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Berufsausbildungsbeihilfe nach § 66 SGB III a.F. für Zweitausbildung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 10.02.2016
Aktenzeichen L 18 AL 296/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrages auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für eine von ihr absolvierte Zweitausbildung.

Die … 1989 geborene, zwischenzeitlich verheiratete Klägerin leidet bereits seit ihrem siebten Lebensjahr unter einer rheumatischen Erkrankung, die über Jahre medikamentös behandelt wurde. Durch die ständige Schmerzmitteleinnahme kam es zur Veränderung ihrer Darmschleimhaut und zu Durchfallneigung. Seit 2007 leidet sie außerdem unter einer chronischen Bronchitis. Wegen dieser Erkrankungen wurde ihr vom Versorgungsamt durch Bescheid vom 23. September 2009 ein GdB von 30 zuerkannt. Sie leidet außerdem unter einer Allergie gegen Zwiebelgemüsesorten, Atemnot und Ekzemen.

Der Klägerin wurde von der Beklagten für eine vom 1. September 2007 bis 31. August 2010 dauernde Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik bei der Firma „F“ BAB bewilligt. Im Herbst 2009 teilte die Klägerin der Beklagten anlässlich einer persönlichen Vorsprache mit, sie könne ihre Ausbildung aus persönlichen Gründen und wegen ihrer chronischen Erkrankungen nicht fortsetzen. Bei einer weiteren persönlichen Vorsprache am 24. März 2010 und nochmals schriftlich am 8. Juni 2010 informierte die Klägerin die Beklagte über die beabsichtigte Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses beim W- und Sch Amt. Sie könne den Beruf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben. Nach einer amtsärztlichen Untersuchung sei ihre gesundheitliche Eignung für den Beruf der Wasserbauerin festgestellt worden, daraufhin habe sie am 12. April 2010 einen Ausbildungsvertrag für eine vom 1. August 2010 bis zum 31. Juli 2013 dauernde Ausbildung zur Wasserbauerin abgeschlossen. Am 17. Juni 2010 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf BAB für diese Ausbildung. Sie beendete am 5. Juli 2010 ihre Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik erfolgreich, meldete sich mit Wirkung zum 6. Juli 2010 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Ab dem 1. August 2010 wurde sie zur Wasserbauerin ausgebildet.

Den Antrag auf Förderung ihrer Zweitausbildung zur Wasserbauerin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 22. September 2010 mit der Begründung ab, eine Förderung durch BAB sei nicht möglich, weil die Beklagte nicht die Möglichkeit gehabt habe, eine neue berufliche Orientierung im Rahmen einer verkürzten Umschulung nach vorheriger Feststellung der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin zu prüfen. Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin auf die mehrmaligen persönlichen Vorsprachen bei der Beklagten und übersandte ein Attest ihrer behandelnden Ärztin Frau Dipl.-Med. S vom 3. November 2010. Darin führt die Ärztin aus, die Klägerin solle wegen ihrer Erkrankungen nicht mit Lebensmitteln arbeiten, ein Wechsel des Arbeitsplatzes werde empfohlen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Bei der Entscheidung über die Förderung einer zweiten Ausbildung durch BAB sei der Vorrang der Vermittlung zu beachten und insbesondere zu prüfen, ob eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch eine überregionale Vermittlung bzw. mit Hilfe der Förderinstrumente der aktiven Arbeitsförderung erreicht werden könne. Eine dauerhafte Integration der Klägerin in den Arbeitsmarkt hätte im Falle der Klägerin auf der Basis ihrer Erstausbildung mit Hilfe gezielter Förderleistungen erreicht werden können. Durch den Abschluss eines Ausbildungsvertrages mit dem W- und Sch Amt bereits am 12. April 2010 habe für die Beklagte keine Möglichkeit für Vermittlungsbemühungen mit dem Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bestanden. Die Ablehnung des Antrages auf BAB sei deshalb nicht ermessensfehlerhaft.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. Januar 2011 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage erhoben und erneut darauf verwiesen, ihre chronischen Erkrankungen ließen ihre Beschäftigung im Beruf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik nicht zu. Während ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin habe sie alle, auch körperlich anstrengende Arbeiten ausgeführt. Dies habe gezeigt, dass sie für den Beruf des Wasserbauers geeignet sei.

Zu den Gerichtsakten gelangte ein Attest der Ärztin S vom 11. Januar 2001 sowie ein ärztliches Zeugnis des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft vom 31. Mai 2010 über die Untersuchung der Tauglichkeit der Klägerin als Schiffsführer in der Rheinschifffahrt, eine ärztliche Bescheinigung des BAD G und S GmbH vom 1. Juni 2010 über die arbeitsmedizinische Voruntersuchung der Klägerin sowie ein ärztlicher Bericht der Rheumatologin und Internistin Dr. F vom 16. Oktober 2009.

Die Beklagte hat sodann ihren ärztlichen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, welches nach körperlicher Untersuchung der Klägerin am 22. März 2011 durch Dr. J erstellt wurde. Darin nennt der Arzt die Diagnosen chronische Bronchitis, chronische Darmerkrankung mit Durchfallneigung, entzündlich rheumatische Gelenkerkrankung, derzeit beschwerdefrei, ausgeprägte Allergie gegenüber verschiedenen Lebensmitteln (Zwiebel und Zwiebelgewächse), Verdacht auf angineurotisches Ödem bei obig benannter Allergie, schmerzhafte, mehrere Tage anhaltende Schwellung von Haut und Schleimhaut, nach eigenen Angaben angeborene Mangelentwicklung/Abflachung der Hüftgelenkspfanne beidseits, derzeit beschwerdefrei, Lese- und Rechtschreibschwäche, Zn durch Mobbing bedingter Angststörung mit depressiven Stimmungsschwankungen im ersten Ausbildungsberuf. Zum Leistungsvermögen stellte Dr. J fest, die Klägerin könne noch vollschichtig überwiegend mittelschwere Tätigkeiten ausführen. Auszuschließen seien hohe körperliche Belastungen (körperliche Akkordarbeit), inhalative Belastungen durch Staub, Rauch, Gase oder Dämpfe, häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, einseitige Körperhaltungen ohne Gelegenheit zum Ausgleich, Belastungen durch Nässe, Kälte, Zugluft oder Temperaturschwankungen, Belastungen durch relevante Allergene und hohe Anforderungen an das Lese- und Rechtschreibvermögen. Sanitäre Einrichtungen müssten jederzeit erreichbar sein. Im erlernten Beruf als Fachkraft für Lebensmitteltechnik sei sie nicht mehr einsetzbar, trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen könne sie ihre laufende Berufsausbildung zum Wasserbauer weiterhin fortsetzen.

In einer von der Beklagten beauftragten sozialmedizinischen Stellungnahme zum Gutachten des Dr. J hat Frau Dipl.-Med. R am 6. April 2011 ausgeführt, das in „Berufe.net“ eingestellte Tätigkeitsprofil eines Wasserbauers sei entgegen den Feststellung des Gutachters Dr. J nicht mit dem von diesem erarbeiteten Leistungsbild vereinbar. Es liege deshalb keine ausreichende Belastbarkeit der Klägerin für die dauerhafte Ausübung des Berufs des Wasserbauers vor.

Das Sozialgericht hat sodann Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte angefordert, und zwar der Klinik für P, P und P F vom 28. September 2011 und der Ärztin S vom 30. September 2011. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Beklagte eine fachliche Stellungnahme vom 17. Februar 2012 zur Vermittlungsfähigkeit der Klägerin sowohl im erlernten Beruf als auch im Beruf einer Wasserbauerin zu den Gerichtsakten gereicht.

Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung wurde die Klägerin beim W- und Sch Amt befristet für 12 Monate vom 6. Juli 2013 bis zum 5. Juli 2014 als Wasserbauerin beschäftigt.

Auf erneute Veranlassung durch die Beklagte hat die Ärztin R unter dem 23. Juli 2014 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage erstellt. Als integrationsrelevante Funktionseinschränkungen werden darin mittelgradige Beeinträchtigungen des Gesamtorganismus mit Einschränkungen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit, leichtgradige Funktionsstörungen des Beins rechts, mittelgradige Funktionsstörungen der oberen Atemwege und leichtgradige Funktionsstörungen des Verdauungssystems genannt. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin noch vollschichtig mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten mit weiteren qualitativen Einschränkungen ausführen.

Durch Urteil vom 15. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf BAB für die Förderung ihrer zweiten Ausbildung zur Wasserbauerin. Sie erfülle zwar die gesundheitlichen Voraussetzungen für die von ihr zunächst erlernte Tätigkeit einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik nicht, weshalb auf dieses Berufsfeld gerichtete Vermittlungsaktivitäten der Beklagten ausschieden. Eine Zweitausbildung sei jedoch erst dann förderfähig, wenn andere Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung prognostisch gesehen zu keiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt führten. Die Klägerin erfülle jedoch bereits die gesundheitlichen Anforderungen für die Zweitausbildung nicht. Dabei sei unerheblich, ob der Ausbildungsbetrieb akzeptiert habe, dass die Klägerin nicht alle zum Berufsbild gehörenden Tätigkeiten habe ausführen können. Auch die Tatsache, dass der Ausbildungsbetrieb die Klägerin befristet beschäftigt habe, führe zu keinem anderen Ergebnis, denn hierbei habe es sich nicht um eine dauerhafte Eingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt gehandelt. Die Beklagte habe zudem bereits keine § 7 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) berücksichtigende Auswahlentscheidung über die Fördermöglichkeiten der Klägerin treffen können, da die Klägerin bereits vor der Beantragung ihrer Förderung durch BAB am 12. April 2010 mit dem W- und Sch Amt einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen habe. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass die Zweitausbildung zur Wasserbauerin prognostisch gesehen die einzige Maßnahme gewesen wäre, mit der eine dauerhafte berufliche Eingliederung der Klägerin zu erreichen gewesen wäre. Für die erforderliche Prognose einer fehlenden Möglichkeit der beruflichen Eingliederung der Klägerin in ihrem Ausgangsberuf habe es an einer jedenfalls vorauszusetzenden Mindestdauer der Betreuung durch die Beklagte gefehlt, indem die Klägerin durch Abschluss des Ausbildungsvertrages vollendete Tatsachen geschaffen habe.

Hiergegen hat Klägerin Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, die Beklagte sei bis zum Ausbildungsbeginn am 1. August 2010 nicht daran gehindert gewesen, ihr Auswahlermessen auszuüben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2010 zu verurteilen, den Antrag der Klägerin auf Förderung ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Förderung durch BAB für mehr als ein Jahr. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf BAB für die Förderung ihrer - bereits abgeschlossenen - Ausbildung zur Wasserbauerin hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2010 ist deshalb rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ist zulässig, aber unbegründet.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Förderung ihrer am 1. August 2010 begonnenen und am 31. Juli 2013 beendeten Ausbildung zur Wasserbauerin ist § 60 SGB III in der insoweit maßgeblichen, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (a.F.). Gem. Abs. 1 dieser Vorschrift ist eine berufliche Ausbildung durch BAB gem. § 59 SGB III a.F. förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsbetrieb betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Gem. § 60 Abs. S. 1 SGB III a.F. ist grundsätzlich die erstmalige Ausbildung förderungsfähig.

Nachdem die Klägerin ihre Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik erfolgreich abgeschlossen hatte, handelte es sich bei der von ihr absolvierten Ausbildung zur Wasserbauerin um eine Zweitausbildung im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB III a.F. Danach kann eine zweite Ausbildung gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Ausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird. Für diese Zweitausbildung hat die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Gewährung von BAB und auch keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres dahingehenden Antrags.

Bei der Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB III a.F. handelte es sich um eine Ermessenleistung, wobei die Beklagte bei der Prüfung des Anspruchs auf BAB nach der gesetzlichen Konzeption zunächst eine Prognoseentscheidung zu treffen hatte. Erst wenn diese Prognose positiv getroffen war, war für die Beklagte der Ermessenspielraum eröffnet. Sie hatte daher zum einen zu prüfen, ob im Falle der Klägerin die Prognose gerechtfertigt war, dass sie aufgrund ihrer ersten beruflichen Ausbildung keine Aussicht auf eine dauerhafte Eingliederung in das Erwerbsleben hatte, ob also ihre Vermittlung im erlernten Beruf als Fachkraft für Lebensmitteltechnik, wegen des in § 4 SGB III normierten Vermittlungsvorranges ggf. auch unter Berücksichtigung von anzubietenden Weiterbildungsmaßnahmen oder Eingliederungszuschüssen für Arbeitgeber, die Chancen auf eine dauerhafte berufliche Eingliederung verbessert hätten und eine erfolgreiche Wiedereingliederung zu erwarten war oder nicht. Für die Förderung der Zweitausbildung zur Wasserbauerin mit BAB war weiter erforderlich, dass durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird. Bei der Beurteilung der arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit kommt der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, nicht hingegen bei der vorausschauenden Beurteilung der gesundheitlichen Eignung für den Zweitberuf, weil es sich bei letzterer um eine prognostische Einzelbeurteilung handelt (vgl hierzu etwa BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 7 AL 18/99 R = SozR 3-4100 § 36 Nr 5 mwN). Maßgeblicher Prüfungszeitraum der Gerichte im Falle der hier vorliegenden Anfechtungsklage ist derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung. Dasselbe gilt für die Verpflichtungsklage, bei der zwar grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist, was jedoch entsprechend dem jeweils anwendbaren materiellen Recht Einschränkungen unterliegt. Liegt wie hier die Dauerwirkung eines Verwaltungsaktes zum Zeitpunkt der gerichtlichen Kontrolle ausschließlich in der Vergangenheit und setzt sein Erlass die Beurteilung zeitbedingter oder planerischer Elemente voraus, wie hier die Eingliederungschancen der Klägerin, so können spätere tatsächliche Entwicklungen die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung grundsätzlich nicht mehr beeinflussen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist damit im vorliegenden Fall der Erlass des Widerspruchsbescheides am 3. Dezember 2010. In dieser Entscheidung hatte die Beklagte jedoch keine Prognoseentscheidung hinsichtlich der Chancen der beruflichen Eingliederung der Klägerin durch die Zweitausbildung zur Wasserausbildung getroffen. Vielmehr hatte sie ihre ablehnende Entscheidung auf die Prognose der dauerhaften beruflichen Eingliederung der Klägerin in ihrem erlernten Beruf als Fachkraft für Lebensmitteltechnik unter Einbeziehung von Vermittlungsleistungen und Förderinstrumenten der aktiven Arbeitsförderung beschränkt.

Bei der nunmehr durch den Senat nachzuholenden Prognoseentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Zweitausbildung abgeschlossen und befristet ein Jahr als Wasserbauerin gearbeitet hat. Denn im Bereich der beruflichen Förderung kann bei der gerichtlichen Überprüfung einer Prognoseentscheidung der Beklagten der spätere Geschehensablauf nicht außer Betracht bleiben. Hat sich die Richtigkeit einer Prognose im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch den späteren Geschehensablauf widerlegt, wäre das Festhalten an der Prognoseentscheidung „wirklichkeitsfremd“ (vgl BSG aaO). Entsprechendes muss auch gelten, wenn die Beklagte wie hier die Eignung der Zweitausbildung zur beruflichen Eingliederung nicht prognostisch beurteilt hat und die Beurteilung nunmehr bei der Überprüfung der ablehnenden Entscheidung nachzuholen ist. Die Einbeziehung späterer Erkenntnisse dient nämlich vor allem der Kontrolle, ob die Verwaltungsentscheidung tatsächlich unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer dem Sachverhalt angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden ist. Die abwägungserheblichen Belange müssen erfasst und zutreffend unter den Sachverhalt subsumiert sein (vgl BSG, Urteil vom 31. März 1992 - 9b Rar 18/91 - juris).

Die Zweitausbildung der Klägerin zur Wasserbauerin erweist sich in diesem Sinne im Falle der Klägerin prognostisch jedoch auch unter Berücksichtigung des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung nicht als geeignet, um deren dauerhafte berufliche Eingliederung zu erreichen. Aus der Tatsache, dass die Klägerin ihre Ausbildung abgeschlossen hat, kann allein noch nicht auf die Geeignetheit in diesem Sinne geschlossen werden. Denn die vorzunehmende Prognose betrifft nicht die Frage, ob die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird sondern sie bezieht sich auf die zukünftige Vermittelbarkeit der Klägerin im angestrebten Ausbildungsberuf. Dabei kann die Eignung für den mit der Zweitausbildung angestrebten Beruf nicht anhand eines Abgleichs mit dem Aufgabenzuschnitt und den Bedingungen eines konkreten Arbeitsplatzes erfolgen, vorliegend also den Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen der Klägerin während ihrer Ausbildung und Beschäftigung beim W- uns Sch Amt. Ob eine dauerhafte berufliche Eingliederung nach aller Voraussicht erreicht wird, kann nur anhand des allgemeinen Berufsbildes eingeschätzt werden (vgl auch Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. Oktober 2012 - L 3 AL 63/11 - juris). Denn nur wenn die Klägerin diesen Anforderungen gerecht wird, kann sie in den Arbeitsmarkt erfolgreich integriert werden.

Nach den beigezogenen Informationen (Berufe.net) gehören zur Tätigkeit einer Wasserbauerin uA folgende Aufgaben:

- wasserbauliche Tätigkeiten planen, vorbereiten und organisieren (Baustellen absichern, Maschinen und Geräte antransportieren, benötigte Materialien bereitstellen, Baugerüste einrichten, Arbeitsunterlagen erstellen, am Projekt beteiligte Gewerke und bauausführende Firmen koordinieren, Bauüberwachung und -betreuung durchführen

- Erd- und Tiefbauarbeiten ausführen bzw. veranlassen (Bodenmassen mithilfe von Maschinen und Spezialfahrzeugen lösen, laden, transportieren, einbauen und verdichten, Betriebswege anlegen und befestigen, Drainagerohre verlegen)

- Instandsetzungsarbeiten an Wehren, Schleusen und Stauseen sowie anderen Wasserbauwerken ausführen

- Gewässerinspektion und Stromüberwachung durchführen, Fahrwasser bzw. Fahrrinne sichern und bezeichnen

- Arbeiten am Küstenschutz ausführen

- Arbeiten in Vegetationsansiedlung und Unterhalt ausführen, z.B. Begrünung, Röhrichtansiedlung, Pflanzen von Gehölzen

Wasserbauer sind danach auf wechselnden Baustellen und gelegentlich auch im Büro oder in der Werkstatt tätig. Die Arbeit im Küstenschutz ist teilweise von den Gezeiten abhängig. Hier werden die Arbeiten häufig im Gruppenakkord ausgeführt.

Auf diese Arbeitsbedingungen des allgemeinen Berufsbildes des Wasserbauers ist vorliegend bei der Prognose nach § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB III aF abzustellen. Diese Anforderungen kann die Klägerin aufgrund der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen infolge der von ihren Ärzten diagnostizierten Erkrankungen, die von den Sachverständigen im Verwaltungsverfahren übereinstimmend bestätigt wurden, zur Überzeugung des Senates jedoch nicht in voller Breite dauerhaft erfüllen. Die Klägerin kann nach den festgestellten Gesundheitsstörungen des von der Beklagten mit der Begutachtung beauftragten Dr. J in dessen Gutachten vom 22. März 2011 und den hieraus nachvollziehbar abgeleiteten Einschränkungen keine Tätigkeiten mit hoher körperlicher Belastung (körperliche Akkordarbeit), inhalativen Belastungen durch Rauch, Gase oder Dämpfe, häufigem Heben und Tragen schwerer Lasten ohne mechanische Hilfsmitte mehr ausführen. Auch müssen sanitäre Einrichtungen jederzeit erreichbar sein. Aufgrund der Funktionsstörungen der oberen Atemwege mit Unverträglichkeit von abrupten körperlichen Anstrengungen und erhöhter Infektanfälligkeit sind Belastungen durch Nässe, Kälte und Zugluft ausgeschlossen. Als Wasserbauerin müsste die Klägerin jedoch überwiegend im Freien unter allen Witterungsbedingungen arbeiten, Arbeiten wie zum Beispiel Deichsicherung erfordern zudem einen hohen körperlichen Einsatz, sanitäre Einrichtungen sind im Freien nur schwer erreichbar. Auch wenn dem Wasserbauer etliche Maschinen - darunter schwere Baufahrzeuge - die Arbeit auf Baustellen erleichtern, fordern diese doch ein gewisses Maß an körperlichem Einsatz. Wasserbauer müssen außerdem auch mit schwierigen Arbeitsbedingungen, z.B. einer abschüssigen Uferböschung umgehen können. Zudem wäre die Klägerin den Dämpfen von Lacken, Reinigungs- und Konservierungsmitteln ausgesetzt, die evtl. die Atemwege beeinträchtigen, was ihr Leistungsvermögen ebenfalls nicht zulässt.

Der von ihr gewählte Zweitberuf lässt sich damit nicht mit ihrem von Dr. J festgestellten Leistungsbild zweifelsfrei in Einklang bringen. Dass Dr. J gleichwohl ausgeführt hat, die Klägerin könne ihre bereits begonnene Ausbildung zur Wasserbauerin beenden, führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn damit hat Dr. J keine Aussage hinsichtlich der vorliegend allein maßgeblichen Fähigkeit der Klägerin zur dauerhaften Ausübung dieses Berufes getroffen.

Da es - wie bereits dargelegt - nur auf die Anforderungen des allgemeinen Berufsbildes ankommt, führt auch die Tatsache, dass die Klägerin nach Abschluss ihrer Ausbildung befristet für ein Jahr in diesem Beruf beschäftigt war, zu keinem anderen Ergebnis, ebenso wenig wie die plastischen Ausführungen der hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung überaus engagierten Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung, wonach sie alle - auch schwere - Arbeiten, die während ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin anfielen, verrichtet hat. Dies konnte den Senat aber letztlich nicht davon überzeugen, dass sie allen Anforderungen dieses Berufsbildes gesundheitlich vollumfänglich gewachsen war und es auch dauerhaft sein wird. Es liegt vielmehr der Schluss nahe, dass die Klägerin teilweise auf Kosten ihrer Gesundheit diese Tätigkeiten verrichtet hat, denn der Sachverständige Dr. J hatte insbesondere Tätigkeiten wie häufiges Heben und Tragen ohne Hilfsmittel und insbesondere hohe körperliche Belastungen wie die von der Klägerin beschriebenen ausdrücklich aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ausgeschlossen.

Auch das ärztliche Zeugnis des arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft vom 31. Mai 2010 führt zu keiner anderen Bewertung, denn darin wird lediglich die Eignung der Klägerin für eine Tätigkeit als Schiffsführerin in der Rheinschifffahrt bescheinigt; diese Tätigkeit stimmt jedoch nicht mit der hier maßgeblichen als Wasserbauerin überein, sondern betrifft nur einen Teilaspekt ihrer Ausbildung.

Hinzu kommt, dass die Klägerin lediglich ein Jahr in dem Beruf des Wasserbauers gearbeitet hat und seitdem arbeitslos ist, eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt tatsächlich durch ihre Ausbildung als Wasserbauerin somit nicht erreicht wurde. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BSG kann diese Tatsache, die zeitlich erst nach dem grundsätzlich maßgebenden Beurteilungszeitraum bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetreten ist, bei der gerichtlichen Entscheidung nicht außer Betracht bleiben (vgl BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 7 AL 18/99 R -). Bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit ist zum einen § 5 SGB III zu beachten, wonach Arbeitslosigkeit durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung nicht nur vorrübergehend vermieden werden soll. Die Dauerhaftigkeit in § 60 Abs. 2 SGB III a.F. muss zudem iSd § 4 Abs. 2 SGB III verstanden werden. Danach gilt der Vermittlungsvorrang nicht, wenn lediglich eine befristete Beschäftigung erreicht werden kann, während die angestrebte Bildungsmaßnahme zu einer dauerhaften Eingliederung führen würde (so auch Brecht-Heitzmann in Gagel, Rn. 53 zu § 57 SGB III). Eine Prognose dahingehend, dass eine dauerhafte, unbefristete Eingliederung nur im Wege der Förderung der Zweitausbildung zum Wasserbauer zu erreichen ist, konnte deshalb nicht getroffen werden.

Da bereits keine positive Prognose in Bezug auf die Zweitausbildung der Klägerin getroffen werden konnte, kann die Frage offen bleiben, ob die Prognose gerechtfertigt war, dass die Klägerin aufgrund ihrer ersten Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik keine Aussicht auf eine Eingliederung in das Erwerbsleben mit Aussicht auf Dauer hatte. Zwischen den Beteiligten dürfte insoweit unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen Einigkeit bestehen, dass sie in diesem Beruf nicht mehr arbeiten kann.

Liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von BA nicht vor, durfte die Beklagte auch keine entsprechende Ermessensentscheidung treffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.