Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 30.12.2024 | |
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Aktenzeichen | 11 VA 3/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:1230.11VA3.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung auszulegende Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 21.08.2023 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 07.12.2023 aufgehoben. Dem Antragsteller wird Einsicht in das Erbscheinsverfahren des Amtsgerichts Neuruppin, Az.: 31 VI 92/15 gewährt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Dem Antragsteller sind seine außergerichtlichen Kosten aus der Staatskasse zu erstatten.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Unter dem 22. April 2015 beantragte Frau V… L… W… aus B…/… als Alleinerbin ihres Ehemannes, O…H…H…W…, verstorben am …1999, die Erteilung eines Erbscheins nach S…H…K…, verstorben am ...1992. Nach Veräußerung des in seinem Nachlass befindlichen Gesellschaftsanteils wurden zum Aktenzeichen 1 HL 11/13 beim Amtsgericht Neuruppin 123.880,- € hinterlegt. Abkömmlinge der Schwester des Vaters des Erblassers wurden im Erbscheinsverfahren nicht beteiligt. Hinsichtlich der Abkömmlinge der Mutter des Erblassers wurde ein Aufgebotsverfahren betrieben. Der Erbschein wurde antragsgemäß am 31.05.2016 erteilt.
Unter dem 16.11.2020 meldete sich der Antragsteller unter Hinweis auf sein ihm mitgeteiltes Erbrecht und beantragte Einsicht in die Nachlassakte. Ihm wurde unter dem 16.04.2021 mitgeteilt, dass kein Verwandtschaftsverhältnis belegt sei. Auch weitere Fragen wurden nicht inhaltlich beantwortet. Vertreten durch seine Verfahrensbevollmächtigte begehrte er am 20. Juni 2023 erneut Einsicht in die Nachlassakte. Diesen Antrag wies die für das Nachlassverfahren zuständige Rechtspflegerin des Amtsgerichts Neuruppin durch Beschluss vom 21.08.2023 zurück. Für ein Einsichtsrecht nach § 13 Abs. 1 FamFG fehle es sowohl an einer Beteiligung nach § 7 Abs. 1 FamFG, als auch nach § 7 Abs. 2 FamFG. Ein berechtigtes Interesse nach § 13 Abs. 2 FamFG sei nicht gegeben, da es an der Glaubhaftmachung im Sinne eines Nachweises bzw. zumindest einer eindeutigen und schlüssigen Darlegung eines Verwandtschaftsverhältnisses fehle. Auch nach § 345 FamFG ergebe sich keine Beteiligtenstellung. Der Stammbaum und der vorgelegte Auszug aus dem Familienstammbuch genügten nicht zum Nachweis der Beteiligung als Alleinerbe 2. Ordnung.
Entsprechend der dem Beschluss beigefügten Belehrung hat der Antragsteller gegen den ihm am 25. August 2023 zugestellten Beschluss am 01.09.2023 Beschwerde eingelegt. Er beanstandet, dass die vorgelegten Urkunden die Abstammung vom Erblasser in dritter Ordnung belegten. Die Ablehnung allein mit dem Hinweis auf den Stammbaum und das Familienstammbuch beachte nicht die weiteren Urkunden. Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 07.12.2023 aus den Gründen der Entscheidung des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen und das Verfahren dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die Beschwerde ist als Antrag ist nach § 23 EGGVG, § 13 FamFG statthaft. Bei einer Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines am Nachlassverfahren nicht beteiligten Dritten handelt es sich trotz § 13 Abs. 7 FamFG jedenfalls bei abgeschlossenen Verfahren funktionell um einen Justizverwaltungsakt. Um Rechtsprechung in funktioneller Hinsicht handelt es sich nur dann, wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können (BGH, Beschluss vom 15.11.2023 - IV ZB 6/23, Rn. 18 nach juris). Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung steht einer Prozesspartei bei einer fehlerhaften Belehrung auch das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist (BGH, Beschluss vom 15.11.2023 - IV ZB 6/23, Rn. 12 nach juris).
Der Antrag ist auch im Übrigen nach § 24 Abs. 1 EGGVG zulässig, da sich der Antragsteller auf das Einsichtsrecht in die Akte des Erbscheinverfahrens des Erblassers aufgrund seiner geltend gemachten Miterbenstellung beruft. Das angerufene Gericht ist nach § 25 Abs. 1 EGGVG zuständig. Die Frist nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EGGVG ist gewahrt, da der Antrag vom 01.09.2023 innerhalb eines Monats ab Zustellung des zurückweisenden Beschlusses am 25.08.2023 erfolgte.
2.
Der Antrag auf Akteneinsicht in das Erbscheinsverfahren des Amtsgerichts Neuruppin ist auch begründet, sodass der zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin aufzuheben und die Akteneinsicht zu gewähren ist.
Nach § 13 Abs. 1 FamFG besteht ein Einsichtsrecht für Beteiligte, soweit nicht schwerwiegende Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten entgegenstehen. Der Antragsteller ist am Erbscheinsverfahren nicht beteiligt worden, sodass sich sein Akteneinsichtsgesuch nach Verfahrensabschluss nach § 13 Abs. 2 FamFG richtet (vgl. Zum Verhältnis von § 299 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO: BGH, Beschluss vom 29.04.2015,- XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827; BayOLG, Beschluss vom 24.10.2024 - 102 VA 105/24, Rn. 25 ff nach juris, Rn. 27 m.w.N.).
Nach § 13 Abs. 2 FamFG ist Dritten, die am Verfahren nicht beteiligt sind, Einsicht zu gewähren, soweit sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten nicht entgegenstehen. Unter einem rechtlichen Interesse im Sinne von § 13 Abs. 2 FamFG ist ein Interesse zu verstehen, das sich unmittelbar aus der Rechtsordnung selbst ergibt und ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraussetzt (BGHZ 4, 323, 325; OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2023 - 15 VA 12/22, Rn. 29 nach juris m.w.N.). Diese Rechtsbeziehung muss entweder den Gegenstand des Verfahrens bilden, in dessen Akte Einsicht begehrt wird, oder es muss zumindest feststehen, dass der Streitstoff dieses Verfahrens die Individualrechte des Antragstellers berührt (OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2023 - 15 VA 12/22, Rn. 29 nach juris m.w.N.; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2004, 1194).
Nach § 345 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist zwar nur der Antragsteller des Erbscheinverfahrens Beteiligter. Nach § 345 Abs. 1 Satz 2 FamFG können jedoch weitere Beteiligte seitens des Gerichts hinzugezogen werden, sofern sie nicht aufgrund ihres eigenen Antrages als Beteiligte hinzuzuziehen sind. Zwar steht damit die Hinzuziehung dieser Personen - und damit vorliegend insbesondere der gesetzlichen Erben nach § 345 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FamFG - im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts (OLG Köln, Beschluss vom 02.11.2009, I-2 Wx 88/09-, Rn. 22 nach juris m.w.N.), jedoch sind diese Personen auf ihren Antrag zum Verfahren hinzuzuziehen, sodass sich das Ermessen zu einer Beteiligungspflicht verdichtet. Damit sie ihr Antragsrecht ausüben können, sind die Personen zudem nach § 7 Abs. 4 FamFG von dem Verfahren zu unterrichten und über ihr Antragsrecht zu belehren. Hierzu kann es auch geboten sein, die dem Gericht noch nicht bekannten „Kann-Beteiligten“ zu ermitteln (wie zuvor). Dies ist nicht geschehen.
Der Antragsteller kommt auch als gesetzlicher Erbe des Erblassers in Betracht, ohne dass eine letztwillige Verfügung ihn ausgeschlossen hätte. Nach der Geburtsurkunde vom 25. März 1902 (Bl. 75 d.A. in Ablichtung) wurde A…L…B…K… von A…(P…)K…, geb. B… am ...1902 geboren. Es handelt sich damit um eine - bis dahin im Verfahren nicht bekannte - Schwester des Vaters des Erblassers R...K…F…K… (geb. am ...1900). Mit anderer Reihenfolge der Namen ist sie als A…B…L…K…, geb. K…, nach dem Familienbuch die Kindesmutter von E…B…K…, dem hiesigen Antragsteller. Er ist damit als Abkömmling der Großeltern des Erblassers gesetzlicher (Mit-) Erbe dritter Ordnung nach § 1926 Abs. 1 BGB, da die weiteren Großeltern nicht bekannt sind. Damit kann es dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller bei entsprechenden Ermittlungen bekannt geworden und nach Belehrung einen Antrag auf Beteiligung gestellt hätte und ihm damit nach § 13 Abs.1 FamFG Einsicht zu gewähren gewesen wäre oder ob er Nichtbeteiligter iSv § 13 Abs. 2 FamFG geblieben wäre. Jedenfalls beinhaltet die Vorlage der Geburtsurkunde seiner Mutter unter Hinweis auf die Großmutter des Erblassers als Kindesmutter und des Auszuges aus seinem Familienbuch eine hinreichende Glaubhaftmachung seiner Stellung als gesetzlicher Miterbe und insoweit hinreichende Darlegungen seines berechtigten Interesses an der Akteneinsicht.
Damit steht die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht im pflichtgemäßen Ermessen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Akten dahingehend zu bewerten, ob durch die Kenntnisnahme des Antragstellers schutzwürdige Interessen der Beteiligten oder Dritter verletzt werden können. Das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien ist mit dem Informationsbedürfnis abzuwägen. Der Senat ist grundsätzlich nicht befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Gerichts zu setzen, das die Akteneinsicht versagt hat. Nach § 28 Abs.3 EGGVG ist auch nur eine eingeschränkte Ermessensausübung möglich. Vorliegend handelt es sich jedoch um einen Sonderfall, indem sich die Ermessensentscheidung zu einer einzig richtigen Entscheidung verdichtet hat. Der Antragsteller war nach vorstehenden Ausführungen über seine Beteiligungsmöglichkeit zu belehren. Sein mehrfaches Insistieren auf der Akteneinsicht unter Berufung auf ein Miterbrecht zeigt seinen Beteiligungswillen am Erbscheinsverfahren. Schutzwürdige Interessen der Antragstellerin im Erbscheinsverfahren sind nicht erkennbar. Das Behaltendürfen eines ggf. einzuziehenden Erbscheins rechtfertigt solche nicht. Auch daneben von R…K… und M…R… geltend gemachte Rechte stehen der Einsicht nicht erkennbar entgegen, vielmehr haben auch sie die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers sogar mit der Geltendmachung ihrer Rechte betreffend den Erbfall von S…H…K… umfassend bevollmächtigt (Bl. 118, 120 d.A.).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19, 22 Abs. 1 GNotKG, § 30 Satz 1 und Satz 2 EGGVG, § 81 FamFG. Die Anordnung der Erstattung der dem Antragsteller entstandenen außergerichtlichen Kosten ist nach § 30 Abs. 1 Satz 1 EGGVG geboten. Die Justizbehörde hat bei der Verkennung der Miterbenstellung offensichtlich und grob fehlerhaft gehandelt (vgl. BayOLG, Beschluss vom 24.10.2024 - 102 VA 105/24, Rn. 39 nach juris),
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 36 Abs. 1 und Abs. 3 GNotKG.
Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 2 EGGVG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung in Auswertung der vorliegenden Urkunden.