Gericht | FG Cottbus 8. Senat | Entscheidungsdatum | 17.09.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 8 K 8205/22 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2024:0917.8K8205.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG § |
Bei der Auslegung des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG ist auf die Begriffsbestimmungen des Sozialversicherungsrechts zurückzugreifen. Eine Befreiung ist damit nur möglich, soweit eine begünstige Einrichtung betrieben wird (§§ 111, 111c SGB V). Physiotherapieleistungen in fremden Einrichtungen sind nicht erfasst, weil es sich hierbei nicht um Rehabilitation handelt (§§ 36 ff. der Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung HeilmittelRL), sondern um Heilmittelabgaben (so auch die Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 18/1529, 71). Der weiten Auslegung des Rehabilitationsbegriffs des FG Köln (Urteil v. 2.5.2024, 15 K 1653/22, Rev. anh. X R 15/24) ist nicht zu folgen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Beteiligten streiten um die Gewerbesteuerbefreiung der Klägerin.
Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 23. August 2018 durch Umwandlung von einem Einzelunternehmen gegründet. Alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer ist seither Herr B…. Gegenstand der Klägerin ist der Betrieb einer Praxis für Physiotherapie in C…. Herr B… ist ausgebildeter Physiotherapeut.
Die Klägerin wurde hinsichtlich Gewerbesteuermessbeträgen zunächst mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen veranlagt (Bescheide vom 28. Februar 2022 und vom 18. Juli 2022). Die Festsetzung für 2020 erging unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abgabenordnung (AO)). Für Vorauszahlungen ab 2022 setzte der Beklagte den Gewerbesteuermessbetrag am 28. Februar 2022 zunächst auf x.xxx € und am 18. Juli 2022 auf xx.xxx € fest.
Hiergegen legte die Klägerin fristgerechte Einsprüche ein und begehrte die Gewerbesteuerbefreiung.
Mit Bescheid vom 26. August 2022 setzte der Beklagte den Gewerbesteuermessbetrag für 2020 auf xx.xxx € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Im Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, dass sie nach § 3 Nr. 20 Gewerbesteuergesetz (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit sei. Sie betreibe eine Einrichtung zur ambulanten Rehabilitation. Die Behandlungskosten würden in mindestens 40% der Fälle von den Krankenkassen getragen, bei ihr fast zu 100%. Eine Nichtberücksichtigung ihrer Tätigkeiten sei gleichheitsrechtlich zu beanstanden. Eine Gewerbesteuerbelastung werde von den Leistungsträgern nicht erstattet. Ihre Patienten seien ausschließlich chronisch Erkrankte beziehungsweise Patienten der Geriatrie in Pflegeeinrichtungen oder Seniorenheimen. Die Behandlung erfolge nur aufgrund ärztlicher Verordnung und diene ausschließlich der Rehabilitation. Nach Aufforderung durch den Beklagten übermittelte die Klägerin eine ärztliche Einschätzung vom 16. September 2022 sowie Abrechnungen der Jahre 2019 bis 2022.
Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom 28. November 2022 die Einsprüche wegen Gewerbesteuermessbescheiden 2019 und 2020 sowie den Bescheid für Zwecke der Vorauszahlungen ab 2022 als unbegründet zurück.
Die Klägerin betreibe ein Physiotherapiezentrum mit mehreren Niederlassungen und biete nach ihrer eigenen Internetseite ein breit gefächertes Leistungsspektrum an, sowohl in Praxen als auch bei Hausbesuchen und in Pflegeeinrichtungen. Die Behauptung, sie sei nur in Pflegeeinrichtungen und Seniorenheimen tätig, stehe dem entgegen. Vorgelegt habe die Klägerin nur Heilmittelverordnungen von Ärzten und teilweise Kostenübernahmebestätigungen der Krankenkassen. Damit habe sie die Erbringung von Heilmitteln nach § 32 Sozialgesetzbuch (SGB V) dargelegt, nicht aber Rehabilitationsmaßnahmen nach § 40 SGB V i.V.m. § 107 Abs. 2 SGB V. Auch wenn die Maßnahmen zur Rehabilitation beitragen würden, erbringe sie diese nach § 32 SGB V. Einen Nachweis über Vertragsschlüsse mit Krankenkassen als Rehabilitationseinrichtungen nach § 111c SGB V habe die Klägerin nicht vorgelegt. Damit betreibe sie keine begünstigte Einrichtung. Die Nichtgewährung der Befreiung sei auch gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat hiergegen fristgerecht Klage erhoben.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die Voraussetzungen von § 3 Nr. 20 Buchst. c) und e) GewStG bei ihr vorliegen würden. Zudem rügt sie einen Verstoß des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Sie habe Gewerbesteuer abzuführen, obschon sie diese nicht von den Sozialversicherungsträgern erstattet bekomme und obwohl sie, wie die in c) und e) beschriebenen Einrichtungen, die von der Gewerbesteuer befreit sind, gleichwertige Maßnahmen zur Rehabilitation erbringe. Sie erbringe ambulante Rehabilitationsmaßnahmen, die fast in 100 % der Fälle von den Sozialversicherungsträgern bezüglich der Kosten getragen würden, sodass sie zumindest gemäß Buchstabe e) dieser Vorschrift von der Gewerbesteuer zu befreien sei. Dabei handele es sich um Leistungen in der Rehabilitation, nämlich ambulante ergo- und physiotherapeutische Rehabilitationsmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen und Seniorenheimen. Ihre Patienten seien ausschließlich chronisch Erkrankte und/oder Patienten der Geriatrie, auch in der Physiotherapie. Die Behandlung erfolge ausschließlich aufgrund ärztlicher Verordnung. Zum Nachweis verweist die Klägerin auf eine ärztliche Stellungnahme vom 16. September 2022, ärztliche Verordnungen zu Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowie diesbezügliche Abrechnungsunterlagen über die Kostentragung von Sozialversicherungsträgern. Das Gericht nimmt Bezug auf die vorgelegten Auszüge aus Abrechnungen der Abrechnungsstelle für Heil-, Hilfs- und Pflegeberufe AG der Jahre 2019, 2020, 2021 und 2022 in der Akte 8 V 8014/23, die ärztliche Einschätzung des Facharztes D… vom 16. September 2022 und das Konvolut Heilmittelverordnungen für verschiedene Personen.
Die Klägerin führt vertiefend aus, was unter geriatrischer Rehabilitation zu verstehen sei, wann diese notwendig sei, was die Voraussetzungen seien und insbesondere wie eine mobile geriatrische Rehabilitation ablaufe. Nach alledem sei sie ambulant in der Physiotherapie zwecks Rehabilitation chronisch Erkrankter tätig. Ihre Tätigkeit sei nach dem Sinn und Zweck keine Verabreichung von Heilmitteln, sondern diene der Rehabilitation in ambulanter Tätigkeit. Die Erhebung der Gewerbesteuer durch den Beklagten widerspreche in rechtswidriger Weise dem Sinn und Zweck der Gewerbesteuerbefreiung, denn hiernach solle die Befreiung die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen entlasten. Soweit sich der Beklagte auf §§ 107 Abs. 2, 111c SGB V berufe, finde sich in § 3 Nr. 20 GewStG kein entsprechender Verweis. Nach dem Verständnis des § 40 SGB V erbringe sie Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen. Sie nehme für sich in Anspruch, dass sie Rehabilitationsmaßnahmen ambulant in Rehabilitationseinrichtungen, nämlich Pflegeeinrichtungen erbringe, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V bestehe und dort für die Pflegeeinrichtung diese Leistungen der Rehabilitation mittelbar erbringe, für die die Sozialversicherungsträger (Krankenkassen) die Kosten tragen würden. Zu beachten sei auch, dass der Beklagte der Rechtsauffassung wohl folgen könne beziehungsweise unentschieden sei, denn er habe eine Außenprüfung angeordnet, um die Voraussetzungen des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG zu prüfen.
Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wies das Gericht mit Beschluss vom 25. April 2023 ab (8 V 8014/23), da die Tätigkeiten der Klägerin nicht von der Befreiungsnorm erfasst seien.
Im Klageverfahren verweist die Klägerin auf einen gleichgelagerten Fall einer E… GmbH und einen Gerichtsbescheid des Sächsischen Finanzgerichts vom 13. Februar 2024 (5 K 262/23). Die Entscheidung habe präjudizielle Bedeutung, denn der Sachverhalt sei gleichgelagert. Das Sächsische Finanzgericht habe in den Gründen ausgeführt, dass die (dortige) Klägerin Leistungen zur Rehabilitation im Sinne von §§ 11 Abs. 2, 40 Abs. 1 SGB V erbracht habe und die von einem gesetzlichen Träger der Sozialversicherung getragen worden seien.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte aufgrund einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung am 24. November 2023 geänderte Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Jahre 2019 und 2020 erlassen. Daraus ergibt sich ein Gewerbesteuermessbetrag für 2019 von 10.213 € und ein solcher für 2020 von 15.410 €. Der Vorbehalt der Nachprüfung für das Jahr 2020 wurde aufgehoben.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide des Beklagten über den Gewerbesteuermessbetrag 2019 vom 28. Februar 2022 und den Gewerbesteuermessbetrag 2020 vom 18. Juli 2022, geändert am 26. August 2022 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 24. November 2023 und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für Zwecke der Vorauszahlungen für 2022 vom 28. Februar 2022, geändert am 18. Juli 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. November 2022 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und die Revision nicht zuzulassen.
Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung. Es liege auch kein Gleichheitssatzverstoß vor. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebiete insbesondere die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern durch die Finanzbehörden. Dementsprechend werde der Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) über die Finanzbehörden hinsichtlich der Erhebung von Steuern gesetzlich im Rahmen des § 85 AO konkretisiert. Danach haben die Finanzbehörden Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben und insbesondere sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt würden. In § 3 Nr. 20 GewStG sei eindeutig geregelt, welche Einrichtungen von der Gewerbesteuer zu befreien sind. Da die Klägerin jedoch keine medizinischen Rehabilitationsleistungen im Sinne des Sozialrechts erbringe und auch keine Alten- oder Pflegeheime betreibe, komme für sie die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst e und/oder Buchst. c GewStG nicht in Betracht. Mithin sei auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG gegeben.
Schließlich führe auch die Anordnung der Betriebsprüfung zu keiner abweichenden Beurteilung. Neben der Gewerbesteuer 2019 und 2020 werde auch die Körperschaftsteuer für diese Jahre geprüft, so dass die Prüfung sich nicht nur auf die Befreiung nach § 3 Nr. 20 e) GewStG beschränke.
I. Die Klage ist zulässig. Über sachliche Befreiungen ist ihm Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zu entscheiden, denn gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 AO wird mit der Festsetzung der Steuermessbeträge auch über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden. Liegt keine persönliche Befreiung vor, hat eine Kapitalgesellschaft deshalb jährlich eine Gewerbesteuererklärung abzugeben (§ 14a Satz 1 GewStG i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 2 Gewerbesteuerdurchführungsverordnung (GewStDV)). Zur Entscheidung über die sachliche Steuerpflicht gehört auch die Entscheidung über sachliche gesetzliche Steuerbefreiungen und -begünstigungen (vgl. statt vieler Brandis in Tipke/Kruse, § 184 AO Rn. 8; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 184 AO Rn. 32; Böwing-Schmalenbrock in Brandis/Heuermann, § 3 GewStG Rn. 23). Der Beklagte hat über die Befreiung inzident durch die Festsetzung der Messbeträge ablehnend entschieden.
II. Die Klage ist aber unbegründet.
Die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2019 und 2020, jeweils vom 24. November 2023, die gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind sowie der Bescheid ab 2022 über die Gewerbesteuer für Zwecke der Vorauszahlungen in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. November 2022 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Klägerin kann sich nicht auf die Befreiung des § 3 Nr. 20 GewStG berufen, denn die Tätigkeiten der Klägerin sind nicht von der Befreiungsvorschrift erfasst.
1. Im Streitfall begehrt die Klägerin eine sachliche Befreiung, denn nach § 3 Nr. 20 GewStG sind u.a. Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen sowie Einrichtungen zur ambulanten oder stationären Rehabilitation von der Gewerbesteuer befreit, soweit die weiteren Voraussetzungen der Buchst. a bis e vorliegen. § 3 Nr. 20 GewStG enthält damit keine unbeschränkte persönliche Steuerbefreiung, denn von der Gewerbesteuer wird nicht der Rechtsträger (Kapitalgesellschaft) der in § 3 Nr. 20 GewStG genannten Einrichtungen mit seinem gesamten Gewerbeertrag befreit; begünstigt wird vielmehr nur die gewerbliche Einrichtung (Gewerbebetrieb) selbst (sachliche Befreiung).
2. Der Klägerin ist nicht darin zu folgen, dass die Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts eine präjudizielle Bedeutung hat, selbst wenn es sich bei der dortigen Klägerin um eine Schwestergesellschaft handelt und der Gerichtsbescheid als rechtskräftiges Urteil wirkt. Dem Gerichtsbescheid ist auch inhaltlich nicht zu folgen, es fehlt ihm schon an einer hinreichenden Begründung, denn unter 3. wird lediglich behauptet, dass die Klägerin Leistungen zur Rehabilitation erbringt. Dort wird zwar auf § 40 Abs. 1 SGB V verwiesen, aber zum Tatbestandsmerkmal „für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c besteht“ nicht ausgeführt. Undifferenziert ist zudem die Begründung zur Kostenübernahme, denn insoweit liegen Kostenübernahmen für Heilmittel vor. Der Gerichtsbescheid differenziert aber nicht zwischen Heilmittelabgabe und Rehabilitationsleistungen.
3. Eine Befreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. c) GewStG scheitert bereits daran, dass die Klägerin kein Alten-, Altenwohn- oder Pflegeheim betreibt und dies auch nicht inhaltlich begründet hat. Sie hat vielmehr nur dargelegt, dass sie bestimmte Leistungen in solchen Heimen erbringt, dies steht aber dem Betrieb einer vorgenannten Einrichtung nicht gleich.
4. Nach § 3 Nr. 20 Buchst. e) GewStG sind von der Gewerbesteuer u.a. Einrichtungen zur ambulanten oder stationären Rehabilitation befreit, wenn die Behandlungskosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Die Befreiung ist nach Satz 2 nur anzuwenden, soweit die Einrichtung Leistungen im Rahmen der verordneten ambulanten oder stationären Rehabilitation im Sinne des Sozialrechts einschließlich der Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder erbringt.
a) Der Wortlaut der Norm greift offensichtlich – was sich bereits aus Satz 2 ergibt – Begrifflichkeiten des Sozialrechts auf, weshalb die Begriffe entsprechend auszulegen sind. Zu näheren Definition der in § 3 Nr. 20 GewStG verwendeten Begriffe ist allein auf die Begriffsbestimmungen des Sozial- und Sozialversicherungsrechts zurückzugreifen (vgl. BFH, Urteil vom 29. September 2020, VIII R 10/17, BStBl. II 2021, 387). Ein solcher Bezug ergibt sich aus dem generellen Zweck der Befreiung, nämlich der Entlastung der Sozialversicherungsträger von mittelbaren Steuerbelastungen, wenn diese Belastungen in den zu erstattenden Beträgen an Leistungsträger umfasst sind.
Der Bezug zum Sozialrecht ergibt sich schließlich konkret aus der historischen Auslegung der Befreiungsvorschrift, denn § 3 Nr. 20 Buchst. e) GewStG wurde durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014 in das GewStG eingefügt. Zur Begründung verweist der Gesetzgeber (Bundestags-Drucksache 18/1529, S. 70 f.) hier ausdrücklich auf das Sozialrecht. Hiernach soll der Befreiungstatbestand gleichermaßen für ambulante und stationäre Rehabilitationseinrichtungen gelten. Die Steuerbefreiung trage dabei auch dem Umstand Rechnung, dass mehr und mehr Rehabilitationsmaßnahmen, die in der Vergangenheit stationär durchgeführt wurden, ambulant erbracht werden.
Mit der Änderung sollte diese Gleichstellung im Gewerbesteuerrecht nachvollzogen werden. Bei den nunmehr auch begünstigten Einrichtungen der ambulanten oder stationären Rehabilitation handelt es sich – so die Gesetzesbegründung – um solche, wie sie bspw. in § 40 Abs. 1 SGB V oder in § 35 Abs. 1 Nr. 5 Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) genannt sind. In Abgrenzung davon führt die Gesetzesbegründung weiter aus: „Erbringt eine derartige Einrichtung neben den verordneten ambulanten oder stationären Rehabilitationsleistungen, wie sie z. B. nach § 111c SGB V oder § 35 Absatz 1 Nummer 5 BBhV (ambulante Rehabilitationseinrichtung) oder § 111 SGB V (stationäre Rehabilitationseinrichtung) vergütet werden, auch ärztlich verordnete Heilmittelleistungen nach § 32 SGB V oder auch Leistungen zur primären Prävention nach § 20 SGB V (z. B. Physiotherapieleistungen als isolierte Heilmittelleistungen), so gilt die Steuerbefreiung nach § 3 Nummer 20 Buchstabe e Satz 2 GewStG insoweit nicht.“
b) Die Klägerin betreibt hiernach keine Tätigkeiten, die von der Befreiungsvorschrift erfasst sind. Es fehlt an einer begünstigten Einrichtung.
Das Sozialrecht unterscheidet zwischen stationärer, ambulanter und mobiler Rehabilitation. Nach § 40 Abs. 1 SGB V erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V besteht; dies schließt mobile Rehabilitationsleistungen durch wohnortnahe Einrichtungen ein, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht, um die in § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele (bspw. Behandlung einer Krankheit) zu erreichen. Nach § 40 Abs. 3 SGB V bestimmt die Krankenkasse nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen nach den § 40 Abs. 1 und 2 SGB V sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Von der Krankenkasse wird bei einer vertragsärztlich verordneten geriatrischen Rehabilitation nicht überprüft, ob diese medizinisch erforderlich ist, sofern die geriatrische Indikation durch dafür geeignete Abschätzungsinstrumente vertragsärztlich überprüft wurde.
Für die Auffassung des Beklagten spricht schon, dass mit der Klägerin kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V geschlossen wurde. Nach § 111 SGB V (Versorgungsverträge mit Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen) dürfen die Krankenkassen u.a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation einschließlich der Anschlussheilbehandlung (§ 40 SGB V), die eine stationäre Behandlung, aber keine Krankenhausbehandlung erfordern, nur in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen erbringen lassen, mit denen ein Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 SGB V besteht. Hiernach schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen einheitliche Versorgungsverträge über die Durchführung der in § 111 Abs. 1 SGB V genannten Leistungen mit Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Nach § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sind Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen i.S.d. SGB V Einrichtungen, die der stationären Behandlung der Patienten dienen (1.), fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen (2.) und in denen Patienten untergebracht und verpflegt werden können (3.).
Zudem erweitert § 111c SGB V die Möglichkeiten der Krankenkassen, denn gem. § 111c SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen einheitliche Versorgungsverträge über die Durchführung der in § 40 Absatz 1 genannten ambulanten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 Absatz 2 besteht (Nr. 1) und die für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten ihrer Mitgliedskassen mit ambulanten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation einschließlich der Anschlussrehabilitation notwendig sind. Soweit es für die Erbringung wohnortnaher ambulanter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erforderlich ist, können Verträge nach Satz 1 auch mit Einrichtungen geschlossen werden, die die in Satz 1 genannten Voraussetzungen erfüllen, ohne dass für sie ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht (Nr. 2). Auch ein solcher Vertrag liegt ersichtlich nicht vor.
Einen solchen Vertrag konnte und kann die Klägerin auch nicht schließen, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach den Rahmenempfehlungen zur ambulanten geriatrischen Rehabilitation des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene vom 2. Januar 2018 muss eine ambulante geriatrische Rehabilitationseinrichtung unter ständiger Leitung und Verantwortung eines Facharztes stehen, der über verschiedene Qualifikationsanforderungen verfügt (Nr. 7.2 der Rahmenempfehlungen). Dieser leitende Arzt ist für die Umsetzung und kontinuierliche Überwachung und Weiterentwicklung des erforderlichen Rehabilitationskonzepts (Nr. 7.1) unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Entwicklungen verantwortlich (Nr. 7.3). Die Leitung der Klägerin übernimmt jedoch lediglich ein ausgebildeter Physiotherapeut (Herr B…). Auch eine mobile Rehabilitationseinrichtung kann nicht vorliegen, denn auch insoweit ist die Beteiligung eines leitenden und verantwortlichen Arztes erforderlich (Nr. 6.1 der Gemeinsamen Empfehlungen zur mobilen Rehabilitation 01. Juni 2021). Eine stationäre Einrichtung betreibt die Klägerin bereits nach eigenen Angaben nicht.
c) Soweit die Gesetzesbegründung auch Leistungen, die nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BBhV beihilfefähig sind, erwähnt, führt dies nicht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs. Hiernach sind Aufwendungen für ärztlich verordnete ambulante Rehabilitationsmaßnahmen in Rehabilitationseinrichtungen oder durch wohnortnahe Einrichtungen beihilfefähig. Diese Vorschrift bezieht sich einerseits ebenfalls auf die auch nach §§ 111, 111c SGB V genannten Rehabilitationseinrichtungen. Soweit die Klägerin vorträgt, sie erbringe Rehabilitationsmaßnahmen in Einrichtungen Dritter, ist dies nicht erfasst, weil es sich bei den Leistungen der Klägerin – insoweit ist dem Beklagten zu folgen – lediglich um ärztlich verordnete Heilmittelleistungen nach § 32 SGB V handelt, die bereits nach der Gesetzesbegründung nicht begünstigt sein sollen. Auf eine vorgelegte ärztliche Bescheinigung kommt es insoweit nicht an. Auch wenn es sich bei den ausgeübten Tätigkeiten der Klägerin um Dienste/Leistungen handelt, unterfallen diese dem Begriff des Heilmittels und der Heilmittelabgabe nach § 32 Abs. 1 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln. Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in seiner Richtlinie das Nähere zur Heilmittelversorgung (§ 32 Abs. 1a SGB V). Nach § 2 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich der Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung -HeilmittelRL- i.d.F. v. 19. Mai 2011, zuletzt geändert am 19. Januar 2023 gelten die einzelnen Maßnahmen der Physiotherapie nach §§ 17 bis 25 HeilmittelRL als Heilmittel. Dieser Einordnung folgt auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung. Heilmittel sind hiernach auch ärztlich verordnete Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen und einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen (vgl. Kuhlmann in Hänlein/Schuler, SGB V, 6. Aufl. 2022, § 32 SGB V Rn. 2; BSG, Urteil vom 04. April 2006, B 1 KR 12/04, NZS 2007, 88).
Nicht zu folgen ist den Erwägungen des FG Köln, dass der Begriff der Rehabilitation weit zu verstehen sei, weil der Begriff oftmals mit „medizinische Rehabilitation“ eingegrenzt werde und damit im Streitfall ein weiteres Verständnis, mithin keine Beschränkung auf eine „medizinische Rehabilitation“ i.S.d. SGB V angezeigt sei (vgl. FG Köln, Urteil vom 2. Mai 2024 – 15 K 1653/22 –, Rev. anh. X R 15/24). Der Wille des Gesetzgebers zur Unterscheidung von Rehabilitations- und Heilmittelleistungen ist der Gesetzesbegründung deutlich zu entnehmen, weshalb einer weite Auslegung nicht in Betracht kommt.
5. Die Klägerin kann letztlich nicht damit durchdringen, dass ihr die Befreiung wegen eines Gleichheitssatzverstoßes zu gewähren sei, auch wenn eine Befreiung zweckgerecht sein könnte. Dagegen spricht bereits, dass die Klägerin nur deshalb gewerbliche Einkünfte erzielt, weil die Tätigkeit im Rahmen einer Kapitalgesellschaft (GmbH) organisiert ist und nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG die Tätigkeit der Kapitalgesellschaften stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt. Eine Erhöhung der Leistungen der Krankenkassen bzw. Beihilfestellen für Leistungen der Physiotherapie um fiktive Gewerbesteuerbelastung dürfte im Regelfall auch nicht erforderlich sein, weil ein Physiotherapeut – sofern er als Einzelunternehmen organisiert ist – freiberufliche Einkünfte im Sinne von § 18 Einkommensteuergesetz (EStG) erzielt, die gerade nicht der Gewerbesteuer unterliegen (vgl. statt vieler Bundesministerium der Finanzen -BMF- v. 20. November 2019, BStBl. I 2019, 1298; Hinweise zu § 15 EStG H 15.6 EStH 2021; ebenso bereits BMF v. 20.11.2019, BStBl. I 2004, 1030; Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 18 EStG Rn. 600). Im Übrigen besteht ein erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung von Steuerbegünstigungen. Die Unterscheidung zwischen Rehabilitationsleistungen in ganz bestimmten Einrichtungen einerseits und die Erbringung von Heilmittelleistungen andererseits entspricht auch sozialrechtlicher Unterscheidungen und ist deshalb sachgerecht.
III. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Es wird aus den Akten ersichtlich, dass die Klägerin über „Schwestergesellschaften“ mindestens in zwei weiteren Bundesländern verfügt, bei denen sich die nämlichen rechtlichen Fragen stellen. Zudem hat das Finanzgericht Köln am 2. Mai 2024 entscheiden, dass der Begriff der „Rehabilitation“ i.S.d. § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG weit zu verstehen ist (Az. 15 K 1653/22); hiervon weicht der Senat ab. Die Revision gegen die Entscheidung des FG Köln ist unter dem Az. X R 15/24 anhängig.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.