Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 08.01.2025 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 L 1/25 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0108.OVG6L1.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 75 VwGO, Artikel 6 Abs 1 GG , Artikel 19 Abs 4 Satz 1 GG |
Zur Frage der Zulässigkeit der Aussetzung eines Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO im Visumverfahren zum Familiennachzug
Die Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2024 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Beschwerde.
Die Klägerin, eine iranische Staatsangehörige, begehrt ein Visum zum Familiennachzug, dessen Erteilung sie mit E-Mail ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. Oktober 2023 bei der Deutschen Botschaft Teheran beantragt hat. Auf ihre am 14. Februar 2024 erhobene Untätigkeitsklage hat das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung über den Visumantrag der Klägerin, längstens bis zum 30. April 2025 ausgesetzt. Sie müsse das wegen des hohen Antragsaufkommens etablierte Online-Registrierungssystem nutzen. Nach Angaben der Beklagten sei mit einem Vorsprachetermin voraussichtlich im März/April 2025 zu rechnen. Mit ihrer vorliegenden Beschwerde begehrt die Klägerin die Aufhebung dieses Beschlusses und Sachentscheidung über die Klage, hilfsweise die Frist für die Aussetzung des Verfahrens längstens bis zum 3. März 2025 festzusetzen.
Die Beschwerde hat sowohl hinsichtlich des Haupt- wie auch des Hilfsbegehrens keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Ablauf der Dreimonatsfrist nach § 75 Satz 2 VwGO habe nicht automatisch Entscheidungsreife der Verpflichtungsklage zur Folge. Das Gericht habe das Verfahren vielmehr gemäß § 75 Satz 3 VwGO bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden könne, auszusetzen, wenn ein zureichender Grund dafür vorliege, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen sei. Mangelnde Entscheidungsreife liege typischerweise infolge noch fehlender, für die Sachverhaltsfeststellung notwendiger Informationen sowie noch ausstehender Verfahrensschritte, wie z.B. erforderliche Mitwirkung anderer Stellen, vor. Dies sei hier anzunehmen, weil zu einer Entscheidung über die Visumerteilung eine persönliche Vorsprache zur Sicherung der Identität und zur Überprüfung etwaiger Einreisesperren sowie das Aufnehmen von Lichtbildern und das Abnehmen von Fingerabdrücken gehöre.
Diese Feststellungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Beschwerde tritt ihnen in der Sache nicht entgegen. Erfolg könnte sie deshalb nur haben, wenn sie darlegte, weshalb die Bearbeitung ihres Antrages derart dringlich sei, dass es nicht zumutbar erscheine abzuwarten, bis er nach der sich aus dem Onlineregistrierungssystem ergebenden Warteliste an der Reihe sei. Das leistet die Beschwerde nicht.
Bereits das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Klägerin keine besonderen subjektiven Dringlichkeitsinteressen vorgebracht habe, die zu einer abweichenden Bewertung im Rahmen einer Gesamtabwägung und zu einer Priorisierung ihres Antrags führen könnten. In dieser Hinsicht macht auch die Beschwerde keine brauchbaren Ausführungen.
Der bloße Hinweis, die Dringlichkeit der Bearbeitung ihres Antrages auf Familienzusammenführung folge aus Artikel 6 Abs. 1 GG, ist insoweit unbehelflich. Zumal dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist, dass eine Vielzahl von Antragstellern Familiennachzug begehrt.
Auch die Einschätzung der Klägerin, Anträge afghanischer Staatsbürger würden gegenüber Anträgen iranischer Staatsangehöriger bevorzugt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen ist sie spekulativ, zum anderen rechtfertigt auch dieser Vortrag nicht die Annahme einer besonderen Dringlichkeit, die eine bevorzugte Bearbeitung ihres Antrags rechtfertigen könnte.
Soweit die Klägerin die Annahme des Verwaltungsgerichts in Abrede stellt, eine zeitnahe Terminvergabe sei in der gegenwärtigen Situation nicht möglich, kann ihr nicht gefolgt werden. Im angefochtenen Beschluss ist ausgeführt, die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Deutsche Botschaft Teheran angesichts des enormen Antragsaufkommens ein automatisiertes Terminvergabesystem nutze, das nötig sei, damit die knappen Personalressourcen effizient zur tatsächlichen rechtlichen Prüfung der Anträge eingesetzt werden könnten. Die Nutzung dieses Systems sei möglich und zumutbar, zumal die Eintragung auch durch dritte Personen erfolgen könne. Eine individuelle manuelle Terminvergabe sei aktuell hingegen nicht möglich. Dem tritt die Beschwerde nicht überzeugend entgegen.
Soweit sie darlegt, weshalb aus ihrer Sicht die Online-Registrierung keine Antragstellung darstelle und diese Art der Verfahrensweise allein den Zweck habe, potenzielle Antragsteller von Anträgen per Brief, Fax oder E-Mail abzuhalten, erschließt sich nicht, weshalb es hierauf vorliegend entscheidungserheblich ankomme. Ihr Vortrag, es sei wegen der Möglichkeit, die Anspruchsgrundlage für das begehrte Visum mitzuteilen, effizienter, per Brief, Fax oder E-Mail gestellte Anträge zu bearbeiten, weil die Nennung der Anspruchsgrundlage bei dem Onlineregistrierungssystem nicht möglich sei, verkennt, dass es nicht ihre Sache ist, das Vorgehen der Beklagten bei der Bearbeitung von Visumanträgen festzulegen. Überdies beruht diese Einschätzung auf der aus den dargelegten Gründen unzutreffenden Vorstellung, ihr Antrag sei allein deshalb vorrangig zu bearbeiten, weil sie Familiennachzug begehre.
Auch ihr Einwand, die Beklagte habe bislang nicht nachgewiesen, versucht zu haben, der seit 2021 bestehenden personellen Unterbesetzung und Überlastung der Botschaft mit Visumanträgen entgegenzuwirken, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit auf zwei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juli - VG 5 K 793/23 V - und vom 1. August 2024 - VG 12 K 58/24 V - bezogen, in denen die personellen Engpässe aufgrund des hohen Antragsaufkommens bei der Deutschen Botschaft in Teheran und die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen zur Bewältigung dieser Situation eingehend geschildert werden. Die Klägerin setzt sich mit den zitierten, sachlich nachvollziehbaren Ausführungen nicht inhaltlich auseinander, sondern führt lediglich aus, diese Beschlüsse beträfen ein anderes Verfahren.
Weiter liegt diesem Vortrag in der Sache anscheinend die Auffassung zugrunde, es bestehe eine Verpflichtung der Beklagten, die personellen und sonstigen Kapazitäten zur Bearbeitung von Visumanträgen unbegrenzt zu erweitern, sofern das Antragsaufkommen ein entsprechendes Volumen erreiche. Aus welchen rechtlichen Gesichtspunkten eine solche Verpflichtung zu folgern sei, legt die Beschwerde nicht dar. Dies ist auch nicht ersichtlich, zumal dem Gebot effektiven Rechtsschutzes des Artikels 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Einzelfall durch Darlegung einschlägiger Dringlichkeitsgründe hinreichend Rechnung getragen werden kann.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).