Gericht | FG Cottbus 8. Senat | Entscheidungsdatum | 05.11.2024 | |
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Aktenzeichen | 8 K 8235/19 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2024:1105.8K8235.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | 110 AO §, 357 Abs. 2 Satz 4 AO §, 19 Abs. 4 GG Art. |
Das Verschulden des Steuerberaters (Fehlspeicherung einer Faxnummer) kann durch Verhalten der Finanzverwaltung überlagert werden. Ein Finanzamt des selben Bundeslandes leitet als Fehlempfänger nur dann im ordnungsgemäßen Geschäftsgang weiter, wenn es bei offenkundig fristwahrenden Schriftsätzen solche Irrläufer mit zeitgemäßen Kommunikationsmitteln (im Jahr 2019: Fax, Scan per E-Mai) weiterleitet bzw. den Absender telefonisch über Fehlleitung informiert. Die kommentarlose Weiterleitung "per Fach" (Bote) genügte bei solchen Schriftsätzen im Jahr 2019 nicht. Auch bei § 357 Abs. 2 Satz 4 AO kommt es auf den Übermittlungserfolg (Eingang beim zuständigen Finanzamt) an.
Die Einspruchsentscheidung vom 06. April 2021 wird aufgehoben.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Kläger ist Herr Rechtsanwalt A… in seiner Stellung als Insolvenzverwalter über das Vermögen der insolventen B… GmbH. Die B… GmbH wurde im Jahr 2008 gegründet. Gegenstand war der Betrieb von Gaststätten nach Erteilung der erforderlichen Erlaubnis. Alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der B… GmbH ist seit der Gründung Herr C….
Bei der B… GmbH kam es zu einer steuerlichen Außenprüfung für die Streitjahre 2014 bis 2016, deren Ergebnisse in einem Bericht vom 22. November 2018 zusammengefasst wurden.
Im Rahmen der Außenprüfung stand die Bevollmächtigte mit der Prüferin E… des Beklagten in Austausch. Ausweislich der Handakten übersandte die Bevollmächtigte Stellungnahmen und Informationen (vorab) per Fax an den Beklagten unter Nutzung der Fax-Nummer …, die dem Finanzamt D… [gleiches Bundesland] zuzuordnen war. Die Schreiben wurden jeweils an den Beklagten und dort an die Prüferin E… weitergeleitet. Aus den Schreiben in den Handakten ist nicht ersichtlich, dass die Bevollmächtigte auf die fehlerhafte Faxübermittlung an das Finanzamt D… statt an den Beklagten (Finanzamt F…; Faxnummer statt „29“ die „27“) hingewiesen wurde.
Nach der Außenprüfung ergingen gegenüber der B… GmbH unter dem 29. April 2019 geänderte Bescheide, die taggleich zur Post aufgegeben wurden. Die Bescheide wurden der Bevollmächtigten übersandt und gingen bei dieser – ausweislich vorliegender Bescheidkopien und Posteingangsstempel der Bevollmächtigten – am 30. April 2019 (Dienstag) ein (Anlagen K36 bis K56 im Sonderband).
Die Bevollmächtigte legte mit Schriftsatz vom 31. Mai 2019 (Freitag) gegen sämtliche nach der Außenprüfung geänderte Bescheide vom 29. April 2019 Einspruch ein, den sie an den Beklagten adressierte. Den Einspruchsschriftsatz (eine A4-Seite; im Rubrum mit Bezeichnung des Beklagten, der angefochtenen Bescheide und Bescheiddaten) übersandte die Bevollmächtigte vorab per Fax am 31. Mai 2019 (17:38 Uhr) abermals an die Fax-Nummer …, die dem Finanzamt D… zuzuordnen ist. Das Finanzamt D… vermerkte einen Posteingang (Stempel) vom 31. Mai 2019 (Freitag) und übermittelte den ausgedruckten Schriftsatz mit der Fachpost der Finanzverwaltung des [gleichen] Landes an den Beklagten. Bei diesem ging der Schriftsatz am 04. Juni 2019 (Dienstag) ein. Am gleichen Tag (04. Juni 2019) ging auch der Original-Schriftsatz beim Beklagten per Post ein.
Der Beklagte wies die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 05. Juni 2019 auf den verspäteten Eingang (04. Juni 2019) des Einspruchs hin und erklärte, den Einspruch als unzulässig verwerfen zu wollen. Weitere Angaben zum Grund des verspäteten Zugangs sind dem Schreiben nicht zu entnehmen (Blatt 4 der Rechtsbehelfsakte). Mit Schreiben vom 05. Juni 2019 begründete die Bevollmächtigte den Einspruch; auch dieses Schreiben übersandte sie per Fax, welches beim Finanzamt D… am 05. Juni 2019 einging und als Faxausdruck dem Beklagten am 07. Juni 2019 vorlag. Am 12. Juni 2019 rief die Bevollmächtigte beim Beklagten (Sachbearbeiter W…) an und brachte den Sachverhalt zur Fehlübermittlung in Erfahrung. Mit Schreiben vom 13. Juni 2019 erklärte die Bevollmächtigte, dass sie aus betrieblicher Übung sämtliche Schreiben immer vorab per Fax übersende. Aus Gründen der Zeitersparnis seien beim Erwerb des Faxgeräts Mitte 2017 die oft genutzten Fax-Nummern fest einprogrammiert und seither nicht geändert worden. Es habe in keinem Fall Beanstandungen gegeben. Weiterhin seien die Mitarbeiter belehrt worden, dass nach Versendung das Sendeprotokoll sowie der Erfolg der Übersendung zu überprüfen sei. Stichprobenhaft werde dies auch durch die Geschäftsleitung kontrolliert. Auch im konkreten Fall sei der Transaktionsbericht überprüft worden. Als Anlage übersandte die Bevollmächtigte einen Fax-Transaktionsbericht vom 31. Mai 2019 (17:38), in dem als Empfänger „FA F…“ sowie die Übertragung einer Seite mit Vermerk „OK“ ausgewiesen wird.
Über das Vermögen der B… GmbH wurde durch Beschluss des Amtsgerichts G… vom xx. Juli 2019 (Az. …) die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Über das Vermögen der B… GmbH wurde sodann durch Beschluss des Amtsgerichts G… vom xx. Oktober 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde Herr Rechtsanwalt A… bestellt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 07. Oktober 2019 verwarf der Beklagte die Einsprüche gegenüber der B… GmbH als unzulässig. Die Bescheide seien nach Aufgabe zur Post vom 29. April 2019 (Montag) gem. § 122 Abs. 2 Abgabenordnung -AO- als am 02. Mai 2019 (Donnerstag) bekanntgegeben anzusehen. Die Einspruchsfrist lief damit am 03. Juni 2019 (Montag) ab, weil der rechnerische Fristablauf (02. Juni 2019) auf einen Sonntag fiel. Der Einspruch sei daher nicht fristgerecht beim Beklagten eingegangen. Die Einspruchsentscheidung stellte der Beklagte der Bevollmächtigten gegen Postzustellungsurkunde vom 18. Oktober 2019 zu.
Am 15. November 2019 hat die Bevollmächtigte für die „B… GmbH in Insolvenz“, vertreten durch den Geschäftsführer C…, Klage erhoben. Der Kläger begehrt die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, weil der Einspruch nicht hätte als unzulässig verworfen werden dürfen. Der B… GmbH wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO zu gewähren gewesen. Dies verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Der Beklagte hat Steuerforderungen – überwiegend aus den angefochtenen Bescheiden – in Höhe von xxx.xxx zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Kläger hat diesen Forderungen im Prüfungstermin am 13. März 2020 widersprochen.
Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 hat die Bevollmächtigte erklärt, dass der Kläger als Insolvenzverwalter die bisherige Prozessführung genehmigt und ausdrücklich den Eintritt in den laufenden Prozess sowie dessen Aufnahme erklärt. Der Kläger macht sich den bisherigen Vortrag zu eigen.
Nach dem Hinweis des Berichterstatters, dass die Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2019 entsprechend Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 02. Juli 1997, I R 11/97, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 1998, 428, fehlerhaft sei, verwarf der Beklagte den Einspruch durch erneute Einspruchsentscheidung vom 06. April 2021 gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter der B… GmbH. Inhaltlich blieb der Beklagte dabei, dass der Einspruch unzulässig, weil verfristet sei. Die Bevollmächtigte habe den Faxschriftsatz fristgerecht nur bei der falschen Finanzbehörde angebracht, die Frist werde aber nur bei der zuständigen Finanzbehörde gewahrt (§ 357 Abs. 2 AO). Die Weiterleitung vom Finanzamt D… sei im normalen Geschäftsgang erfolgt. Damit sei der weitergeleitete Einspruch nachweislich erst am 04. Juni 2019 und somit verfristet beim Beklagten eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe (§ 110 AO) habe die Bevollmächtigte weder vorgetragen, noch seien solche aus der Akte ersichtlich.
Der Kläger hat im Klageverfahren ausgeführt, dass der jeweilige Transaktionsbericht des Faxgerätes zwar nur als Empfänger „FA F…“ ausgewiesen habe, dafür seien aber regelmäßig und gesondert die eingespeicherten Faxnummern der J… Finanzämter überprüft worden. Diese Überprüfungen seien gemeinsam durch die Angestellten H… und I… erfolgt. Es habe auch entsprechende Überprüfungsanweisungen an die Mitarbeiter gegeben. Bei der Ersteinspeicherung und Überprüfung der Faxnummern seien jeweils aktuelle Bescheide aller J… Finanzämter verwendet worden.
Soweit sich der Beklagte auf den Standpunkt stelle, in der Vergangenheit – zusammen mit dem Finanzamt D… – nicht verpflichtet gewesen zu sein, auf eine erhebliche Anzahl von Irrläufern zu reagieren, sei dem zu entgegnen, dass der Beklagte durch dieses Verhalten gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen habe. Ebenso liege die Verletzung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 sowie Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz -GG- vor. So hätte gegebenenfalls auch einer technischen Störung des Faxgerätes begegnet werden können. Soweit der Beklagte und das Finanzamt D… J… sich nicht zu Maßnahmen wie z.B. einem Anruf bei der Klägerin oder der Bevollmächtigten verpflichtet gesehen haben, sei dies angesichts eines dahingehenden behördlichen Verhaltens als rechtsstaatswidrig zu erachten.
Ergänzend führt die Bevollmächtigte aus, dass das Tatbestandsmerkmal „übermittelt wird“ in § 357 Abs. 2 Satz 4 AO so auszulegen sei, dass damit nicht der Übermittlungserfolg (den Zugang bei der zuständigen Behörde), sondern die Vornahme der Übermittlungshandlung (also das Absenden durch die unzuständige Behörde an die zuständige Behörde) gemeint sei (so ausführlich Finanzgericht -FG- Baden-Württemberg, Urteil vom 04. Mai 2017, 3 K 3046/14, Entscheidungen der FG -EFG- 2017, 1561; Keß in Pahlke/Schwarz, § 357 AO Rz. 63; offen gelassen im Revisionsverfahren durch BFH, Urteil vom 28. April 2020, VI R 41/17, BStBl. II 2020, 531). Da der Beklagte selbst ausgeführt habe, dass das Einspruchsschreiben am 03. Juni 2019 weitergeleitet worden sei, müsse von rechtzeitiger Übermittlung in diesem Sinne ausgegangen werden.
Der Berichterstatter hat den Beklagten aufgefordert, Nachweise zu der Behauptung im Schreiben vom 19. Juli 2019 (S. 12, 3. Absatz) vorzulegen, dass die Betriebsprüferin E… die Bevollmächtigte auf die Fehlübermittlungen fernmündlich hingewiesen habe. Der Beklagte ist ferner aufgefordert worden, in anderen Steuerakten anderer von der Bevollmächtigten vertretener Steuerpflichtiger, die die Bevollmächtigte in einem allgemeinen Schreiben vom 30. März 2017 bezeichnet hat, zu prüfen, ob auch in diesen Akten im Zeitraum Herbst 2018 bis Frühjahr 2019 Fehlübermittlungen durch die Bevollmächtigte nebst Weiterleitungen an den Beklagten vorlagen und ob hierzu Telefonvermerke vorliegen, nach denen die Bevollmächtigte von diesem Umstand informiert wurde. Ferner ist der Beklagte aufgefordert worden Angaben dazu zu machen, ob es eine allgemeine Dienstanweisung der Senatsverwaltung für Finanzen bzw. der einzelnen Finanzämter dazu gibt, wie Fehlübermittlungen und deren Weiterleitung zu behandeln sind.
Der Beklagte hat daraufhin ausgeführt:
St.-Nr.: …: Der Steuerpflichtige werde seit Juni 2022 beim Finanzamt D… geführt; im fraglichen Zeitraum (Herbst 2018 bis Frühjahr 2019) sei kein Schriftverkehr mit dem Bevollmächtigten erfolgt. Der Beklagte hat ergänzend zwei anonymisierte Schreiben, die an das Finanzamt D… gefaxt wurden, vorgelegt. Hierbei handelt es sich um ein Schreiben vom 27. Dezember 2017 mit Eingang am gleichen Tag beim Finanzamt D… und Weiterleitung über das Finanzamt K… an das Finanzamt F… sowie um ein Schreiben vom 05. März 2018 mit Eingang am gleichen Tag beim Finanzamt D… und Weiterleitung an das Finanzamt F…;
St.-Nr.: …: Keine Eingänge von Ende Oktober 2016 bis Anfang 2020 der Bevollmächtigten;
St.-Nr.: …: Bevollmächtigte ist seit Mai 2018 nicht mehr bevollmächtigt;
St.-Nr.: … (neu …): Keine Faxfehlübermittlungen in den Steuerakten, vielmehr wurde ein Fax vom 08. November 2018 dem Beklagten direkt zugeleitet; der Beklagte hat auf weitere Aufforderung des Gerichts das Fax der L… GmbH vorgelegt, in der Herr M… ebenfalls Geschäftsführer ist;
St.-Nr.: …: Bevollmächtigte ist seit Oktober 2020 nicht mehr bevollmächtigt; im Zeitraum Herbst 2018 und Frühjahr 2019 gebe es keinen Schriftverkehr.
In der mündlichen Verhandlung vom 05. November 2024 hat der Kläger klargestellt, dass er lediglich die Einspruchsentscheidung angreift.
Der Kläger beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 6. April 2021 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Er meint, der Einspruch sei verfristet gewesen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Nach der Rechtsprechung habe sich ein Bevollmächtigter bei Versendung fristwahrender Schriftsätze mit einem Telefax, mindestens durch Kontrolle des Sendeberichts davon zu überzeugen, dass das Fax an den zutreffenden Faxanschluss übersandt wurde. Er könne für eine wirksame Ausgangskontrolle auch Mitarbeiter hierzu anweisen, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, der die maßgeblichen Vorgänge, namentlich die Anzahl der übermittelten Seiten, ferner die Empfängerkennung, Orts- und Zeitangabe sowie die Sendedauer protokolliere (vgl. Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Beschluss vom 30. Mai 2007, 1 BvR 756/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2008, 500). Die Bevollmächtigte habe eine solche generelle Anweisung an das Büropersonal nicht dargetan. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden, dass die Bevollmächtigte durch allgemeine Anweisungen vorgeschrieben hätte, bei der Übermittlung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift per Telefax sowohl die Vollständigkeit der Übermittlung als auch Versendung an den richtigen Empfänger insbesondere an die richtige Faxnummer einer Kontrolle zu unterziehen war. Der vorgelegte Fax-Transaktionsbericht weise als Empfänger zudem nur „FA F…“ aus. Soweit im Bericht nicht die verwendete Fax-Nummer ausgewiesen werde, konnte eine Überprüfung der zutreffenden Übermittlung gerade nicht erfolgen.
Abgesehen davon, dass bereits keine gesetzliche Verpflichtung der Finanzbehörde bestehe, nach der ein Steuerpflichtiger auf eine fehlerhafte Verwendung der jeweiligen Faxnummer hinzuweisen sei, sei nicht erkennbar, dass damit die Verpflichtung zur Abgangskontrolle eingeschränkt sei. Da eine Vielzahl von Schreiben ebenfalls im Finanzamt D… eingegangen seien, obwohl die Bevollmächtigte die richtige Faxnummer des Beklagten im Faxgerät gespeichert und auch verwendet haben will, könne ein technisches Problem des Faxgerätes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich ausgeschlossen werden. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass das in 2017 erworbene Faxgerät unzutreffend programmiert worden sei. Zudem habe die Bevollmächtigte keinen nachvollziehbaren Grund nennen können, warum die im Streitfall übermittelten Faxschreiben zunächst stets beim Finanzamt D… eingegangen seien, seither aber nur noch bei der Beklagten, obgleich nach dem letzten Vortrag regelmäßige Kontrollen der gespeicherten Faxnummern ergeben hätten, dass die gespeicherte Faxnummer immer zutreffend gewesen sei. Dies müsse daher als Schutzbehauptung zu werten sein.
Es bestehe zudem schon für Geschäftsstellen der Finanzgerichte keine Verpflichtung, außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsgangs Maßnahmen zu ergreifen, damit die eingegangenen Schriftsätze zu einer Revisionsbegründung den BFH noch rechtzeitig erreichen. Entsprechend könne die Bevollmächtigte eines Revisionsverfahrens nicht erwarten, dass ein fristgebundener Schriftsatz noch am selben Tag von der Geschäftsstelle des unzuständigen FG an den BFH abgesendet werde (BFH, Beschluss vom 12. Januar 1968, VI R 278/67, BStBl. II 1968, 350; BFH, Beschluss vom 15. Januar 2009, XI B 99/08, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2009, 778). Dies müsse auch für Rechtsbehelfsstellen der Finanzbehörden geltend. Aus diesem Grund könne auch dahingestellt bleiben, ob die Bevollmächtigte während der Betriebsprüfung entsprechend der Auskunft der zuständigen Betriebsprüferin, Frau E…, darauf hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine fehlerhafte Faxnummer verwendet zu haben.
Die Weiterleitung sei im ordentlichen Geschäftsgang ohne Verzögerung erfolgt. Das Einspruchsschreiben sei per Fax an einem Freitag um 17:38 Uhr eingegangen, somit erst nach Ende der Öffnungszeiten im Finanzamt D…. Damit sei der Eingang am darauffolgenden Dienstag, 04. Juni 2019, nicht verzögert.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite sei § 357 Abs. 2 Satz 4 AO dahingehend auszulegen, dass es auf den Übermittlungserfolg ankomme, also den Zeitpunkt des Eingangs beim zuständigen Finanzamt. Die getroffene Regelung wolle lediglich gewährleisten, dass die Anbringung eines Einspruchs bei einer anderen Behörde nicht von Anfang an unwirksam ist (so auch Siegers in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 357 AO Rz. 39). Es sei auch nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (hier § 70 Verwaltungsgerichtsordnung) habe eine abweichende Regelung schaffen wollen. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung stünde dem entgegen.
Es gehe auch nicht um Glück, soweit ein Amt überobligationsmäßig tätig werde, denn das Risiko der Anbringung des Rechtsbehelfs bei einer anderen Behörde trage der Rechtsbehelfsführer. Zudem bestehe für Behörden regelmäßig die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995, 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, Rn. 46 und Beschluss vom 02. September 2002, 1 BvR 476/01, BStBl. II 2002, 835, Rn. 13; BFH, Beschluss vom 06. Mai 1998, IV B 108/97, BFH/NV 1999, 146).
Die Sache hat durch Beschluss des Gerichts vom 30. August 2022 geruht, da beim BFH unter dem Az. VIII R 2/22 ein Revisionsverfahren zur Entscheidung des FG Sachsen-Anhalt vom 07. Dezember 2021 (1 K 539/21) anhängig war. Nach den Urteilsgründen des FG Sachsen-Anhalt war zu klären, ob für die unzuständige Behörde in dem Zeitpunkt, in dem erkannt wird, dass ein fristgebundener Schriftsatz irrtümlich dort eingereicht wurde, die Pflicht besteht, unter Einsatz zeitgemäßer Kommunikationsmittel dafür Sorge zu tragen, dass eine möglicherweise noch laufende Frist eingehalten werden kann und ob die Weiterleitung eines erkennbar fristgebundenen Schriftsatzes ohne schuldhaftes Zögern erfolgt, wenn dieser in den Postausgang bei der unzuständigen Behörde gegeben wird. Nachdem der BFH die Revision als unzulässig verworfen hat (BFH, Beschluss vom 03. Juli 2024, VIII R 2/22, BFH/NV 2024, 1054), hat der Senat das Verfahren wiederaufgenommen.
Die Klage ist zulässig und begründet.
I. Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage gegen die Einspruchsentscheidung zulässig. Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung ist ausnahmsweise zulässig, wenn der Einspruch als unzulässig verworfen wurde (BFH, Beschluss vom 20. Februar 2018, XI B 129/17, BFH/NV 2018, 641). Dies ist hier der Fall, weil der Kläger durch das Begehren der isolierten Aufhebung der den Einspruch als unzulässig verwerfenden Einspruchsentscheidung den Wiedereintritt in die Sach- und Rechtsprüfung des Einspruchsverfahrens zu erreichen versucht.
Klagegegenstand ist nicht mehr die aufgehobene Einspruchsentscheidung vom 07. Oktober 2019, denn diese konnte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B… GmbH am 01. Oktober 2019 nicht ergehen. Gegenstand ist damit die Einspruchsentscheidung vom 06. April 2021, die auch zutreffend gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter der B… GmbH ergangen ist. Unerheblich ist, dass sich die isolierte Anfechtungsklage zunächst gegen eine unwirksame Einspruchsentscheidung gerichtet hat, denn das abgeschlossene Vorverfahren ist nach ganz h.M. Sachentscheidungs- und nicht Prozessvoraussetzung.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Steuerpflichtigen (B… GmbH) bzw. dem Kläger im Streitfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (abgelaufene Einspruchsfrist) gemäß § 110 Abs. 1 AO zu gewähren war, da die Steuerpflichtige bzw. deren Bevollmächtigte trotz eigenen – im Streitfall aber nicht überwiegenden – Verschuldens verhindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten.
1. Der Einspruch der Bevollmächtigten war verfristet; er ist einen Tag zu spät beim Beklagten eingegangen. Die Einspruchsfrist begann mit Bekanntgabe der angefochtenen Bescheide, die am 30. April 2019 (Dienstag) zur Post aufgegeben wurden. Die Bekanntgabe gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgte mithin am 03. Mai 2019 (Freitag). Die Einspruchsfrist lief damit mit Ablauf des 03. Juni 2019 (Montag) ab. Der Einspruchsschriftsatz ging beim Beklagten aber erst am 04. Juni 2019 (Dienstag) ein. Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung von einer um einen Tag früheren Bekanntgabe ausging, hat dies keine Auswirkung auf den Ablauf der Einspruchsfrist, weil dann die Einspruchsfrist rechnerisch am 02. Juni 2019 (Sonntag) abgelaufen wäre und sich ebenfalls auf den 03. Juni 2019 verschoben hätte.
Nicht zu folgen ist der Auffassung des Klägers, dass es gem. § 357 Abs. 2 Satz 4 AO nicht auf den Übermittlungserfolg ankomme, also den Zeitpunkt des Eingangs beim zuständigen Finanzamt. Soweit der Kläger auf die Entscheidung des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 04. Mai 2017, 3 K 3046/14, EFG 2017, 1561) verweist, kann der Senat dem nicht folgen. Nach § 357 Abs. 2 Satz 4 AO ist die schriftliche oder elektronische Anbringung eines Einspruchs bei einer anderen Behörde unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist der Finanzbehörde übermittelt wird. Dem Beklagten ist darin zu folgen, dass daraus nur folgt, dass der Einspruch auch bei einer beliebigen Behörde angebracht werden kann, auch wenn es sich nicht um eine Finanzbehörde handelt. Für die Wahrung der Einspruchsfrist (§ 355 AO) kommt es aber darauf an, dass der Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist an eine Einlegungsbehörde übermittelt wird. Maßgeblich ist also der Übermittlungserfolg. Das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung trägt grundsätzlich der Einspruchsführer. Leitet die unzuständige Behörde den Einspruch mit Verzögerung weiter, so dass er nach Ablauf der Einspruchsfrist bei der Einlegungsbehörde eingeht, ist er verfristet und daher als unzulässig zu verwerfen (der BFH hat die vom FG Baden-Württemberg aufgeworfene Frage unentschieden gelassen, da das Urteil aus anderen Gründen aufgehoben wurde, vgl. BFH, Urteil vom 28. April 2020, VI R 41/17, BStBl. II 2020, 531; inhaltlich dazu auch Bartone in Gosch, § 357 AO Rz. 41; Seer in Tipke/Kruse, § 357 AO Rz. 26).
Soweit Keß (in Schwarz/Pahlke/Keß, § 357 AO Rz. 63) die Auffassung vertritt, dass bei Annahme eines notwendigen Übermittlungserfolgs die Norm keinen eigenständigen Regelungsgehalt hätte, der über den von § 355 Abs. 1 AO hinaus ginge, kann dem nicht gefolgt werden. Die Norm will lediglich klarstellen, dass die Anbringung bei einer unzuständigen Behörde nicht per se zur Unwirksamkeit des Einspruchs führt (so auch Siegers in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 357 AO, Rz. 39). Der Steuerpflichtige kann nicht davon ausgehen, dass er einen Einspruch fristgerecht bei irgendeiner Behörde einlegen kann. Insoweit ist zu berücksichtigen, das Satz 4 nach dem Wortlaut jegliche Behörden (§ 6 Abs. 1 AO) erfasst und nicht nur Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO). Insoweit würde der Tatbestand deutlich zu weit greifen und müsste schon aus systematischen Gründen eingeschränkt angewendet werden.
2. Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht grundsätzlich ein Verschulden der Bevollmächtigten im Weg.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ist auf Antrag (oder von Amts wegen) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines – vertretungsbefugten – Vertreters ist dem Vertretenen wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu versagen, falls entweder der Beteiligte selbst oder sein Vertreter nicht ohne Verschulden verhindert waren, eine Frist zu wahren. Schon ein bloßes Mitverschulden des Beteiligten/des Vertreters schließt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 231). Der Vertreter ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, wenn er die „äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt“ hat walten lassen. Er muss durch eine entsprechende Organisation des Büros alle Vorkehrungen getroffen haben, die nach vernünftigen Erwägungen geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen.
Die falsche Adressierung eines Schreibens durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe – wie hier der Bevollmächtigten – entschuldigt eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht. Es gehört zur anzuwendenden Sorgfalt, die zutreffende Adressierung zu kontrollieren. Wer ein fristwahrendes Schreiben per Telefax übermittelt, trägt grundsätzlich die alleinige Verantwortung dafür, dass der Schriftsatz vollständig vom Sendegerät eingelesen wird (optische Kontrolle) und spätestens mit Ablauf des letzten Tages der Frist beim richtigen Empfänger vollständig aufgezeichnet worden ist (ausführlich Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 432). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze ist dafür zu sorgen, dass die richtige und jeweils aktuelle Anschlussnummer (Empfängernummer) verwendet wird. Die Pflicht des Vertreters zur Endkontrolle endet erst, wenn feststeht, dass der Schriftsatz tatsächlich vollständig übermittelt worden ist. Zu diesem Zweck muss der Absender durch sein Telefaxgerät einen Sendebericht ausdrucken lassen, der die maßgeblichen Vorgänge, namentlich die Anzahl der übermittelten Seiten sowie die Übereinstimmung mit der Seitenzahl des Originalschriftsatzes, ferner die Empfängerkennung, Orts- und Zeitangabe sowie Sendedauer protokolliert. Die Abschlusskontrolle umfasst damit auch die Telefaxnummer, an die die Übermittlung des Schriftsatzes gerichtet war.
Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bevollmächtigte in ihrem Faxgerät die Faxnummer des Beklagten gespeichert hatte und auf dem Faxprotokoll – bauartbedingt – nicht mehr die Faxnummer des Beklagten, sondern die selbst gewählte Bezeichnung des Beklagten (hier: „FA F…“) erschien. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass gerade nicht bei jeder Versendung neben dem Protokoll auch die konkrete Speicherung der Nummer geprüft werden musste, denn insoweit würde die grundsätzliche technische Vereinfachung für den Büroablauf konterkariert werden, weil die einmalige Speicherung gerade dazu dienen soll, Fehler der ständigen Neueingabe einer Faxnummer zu vermeiden. Damit bestand eine Überprüfungsobliegenheit der Bevollmächtigten erst in dem Zeitpunkt, indem die Bevollmächtigte auf Fehlübermittlungen hingewiesen wurde bzw. Verdachtsmomente hierzu bestanden (bspw. Hinweise von Adressaten, bestimmte Sendungen nicht erhalten zu haben). Die Bevollmächtigte ist aber nachweislich gerade nicht vorher vom Beklagten bzw. dem tatsächlichen Empfänger (Finanzamt D…) auf die entsprechende Fehlspeicherung und damit Fehlübermittlung hingewiesen worden. Entsprechende Informationen sind jedenfalls nicht dokumentiert und können damit nicht unterstellt werden. Insbesondere während der Außenprüfung hat die Bevollmächtigte mehrere Faxnachrichten an die Prüferin E… übermitteln wollen, aber aus den Akten waren keine Vermerke ersichtlich, dass die Fehlübermittlungen an das Finanzamt D… jemals schriftlich, telefonisch oder in der Schlussbesprechung thematisiert wurden. Die weitere Prüfung des Beklagten in Akten anderer Steuerpflichtiger ergab entsprechende Fehlübermittlungen vor dem hier strittigen Fax am 27. Dezember 2017 und am 05. März 2018, wobei die Post jeweils selbstständig vom Finanzamt D… weitergeleitet wurde. Anhaltspunkte für eine unmittelbare Information der Bevollmächtigten liegen ebenfalls nicht vor. Soweit sich der Beklagte auf das Fax vom 08. November 2018 bezieht, welches unmittelbar bei ihm eingegangen war, ist dies unerheblich, weil es um eine andere Steuerberatungsgesellschaft des Herrn M… handelte, nämlich um die L… GmbH, die auch über andere Büroräume und damit auch über einen anderen Faxanschluss verfügte.
3. Das Verschulden der Bevollmächtigten lag damit allein in der ursprünglichen fehlerhaften Speicherung, war aber im Zeitpunkt der Fehlübermittlung des hier strittigen Schriftsatzes durch das Verhalten der Finanzverwaltung überlagert.
a) Die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 02. September 2002, 1 BvR 476/01, BStBl. II 2002, 835) eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren, weshalb die Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den hierfür maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt werden dürfen und im Zweifel diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug verdient, die dem Bürger den Zugang zu den Gerichten eröffnet (so bereits FG Sachsen-Anhalt, Zwischengerichtsbescheid vom 07. Dezember 2021, 1 K 539/21, EFG 2022, 1073).
b) Im Streitfall ist die verzögerte Weiterleitung des Finanzamts D… beachtlich.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine pflichtwidrige verspätete Weiterleitung von Irrläufern zur Unbeachtlichkeit des Verschuldens führt, wenn die Einhaltung der Frist durch eine Weiterleitung „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ möglich gewesen wäre und deshalb ohne weiteres erwartet werden kann (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 382). Die Einzelheiten sind auch in der Rechtsprechung einzelfallabhängig entschieden worden (Fehlempfänger ist im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs auch nicht zu einer Übermittlung vorab durch Telefax verpflichtet; BFH, Beschluss vom 27. Oktober 2004, XI B 130/02, BFH/NV 2005, 563; keine Pflichtwidrigkeit, soweit taggleicher Weiterleitung erforderlich wäre; BFH, Beschluss vom 18. August 2014, III B 16/14, BFH/NV 2015, 42). Teilweise wird aber auch vertreten, dass eine fristgerechte Weiterleitung einer am Freitag beim Finanzgericht eingelegten Beschwerde bis zum nachfolgenden Montag an den Bundesfinanzhof nicht erwartet werden kann (vgl. BFH, Beschluss vom 27. Oktober 2004, XI B 121/04, juris).
Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an Fürsorge geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Steuerpflichtigen orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Verwaltung im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Zwar war dieses Finanzamt D… nicht Vertreter des Beklagten, weshalb es nicht um (zuzurechnendes) Verschulden geht. Der Beklagte hat das Finanzamt D… auch nicht als Boten ohne eigene Entscheidungsbefugnis eingesetzt und war deshalb auch nicht zur Überwachung verpflichtet. Im Streitfall ist aber zu berücksichtigen, dass es trotz fortschreitender technischer Entwicklung keine neue Anweisung der Oberbehörde (Senatsverwaltung für Finanzen) gab, wie Fehlübermittlungen zu behandeln sind. Die Senatsverwaltung als oberste Landesfinanzbehörde hat vielmehr die Anweisung unverändert belassen und keine Anweisungen zur Art der Weiterleitung gemacht. Das Finanzamt D… hat mangels abweichender Anweisungen die eingeübten Abläufe beibehalten.
Auch wenn im Streitfall – Eingang des Einspruchsschriftsatzes beim Finanzamt D… am Freitag, 31. Mai 2019, 17:38 Uhr – nicht von einer taggleichen Weiterleitung ausgegangen werden musste, allein weil der Eingang nach Ende der üblichen Geschäftszeiten der Finanzämter lag, war doch im Streitfall von einer Weiterleitung am folgenden Montag, mithin dem Tag des Fristablaufs, zu rechnen. Dies beruht darauf, dass der Einspruchsschriftsatz deutlich als ein Einspruch zu erkennen war, weil er nur eine A4-Seite umfasste und das Wort „Einspruch“ zentriert gedruckt war. Zudem war aus dem Adressaten erkennbar, dass eine Fehlübermittlung vorlag „Finanzamt F…“; dies wurde auch unstreitig und unverzüglich erkannt. Es entsprach bei einer Finanzbehörde im Jahr 2019 aber nicht mehr einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang offensichtlich zur Fristwahrung bestimmte Post lediglich über die (Fach)Hauspost physisch weiterzuleiten. Auch wenn der Beklagte darauf hingewiesen hat, dass in den Poststellen der Finanzämter in J… im Jahr 2019 noch erhebliche Postmengen in nicht-elektronischer Form eingingen, blieb die Zahl der täglich zu erfassender Fehlläufer unbestimmt. Gerade Fehlläufer (keine offensichtliche Adressierung an den Empfänger) wären darauf zu untersuchen, ob offensichtlich hiermit Fristen gewahrt werden sollen. Im Streitfall handelte es sich um ein einseitiges Schreiben, welches deutlich zentriert das Wort „Einspruch“ auswies, mithin handelte es sich um ein zur Fristwahrung bestimmtes Schreiben. Das Gericht geht nicht davon aus, dass es einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprach, entsprechende Schreiben nicht zu identifizieren und weder den Absender über den Irrläufer (bspw. telefonisch) zu informieren, damit dieser mögliche noch laufende Fristen wahren kann noch den Irrläufer mit zeitgemäßen Kommunikationsmitteln (Fax, als Scan per E-Mail) an den ausgewiesenen Empfänger weiterzuleiten. Dies ist im Streitfall nicht erfolgt, vielmehr hat das Finanzamt D… das Schreiben im Laufe des Montags lediglich in die (Fach)Hauspost gegeben, die zur Weiterleitung innerhalb J… am Dienstag führte. Soweit in der allgemeinen Anweisung die Art der Weiterleitung nicht bestimmt wurde, oblag es noch viel mehr den einzelnen Amtsvorstehern bzw. den konkreten Bediensteten, die Art und die Herkunft des Eingangs zu prüfen. Dem Beklagten ist auch nicht darin zu folgen, dass insoweit auf Rechtsprechung der 60er Jahre (BFH, Beschluss vom 12. Januar 1968) zurückzugreifen ist. Insoweit ist auch der früheren Rechtsprechung – die zumeist zudem Kommunikation zwischen Landesgerichten und dem Bundesgericht betrifft und nicht wie im Streitfall Behördenkommunikation innerhalb eines Landes – nicht mehr zu folgen, weil Telefonate und Faxübermittlungen – verglichen zur Kommunikation in den 1990er Jahren – kaum oder gar keine weiteren Kommunikationskosten bzw. zeitlichen Aufwand verursachen. Nur der Einsatz zeitgemäßer Kommunikationsmittel kann noch als „ordnungsgemäßer Geschäftsgang“ angesehen werden. Der Personalaufwand unterscheidet sich bei Weiterleitung „per Fach“ auch nur ganz unwesentlich von einer Weiterleitung per Fax an das zutreffende Finanzamt im selben Bundesland.
Das Gericht berücksichtigt im Streitfall zudem, dass im April 2019 die Finanzämter in J… nicht nur noch per Briefpost kommunizierten, sondern tatsächlich auch Faxübermittlungen vornahmen und mit Steuerpflichtigen und Bevollmächtigten auch per E-Mail kommunizierten. Auch rein telefonische Kommunikation fand verbreitet schon lange statt.
III. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Zu der Frage, ob die Weiterleitung eines erkennbar fristgebundenen Schriftsatzes ohne schuldhaftes Zögern erfolgt, wenn dieser in den (Haus)Postgang gegeben wird, liegen unterschiedliche höchstrichterliche, auch der hier vertretenen Rechtsansicht widersprechende Entscheidungen vor (BFH, Beschlüsse vom 08. Juli 1991, X B 3/91, BFH/NV 1992, 120; vom 25. Oktober 2005, VIII B 127/04, juris).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.