Gericht | FG Cottbus 7. Senat | Entscheidungsdatum | 17.01.2024 | |
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Aktenzeichen | 7 K 7342/16 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2024:0117.7K7342.16.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | 4 Nr. 23 UStG §, 132 Abs. 1 Buchst i MwStSystRL Art., 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL Art. |
Der Ablehnungsbescheid vom 29.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2017 wird für das Streitjahr 2010 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Umsatzsteuer für 2010 um 16,74 € niedriger auf 6.671,11 € festzusetzen.
Dem Kläger werden die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens im ersten Rechtsgang (einschließlich der Kosten des Vorverfahrens) und die Kosten des Verfahrens betreffend die Nichtzulassungsbeschwerde auferlegt. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die Kosten des zweiten Rechtsgangs werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Präventions- und Persönlichkeitstrainer im Streitjahr (2010) steuerfreie Umsätze ausgeführt hat.
Der Kläger ist Präventions- und Persönlichkeitstrainer und Mitglied des Vereins "B… e. V.". (…)
Außerdem lässt ein Ausdruck der Homepage erkennen, dass der Kläger als "Teamleiter" auftrat, und es wurden neun weitere, in seinem Team tätige Kursleiter für verschiedene Kursarten (Kinderbewegungsprogramm neben weiteren Sport- und Bewegungsangeboten eines Kooperationspartners, Präventionstrainings im Kindergarten, in der Grundschule und in weiterführenden Schulen, Persönlichkeitstrainings für Frauen und für ältere Leute, Erziehungsseminare für Eltern) vorgestellt.
Der Steuerberater des Klägers erklärte gegenüber dem Beklagten, der Kläger werde wohl von den jeweiligen interessierten Eltern beauftragt. Die Rechnungen erstelle der Kläger dann wohl gegenüber den jeweiligen Eltern, die ihn dann bezahlen würden. Er selbst erklärte gegenüber dem FA, dass die Abrechnung ggf. direkt mit den Eltern erfolge, ansonsten über die Schule. Sofern die Eltern die "Gebühr" beglichen, erfolge dies gegen einen Zahlungsbeleg bzw. per Überweisung. Auch aus einer in den Akten befindlichen Borschüre geht hervor, dass die Eltern die Kursgebühr direkt überweisen (gesonderte Heftung UStA).
Der Kläger reichte für das Streitjahr am 04.01.2011 eine Umsatzsteuererklärung ein. Darin erklärte er Leistungen zu 19 % in Höhe von 49.013,00 € und zu 7 % in Höhe von 239 € sowie Vorsteuern in Höhe von 2.641,35 €, so dass 6.687,85 € an Umsatzsteuer 2010 erklärt wurden. Auf dem Erlöskonto mit 7 % Umsatzsteuer sind fälschlicherweise vier Kursgebühren in Höhe von 59,81 € gebucht worden (06.04., Beleg-Nr. 30-4, Buchungstext: C…; 06.04., Beleg-Nr. 30-4, Buchungstext: D…; 06.04., Beleg-Nr. 30-5, Buchungstext: E…; 06.04., Beleg-Nr. 30-5, Buchungstext: D…) und 1 x 110,28 €, insgesamt 349,25 €, nach Saldierungen um eine Erstattung von 110,28 €, mithin 239,24 €). Der in Großbuchstaben geschriebene Buchungstext deutet auf die Schule hin, an der der Kurs stattgefunden hat: Grundschule D…, E… Grundschule, C… Grundschule). Laut Angaben des Klägers haben im Jahr 2010 an diesen Schulen auch tatsächlich Kurse stattgefunden. Es gab im Streitjahr Klassenprojekte und sog. „offene Kurse“. Nur bei den Klassenprojekten fanden die Kurse während der Unterrichtszeiten statt und die Teilnahme war verpflichtend. Bei den Kursgebühren von 59,81 € handelt es sich um ermäßigte Kursgebühren für den Fall, dass die Räume zur Unterrichtserteilung von den Schulen zur Verfügung gestellt werden. Aus der Kontenübersicht für 2010 ergibt sich, dass die Kurse grün markiert sind. Laut der eigenen Farberläuterungen, werden die grün markierten Kurse durch Fremdpersonal durchgeführt. Rechnungen wurden nach dem Vortrag des Klägers für diese Zahlungen nicht ausgestellt. In den vorgelegten Programmen sind diese Kurse als außerschulische Veranstaltung beschrieben, bei denen die Eltern die Kursgebühren übernehmen. Die Kurse wurden an sechs Nachmittagen durchgeführt. Gemäß einer vorgelegten Bescheinigung der Schulleiterin der F… Grundschule beschreibt diese die Kurse als offenen ergänzenden Unterricht.
Am 09.12.2014 beantragte der Kläger u.a., die Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2010 zu ändern. Seine Umsätze für Konfliktpräventionskurse an Schulen seien nach § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – steuerfrei. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29.03.2016 ab.
Dagegen legte der Kläger am 15.04.2016 Einspruch ein.
Ferner legte der Kläger am 09.12.2014 gegen die „offenen Umsatzsteuerfestsetzungen“ Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2016 als unzulässig verwarf.
Am 24.12.2016 erhob der Kläger seinerzeit betreffend der Streitjahre 2010 bis 2014 Klage. Im Klageverfahren erließ das FA am 26.07.2017 die Einspruchsentscheidung betreffend den Ablehnungsbescheid. Das hiesige Finanzgericht wies die Klage durch Urteil vom 14.08.2019 - 7 K 7342/16 (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2020, 1101) ab. Die Klage sei zwar als sog. Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – zulässig, aber unbegründet. Das Gericht könne nicht feststellen, dass die vom Kläger erklärten Umsätze steuerfrei seien.
Die Leistungen des Klägers seien nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG steuerfrei, denn es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger selbst i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG als Ersatzschule genehmigt oder erlaubt oder ihm eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erteilt worden wäre.
§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG sei nicht erfüllt, da die Befreiung nur für erbrachte Unterrichtsleistungen von selbständigen Lehrern und nicht durch von diesen beauftragten selbständigen Dozenten gelte. Ebenso könne sich der Kläger nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – berufen. Es fehle bereits an der Qualifizierung als Schul- und Hochschulunterricht im Sinne dieser Vorschrift. Dies gelte auch für die Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL.
Außerdem schulde der Kläger die Umsatzsteuer für den weit überwiegenden Teil seiner Umsätze gemäß § 14c Abs. 1 UStG.
Mit Schriftsatz dem Bundesfinanzhof – BFH – zugegangen am 23.09.2019 hat der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben.
Mit Beschluss vom 05.02.2020 - XI B 94/19, der neben dem Streitjahr auch die hier nicht streitgegenständlichen Besteuerungszeiträume 2011 bis 2013 betraf, hat der Senat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Er hat dabei u.a. ausgeführt, der Kläger könne die Zulassung der Revision nicht erreichen, soweit nach den Feststellungen des Finanzgerichts – FG – die Steuerforderungen auf Rechnungen i.S. des § 14c UStG beruhen. Mit seiner – durch o.g. Beschluss zugelassenen – Revision betreffend das Jahr 2010 wandte sich der Kläger (nur) gegen die Besteuerung der verbleibenden Umsätze in Höhe von 239 €. Er rügte die Verletzung von § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG. Überdies ergebe sich die Steuerbefreiung aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL. Er trägt im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG lägen vor, da er, der Kläger, als selbständiger Privatlehrer Unterricht in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Bildungsträger in den Räumlichkeiten der Schule oder Vorschule durchführe. Das Klassentraining erfolge in Grund- und Förderschulen während der regulären Unterrichtszeit in den Räumen der Schule unter Einbeziehung der Klassenlehrer/innen oder Fachlehrer/innen, sowie in Kleingruppen durch Einzelanmeldung über die Eltern. Es bestehe auch ein hohes Gemeinwohlinteresse an der Lehrtätigkeit des Klägers. Dies ergebe sich auch aus den Schulprogrammen und Lehrplänen. Die Vergütung erfolge zum Teil durch die beauftragenden Schulen.
Der BFH hat die Revision als begründet angesehen, das angefochtene Urteil wegen Umsatzsteuer 2010 aufgehoben und an das hiesige Finanzgericht zurückgewiesen (BFH, Urteil vom 15.12.2021 – XI R 3/20, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2022, 1428).
Der BFH nimmt an, dass eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG nicht gegeben sei, weil der Kläger weder als Ersatzschule genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt wurde, noch eine gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG entsprechende Bescheinigung vorgelegt habe.
Auch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG komme nicht in Betracht, da die streitigen Leistungen nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienten.
Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in Bezug auf den Schul- und Hochschulunterricht komme nicht in Betracht, da die hier streitigen Präventionskurse als spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht keinen Schul- und Hochschulunterricht darstellen würden.
Das hiesige Finanzgericht sei jedoch nicht der Frage nachgegangen, ob eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG) in Betracht kommt, weil die Präventionskurse des Klägers als "Erziehung von Kindern und Jugendlichen" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen seien.
Soweit das hiesige Finanzgericht den Anwendungsbereich als erfüllt ansehe, seien weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob der Kläger die personellen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erfülle.
Weiterhin sei zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfüllt seien. Die Bestimmung sei unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten seien, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen würden (Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 28.01.2010 – C-473/08 – Eulitz, Slg. 2010, I-907, Rn. 21 ff.).
Davon könnte im Streitfall möglicherweise auszugehen sein, da die Leistungen des Klägers nicht mit Bezug zu einem spezialisierten Unterricht (in einer Fahr-, Segel- oder Schwimmschule o.ä.) erbracht würden, sondern sich u.a. auf den Unterricht in Grundschulen und an weiterführenden Schulen beziehen. Zumindest der Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen sei Teil eines integrierten Systems der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen; er diene auch der Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler (je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf der jeweiligen Stufe).
Der Kläger könne außerdem nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG ein Privatlehrer im Sinne der Vorschrift sein. Erforderlich sei aber, dass der Unternehmer Träger der Bildungseinrichtung sei, an der die Bildungsmaßnahmen erbracht würden. Der Unternehmer müsse auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln. Ob dies voraussetze, dass der Unternehmer eigene Vertragsbeziehungen zu dem Unterrichteten unterhalte, müsse geklärt werden. Schädlich sei insofern aber die Zwischenschaltung eines Dritten.
Für den Tatbestand wird im Übrigen auf den Tatbestand des Urteils im ersten Rechtsgang vom 14.08.2019 verwiesen.
Der Kläger trägt vor, dass die Umsätze steuerfrei gemäß § 4 Nr. 23 UStG in der Fassung bis zum 31.12.2019 seien. Der Kläger habe ausschließlich schulpflichtige Kinder unterrichtet, die jünger als 27 Jahre gewesen seien. Es handele sich bei dem Kläger als natürliche Person auch um eine Einrichtung im Sinne der Norm. § 4 Nr. 23 UStG befreie nicht nur Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbetreuung sondern auch die Kinder- und Jugenderziehung oder vergleichbare privatrechtliche Einrichtungen (auch Einzelunternehmer).
Die Aufnahme müsse nur so lange andauern, bis der im Gesetz vorausgesetzte Erziehungszweck erreicht worden sei. Eine Beherbergung und Beköstigung sei nicht erforderlich. Dies liege auch bei der In-Obhutnahme der Kursteilnehmer während einer Kursdauer von 6 x 60 Minuten über einen Zeitraum von 6 Wochen vor. Während der Kursdauer übernehme der Kläger die Kinder in seine „Obhut“ bei sich in den seiner Kontrolle unterliegenden temporär von und in der Schule zum Zwecke der Erziehung überlassenen Räumlichkeiten auf.
Der Kläger müsse die Leistung zwar selbst, aber nicht alleine erbringen. Er könne auch Erfüllungsgehilfen einsetzen. Er müsse dann aber konkrete Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke z. B. in seiner Satzung, festschreiben und den Leistungsempfänger vertraglich verpflichten, sich im Rahmen seines Aufenthalts an diesen pädagogischen Grundsätzen zu orientieren. Die Subunternehmer würden die Erziehungsleistung nach einheitlichen Vorgaben erbringen.
Die Aufnahme der Jugendlichen erfolge zu Erziehungs- und Fortbildungszwecken, wobei die Begriffe nicht eindeutig voneinander abgrenzbar seien. Der Kurs beinhalte den Zweck, aus Kindern zunächst starke selbstbewusste Kinder und dann verantwortungsvolle Erwachsene zu formen. Diese Charakterformung und die vermittelten Inhalte würden den Erziehungsbegriff erfüllen, ohne eine reine Freizeitbeschäftigung zu sein.
Die Umsätze seien auch zugleich oder mindestens nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL und ggf. auch nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei, da die Inhalte dem an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen vermittelten Wissen entsprechen würden.
Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL setze keine bestimmte Qualifikation des Privatlehrers voraus. Der EuGH setze in seinem Urteil vom 14.06.2007 (C-445/05 – Haderer) lediglich ein gewisses Mindestniveau voraus. Die Qualifikation des Klägers könne durch seine 1996 begonnene Ausbildung und den Erwerb diverser Trainerlizenzen nachgewiesen werden.
Das Ziel der Präventionsprogramme des Klägers sei es, das Selbstbewusstsein zu stärken und die Resilienz zu fördern. Mit didaktischen und methodischen Präventionsmaßnahmen solle eine individuelle Entfaltung der Kinder, die Schaffung von Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, eine verbesserte Eltern-Kind-Beziehung und gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung erreicht werde. Die vermittelten Inhalte seien konform zum Kinderbildungsgesetz NRW.
Entgegen der Auffassung des hiesigen Finanzgerichts könne der Unterricht des Klägers nicht mit einer Fahrschule verglichen werden. Dies verkenne, dass die von dem Kläger vermittelten Lehrinhalte im Gegensatz zur Führerscheinvorbereitung vergleichbar auch an Schulen unterrichtet würden. Außerdem würde jede einzelne Vertretungsstunde eines selbständigen Privatlehrers an einer öffentlichen Schule, die zwar Bestandteil des Rahmenstoffplans vermittle, isoliert für sich genommen Spezialwissen vermitteln.
Selbst unter Beachtung des Gebots, Befreiungen als Ausnahme eng auszulegen, unterscheide sich das vermittelte Wissen in Inhalt und Konzeption vom praktischen Erlernen einer freizeitorientierten Fertigkeit wie Windsurfen und Segeln. Der Gesetzgeber habe bei der Befreiung die Leistungen des staatlichen Bildungssystems vor Augen gehabt. Damit werde das Angebot des öffentlich-rechtlichen Bildungssystems zum Leitbild des Befreiungstatbestandes. Die Vermittlung durch den Kläger würde aus verschiedenen Gründen erfolgen (fehlende Kompetenz der festangestellten Lehrkräfte, Reduzierung der Vermittlung von Soft Skills zu Gunsten von Fachunterricht und fehlende Kapazitäten). Die Inhalte, die der Kläger vermittele, seien elementarer Bestandteil des zivilen und gesellschaftlichen Zusammenlebens, an denen in einer zivilisierten freiheitliche-demokratischen Gesellschaft unstreitig ein überragendes Gemeinwohlinteresse bestehe. Die Vermittlung erfolge anhand mehrerer, altersabhängiger, inhaltlich und methodisch auf der Grundlage eines einheitlichen und festgelegten Kurskonzepts auf einander aufbauender Unterrichtseinheiten, die eingebettet seien in die Anforderungen des gesamtheitlichen öffentlichen Rahmenstoffplans.
Die von dem Kläger vermittelten Kenntnisse seien Bestandteil des Rahmenstoffplanes/Lehrplanes/Curriculums an öffentlichen Schulen. Dies werde insbesondere anhand des Schulprogramms des Schulministeriums NRW und des Rahmenlehrplans für Berlin deutlich. Zugleich seien die vermittelten Kompetenzen auch Bestandteil der bundesweit an Schulen angebotenen sog. „Streitschlichterseminare“.
Die Umsätze des Klägers seien mit den einer selbstständigen Sprachlehrerin vergleichbar, die Vorschulkindern und Schulkindern Englischunterricht erteile (Finanzgericht - FG - Thüringen, Urteil vom 09.06.2016 – 2 K 75/16; FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.06.2015 – 4 K 19/15).
Der Kläger hat Kursbeschreibungen, Trainermaterialien, einen Trainerleitfaden und das Schulprogramm des Schulministeriums NRW und den Rahmenlehrplan des Landes Berlin eingereicht, auf die im Einzelnen verwiesen wird.
Schließlich hat der Kläger vorgetragen, dass die auf die streitbefangene Zahlung „Grundschule D…“ erbrachte Leistung persönlich vom Kläger erbracht worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 29.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung der Umsatzsteueranmeldung für 2010 vom 04.01.2011 die Umsatzsteuer 2010 um 16,74 € niedriger festzusetzen und
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahrens für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte geht davon aus, dass eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht in Betracht komme, da eine Berufung unmittelbar auf diese Norm nicht möglich sei, da der BFH zur Steuerbefreiung im Bereich der Kinder- und Jungenderziehung eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 23 UStG a. F. in seinen Urteilen vom 30.07.2008 – V R 66/06 und vom 12.05.2009 – V R 35/07 vorgenommen habe.
Die Umsätze seien nicht nach § 4 Nr. 23 UStG als umsatzsteuerfrei anzusehen. Der Kläger habe bestätigt, dass aufgrund der Einzelanmeldungen der Eltern die Kurse privat direkt an den Kläger bezahlt worden seien. Der Kläger habe weiterhin offengelassen, an welcher Schule und aufgrund welcher Kooperationsvereinbarung oder Honorarvereinbarung die Kurse durchgeführt worden seien. Damit sei weiterhin nicht feststellbar, ob es sich um unterrichtsergänzende Veranstaltungen oder außerschulischen, privaten Unterricht handele, der nur von einzelnen Schülern ohne schulgesetzliche Verpflichtung in Anspruch genommen werde.
Die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erübrige sich ohnehin, da bereits die personellen Voraussetzungen des Klägers für die Anwendung der Vorschrift nicht vorliegen würden. Zwar würden zu den anderen Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung auch selbständige Lehrer gehören, die ihrerseits als freie Mitarbeiter Unterrichtsleistungen an Schulen erbringen würden. Dabei seien Leistungen von Unternehmen erfasst, die unterrichtsergänzende Veranstaltungen an allgemeinbildenden Schulen erbringen würden, wenn die Schule an den Veranstaltungen im Rahmen einer schulgesetzlichen Verpflichtung teilnehmen würden. Begrifflich sei eine natürliche Person aber nur dann eine Einrichtung, wenn ihr Unternehmen über eine schulbetriebsähnliche Struktur verfüge. Dies sei dann der Fall, wenn sie über Personal, Sachmittel und Unterrichtsräume verfüge und ständig Lehrveranstaltungen anbiete (Sterzinger, Umsatzsteuer-Berater – UStB – 2019, 307). Es seien in 2010 keine Kooperationsvereinbarungen mit einer Schule vorgelegt worden. Es befänden sich lediglich Muster in den Akten, in der die Absicht der Organisation eines gemeinsamen Angebots der Schule und des Trägers in Form eines offenen ergänzenden Unterrichts bekundet werde. Es sei auch für 2010 keine Honorarvereinbarung zwischen dem Land Berlin und dem Kläger eingereicht worden. Die Bescheinigung der F… Grundschule, mit der diese bestätige, dass der Kläger bereits seit 2006 offenen ergänzenden Unterricht durchführe, datiere auf den 08.06.2015. In der Auflistung der Schulen, an denen der Kläger in 2010 Unterricht erteilt habe, sei die F… Grundschule zudem nicht aufgeführt. Diese Bescheinigung stelle keine Bescheinigung im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb i. V. m. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG dar. Es sei auch nicht ersichtlich, an welcher Schule die streitgegenständlichen Kurse durchgeführt worden seien und auf welcher Grundlage. Eine Unterrichtserteilung im Klassenverbund, die über ein gesamtes Schuljahr oder zumindest in einem Schulhalbjahr während der Schulzeit stattgefunden habe und somit in den Schulunterricht integriert sei, habe jedenfalls nicht vorgelegen. Es gebe auch keine schulgesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme. Der Kläger sei auch nicht an einen Rahmenplan der Länder Berlin und Brandenburg in irgendeiner Weise gebunden gewesen. Der Kläger habe nach seinem eigenen Kurskonzept gearbeitet. Er habe auch keine Einnahmen aus Fördermitteln erklärt. Zudem habe es auch keine Konkurrenzangebote gegeben, welche in den Genuss der Ankerkennung gekommen seien.
Auch eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL komme nicht in Betracht. Es können nicht ausgeschlossen werden, dass bei Erbringung der Unterrichtsleistungen im Rahmen eines Honorarvertrages mit dem Land Berlin die Unterrichtung nicht auf eigene Rechnung und eigener Verantwortung im Sinne des Urteils des EuGH vom 14.06.2017 in der Sache Haderer (C-445/05) erfolgt sei. Nachweislich seien die strittigen Kurse nach der vom Kläger übersandten Umsatzaufstellung nicht von ihm selbst, sondern durch Fremdtrainer erbracht worden. Insofern sei ein fremder Dritter eingeschaltet worden (BFH, Urteil vom 29.03.2017 – X I R 6/16).
Das Gericht hat den Kläger mit Verfügung vom 04.07.2023 unter Fristsetzung gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz. 2 FGO und § 79b Abs. 1 FGO aufgefordert, binnen eines Monats ab Zustellung der Verfügung den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Es hat darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Antrag im Revisionsverfahren auf die Herabsetzung der Umsatzsteuer in Höhe von 16,74 € beschränkt hat. Weiterhin hat es den Kläger aufgefordert, unter Beweisantritt die Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger ausgehend der Ausführungen des BFH als „andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ anzuerkennen ist und woraus sich ergibt, dass der Kläger Umsätze aus der Erziehung von Kindern und Jugendlichen i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL und/oder Umsätze als Privatlehrer i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ohne Zwischenschaltung eines Dritten erzielt hat, sowie unter Beweisantritt die Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger die streitbefangene Umsatzsteuer 2010 nicht gemäß § 14c Abs. 2 UStG schuldet.
Der Kläger hat erklärt, dass sich seine Beschwer auf die Herabsetzung der Umsatzsteuer 2010 um 16,74 € beschränke.
Dem Gericht haben neben den Streitakten des hiesigen Verfahrens zwei Bände Steuerakten (Bilanzen, Umsatzsteuer), die der Beklagte für den Kläger unter der Steuer-Nr. … führt, sowie ein Band BFH-Akten (XI R 3/20) und 3 große Heftungen des Klägers vorgelegen.
A. In Bezug auf die Jahre 2011 bis 2013 ist der Rechtsstreit rechtskräftig erledigt. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wurde insofern mit Beschluss vom 05.02.2020 (Az. XI B 94/19) zurückgewiesen.
Nach dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag geht es im zweiten Rechtsgang nur noch um die Umsatzsteuer 2010 in Höhe von 16,74 €, während der angefochtene Bescheid im Übrigen rechtskräftig geworden ist.
B. Die Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 101 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat die Umsätze des Klägers zu Unrecht als steuerpflichtig behandelt.
I. Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist - entsprechend der Auffassung des BFH - nicht gegeben, weil der Kläger weder als Ersatzschule genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt wurde noch eine gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG entsprechende Bescheinigung vorgelegt hat.
Auch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG kommt nicht in Betracht, da die streitigen Leistungen nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienen.
Auch eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in Bezug auf den Unterricht an Schulen und Hochschulen ist nicht gegeben, da die hier streitigen Präventionskurse als spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht keinen Schul- und Hochschulunterricht darstellen.
Im Einzelnen wird auf das Urteil des BFH vom 15.12.2021 (XI R 3/20, DStR 2022, 1428) unter II. 2. und 3. verwiesen.
II. Auch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. bis zum 31.12.2019 kommt nicht in Betracht.
1. Gemäß § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. bis zum 31.12.2019 war die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs-, oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, steuerfrei, soweit die Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt werden.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. bis zum 31.12.2019 vorliegend nicht einschlägig. Begünstigte Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. bis zum 31.12.2019 sind Beherbergung, Beköstigung und übliche Naturalleistungen. Vorliegend geht es um die Unterrichtsleistungen des Klägers. Diese stellen weder Beherbergungsleistungen noch eine Beköstigung dar. Sie sind auch keine üblichen mit der Aufnahme an sich verbundenen Naturalleistungen neben der Beherbergung und Beköstigung (wie bspw. Beaufsichtigung der Hausaufgaben oder Freizeitgestaltung). Die Erziehung, Ausbildung und Fortbildung von Jugendlichen konnte nach § 4 Nr. 21, 22 und ggf. gemäß § 4 Nr. 25 UStG befreit sein. § 4 Nr. 23 UStG war als ergänzende Befreiungsvorschrift zu sehen, die mit der Bildungsleistung zusammenhängende Leistungen befreit (siehe hierzu Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, 99. EL Oktober 2023, § 4 Nr. 23 Rn. 65). Auch der BFH hat eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG nicht erwogen.
III. Die Umsätze des Klägers sind auch nicht gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei.
1. Gemäß Art 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ist von der Umsatzsteuer befreit der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht.
a) Die deutsche Sprachfassung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL unterscheidet sich vom Wortlaut aller anderen Sprachfassungen insoweit, als in den anderen Sprachfassungen die in dieser Bestimmung genannte Befreiung nicht unmittelbar auf den „Schul- und Hochschulunterricht“, sondern auf einen damit zusammenhängenden Begriff abstellt, der z. B. im Französischen mit den Worten „leçons … portant sur“ (Unterrichtseinheiten, die sich auf … beziehen) ausgedrückt ist. Die Bestimmung ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten sind, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen (EuGH, Urteil vom 28.01.2010 – C-473/08 – Eulitz, Slg. 2010, I-907, Rn. 21 ff.). Auch der BFH hat in seinem Urteil vom 15.12.2021 (XI R 3/20, DStR 2022, 1428) entschieden, dass die deutsche Sprachfassung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL dahingehend unionsrechtskonform auszulegen ist, dass die Unterrichtseinheiten steuerfrei sind, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht "beziehen". Nicht erforderlich ist daher, dass der Privatlehrer an einer Schule oder Hochschule tätig ist, sich an Schüler oder Hochschüler wendet oder es sich um einen in einen Lehr- oder Studienplan eingebetteten Unterricht handelt (BFH, Urteil vom 20.03.2014 – V R 3/13, DStR 2014, 1160; a. A. noch BFH, Urteil vom 17.04.2008 – V R 58/05, DStR 2008, 1329).
b) Der Unterricht wird zudem unternehmerbezogen von einem Privatlehrer im Sinne dieser Bestimmung erteilt, wenn der Lehrer Träger der Bildungseinrichtung ist und für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt (vgl. EuGH, Urteile vom 14.06.2007 – C-445/05 – Haderer, Slg. 2007, I-4841, Rn. 30; vom 28.01.2010 – C-473/08 – Eulitz, Slg. 2010, I-907, Rn. 52 ff.; BFH, Urteile vom 27.09.2007 – V R 75/03, BStBl. II 2008, 323, Rn. 40; vom 15.12.2021 - XI R 3/20, DStR 2022, 1428, Rn. 39; vom 22.06.2022 – XI R 32/21 (XI R 6/19), DStR 2022, 2493, Rn. 19 m. w. N.). Steuerfreie Unterrichtseinheiten können auch mehreren Personen gleichzeitig erteilt werden. Ob die Steuerbefreiung voraussetzt, dass der Unternehmer eigene Vertragsbeziehungen zu dem Unterrichteten unterhalten muss, ist streitig (ablehnend u.a. EuGH, Urteile vom 14.06.2007 – C-445/05 – Haderer, Slg. 2007, I-4841, Rn. 30; Oelmaier in Sölch/Ringleb, 99. EL Oktober 2023, § 4 Nr. 21 Rn. 34; Tehler in Rau/Dürrwächter, 199. Lieferung, 5/2022, § 4 Nr. 21 Rn. 336; Philipowski, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2010, 161, 166; Kulmsee in Reiß/Kraeusel/ Langer, UStG, 182. Ergänzungslieferung Februar 2023, § 4 Nr. 21 Rn. 101; a.A. Lippross, Umsatzsteuer, 24. Aufl., S. 739; zweifelnd auch Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 21 Rn. 12). Schädlich ist aber eine Zwischenschaltung eines Dritten auf der Seite des Leistenden (vgl. Korn, DStR 2010, 688, 690; Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 182. Ergänzungslieferung Februar 2023, § 4 Nr. 21 Rn. 101). Eine Leistungserbringung auf eigene Verantwortung liegt nur dann vor, wenn der Kläger in eigener Person unterrichtet. Das ergibt sich auch aus der französischen und italienischen Sprachfassung (à titre personnel; a titolo personale). Eine Leistungserbringung durch Mitarbeiter ist daher nicht befreit (Philipowski, UR 2010, 161). Der Unterrichtende muss Träger der Bildungseinrichtung sein (EuGH, Urteil vom 28.01.2010 – C-473/08 – Eulitz, Slg. 2010, I-907, Rn. 52 ff.; BFH, Urteil vom 29.03.2017 – XI R 6/16, Mehrwertsteuerrecht –MwStR– 2017, 630, Rn. 39; Korn, DStR 2010, 688; Philipowski, UR 2010, 161).
2. a) Nach Auffassung des Gerichts liegt ein Bezug zu Schul- oder Hochschulunterricht bei den Präventionskursen des Klägers vor. Sowohl bei den offenen Kursen als auch bei den Klassenprojekten besteht ein zeitlicher und organisatorischer Zusammenhang zum Schulunterricht. Bei den Klassenprojekten finden die Kurse sogar während der Unterrichtszeit statt und sind für die Schüler verpflichtend. Aber auch bei den offenen Kursen, die nach dem Unterricht stattfinden, besteht jedenfalls ein organisatorischer Zusammenhang zum Schulunterricht.
Dem BFH ist dahingehend zuzustimmen, dass die Leistungen des Klägers nicht mit Bezug zu einem spezialisierten Unterricht (in einer Fahr-, Segel- oder Schwimmschule o.ä.) erbracht werde und auch kein Freizeitcharakter der Leistung erkennbar ist. Der Schulunterricht ist für sich genommen Teil eines integrierten Systems der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen; er dient auch der Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler (je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf der jeweiligen Stufe). Dem Kläger ist auch insofern zuzustimmen, als dass er Kompetenzen der Kinder, wie Gewaltprävention, Selbstbestimmung, Wertschätzung, Anerkennung etc. schult, die auch im Rahmen des Schulprogramms NRW und des Rahmenlehrplans des Landes Berlin als Lehrstoff enthalten sind und an denen als elementaren Bestandteil des Zusammenlebens auch ein überragendes Gemeinwohlinteresse besteht.
b) Der Unterricht wird vorliegend nicht von dem Kläger als Privatlehrer durchgeführt. Der Kläger konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen, dass einige der Kurse tatsächlich durch ihn durchgeführt wurden. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung zwar behauptet, dass der Kläger insofern den Kursverlauf anhand seiner Unterlagen nachgeprüft habe und festgestellt habe, dass die Leistungen gegenüber der Familie F... von ihm erbracht worden seien, hat zur Glaubhaftmachung aber keinerlei Nachweise vorgelegt. Seine eigene Farbmarkierung hingegen spricht dagegen, dass er die Kurse selbst durchgeführt hat. Der Kläger hat selbst zuvor vorgetragen und dies lässt sich auch anhand der farblichen Markierung auf dem Kontenblatt des Kontos 8300 nachvollziehen, dass die streitgegenständlichen Kurse alle durch Fremdlehrer und nicht durch den Kläger durchgeführt wurden. Für die streitgegenständlichen Kurse fehlt es daher daran, dass der Unterrichtende selbst Träger der Bildungseinrichtung ist. Der Kläger erbringt die Leistung somit nicht in eigener Verantwortung, wenn er die Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in eigener Person vermittelt.
IV. Der Kläger kann sich aber auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG) berufen.
1. a) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind auch die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und damit eng verbundene Dienstleistungen steuerbefreit, wenn sie durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Die Mitgliedstaaten stellen dabei die Regeln auf, nach denen den betreffenden Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt wird (EuGH, Urteil vom 18.11.2014 – C-319/12 – MDDP, Der Betrieb –DB– 2014, 37).
b) Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL enthält keine Definition, was unter dem autonomen unionsrechtlichen Begriff „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ zu verstehen ist; auch ist die Regelung eng auszulegen. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass nach der das nationale Recht betreffenden Begründung des Gesetzentwurfs zu § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21.12.2020 (Bundesgesetzblatt –BGBl.– I 2020, 3096) der Begriff der Erziehung von Kindern und Jugendlichen die gesamte geistige, sittliche und körperliche Erziehung umfasst; dazu gehören insbesondere eine altersgerechte Sprach- und Wissensvermittlung sowie die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Werten (Bundestags-Drucksache 19/13436, S. 148; s. zur Auffassung der Finanzverwaltung auch Abschn. 4.23.1 Abs. 4 Umsatzsteuer-Anwendungserlass). Nach der früheren BFH-Rechtsprechung (zu § 4 Nr. 13 UStG a.F. vor der unionsrechtlichen Harmonisierung des Umsatzsteuer-Rechts) gehörte nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch die Willens- und die Charakterbildung dazu (BFH, Urteil vom 07.07.1960, V 282/57 U, BStBl. III 1960, 396).
c) Voraussetzung für die Befreiung ist, dass die Umsätze durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder durch andere Einrichtungen erbracht werden, die von dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung anerkannt werden. Dazu, was unter dem Begriff der Einrichtung zu verstehen ist, macht die MwStSystRL keine Aussage. Auch eine natürliche Person kann eine Einrichtung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sein (EuGH, Urteile vom 15.11.2012 – C-174/11 – Zimmermann, UR 2013, 35; vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 34 m. w. N.). Es ist grundsätzlich Sache des nationalen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die Regeln aufzustellen, nach denen den betreffenden Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann (EuGH, Urteil vom 28.04.2022 – C-612/20 – Happy Education, MwStR 2022, 503, Rn. 31 m. w. N.). Die Mitgliedstaaten verfügen bei einer solchen Anerkennung über ein Ermessen, wobei hierfür kein förmliches Verfahren vorausgesetzt wird und die sich nicht unbedingt aus innerstaatlichen Vorschriften mit steuerlichem Charakter ergeben muss (EuGH, Urteil vom 07.04.2022 – C-228/20 – I (Exonération de TVA des prestations hospitalières), MwStR 2022, 471, Rn. 41).
Nur wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens bei der Bestimmung der anerkannten Einrichtungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht eingehalten hat, kann sich ein Steuerpflichtiger auch ohne eine solche Anerkennung auf die in dieser Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung berufen (EuGH, Urteile vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 45; vom 15.04.2021 – C-846/19 – EQ, MwStR 2021, 611, Rn. 71).
2. a) Die streitgegenständlichen Leistungen sind nach Auffassung des Gerichts unter den Begriff „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ zu subsumieren. Der Präventionsunterricht dient der geistigen und sittlichen Entwicklung der Kinder und trägt zur Willens- und Charakterbildung bei. Der Kläger vermittelt auch über eine bloße Wissensvermittlung hinaus soziale Kompetenzen und Werte (siehe hierzu BFH, Urteil vom 17.11.2022 – V R 33/21 (V R 26/18), DStR 2023, 276, Rn. 43). Die Teilnehmer lernen u.a. eigene Gefühle wahrzunehmen, wie sie sich in schwierigen Situation wehren können, wer Vertrauenspersonen sind und wie man „gute“ und „schlechte“ Geheimnisse unterscheidet. Die Kinder sollen durch die streitgegenständlichen Kurse eigene Fähigkeiten und Stärken entdecken und lernen sich selbst zu behaupten. Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Resilienz der Kinder sollen gestärkt werden. Die Vermittlung dieser Fähigkeiten ist Teil des gesetzlichen Erziehungsauftrags und insofern auch im Lehrplan der Schulen (bspw. entsprechend des Vortrags des Klägers im Schulprogramm des Schulministeriums NRW und dem Rahmenlehrplan des Landes Berlin) verankert.
b) Der Kläger erfüllt auch die personellen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Er ist nach Auffassung des Gerichts eine andere Einrichtung, die als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung anerkannt wurde.
Für die Anerkennung als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung gibt es auf nationaler Ebene kein förmliches Verfahren. Vorliegend lässt sich die Anerkennung daraus ableiten, dass die Schulen dem Kläger überhaupt ermöglichen, an den Schulen Kurse zu geben. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung prüft die Schulleitung als staatlicher Vertreter eingehend, wem sie den Zugang zur Schule und den Schülern ermöglicht. Es wird sowohl die persönliche Kompetenz geprüft als auch das Konzept. Das Gericht ist davon überzeugt, dass auch vorliegend die Eröffnung der Zugangsmöglichkeit erfolgt ist, weil die Kurse dem Erziehungskonzept und Lehrinhalten entsprechen und der Kläger und die von ihm eingesetzten Trainer in persönlicher Hinsicht den Anforderungen entsprechen. An der Tätigkeit des Klägers besteht im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrages und der erheblichen Bedeutung für den Schutz des Kindeswohls und des gesellschaftlichen Miteinanders ein hohes Gemeinwohlinteresse. Eine Auslagerung des eigentlich der Schule obliegenden Erziehungsauftrags erfolgt aufgrund der in den Schulen fehlenden Kapazitäten und fachlichen Kompetenzen auf diesem Gebiet.
Die Kosten der Kurse werden zwar nicht direkt staatlich finanziert, es besteht aber eine indirekte Kostenübernahme durch die Zurverfügungstellung von Ressourcen. Die Schule stellt die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung, leistet organisatorische Unterstützung und ermöglicht die Herstellung des Kontakts zwischen dem Kläger und den Schülern. Der Kläger bietet den verminderten Preis in Höhe von 64,00 € auch nur an, wenn ihm die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Die Zurverfügungstellung von Ressourcen ist eine Subvention, die zu einer Preisminderung führt und damit auch eine Form der staatlichen Finanzierung. Eine Kostenübernahme, wie sie zum Beispiel im Rahmen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH, Urteile vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 44; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 36) vorgesehen ist, ist im Rahmen der schulischen Ausbildung nicht vorgesehen und kann daher auch nicht verlangt werden.
Ob der Kläger eine schädliche Gewinnerzielungsabsicht hat, kann dahinstehen, weil der Gesetzgeber sein Ermessen dahingehend erst mit der Neuregelung des § 4 Nr. 23 UStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21.12.2020 (BGBl. I 2020, 3096) ausgeübt hat.
C. I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO i. V. m. § 136 Abs. 1 S. 3 FGO i. V. m. § 143 Abs. 2 FGO. Da dem Kläger die Kosten für das Vorverfahren auferlegt wurden, besteht kein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die Entscheidung über eine Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren.
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung –ZPO–.
III. Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil das Urteil auf nicht (oder jedenfalls nicht umfassend) höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen beruht. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind bisher höchstrichterlich nicht abschließend geklärt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
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Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.