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Entscheidung 9 V 9036/22


Metadaten

Gericht FG Cottbus 9. Senat Entscheidungsdatum 19.01.2023
Aktenzeichen 9 V 9036/22 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2023:0119.9V9036.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner den Antragsteller als ehemaligen Geschäftsführer einer B… GmbH i. L. mit Sitz zuletzt in C… (künftig: GmbH) wegen rückständiger Umsatzsteuern 2010 und 2011 in Höhe von insgesamt 11 390,52 EUR persönlich in Haftung nehmen kann.

Der Antragsgegner erließ am 3. Juni 2014 gegenüber dem Antragsteller einen auf § 191 Abs. 1 i. V. m. §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid über insgesamt 77 635,02 EUR betr. rückständige Umsatzsteuern 2010, 2011 und 1. Quartal 2013. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller, vertreten durch die D… GmbH, mittels Schriftsatz vom 26. Juni 2014 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) desselben.

Der Antragsgegner gewährte daraufhin Aussetzung der Vollziehung nur in Höhe eines Teilbetrages von 10 194,56 EUR und wies den weitergehenden Antrag des Antragstellers mittels zweier Schreiben vom 14. August und vom 15. September 2014 mangels Vorhandenseins ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides zurück.

In der Folgezeit ergriff der Antragsgegner Beitreibungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller (u. a. Ausbringung einer Kontenpfändung am 19. September 2014; Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft am 5. November 2014; Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft am 20. Juli 2015).

Mittels Schriftsatzes seiner o. g. Verfahrensbevollmächtigten vom 22. September 2014 beantragte der Antragsteller erneut die vollständige Gewährung von Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 gewährte der Antragsgegner nunmehr Aussetzung der Vollziehung in Höhe von insgesamt 65 434,33 EUR. Der Antragsgegner hielt mit Schreiben vom 23. Dezember 2014 an seinem Antrag auf vollständige Gewährung von Aussetzung der Vollziehung fest.

Am 8. Januar 2015 erließ der Antragsgegner einen auf § 130 AO gestützten Teilrücknahmebescheid über 65 434,33 EUR, mittels dessen die Haftungssumme auf 12 200,69 EUR herabgesetzt wurde. Eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids lehnte er gleichzeitig erneut ab.

Mittels Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 26. Mai 2015 bat der Antragsteller u. a. erneut um Aussetzung der Vollziehung des restlichen Haftungsbescheids. Der Antragsgegner gab diesem Antrag mit Schreiben vom 8. September 2015 erneut nicht statt, sondern äußerte sich dahingehend, dass für den Fall einer Nichtrücknahme des Einspruchs binnen zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens mit einer Zurückweisung des Rechtsbehelfs als unbegründet zu rechnen sei.

Mittels Einspruchsentscheidung vom 16. März 2022 setzte der Antragsgegner die Haftungssumme auf 11 390,52 EUR herab. Sie betrifft nur noch rückständige Umsatzsteuern für die Jahre 2010 und 2011. Den weitergehenden Einspruch wies er als unbegründet zurück.

Daraufhin hat der Antragsteller fristgerecht Klage erhoben, die beim Senat unter dem Aktenzeichen 9 K 9035/22 anhängig ist und über die der Senat noch nicht entschieden hat. Parallel zu seiner Klage hat der Antragsteller auch ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim FG anhängig gemacht.

Zur Begründung seiner Klage und seines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass gemäß § 37 i. V. m. § 228 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2020 Zahlungsverjährung des streitgegenständlichen restlichen Haftungsanspruchs eingetreten sei. Seit Juli 2015 würden seitens des Antragsgegners keinerlei Schreiben zum Haftungsbescheid und zu seinem Einspruch vorliegen. Im Übrigen habe er am 29. April 2015 bereits eine Teilzahlung in Höhe von 3 965,39 EUR auf die restliche streitgegenständliche Haftungsschuld erbracht, um den Antragsgegner zur Aufhebung einer Kontenpfändung zu veranlassen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 3. Juni 2014 in Gestalt des Teilwiderrufsbescheids vom 8. Januar 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2022 bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer Entscheidung im Verfahren 9 K 9035/22 aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antrag sei unzulässig, weil die Zugangsvoraussetzungen zum FG im Sinne von § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt seien. Der Antragsteller habe parallel zu seiner Klage beim FG zunächst einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei ihm stellen müssen. Die fragliche restliche Haftungssumme in Höhe von 12 200,69 EUR sei im Übrigen inzwischen durch zwei Zahlungen seitens eines Drittschuldners im Jahr 2015 vollständig getilgt worden, so dass der Antrag des Antragstellers als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung zu verstehen sei.

Der Antrag sei auch unbegründet, da Zahlungsverjährung nicht eingetreten sei. Wegen der Ausführungen des Antragsgegners im Einzelnen wird auf dessen Schreiben vom 27. April und vom 14. Juni 2022 Bezug genommen.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Gerichtsakte 9 K 9035/22 des FG Berlin-Brandenburg betr. das Hauptsacheverfahren und sechs Bände Haftungs- und Steuerakten sowie zwei Heftungen des Antragsgegners betr. die GmbH (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

II.

1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere lagen die Zugangsvoraussetzung zum FG im Sinne von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO im relevanten Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim FG (30. März 2022) vor. Es genügt insoweit nach der ständige BFH-Rechtsprechung, der der Senat folgt, eine einmalige vollständige oder teilweise Ablehnung eines beim zuständigen Finanzamt gestellten AdV-Antrags, die auch schon im vorgerichtlichen Einspruchsverfahren erfolgt sein kann (vgl. nur BFH-Beschlüsse vom 8. Juni 11982 – VIII B 29/82, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1982, 608; Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 1083, jeweils m. w. N.).

2. Der Antrag ist unbegründet.

a.) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides ausgesetzt oder ggf. aufgehoben werden, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat sich anschließt, vor, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. z. B. BFH, Beschlüsse vom 4. Mai 2017 – IV B 10/17, BFH/NV 2017, 1009; vom 25. April 2018 – IX B 21/18, BStBl II 2018, 415; vom 3. September 2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 und vom 17. Dezember 2018 – VIII B 91/18, BFH/NV 2019, 306). Es muss die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass der oder die Antragsteller in der Hauptsache mit seinem/ihrem Begehren obsiegt/obsiegen (BFH, Beschlüsse vom 26. Juni 2003 – X S 4/03, BFH/NV 2003, 1217 und vom 9. März 2016 – III B 146/15, BFH/NV 2016, 918). Dies verlangt nicht, dass die für den Erfolg in der Hauptsache sprechenden Gründe überwiegen; die Aussetzung kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides später im Hauptsacheverfahren bestätigt werden sollte (BFH, Beschluss vom 23. August 2004 – IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9). Andererseits genügt nicht bereits irgendeine vage Erfolgsaussicht (BFH, Beschluss vom 17. Dezember 1998 – I B 101/98, BFH/NV 1999, 753; Stapperfend in: Gräber, FGO, 9. Auflage (2019), § 69 Rdnr. 160, m.w.N.).

Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen oder nur schwer wieder gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. nur BFH-Beschluss vom 3. Juni 2009 – IV B 48/09, BFH/NV 2009, 1641 m. w. N.).

Wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ist das Aussetzungsverfahren ein summarisches Verfahren. Es obliegt deshalb den Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen. Der Entscheidung zugrunde zu legen sind die dem Gericht vorliegenden Unterlagen und gegebenenfalls präsente Beweismittel. Eigene Sachverhaltsermittlungen des Gerichts sind nicht erforderlich (Stapperfend in: Gräber, a.a.O., § 69 Rdnr. 197 f. m.w.N.).

b.) Bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sind keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids vom 3. Juni 2014 in Gestalt des Teilwiderrufsbescheids vom 8. Januar 2015 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2022 ersichtlich.

Der Vortrag, dass der jetzigen Prozessbevollmächtigten „keinerlei Schreiben“ der Finanzverwaltung zu dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid aus der Zeit nach Juli 2015 vorliegen, hängt wohl damit zusammen, dass während des Einspruchsverfahrens eine andere Verfahrensbevollmächtigte (D… GmbH) für den Antragsteller tätig gewesen ist und der Antragsgegner dieser sein Schreiben vom 8. September 2015 betr. die erneute Ablehnung einer vollständigen AdV-Gewährung und die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2022 zugesendet hat.

Bestehen zwischen der Finanzbehörde und dem Adressaten eines Haftungsbescheides Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine Zahlungsverpflichtung aus einem Haftungsbescheid erloschen ist, so ist diese Frage nach der ständigen BFH-Rechtsprechung, der der Senat folgt, nicht durch Einlegung eines Einspruchs oder Erhebung einer Klage gegen den betreffenden Haftungsbescheid, sondern durch Beantragung der Bekanntgabe eines Abrechnungsbescheides im Sinne von § 218 Abs. 2 AO zu klären (vgl. BFH-Urteile vom 27. März 1968 – VII 306/64, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1968, 501, vom 21. Januar 1977 – III R 125/73, BStBl II 1977, 396 und vom 14. Januar 1997 – VII R 66/96, Sammlung der amtlich veröffentlichen Entscheidungen des BFH – BFHE – 182, 262; BFH-Beschluss vom 8. Januar 1998 – VII B 137/97, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1998, 686; Nacke, Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl. (2017), S. 313).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 2 FGO).