Gericht | FG Cottbus 7. Senat | Entscheidungsdatum | 24.04.2024 | |
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Aktenzeichen | 7 K 7123/23 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2024:0424.7K7123.23.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO n.F. ist § 152 Abs. 2 AO a.F. nicht in der Weise weiterhin anwendbar, dass nunmehr die Finanzbehörde im Rahmen des Entschließungsermessens alle zuvor in § 152 Abs. 2 AO a.F. vorgegebenen Begründungselemente beachten und auf diese eingehen muss.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte zu Recht einen Verspätungszuschlag gegenüber dem Kläger festgesetzt hat.
Der Kläger erzielte im Streitjahr Umsätze als Softwareentwickler.
Seine Steuererklärungen fertigte er jedenfalls in den Jahren 2018 bis 2020 mit Hilfe eines Steuerberaters an. Seine Umsatzsteuererklärungen 2018 und 2019 reichte der Kläger im Mai 2023 beim Beklagten ein. Für beide Veranlagungszeiträume ergingen zunächst Umsatzsteuerfestsetzungen nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen.
Im Streitjahr erzielte der Kläger ausweislich seiner Anlage EÜR einen Gewinn in Höhe von 92.244,64 €. Ab dem 01.02.2021 war er nichtselbständig tätig und erzielte keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit mehr.
Da der Kläger zunächst seine Umsatzsteuererklärung 2020 nicht einreichte, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte davon ausgehend mit Bescheid vom 27.02.2023 die Umsatzsteuer auf 25.500,00 € fest, was zu einer Nachzahlung in Höhe von 6.477,68 € führte (getilgt 19.022,32 €). Gleichzeitig setzte er einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175,00 € fest.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger am Montag, dem 03.04.2023 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023 als unbegründet zurückwies.
Darauf hat der Kläger am 06.11.2023 seine Umsatzsteuererklärung 2020 elektronisch an den Beklagten übermittelt und eine Umsatzsteuer in Höhe von 19.014,50 € erklärt.
Am 13.11.2023 hat der Kläger wegen Umsatzsteuer 2020 nebst Verspätungszuschlag dazu Klage erhoben.
Der Beklagte hat der Klage mit Bescheid vom 15.01.2024 hinsichtlich der Umsatzsteuer 2020 abgeholfen, jedoch verfügt, dass der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag unverändert bestehen bleibt. Dazu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.01.2024 an das Gericht (gerichtsseitig der Bevollmächtigten des Klägers per elektronischem Rechtsverkehr übermittelt am 09.01.2024) erläutert: Nachdem die Umsatzsteuer wie erklärt festgesetzt worden sei, komme die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nur noch nach Ausübung des dem Finanzamt eingeräumten Ermessens gemäß § 152 Abs. 1 Abgabenordnung –AO– in Betracht, wobei die Höhe des Verspätungszuschlags durch § 152 Abs. 5 Satz 2, Abs. 10 AO vorgegeben sei. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags sei ermessensgerecht, weil der Kläger keine Gründe vorgetragen habe, die die verspätete Erklärungsabgabe entschuldbar erscheinen ließen, und auch die Steuererklärungen für die Jahre 2018 und 2019 verspätet eingereicht worden seien.
Dagegen wendet der Kläger ein, dass bei Steueranmeldungen i.S. des § 152 Abs. 8 AO gemäß § 152 Abs. 12 AO eine Änderung des Verspätungszuschlags vorzunehmen sei, soweit der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag nach der Höhe der Steuer bemessen gewesen sei. Die Mindestbeträge nach § 152 Abs. 5 AO seien in diesen Fällen unbeachtlich. Wenn der Umsatzsteuerbescheid entsprechend der eingereichten Umsatzsteuererklärung geändert werde, sei an dem Tag, an welchem die Daten in das technische Rechenzentrum versandt worden seien (hier am 08.01.2024), über den Verspätungszuschlag neu zu entscheiden. Im Streitfall sei zu berücksichtigen gewesen, dass sich aus der Umsatzsteuerveranlagung ein Guthaben in Höhe von 6.485,50 € ergeben habe. Die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 04.01.2024 ersetzten keine Ermessensausübung, zumal diese mit Erlass des geänderten Umsatzsteuerbescheids vom 15.01.2024 hätten erfolgen müssen. Der Beklagte habe daher sein Ermessen nicht ausgeübt, so dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliege.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Bescheide über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2020 vom 15.01.2024 und vom 27.02.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sein Sachvortrag ergibt sich aus seinem Schreiben vom 04.01.2024.
Das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2020 wurde abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 7 K 7044/22 einer Kostenentscheidung zugeführt.
Dem Gericht haben je ein Band Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Bilanzakten vorgelegen, die der Beklagte für den Kläger unter der Steuer-Nr. … führt.
I. Das Gericht übt das ihm gemäß § 94a Finanzgerichtsordnung –FGO– eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass es ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Der Beklagte hat dem zugestimmt. Der Kläger hat trotz eines entsprechenden Hinweises keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Sowohl der Sachverhalt als auch die Rechtslage sind hinreichend erörtert worden, sodass nicht ersichtlich ist, dass eine mündliche Verhandlung die Entscheidung über den Rechtsstreit noch fördern könnte.
II. Da bei der ausschließlichen Aufhebung des Bescheids über die Festsetzung des Verspätungszuschlags vom 15.01.2024 die zuvor bestehende Festsetzung vom 27.02.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023 wieder aufleben würde, legt das Gericht den Antrag des Klägers dahin gehend aus, dass sich der Antrag auch darauf bezieht.
III. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 FGO nicht in seinen Rechten verletzt.
Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.01.2024 zu Recht den bisher festgesetzten Verspätungszuschlag bestehen lassen.
1. Der Beklagte durfte im Zuge der Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2020 vom 27.02.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023 von der gesetzlich gebundenen Festsetzung eines Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 AO zur ermessensgeleiteten Festsetzung des Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO übergehen.
Nach § 152 Abs. 12 Satz 2 AO ist dann, wenn eine Steuerfestsetzung geändert wird, ein festgesetzter Verspätungszuschlag entsprechend zu ermäßigen oder zu erhöhen, soweit nicht auch nach der Änderung die Mindestbeträge anzusetzen sind.
Im Streitfall führte die Herabsetzung der Umsatzsteuer durch den Bescheid vom 15.01.2024 dazu, dass die Festsetzung eines Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 AO nach § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO unzulässig war, weil die Steuerfestsetzung nun um 7,82 € hinter der Summe der festgesetzten Vorauszahlungen zurückblieb. Nach § 152 Abs. 12 Satz 2 AO war daher die Festsetzung des Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 2 AO aufzuheben. Andererseits war der Beklagte nach § 152 Abs. 1 AO befugt, sein Ermessen dahingehend auszuüben, einen Verspätungszuschlag erneut (nunmehr aufgrund einer sachgerechten Ermessensausübung) festzusetzen. Dies hat der Beklagte erkannt und berücksichtigt, indem er die bisherige Festsetzung des Verspätungszuschlags unter Berufung auf die Ausübung seines nach § 152 Abs. 1 AO eingeräumten Ermessens bestehen gelassen hat.
Der ursprüngliche Bescheid musste bei der Anpassung nicht ausdrücklich aufgehoben werden. Der Beklagte ist befugt, gebundene Verwaltungsakte in Ermessensentscheidungen zu ändern, ohne zuvor den gebundenen Verwaltungsakt aufzuheben, um danach unmittelbar eine Ermessensentscheidung zu treffen. Anderes wäre eine Förmelei, mit der kein Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden wäre. Dafür spricht auch, dass § 152 Abs. 12 AO (ausdrücklich nur für den Bereich des § 152 Abs. 2 AO) die Änderungs- und Aufhebungspflicht suspendiert, soweit auch nach der Änderung der Steuerfestsetzung die Mindestbeträge anzusetzen sind.
2. Der Beklagte hat bei Erlass der angefochtenen Festsetzung des Verspätungszuschlags vom 15.01.2024 zu Recht die Voraussetzungen für den Erlass eines Verspätungszuschlags bejaht und sein dadurch eröffnetes Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
a) aa) Ob die in § 152 Abs. 1 AO genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar, im Streitfall also, ob der Kläger i.S. dieser Norm seiner Verpflichtung zur Abgabe seiner Steuererklärung nicht fristgerecht nachgekommen ist und seine Verspätung nicht entschuldbar war. Das Gleiche gilt für die Höhe des Verspätungszuschlags, die sich aus § 152 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 9 Satz 1 AO ergibt. Danach beträgt der Verspätungszuschlag bei Jahreserklärungen mindestens 25,00 € für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung, längstens berechnet bis zum Ablauf desjenigen Tages, an dem die erstmalige Festsetzung der Steuer wirksam wird.
bb) Die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2020 liegen vor. Der Kläger reichte im Streitfall die Umsatzsteuererklärung 2020 nicht fristgerecht zum 31.08.2022 (gemäß § 149 Abs. 3 AO i.V. mit Art. 97 § 36 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Einführungsgesetz zur AO –EGAO–), sondern erst am 06.11.2023 erheblich verspätet (fast genau 14 Monate zu spät) ein.
Die verspätete Übermittlung war auch nicht nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO entschuldigt. Es sind weder Gründe für die verspätete Einreichung geltend gemacht worden, noch sind solche Gründe nach Aktenlage erkennbar.
Der erstmalige Umsatzsteuerbescheid 2020 vom 27.02.2023 wurde gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht vor dem 02.03.2023 wirksam, so dass der Beklagte zu Recht von einer Verspätung von 7 Monaten (6 volle Monate und der angefangene Monat März 2023) ausgegangen ist.
b) aa) Ob dagegen bei Erfüllung dieser Voraussetzungen und im Rahmen der gesetzlichen Grenzen im Einzelfall ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird, hat die zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist die Prüfung des Gerichts gemäß § 102 Satz 1 FGO darauf beschränkt, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Für die Ermessensprüfung kommt es dabei auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegeben oder erkennbar waren (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 102 Rn. 13 m.w.N.).
bb) (1) Letzte - und vom Gericht zu überprüfende - Verwaltungsentscheidung ist vorliegend der Bescheid vom 15.01.2024. Denn dieser wurde gemäß § 68 Satz 1 FGO aufgrund des bereits anhängigen Klageverfahrens zu dessen Gegenstand. Obwohl sich an der Höhe der Festsetzung des Verspätungszuschlags nichts geändert hat, enthält der Bescheid vom 15.01.2024 eine Regelung i.S. des § 118 AO, da er die Entscheidung des Beklagten darüber enthält, trotz der Herabsetzung der Umsatzsteuer 2020 den Verspätungszuschlag bestehen zu lassen. Damit hat der Beklagte die bisherige Festsetzung jedenfalls i.S. des § 68 Satz 1 FGO ersetzt. Dem entsprechend schloss sich nach Erlass des Bescheids vom 15.01.2024 kein weiteres Verwaltungsverfahren (Einspruchsverfahren) an. In diesem Fall ist für die Ermessensprüfung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des ersetzenden Bescheides vom 15.01.2024 abzustellen (Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 26.06.2014 – IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507).
(2) Vor Erlass dieses Bescheides ist noch der Schriftsatz vom 04.01.2024 ergangen. Auch dieser Schriftsatz ist für die Beurteilung der Ermessensausübung heranzuziehen und geeignet, die für den Bescheid erforderliche Begründung zu erhalten. Denn die Begründung für eine Ermessensentscheidung soll dem Steuerpflichtigen ermöglichen, die Erwägungen der Finanzbehörde nachzuvollziehen und etwaige Einwände gegen die Ermessensfehlerfreiheit der getroffenen Entscheidung erheben zu können. Dafür reicht es aus, wenn die Ermessenserwägungen dem Steuerpflichtigen jedenfalls bei Bekanntgabe der Ermessensentscheidung vorliegen. Sie müssen nicht im Bescheid selbst enthalten sein, wenn aufgrund der äußeren Umstände die Erwägungen vom Steuerpflichtigen dem Bescheid zweifelsfrei zugeordnet werden können.
Dies ist im Streitfall zu bejahen, da der Beklagte die Erörterungen im Schriftsatz vom 04.01.2024 mit der Ankündigung einer Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2020 verbunden hatte und das Gericht den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 09.01.2024 (Zugang in ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach am gleichen Tag) übermittelt hatte. Dies entsprach dem im Zeitalter des elektronischen Rechtsverkehrs üblichen Geschäftsgang und den Vorgaben des § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO. Die Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids vom 15.01.2024 dürfte gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 18.01.2024 erfolgt sein, jedenfalls ist sie nach dem 09.01.2024 erfolgt.
(3) Ein Ermessensfehler ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht erkennbar.
Der Beklagte hat sein Ermessen ausgeübt. Er hat im Schriftsatz vom 04.01.2024 u.a. ausgeführt: „Auch wenn sich im Streitfall durch die nun vorgenommene Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2020 eine Steuererstattung ergibt und danach gem. § 152 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO eine sog. „Kann-Regelung“ vorliegt, ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags hier ermessensgerecht.“ Damit hat er zu erkennen gegeben, dass ihm seine Wahlfreiheit darüber, ob er den Verspätungszuschlag beibehält, bewusst war.
Im Folgenden hat der Beklagte die Erwägungen, die aus seiner Sicht Anlass für die Festsetzung/Beibehaltung des Verspätungszuschlags geben, dargestellt, wenn auch in sehr knapper Form, nämlich unter Hinweis auf die eingetretene Verspätung im Streitjahr und in den beiden Vorjahren.
Diese Prämissen sind zutreffend. Der Kläger hatte auch in den beiden Vorjahren seine Umsatzsteuererklärungen verspätet eingereicht.
Eine allgemeine Fristverlängerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist für 2018 nicht erfolgt, allenfalls ist eine Anweisung ergangen, großzügig Fristverlängerung zu gewähren (Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht –FG–, Urteil vom 15.12.2023 – 3 K 88/22, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2024, 540, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen VI R 2/24, Rn. 31; Rosenke in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 27. Edition 15.01.2024, § 149 Rn. 315). Dass der Kläger für die Abgabe der Umsatzsteuererklärung einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt hat, ist weder den vorliegenden Akten zu entnehmen, noch von ihm vorgetragen worden. Daher war die Abgabe am 02.05.2023 statt am 29.02.2020 (§ 149 Abs. 3 AO) um 38 Monate verspätet.
Die Abgabefrist für die Umsatzsteuererklärung 2019 endete gemäß Art. 97 § 36 Abs. 1 EGAO mit Ablauf des 31.12.2021, so dass die Abgabe am 15.05.2023 um 16,5 Monate verspätet war.
Diese Umstände waren dem Kläger bekannt und bedurften deshalb keiner weiteren Darstellung durch den Beklagten (Hessisches FG, Urteil vom 19.02.2021 – 9 K 939/20, juris, Rn. 42).
Das Abstellen auf eine wiederholt verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärungen erscheint sachgerecht (Sächsisches FG, Urteil vom 08.11.2023 – 8 K 682/23, juris, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 1/24; Bundestags-Drucksache 18/8434, 113; Gosch/Schober, AO/FGO, Stand: 180. Ergänzungslieferung Januar 2024, § 152 AO Rn. 51; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 171. Lieferung 7/2022, § 152 AO Rn. 49). Da § 152 Abs. 1 AO die Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch in den Fällen des § 152 Abs. 3 AO ermöglicht, lässt der Gesetzgeber erkennen, dass ein Verspätungszuschlag auch ohne einen wirtschaftlichen Vorteil des Steuerpflichtigen festgesetzt werden kann, um den zeitgerechten und effektiven Ablauf des Veranlagungsgeschäfts sicherzustellen (gl. A. wohl Hessisches FG, Urteil vom 19.02.2021 – 9 K 939/20, juris, Rn. 46, 50 ff.; Sächsisches FG, Urteil vom 08.11.2023 – 8 K 682/23, juris, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 1/24; Gosch/Schober, AO/FGO, Stand: 180. Ergänzungslieferung Januar 2024, § 152 AO Rn. 23). Dies liegt auch auf der Hand, so dass der Beklagte dies nicht ausdrücklich erwähnen musste. Dass Gleiche gilt dafür, dass der Kläger durch seine wiederholt verspätete Abgabe seiner Umsatzsteuererklärungen den zeitgerechten und effektiven Ablauf des Veranlagungsgeschäfts beeinträchtigt hat, was für den Kläger schon dadurch offenkundig war, dass der Beklagte sich veranlasst sah, die Umsatzsteuer 2018 bis 2020 jeweils zunächst nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen festzusetzen.
Das erkennende Gericht folgt nicht der Auffassung, dass im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO n.F. der § 152 Abs. 2 AO a.F. in der Weise weiterhin anwendbar bleibt, dass nunmehr die Finanzbehörde im Rahmen des Entschließungsermessens alle zuvor in § 152 Abs. 2 AO a.F. vorgegebenen Begründungselemente beachten und auf diese eingehen muss (so aber FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.04.2023 – 4 K 394/21, EFG 2024, 257, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen V R 13/23; Koenig/Haselmann, AO, 5. Aufl. 2024, § 152 Rn. 33). Dagegen spricht, dass sich die in § 152 Abs. 2 AO a.F. geforderte umfassende Ermessenentscheidung, in der die dort genannten weiteren Elemente zur Ermessensfindung zwingend heranzuziehen waren, in § 152 Abs. 1 Satz 1 AO n.F. nicht mehr findet. Die Kriterien in § 152 Abs. 2 AO a.F. dienten über das Entschließungsermessen hinaus auch dazu, die Höhe des Verspätungszuschlages innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu bestimmen. Das Ausmaß des Verschuldens (Fristüberschreitung und weitere vorangegangene Verspätungen) führte danach zu unterschiedlich hohen Verspätungszuschlägen, genauso wie eine Renitenz (der zweite, dritte, vierte Verspätungszuschlag fiel prozentual höher aus als zuvor). Auch die Leistungsfähigkeit war zu berücksichtigen. Diese Bedürfnisse sind mit der Neufassung des § 152 Abs. 1 AO jedenfalls zum Teil entfallen. Die Höhe des Verspätungszuschlages bestimmt sich nach § 152 Abs. 5 Satz 2 AO. Sie variiert nicht und gilt auch für die Fälle des § 152 Abs. 1 AO, also zum Beispiel für den Fall der Festsetzung einer negativen Steuer oder einer Erstattung. Ausgehend davon gibt es keinen Raum mehr dafür, die Höhe des Verspätungszuschlages an die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen oder an andere wesentliche Aspekte (Verschulden etc.) anzupassen (im Ergebnis gl. A. Hessisches FG, Urteil vom 19.02.2021 – 9 K 939/20, juris; Gosch/Schober, AO/FGO, Stand: 180. Ergänzungslieferung Januar 2024, § 152 AO Rn. 23, 51; Rosenke in BeckOK AO, Stand: 27. Edition 15.01.2024, § 152 Rn. 240, 270).
Davon ausgehend erscheint es im Streitfall ausreichend, dass der Beklagte die im Streitjahr und in den beiden Vorjahren eingetreten Verspätungen bei der Abgabe der Umsatzsteuererklärungen zum Anlass nahm, die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufrechtzuerhalten. Die Länge der aktuellen Verspätung und die Höhe des erzielten wirtschaftlichen Vorteils werden in § 152 Abs. 5 Satz 2 AO ohnehin pauschalierend für die Höhe des Verspätungszuschlags berücksichtigt.
Daher ist es unbeachtlich, dass der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 04.01.2024 (ggf. missverständlich) von einer Verspätung im Streitjahr von 7 Monaten ausgegangen ist (obwohl diese 14 Monate betragen hatte). Im Übrigen wäre diese Abweichung zugunsten des Klägers. Jedenfalls dürfte der Beklagte die Verspätungsberechnung für die Festsetzung des Verspätungszuschlags gemeint haben, für die gemäß § 152 Abs. 9 Satz 1 FGO eine Kappung zum Ablauf des Tages, in dem die erstmalige Steuerfestsetzung wirksam wird (hier der 02.03.2023), erfolgt.
Weitere Erwägungen können allenfalls dann erforderlich werden, wenn angesichts der Höhe des Verspätungszuschlags und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen dazu Anlass besteht, etwa, wenn offensichtlich ist, dass es sich um einen wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Steuerpflichtigen handelt. Davon kann jedoch bei einem im Jahre 1977 geborenen Softwareentwickler, der im Streitjahr einen Gewinn in Höhe von 92.244,64 € erzielt hat und für den eine positive Umsatzsteuer in Höhe von 19.014,50 € bei Umsätzen in Höhe von 194.717,00 € festgesetzt worden ist, nicht ausgegangen werden. Zwar hat der Kläger seinen Betrieb Anfang 2021 eingestellt, jedoch ist er unmittelbar danach ein Arbeitsverhältnis eingegangen. Dass er darin derart geringe Einkünfte erzielt, dass er durch einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175,00 € in wirtschaftliche Bedrängnis geraten könnte, hat er nicht vorgetragen und ist nach den Gesamtumständen auszuschließen.
Damit können besondere Verhältnisse, wie sie das erkennende Gericht in seinem Urteil vom 13.03.2024 – 7 K 7067/22 (s. die neutralisierte Abschrift, die als Anlage beigefügt ist) zum Anlass einer abweichenden Entscheidung genommen hat, nicht festgestellt werden.
3. Da der Bescheid vom 15.01.2024 Bestand hat, wird der Kläger durch den Bescheid vom 27.02.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023, den der Bescheid vom 15.01.2024 ersetzt hat, nicht mehr beschwert.
IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Welche Anforderungen an die Ermessensausübung im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO zu stellen sind, ist höchstrichterlich nicht geklärt und wird – wie dargestellt – von den Finanzgerichten unterschiedlich beurteilt.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.