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Entscheidung 9 V 9085/22


Metadaten

Gericht FG Cottbus 9. Senat Entscheidungsdatum 21.12.2022
Aktenzeichen 9 V 9085/22 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2022:1221.9V9085.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Leistungsgebotes vom 13. April 2022 in Gestalt eines Ergänzungsbescheids vom 9. November 2022.

Die Antragstellerin ist ein Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in B…. Unternehmensgegenstand ist die Erbringung von Verpflegungsleistungen.

Anfang des Jahres 2018 führte das Finanzamt C… bei der Antragstellerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch (vgl. Bericht vom 16. Mai 2018). Unter Bezugnahme auf die dabei getroffenen Prüfungsfeststellungen erließ der Antragsgegner am 31. Mai 2018 gegenüber der Antragstellerin einen auf § 42 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot über insgesamt 22 497,87 EUR, der nach Rücknahme einer zunächst hiergegen gerichteten Klage beim FG Berlin-Brandenburg (Az.: 9 K 9002/21) seit Anfang 2022 bestandskräftig ist. In den „Erläuterungen“ zum Haftungsbescheid heißt es u.a.: „Ein Leistungsgebot (Zahlungsaufforderung) ergeht derzeit nicht, weil für den oben angegebenen Gesamtbetrag vorrangig die Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden. Der Erlass eines Leistungsgebots bleibt für den Fall vorbehalten, dass die Steuererhebung bei den Arbeitnehmern nicht möglich ist. …..“

Der Haftungsbescheid betraf u.a. rückständige Lohnsteuern für nur einen einzigen Mitarbeiter namens D… mit Wohnsitz in E…, den der Antragsgegner als Arbeitnehmer einstufte.

Mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 teilte das Finanzamt F… dem Antragsgegner mit, dass die Ergebnisse der Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 2015 – 2017 in entsprechenden Einkommensteuer-Schätzungsbescheiden vom 9. Januar 2019 sowie anschließenden Änderungsbescheiden vom 14. September 2020 berücksichtigt worden seien. Die festgesetzten Mehrsteuern seien aber bislang nicht getilgt und inzwischen durch die Finanzkasse niedergeschlagen worden.

Unter dem Datum „13.04.2022“ erließ der Antragsgegner eine schriftliche „Zahlungsaufforderung“ gegenüber der Antragstellerin über 22 497,87 EUR mit einer Fristsetzung zum 19. Mai 2022. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt. Wörtlich ist in dem Schreiben u.a. Folgendes ausgeführt: „Aufgrund des erteilten Mandats werden die mit * gekennzeichneten Beträge zum Fälligkeitstag vom Konto ….. durch Lastschrift eingezogen. ….“ In den „Erläuterungen“ hierzu heißt es: „Unter Hinweis auf das Leistungsgebot im Haftungsbescheid vom 31.05.2018 erfolgt diese Zahlungsaufforderung, weil die Inanspruchnahme bei dem betroffenen Arbeitnehmer nicht möglich war. Sie werden für die mit Haftungsbescheid vom 31.05.2018 festgesetzten Beträge in Anspruch genommen, weil die Erhebung bei den betroffenen Arbeitnehmern nicht möglich war.“

Gegen die „Zahlungsaufforderung“ legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte deren Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung führte sie aus, bei der Zahlungsaufforderung handele es sich um eine Ermessensentscheidung, die im vorliegenden Fall unterblieben sei (Hinweis auf Jatzke, in: Gosch, AO/FGO, § 219 AO). Deshalb bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes im Sinne von § 361 Abs. 2 Satz 2 AO.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2022 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung ab, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung bestehen würden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 219 AO seien im Streitfall erfüllt. Das Ermessen sei pflichtgemäß ausgeübt worden und führe im Ergebnis zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers.

Zur Begründung ihres hiergegen gerichteten gerichtlichen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung vertieft die Antragstellerin ihr Vorbringen im vorgerichtlichen Verfahren.

Während des gerichtlichen Verfahrens erließ der Antragsgegner am 14. Juni 2022 sowie am 9. November 2022 zwei Änderungsbescheide. Unter dem Datum „14. Juni 2022“ widerrief er den Haftungsbescheid vom 31. Mai 2018 unter Berufung auf § 131 AO teilweise, nämlich hinsichtlich der rückständigen Lohnsteuer etc. für das Streitjahr 2015, sodass sich die Haftungssumme unter Berücksichtigung bereits getilgter Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von rund 3 700,00 EUR auf nur noch 12 851,41 EUR reduzierte. Den letztgenannten Betrag zog er kurz darauf aufgrund einer ihm erteilten Einziehungsermächtigung vom Bankkonto der Antragstellerin ein.

Daraufhin erklärten beide Prozessbeteiligte den Rechtsstreit hinsichtlich eines Teilbetrages betr. Lohnsteuer 2015 etc. in Höhe von 5 889,01 EUR in der Hauptsache für erledigt, so dass dieser Teil des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vom FG durch Beschluss vom 9. August 2022 abgetrennt und für erledigt erklärt wurde (Az.: 9 V 9126/22).

Mit weiterem Bescheid vom 9. November 2022 ergänzte der Antragsgegner seine bisherigen Ausführungen zum Ermessen betr. das streitgegenständliche Leistungsgebot unter Berufung auf § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO wie folgt:

„Nach § 219 Satz 1 AO darf der Haftungsschuldner nur in Anspruch genommen werden, wenn die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners erfolglos geblieben ist oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift u. a. dann nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten, wie dies vorliegend bei der Lohnsteuerhaftung nach den §§ 42 d, 38, 41a EStG der Fall war (vgl. etwa Rüsken in Klein, Kommentar zur AO, 15. Aufl., 2020, § 219 Rn. 8). Dabei folgt aus Satz 2 der Vorschrift nicht, dass bei dem Vorliegen ihrer Voraussetzungen die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners immer vorrangig wäre (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 2021 – V R 224/20, BFH/NV 2022, 624).

Grundsätzlich muss der Haftungsschuldner nicht in Haftung genommen werden, so dass auch der Erlass der Zahlungsaufforderung im Ermessen der Behörde liegt (vgl. etwa Jatzke in: Gosch, AO/FGO, Stand Mai 2019 § 219 AO Rdnr. 15 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ermessensausübung in der Regel durch den Haftungsbescheid vorgeprägt ist (vgl. Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 219 Rn. 2), zumal es Sinn und Zweck der Gesamtschuld nach § 42d Abs. 3 S. 1 EStG ist, dem Finanzamt grundsätzlich eine möglichst rasche und sichere Erhebung der Steuerschuld zu ermöglichen (vgl. BFH-Urteil vom 18.11.2021 – V R 24/20, aaO).

Die Inanspruchnahme auf Zahlung nach § 219 Satz 1 AO bedarf einer eigenständigen Ermessensentscheidung der Finanzbehörde. Für die Ausübung des Ermessens gelten die allgemeinen Regeln; d. h. das Finanzamt hat auch bei der Aufforderung zur Zahlung das Entschließungsermessen (ob es den Haftungsschuldner zur Zahlung auffordert) und ein Auswahlermessen (welchen von ggf. mehreren gleichrangigen Haftungsschuldnern es zur Zahlung auffordert) auszuüben. Das Entschließungsermessen ist i.d.R. sachgerecht ausgebt, wenn feststeht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Satz 1 – Uneinbringlichkeit der Steuerrückstände beim Steuerschuldner – vorliegen. Die Ausübung eines Auswahlermessens zwischen Erstschuldner und Haftungsschuldner ist durch Satz 1 ausgeschlossen. Vor der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners zur Zahlung ist immer der Erstschuldner nicht nur in Anspruch zu nehmen, sondern darüber hinaus muss die Vollstreckung in sein bewegliches Vermögen ergebnislos oder aussichtslos sein. Auswahlermessen kommt bei Inanspruchnahme auf Leistung nach Satz 1 nur in Betracht, wenn mehrere Haftungsschuldner vorhanden sind.

Danach hat das Finanzamt den Haftungsschuldner zu Recht in Anspruch genommen.

Die Finanzbehörde hat abzuwägen, ob sie eine Zahlungsaufforderung gegen den Haftungsschuldner, der nicht für seine eigene, sondern für eine fremde Steuerschuld einzustehen hat, erlassen will. Nach dem Wortlaut des § 219 AO ist es für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird. Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen. Ebenso wenig bedarf es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche (BFH-Beschluss vom 24.04.2008 – VII B 262/07, juris).

Die Lohnsteuer-Außenprüfung hatte festgestellt, dass Herr D… Arbeitnehmer der Haftungsschuldnerin war. An diese Feststellungen ist das Finanzamt durch den rechtskräftigen Haftungsbescheid gebunden.

Das Finanzamt hatte sich zunächst für die vorrangige Inanspruchnahme des Steuerschuldners entschieden und lediglich einen Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot erlassen. Das Finanzamt hat deshalb dem Finanzamt F…, zuständig für die Einkommensbesteuerung des Herrn D…, die Höhe dessen Lohneinkünfte mitgeteilt und um Auswertung im Rahmen der persönlichen Einkommensteuerfestsetzungen gebeten. Diese Auswertung wurde unstreitig vorgenommen. Die Einkommensteuerfestsetzungen sind bestandskräftig. Laut Auskunft des Finanzamtes F… im Schreiben vom 19.10.2020 ist der Steuerpflichtige mit der Zahlung der festgesetzten Mehrsteuern für die Jahre 2016 und 2017 im Rückstand geblieben. Die festgesetzten Steuern konnten bis zum heutigen Tage nicht beigetrieben werden. Sämtliche Vollstreckungsversuche wie z. B. Mahnungen, Kontenabrufverfahren, Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und eines Vermögensverzeichnisses führten nicht zur Beitreibung der Steuerschulden. Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Steuerschuldner sind danach aussichtslos.

Im Rahmen des dem Finanzamt zustehenden Auswahlermessens durfte … nach den erfolglosen Vollstreckungsversuchen die Haftungsschuldnerin mit der Zahlungsaufforderung vom 13.04.2022 …. zur Zahlung des … Haftungsbetrages … (aufgefordert werden). …..“

Zur Begründung ihres gerichtlichen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung vertieft die Antragstellerin ihr Vorbringen im parallelen Einspruchsverfahren. Der Antragsgegner habe eine Ermessensentscheidung zu treffen, zu begründen und zu dokumentieren. Dazu gehöre eine sorgfältige und nachvollziehbare Abwägung aller für und gegen eine Inanspruchnahme sprechenden Umstände. Daran fehle es auch nach der „Nachbesserung“ vom 9. November 2022. Der Antragsgegner erkläre sich nach wie vor nicht zu der Frage, ob der Steuerschuldner ein Vermögensverzeichnis vorgelegt habe oder ob der Antragsgegner auf die Durchsetzung seiner Forderung gegenüber dem Steuerschuldner verzichtet habe. Der Antragsgegner trage selbst vor, zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses aufgefordert zu haben. Es erschließe sich ihr, der Antragstellerin, nicht, weshalb der Antragsgegner sowohl sie als auch das FG darüber im Unklaren lasse, was das Ergebnis dieser Aufforderung gewesen sei.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Leistungsgebotes vom 13. April 2022 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 9. November 2022 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass seine Ausführungen zum Ermessen im angefochtenen Bescheid zumindest nach deren Ergänzung durch Änderungsbescheid vom 9. November 2022 ausreichend seien. Sämtliche Vollstreckungsversuche seitens des Wohnsitz-Finanzamtes F… bei Herrn D… wie z. B. Mahnungen, Kontenabrufverfahren, Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und eines Vermögensverzeichnisses hätten nicht zum Erfolg geführt. Es sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zahlungsaufforderung auch noch keine Zahlungsverjährung im Sinne von § 228 Satz 1 AO eingetreten gewesen.

Dem Senat hat bei seiner Entscheidung eine Heftung des Antragsgegners betr. das Haftungsverfahren (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat sich anschließt, vor, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. z. B. BFH, Beschlüsse vom 4. Mai 2017 – IV B 10/17, BFH/NV 2017, 1009; vom 25. April 2018 – IX B 21/18, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2018, 415; vom 3. September 2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 und vom 17. Dezember 2018 – VIII B 91/18, BFH/NV 2019, 306). Es muss die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass der oder die Antragsteller in der Hauptsache mit seinem /ihrem Begehren obsiegt/obsiegen (BFH, Beschlüsse vom 26. Juni 2003 – X S 4/04, BFH/NV 2003, 1217 und vom 9. März 2016 – III B 146/15, BFH/NV 2016, 918). Dies verlangt nicht, dass die für den Erfolg in der Hauptsache sprechenden Gründe überwiegen; die Aussetzung kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides später im Hauptsacheverfahren bestätigt werden sollte (BFH, Beschluss vom 23. August 2004 – IV S 7/04, BFH/NV 2005, 99). Andererseits genügt nicht bereits irgendeine vage Erfolgsaussicht (BFH, Beschluss vom 17. Dezember 1998 – I B 101/98, BFH/NV 1999, 753; Stapperfend, in: Gräber, FGO, 9. Aufl. (2019), § 69 Rdnr. 160, m. w. N.).

Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen oder nur schwer wieder gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. nur BFH-Beschluss vom 3. Juni 2009 – IV B 48/09, BFH/NV 2009, 1641 m. w. N.).

Wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ist das Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahren ein summarisches Verfahren. Es obliegt deshalb den Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen. Der Entscheidung zugrunde zu legen sind die dem Gericht vorliegenden Unterlagen und gegebenenfalls präsente Beweismittel. Eigene Sachverhaltsermittlungen des Gerichts sind nicht erforderlich (Stapperfend, aaO, § 69 Rdnrn. 197 f. m. w. N.).

2. Bei der danach gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes vom 13. April 2022 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 9. November 2022.

Die schriftliche „Zahlungsaufforderung“ vom 13. April 2022 genügt – mit Ausnahme der notwendigen Ausführungen zum Ermessen – den Muss-Anforderungen der Rechtsprechung an den Inhalt eines Leistungsgebotes im Sinne von § 219 AO i. V. m. § 254 Abs. 1 Satz 1 AO (vgl. dazu nur BFH-Beschluss vom 16. März 1995 – VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950; Jatzke, in: Gosch, AO/FGO, § 254 AO Rz. 4 – 7; Rüsken, in: Klein, AO, § 219 Rz. 2, jeweils m. w. N.). Danach muss es sich um eine Aufforderung handeln, einen dem Grunde und der Höhe nach genau bezeichneten Geldbetrag bei bestimmt bezeichneten Stellen in näher bezeichneter Weise (z. B. Überweisung) zu leisten. Im Streitfall sind alle diese Merkmale unstreitig erfüllt.

Mittels Ergänzungsbescheid vom 9. November 2022 hat der Antragsgegner inzwischen auch alle Anforderungen an ein Leistungsgebot, die sich aus § 219 Satz 2 AO ergeben, erfüllt. § 219 Satz 2 und nicht etwa § 219 Satz 1 AO ist im vorliegenden Fall einschlägig, weil die Antragstellerin als Arbeitgeberin in Bezug auf die rückständigen Lohnsteuerverbindlichkeiten unstreitig Abzugs- und Abführungsverpflichtete nach § 42 d Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 39b, 41a EStG gewesen ist (vgl. dazu allgemein: Jatzke, aaO, § 219 AO Rz. 14). Obwohl § 219 Satz 2 AO den Subsidiaritätsgrundsatz einschränkt und den Erlass eines Leistungsgebotes zulässt, ohne dass Vollstreckungsversuche gegenüber dem Steuerschuldner vorgenommen worden sind, entbindet diese Verfahrenserleichterung das Finanzamt nicht davon, auch in diesem Fall eine Ermessensentscheidung zu treffen. Darauf deutet die Formulierung im Gesetz hin, dass ein Haftungsschuldner auf Zahlung in Anspruch genommen werden „darf“. Der Grundsatz, dass in erster Linie der Erstschuldner für den geschuldeten Steuerbetrag aufzukommen hat, wird durch die in § 219 AO vorgenommene Modifizierung des Erhebungsverfahrens nicht außer Kraft gesetzt. Das Finanzamt hat demnach vorrangig die Realisierung des Steueranspruchs beim Steuerschuldner in Erwägung zu ziehen. Ist dies zuverlässig und ohne erheblichen Aufwand möglich (z. B. wenn erhebliche Bankguthaben oder unbelastete Immobilien vorhanden sind), kann die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft sein (vgl. dazu Jatzke, aaO, § 219 AO Rz. 17).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner in seinem Ergänzungsbescheid vom 9. November 2022 glaubhaft ausgeführt, dass die oben genannten „günstigen Vollstreckungsumstände“ in der Person des Steuerschuldners D… nicht gegeben sind. Die Antragstellerin hat ihrerseits in ihrer Replik hierauf nicht dargetan, dass die Einschätzung durch den Antragsgegner auf unzutreffenden Tatsachenannahmen beruht. Damit ist vorliegend kein Verstoß des Antragsgegners gegen § 219 Satz 2 AO erkennbar.

Die Forderung des Antragsgegners war im Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Leistungsgebotes (April 2022) auch noch nicht zahlungsverjährt. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO) und beginnt im Falle der Bekanntgabe eines Haftungsbescheides ohne Zahlungsaufforderung mit Ablauf desjenigen Kalenderjahres, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist (§ 229 Abs. 2 AO). Im vorliegenden Fall waren im Zeitpunkt der Bekanntgabe der „Zahlungsaufforderung“ erst weniger als vier Jahre seit der Bekanntgabe des Haftungsbescheides (Juni 2018) vergangen.

3. Eine Aufhebung der Vollziehung wegen „unbilliger Härte“ im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 2. HS FGO ist ebenfalls nicht möglich. Eine solche scheidet aus, wenn – wie vorliegend gegeben – keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit des fraglichen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. dazu nur Stapperfend, aaO, § 69 Rz. 172 m. zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, da die Beschwerde nicht zugelassen worden ist (§ 128 Abs. 3 FGO).