Gericht | FG Cottbus 7. Senat | Entscheidungsdatum | 26.01.2023 | |
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Aktenzeichen | 7 V 7191/22 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:0126.7V7191.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf den Antrag der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle als Vertreterin der Staatskasse vom 17.03.2023 wird der Streitwert auf 500.000,00 € festgesetzt.
I. Der Antrag der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle als Vertreterin der Staatskasse ist nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Gerichtskostengesetz –GKG– zulässig.
II. Das erkennende Gericht übt das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass es den Streitwert für das hiesige Verfahren auf 500.000,00 € festsetzt.
1. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz –RVG– i.V. mit §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG bestimmt sich der Streitwert im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Finanzgerichtsordnung –FGO– nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für diesen ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Gerichts.
2. Im Streitfall sind dabei folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
3. a) Ausgehend von diesen Gesichtspunkten spricht gegen den Ansatz sämtlicher rückständigen Abgabenforderungen (wie dies der Antragsteller ausgehend von den Rückständen bei Stellung des Insolvenzantrags befürwortet), dass es dem Antragsteller nicht darum gegangen ist, von seinen sämtlichen Abgabenrückständen frei zu werden und dies auch nicht Gegenstand der Entscheidung des Gerichts gewesen ist.
b) Andererseits erscheint auch der Ansatz des Regelstreitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 €, die auch nur vereinzelt vertreten wird (Finanzgericht –FG– des Saarlandes, Beschluss vom 02.06.2004 – 1 K 437/02, juris), jedenfalls im Streitfall nicht sachgerecht. Der Antragsteller nahm und nimmt als freiberuflich tätiger Arzt mit eigener Praxis am Wirtschaftsleben teil, so dass die oben geschilderten drohenden Einschränkungen seiner Verfügungsbefugnis auch eine wirtschaftliche und finanziell ausdrückbare Komponente hätten. Da angesichts der nach Aktenlage nicht geringen laufenden Einnahmen eine Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse bereits bei Antragstellung unwahrscheinlich erschien, würde der Regelstreitwert trotz der bestehenden Schwierigkeiten, das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers zu bestimmen, der finanziellen Bedeutung seines Antrags nicht gerecht (vgl. dazu auch z.B. Bundesfinanzhof –BFH–, Beschluss vom 28.01.2003 – VII E 16/02, BFH/NV 2003, 647 zum Widerruf einer Bestellung eines Steuerberaters).
c) Das FG des Landes Sachsen-Anhalt hat sich in Anknüpfung an die letztgenannte Rechtsprechung für einen Streitwert in Insolvenzantragssachen in Höhe von 50.000,00 € ausgesprochen (Beschlüsse vom 15.05.2013 – 3 K 1339/12, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 1697; vom 24.09.2015 – 3 V 916/15, EFG 2015, 2194, Rn. 115). Dagegen spricht, dass die Konstellationen, die den jeweiligen Streitfeldern zugrunde liegen, weder identisch noch sehr ähnlich sind. Ferner ist auch diese Rechtsprechung – soweit ersichtlich – in der gerichtlichen Spruchpraxis nicht anderweitig aufgegriffen worden (zustimmend allerdings Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 156. Lieferung, 4/2019, Vor §§ 135 – 149 FGO Rn. 214).
d) Das erkennende Gericht folgt vielmehr den Beschlüssen des FG Düsseldorf vom 05.02.2008 – 8 KO 249/08 GK, EFG 2008, 642 und des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 28.08.2015 – 3 V 65/15, EFG 2016, 56, Rn. 53, die (jedenfalls für die Hauptsache) davon ausgehen, dass sich der Streitwert eines Rechtsstreits wegen der Rücknahme eines Insolvenzantrags nach der Hälfte der rückständigen Abgaben, maximal nach 500.000,00 € bemisst. Dafür spricht, dass die Höhe der rückständigen Abgaben Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung der von einem Verfügungsverbot bedrohten Unternehmung erlaubt, während andererseits der hälftige Abschlag zum Ausdruck bringt, dass nicht die Zahlungspflicht (oder jedenfalls nicht die vollständige Zahlungspflicht) im Streit steht. Die Begrenzung auf 500.000,00 € ist von der BFH-Rechtsprechung im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Vorlage von Vermögensverzeichnissen aus der Vorgängerregelung des § 52 Abs. 4 Nr. 3 GKG (Begrenzung des Streitwerts für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten nach dem Vermögensgesetz) in die finanzgerichtliche Rechtsprechung eingeführt (BFH, Beschluss vom 29.07.1999 – VII E 6/99, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 1999, 756) und auch in der Folge angewendet worden (BFH, Beschluss vom 23.10.2003 – VII E 14/03, BFH/NV 2004, 351). Dadurch soll das Prozesskostenrisiko von Insolvenzschuldnern begrenzt werden. Ferner bringt die Begrenzung zum Ausdruck, dass dann, wenn – wie im Streitfall – Abgabenrückstände über viele Jahre anwachsen, ihre Höhe u.U. in keinem Zusammenhang zum potentiellen wirtschaftlichen Interesse des Rechtssuchenden stehen kann. Ferner wird diese Grenze nunmehr seit mehr als 20 Jahren in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung angewendet, findet in der Kommentarliteratur Zuspruch (z.B. Gräber/Ratschow, FGO, 9. Aufl. 2019, Vor § 135 Rn. 160 „Insolvenzverfahren“) und wird in dem von den Gerichtsverwaltungen entwickelten Streitwertkatalog (unter II. „Insolvenzantrag“; abrufbar z.B. unter: https://www.finanzgericht.berlin.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/Streitwertkatalog%20-%20Stand%20Ende%202021.pdf) favorisiert. Ungeachtet der fehlenden Bindung der Richterinnen und Richter an diesen Katalog spricht dies dafür, dass die vorstehend erörterten Maßstäbe in der nicht veröffentlichten Gerichtspraxis weite Verbreitung finden, was wiederum im Hinblick auf den zuvor angesprochenen Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit des Prozesskostenrisikos für die Anwendung dieser Maßstäbe spricht (vgl. auch Bundesverwaltungsgericht –BVerwG–, Beschluss vom 15.09.2015 – 9 KSt 2/15, Juristisches Büro –JurBüro– 2016, 23 zum Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit).
e) Die mit den Verhältnissen des Antragstellers vertrauten Beteiligten haben gegen die Einschätzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in ihrem Schreiben vom 17.03.2023, dass die bei Antragstellung rückständigen Abgaben des Antragstellers den Betrag von 1 Mio. € überstiegen, keine Einwendungen erhoben. Daher geht auch das Gericht davon aus, so dass im Hinblick darauf kein Anlass besteht, den Streitwert auf einen geringeren Betrag als 500.000,00 € festzusetzen.
f) Da der Antragsteller auf eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache aus war, sieht das Gericht keinen Anlass, einen Abschlag vom Hauptsachestreitwert vorzunehmen (ebenso FG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.09.2015 – 3 V 916/15, EFG 2015, 2194, Rn. 116). Dem entsprechend begrenzt das Gericht den Streitwert nicht – wie ansonsten bei Verfahren nach § 114 FGO üblich – auf 1/3 des Hauptsachestreitwerts (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 258. Lieferung, 7/2020, § 114 FGO Rn. 136 m.w.N.) oder auf 2/3 des Hauptsachestreitwerts (FG Hamburg, Beschluss vom 19.09.2019 – 2 V 121/19, EFG 2019, 1929 – „Abschlag von einem Drittel“) oder gar auf 10 % des Hauptsachestreitwerts (FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.08.2015 – 3 V 65/15, EFG 2016, 56, Rn. 53). Dies entspricht ebenfalls dem finanzgerichtlichen Streitwertkatalog (unter I. 9.).
III. Im Hinblick auf § 66 Abs. 8 GKG bedarf es keiner Kostenentscheidung.
Rechtsmittelbelehrung
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).