zeitraum 01.08.2019 bis 27.08.2020 (13 Monate), insgesamt 325,00 € festgesetzt worden sei. Die Klägerin habe im Einspruchsverfahren nicht angegeben, inwieweit und weshalb sie den Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 für rechtswidrig halte. Diese Einspruchsentscheidung wurde der Klägerin mittels Zustellungsurkunde am 10.03.2022 durch Einwurf in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt.

Am 09.04.2022 hat die Klägerin Klage gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 2018 und gegen die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 erhoben, mit der sie sinngemäß unter anderem beantragt hat, die Umsatzsteuer 2018 erklärungsgemäß festzusetzen. Dem hat der Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2023 entsprochen. In dem Bescheid ist ausgeführt, dass der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag unverändert bestehen bleibe. Weitere Erläuterungen zum Verspätungszuschlag finden sich in dem Bescheid nicht.

Das Gericht hat, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 2018 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, die Klage gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 2018 abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen 7 K 7020/23 über die Kosten des abgetrennten Verfahrens entschieden.

Das Gericht hat die Klägerin unter Setzen einer Ausschlussfrist gemäß § 79 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- mit Verfügung der Berichterstatterin vom 29.09.2022, welche der Klägerin am 30.09.2022 mittels Zustellungsurkunde zugestellt worden ist, aufgefordert, bis zum 02.11.2022 diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich die Klägerin in Bezug auf den festgesetzten Verspätungszuschlag beschwert fühlt. Das Gericht hat weiter darauf hingewiesen, dass es Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der oben gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt.

Nachdem die Klägerin in Bezug auf die mit der Klage angefochtene Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 zunächst keine Ausführungen zur Begründung ihrer Klage gemacht und auch auf die Ausschlussfristsetzung nicht reagiert hat, hat das Gericht die Klage mit Gerichtsbescheid der Berichterstatterin vom 27.04.2023, der der Klägerin am 04.05.2023 mittels Zustellungsurkunde durch Einwurf in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt worden ist, mangels Darlegung einer Beschwer gemäß § 40 Abs. 2 FGO abgewiesen.

Mit ihrem am 05.06.2023 gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung trägt die Klägerin nunmehr vor, dass die Festsetzung eines Verspätungszuschlages gemäß § 152 Abs. 12 AO entsprechend zu ändern sei, wenn die zu Grunde liegende Steuerfestsetzung geändert werde. In ihrem Falle sei zudem § 152 Abs. 3 AO einschlägig. Der nach § 152 Abs. 2 AO festzusetzende Verspätungszuschlag entfalle nach dieser Vorschrift, wenn die Steuer auf null Euro oder einen negativen Betrag festgesetzt werden (§ 152 Abs. 3 Nr. 2 AO). Zwar sei es möglich, dass das Finanzamt in einem solchen Fall einen Verspätungszuschlag gemäß § 152 Abs. 1 AO festsetze. Dies erfordere hingegen eine Ermessensentscheidung, die zu begründen sei. Dies müsse spätestens im Einspruchsverfahren erfolgen. Hier habe der Beklagte im Bescheid vom 18.01.2023 keine solche Begründung gegeben, sodass der Verspätungszuschlag aufgehoben werden müsse.

Zudem hätte der gemäß § 152 Abs. 2 AO erlassene Bescheid zunächst aufgehoben werden müssen. Anschließend hätte der Beklagte einen Bescheid gemäß § 152 Abs. 1 AO neu erlassen können. Das Austauschen der Rechtsgrundlage sei nicht möglich. Denn im Streitfall führe dies zu einer Wesensänderung des Verwaltungsaktes. Denn aus einem gebundenen Verwaltungsakt werde eine Ermessensentscheidung.

Die vom Beklagten getroffene Entscheidung sei, auch wenn man die Begründung als solche akzeptiere, ermessensfehlerhaft, weil er in der Begründung nicht auf die Ermessenskriterien des § 152 Abs. 2 AO (gemeint ist § 152 Abs. 2 AO in der für Steuererklärungen, die bis zum 31.12.2018 einzureichen waren, geltenden Fassung -aF-) eingehe. Bei der Bemessung des Verspätungszuschlags sei neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Diese Kriterien seien auch in der Neufassung des § 152 Abs. 1 AO zu berücksichtigen, obwohl sie nicht mehr ausdrücklich benannt würden.

Der Beklagte habe nicht ansatzweise berücksichtigt, dass es sich vorliegend um einen Erstattungsfall gehandelt habe. Auch sei er nicht auf die oben genannten Kriterien im Einzelnen eingegangen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 18.01.2023 einschließlich des Bescheides über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 24.08.2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass er bereits in dem Schriftsatz vom 10.01.2023 (Blatt 57 ff. Gerichtsakte) unter Punkt 2) die Gründe für die Beibehaltung des zuvor festgesetzten Verspätungszuschlages ausgeführt habe.

Ein Verspätungszuschlag könne gemäß § 152 Abs. 1 AO auch dann festgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des § 152 Abs. 2 AO - wie im Streitfall aufgrund des Änderungsbescheides vom 18.01.2023 - nicht vorliegen würden. Dabei handele es sich wieder um eine nach § 152 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlages komme insbesondere in Betracht, wenn der Steuerpflichtige Steuererklärungen wiederholt verspätet oder gar nicht einreiche. So liege der Fall hier. Die Klägerin habe bereits die Umsatzsteuererklärungen 2016 und 2017 nicht eingereicht.

Der dem Grunde nach zu Recht festgesetzte Verspätungszuschlag sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Ein Verspätungszuschlag betrage bei Steuererklärungen, die sich auf das Kalenderjahr bezögen, für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 % der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25,00 € für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung (§ 152 Abs. 5 Satz 2 AO). Er sei zutreffend für den Zeitraum 01.08.2019 bis 27.08.2020 mit 13 Monaten zu je 25,00 €, mithin 325,00 € berechnet.

Damit sei die nach § 121 Abs. 1 AO erforderliche Begründung der Ermessensentscheidung gegeben.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2023 trägt der Beklagte ergänzend vor, dass die Klägerin eine nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz -KStG- unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft sei, die ihren Gewinn nach den Vorschriften der §§ 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 und § 5 Einkommensteuergesetz -EStG- ermittele. Daher sei sie ebenfalls verpflichtet, eine Bilanz und die zugehörige Gewinn- und Verlust-Rechnung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch zu übermitteln entsprechend der §§ 5b Abs. 1 EStG, 31 KStG und 150 Abs. 6 AO. Dieser Verpflichtung sei die Klägerin letztmalig und auch nur in Papierform für das Jahr 2015 nachgekommen. Für das Jahr 2018 sei nach Antrag der Klägerin auf die elektronische Abgabe einer E-Bilanz verzichtet worden. Trotzdem habe die Klägerin für 2018 auch keine Bilanz in Papierform eingereicht.

Letztmalig habe die Klägerin für das Gründungsjahr 2015 eine Umsatzsteuererklärung eingereicht.

Angesichts der unterbliebenen Abgaben sämtlicher Umsatzsteuerjahreserklärungen und Bilanzen sei die Festsetzung eines Verspätungszuschlages ermessensfehlerfrei.

Die für die Festsetzung eines Verspätungszuschlages erforderliche Begründung sei sowohl in dem Schätzbescheid vom 24.08.2020 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022, sowohl dem Grunde nach als auch in der Höhe gegeben worden. Dabei habe es sich um Entscheidungen gemäß § 152 Abs. 2 AO gehandelt, die keine Ermessensentscheidungen seien. Daher sei auch keine Ermessensentscheidung getroffen worden, die eine Begründung des Ermessens erfordert hätte.

Erst im Verlauf des Klageverfahrens sei die Rückausnahme des § 152 Abs. 3 Satz 2 AO eingetreten. Eine Nachholung der Ermessensentscheidung bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung sei daher nicht möglich.

Dem Gericht haben bei der Entscheidung acht Bände Akten (Umsatzsteuer Band 1, Bilanzakte Band 1, Vertragsakte, Körperschaftsteuer Band I, Gewerbesteuer Band 1, Betriebsprüfung [Veranlagungsstelle], Rechtsbehelf „USt 2018, Verspätungszuschlag, Zinsen“, Rechtsbehelf „Antrag auf Verzicht elektron. Übermittlung E-Bilanz 2018“) des Beklagten zur Steuernummer … vorgelegen, die dieser für die Klägerin führt.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Beide Beteiligte haben dem zugestimmt. Sowohl der Sachverhalt als auch die Rechtslage sind ausführlich erörtert worden, sodass nicht ersichtlich ist, dass eine mündliche Verhandlung die Entscheidung über den Rechtsstreit noch fördern könnte.

Die Klage ist begründet.

Die Festsetzung des Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 mit Bescheid vom 18.01.2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Er war daher - ebenso wie der nach Aufhebung des Bescheides über Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 vom 18.01.2024 wiederauflebende Bescheid vom 24.08.2020 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 - aufzuheben.

Ob die in § 152 Abs. 1 Satz 1 AO genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar.

Ob dagegen bei Erfüllung dieser Voraussetzungen und im Rahmen der gesetzlichen Grenzen im Einzelfall ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird, hat die zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist die Prüfung des Gerichts gemäß § 102 Satz 1 FGO darauf beschränkt, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Für die Ermessensprüfung kommt es dabei auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegeben oder erkennbar waren.

Letzte - und vom Gericht zu überprüfende - Verwaltungsentscheidung ist vorliegend der Bescheid vom 18.01.2023. Denn nach seinem Erlass schloss sich aufgrund des bereits anhängigen Klageverfahrens kein weiteres Verwaltungsverfahren (Einspruchsverfahren) an.

Vor Erlass dieses Bescheides ist noch der Schriftsatz vom 10.01.2023 ergangen. Auch dieser Schriftsatz ist für die Beurteilung der Ermessensausübung heranzuziehen und grundsätzlich geeignet, die für den Bescheid erforderliche Begründung zu erhalten. Der Schriftsatz vom 14.12.2023 kann hingegen nicht herangezogen werden. Denn die Begründung für eine Ermessensentscheidung muss spätestens mit Schluss der letzten Verwaltungshandlung gegeben sein. Dies ist vorliegend mangels Einspruchsverfahren der Bescheid vom 18.01.2023.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 liegen vor. Die Klägerin hat im Streitfall die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 nicht fristgerecht zum 31.07.2019, sondern erst am 30.11.2020 erheblich verspätet (fast genau 16 Monate zu spät) eingereicht.

Die verspätete Übermittlung war auch nicht nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO entschuldigt. Es sind weder Gründe für die verspätete Einreichung geltend gemacht noch sind solche Gründe nach Aktenlage erkennbar.

Es liegen allerdings Ermessensfehler vor. Der Beklagte hat wesentliche Gesichtspunkte für die zu treffende Ermessensentscheidung im Rahmen des Entschließungsermessen außer Acht gelassen.

Der ursprüngliche Bescheid musste bei der Anpassung nicht ausdrücklich aufgehoben werden. Der Beklagte ist befugt, gebundene Verwaltungsakte in Ermessensentscheidungen zu ändern, ohne zuvor den gebundenen Verwaltungsakt aufzuheben, um danach unmittelbar eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dies ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin angegeben Urteilen Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht -FG-, Urteil vom 15.12.2023 - 3 K 88/22, Rn. 33, juris, und Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 24.08.2004 - VII R 50/02, BFH/NV 2004, 1742, Orientierungssatz 2. Soweit das Schleswig-Holsteinische FG ausführt, dass eine Begründung für einen Verwaltungsakt nicht ersetzt werden darf, wenn sich dadurch das Wesen des Verwaltungsaktes ändert und insbesondere ein gebundener Verwaltungsakt in eine Ermessensentscheidung geändert würde, betrifft dies die Befugnisse des Gerichts. Ein Gericht ist aus Gründen der Gewaltenteilung grundsätzlich nicht befugt, seine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle einer behördlichen Ermessensentscheidung zu setzen. Ist eine Ermessensentscheidung von der Behörde nicht oder fehlerhaft getroffen, ist der entsprechende Verwaltungsakt vom Gericht aufzuheben und der Behörde ist Gelegenheit zu geben, selbst eine (oder eine fehlerfreie) Ermessensentscheidung zu treffen. Der BFH hat hingegen in dem angegebenen Urteil ausgeführt, dass es bei einem gebundenen Verwaltungsakt keine Wesensänderung herbeiführt, wenn die Behörde einen anderen Grund als bisher für dieselbe Regelung angibt.

Im Streitfall hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 18.01.2023 eine Ermessensentscheidung getroffen, indem er die ursprüngliche Festsetzung eines Verspätungszuschlages aufrechterhalten hat. Er hat diese nunmehr auf die Norm des § 152 Abs. 1 AO gestützt. Dies ergibt die Auslegung des Bescheides vom 18.01.2023 zusammen mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 10.01.2023.

Der Schriftsatz vom 10.01.2023 ist auch als mögliche Begründung der Ermessensentscheidung heranzuziehen. Durch das Gericht wird die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde in der Gestalt geprüft, die sie durch die letzte Verwaltungshandlung bekommen hat. Damit ist auf den Bescheid vom 18.01.2023 und die zuvor getätigten Verwaltungshandlungen abzustellen. Dies war der Schriftsatz des Beklagten vom 10.01.2023.

Dabei hat der Beklagte auch - zutreffend - erkannt, dass Ermessen auszuüben ist.

Der Beklagte hat erkannt, dass er, nachdem er die Umsatzsteuer 2018 auf einen negativen Steuerbetrag festgesetzt hatte, in Bezug auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlages Ermessen ausüben musste und es sich nicht mehr um eine gebundene Entscheidung gemäß § 152 Abs. 2 AO handelte. Dies hat der in seinem Schriftsatz vom 10.01.2023 und damit vor Erlass des Bescheides vom 18.01.2023 eindeutig so formuliert. Weiter hat er als Grund für den Verspätungszuschlag angegeben, dass die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärungen 2016 und 2017 nicht eingereicht habe und dass die verspätete Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2018 damit eine wiederholte Nichtabgabe / verspätete Abgabe einer Steuererklärung war.

Dies reicht im Streitfall als Begründung einer Ermessensentscheidung für ein Entschließungsermessen allerdings in dieser knappen Form nicht aus. Es fehlen wesentliche Aspekte des Sachverhalts, die der Beklagte bei seiner Entscheidung, überhaupt einen Verspätungszuschlag für die nunmehr auf einen negativen Steuerbetrag lautende Festsetzung der Umsatzsteuer 2018 festzusetzen, hätte berücksichtigen müssen.

Der Senat lässt dabei offen, ob im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO nF der § 152 Abs. 2 AO aF in der Weise weiterhin anwendbar bleibt, dass nunmehr die Finanzbehörde im Rahmen des Entschließungsermessens alle zuvor in § 152 Abs. 2 AO aF vorgegebenen Begründungselemente beachten und auf diese eingehen muss (so aber FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.04.2023 - 4 K 394/21, Entscheidungen der FG -EFG- 2024, 257, Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH: V R 13/23). Dagegen spricht, dass sich die in § 152 Abs. 2 AO aF geforderte umfassende Ermessenentscheidung, in der die dort genannten weiteren Elemente zur Ermessensfindung zwingend heranzuziehen waren, in § 152 Abs. 1 Satz 1 AO nF nicht mehr findet. Eine Begründung, die nicht mehr auf alle einzelnen Begründungselemente bei der Ermessensausübung eingeht, dürfte daher schon nach dem Wortlaut der Vorschrift - anders als unter Geltung des § 152 Abs. 2 AO aF - nicht fehlerhaft sein. Darüber hinaus dienten die Kriterien in § 152 Abs. 2 AO aF über das Entschließungsermessen hinaus auch dazu, die Höhe des Verspätungszuschlages innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu bestimmen. Das Ausmaß des Verschuldens (Fristüberschreitung und weitere vorangegangene Verspätungen) führte danach zu unterschiedlich hohen Verspätungszuschlägen, genauso wie eine Renitenz (der zweite, dritte, vierte Verspätungszuschlag fiel prozentual höher aus als zuvor). Auch die Leistungsfähigkeit war zu berücksichtigen. Diese Bedürfnisse sind mit der Neufassung des § 152 Abs. 1 AO jedenfalls zum Teil entfallen. Die Höhe des Verspätungszuschlages bestimmt sich nach § 152 Abs. 5 Satz 2 AO. Sie variiert nicht und gilt auch für die Fälle des § 152 Abs. 1 AO, also zum Beispiel für den Fall der Festsetzung einer negativen Steuer oder einer Erstattung. Ausgehend davon gibt es keinen Raum mehr dafür, die Höhe des Verspätungszuschlages an die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen oder an andere wesentliche Aspekte (Verschulden etc.) anzupassen.

Allerdings ist es im Rahmen des Entschließungsermessens immer erforderlich, dass die Behörde bei der Frage, ob sie einen Verwaltungsakt erlässt oder nicht, auf die für den konkreten Sachverhalt bedeutsamen Tatsachen eingeht und diese in ihre Ermessensentscheidung einfließen lässt. Dafür gibt § 152 Abs. 2 AO aF auch nach seiner Änderung in der neuen Fassung (§ 152 Abs. 1 AO nF) Anhaltspunkte, was im Rahmen der Festsetzung eines Verspätungszuschlages für eine Ermessensentscheidung für bedeutend gehalten werden kann.

Beim Verspätungszuschlag gehört zu diesen maßgeblichen Tatsachen, ob der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten bisher erfüllt hat und ob er sich dabei an die vorgegebenen Fristen gehalten hat. Daher ist der Hinweis des Beklagten darauf, dass die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärungen 2016 und 2017 nicht eingereicht hat und die verspäteten Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2018 eine wiederholte Pflichtverletzung war, für die Entscheidung wesentlich.

Der Beklagte hat allerdings die Folgen der Pflichtverletzung für die Klägerin nicht in seine Entscheidung einbezogen. Die Klägerin hatte zum einen wegen der auf einen negativen Steuerbetrag erfolgten Festsetzung keinen wirtschaftlichen Vorteil von der verspäteten Abgabe der Erklärung. Darüber hinaus hat der Beklagte die Wirkung des Verspätungszuschlages für die Klägerin nicht berücksichtigt. Die Höhe des Verspätungszuschlages bestimmt sich nach § 152 Abs. 5 Satz 2 AO nF. Sie variiert nicht und gilt auch für die Fälle des § 152 Abs. 1 AO nF, also zum Beispiel für den Fall der Erstattung. Ausgehend davon gibt es keinen Raum mehr dafür, die Höhe des Verspätungszuschlages in einer Ermessensentscheidung zu treffen und an die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen anzupassen. Die Höhe des Verspätungszuschlages, die bei einer Festsetzung anzusetzen ist, muss, damit sie nicht unberücksichtigt bleibt, bereits im Entschließungsermessen berücksichtigt werden (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.04.2023 - 4 K 394/21, EFG 2024, 257).

Zur wirtschaftlichen Lage der Klägerin lässt sich feststellen, dass der Vorsteuerabzug die Höhe der ausgelösten Umsatzsteuer übersteigt. Damit müssen die vorsteuerauslösenden Betriebsausgaben höher sein als die erzielten steuerpflichtigen Umsätze. Es ist daher zu vermuten, dass die Klägerin wohl einen Verlust aus ihrer Tätigkeit in 2018 erzielt hat. Zwar hat die Klägerin keine Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung und auch keine Körperschaftsteuererklärung 2018 eingereicht. Der Beklagte hat allerdings den Gewinn der Klägerin mit 500,00 € geschätzt (nach Schätzungen für 2016 und 2017 von jeweils null Euro, Blatt 1 Rückseite Körperschaftsteuerakte 2017). Damit geht selbst der Beklagte nicht von einer wirtschaftlich erfolgreichen Steuerpflichtigen aus. In einem solchen Fall stellt der festzusetzende Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 AO nF mit 325,00 € eine Belastung dar, die der Beklagte in seine Abwägung hätte einbeziehen müssen. Zwar kann der Zweck des Verspätungszuschlages, den Steuerpflichtigen zukünftig zu einer fristgerechten Abgabe von Steuererklärungen anzuhalten, es rechtfertigen, auch einen hohen und wirtschaftlich bedeutsamen Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn der Steuerpflichtige dadurch wirtschaftlich stark betroffen wird. Dies ist jedoch im Einzelfall auch unter Berücksichtigung der Folgen einer Festsetzung für den Steuerpflichtigen abzuwägen.

Daher war der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 18.01.2023 aufzuheben. Das Gericht ist nicht befugt, sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Weil dadurch der ursprüngliche Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 24.08.2020 wieder auflebt, ist auch dieser und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung -ZPO- analog.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.

Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.

Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.

Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.