Gericht | FG Cottbus 14. Senat | Entscheidungsdatum | 28.11.2024 | |
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Aktenzeichen | 14 K 14079/22 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2024:1128.14K14079.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG, §§ 60a, 60 c AufenthG § |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum von Mai 2020 bis Januar 2022.
Die Klägerin ist georgische Staatsbürgerin. Sie hat von Oktober 2018 bis Oktober 2021 im Inland eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert.
Am 30. Januar 2020 hatte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet -AufenthG- gestellt. Der im Asylverfahren ergangene ablehnende Bescheid ist am 29. Februar 2020 bestandskräftig geworden. Der Klägerin wurde am 1. Februar 2021 eine bis zum 31. Oktober 2021 gültige Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 60c Abs. 1 AufenthG erteilt.
Seit dem 1. Oktober 2021 übt die Klägerin eine Vollzeitbeschäftigung als examinierte Pflegefachkraft aus. Am 1. Oktober 2021 hat sie erneut einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG gestellt.
Am 20. November 2021 beantragte die Klägerin für ihre drei Kinder B… (geb. im Januar 2012), C… (geb. im April 2013) und D… (geb. im Mai 2020) Kindergeld. B…, C… und D… haben die georgische Staatsbürgerschaft.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. Februar 2022 den Antrag auf Kindergeld ab, da die Klägerin keinen der in § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz -EStG- aufgeführten Aufenthaltstitel besitze und damit die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nicht erfülle.
Hiergegen erhob die Klägerin fristgerecht Einspruch.
Am 20. April 2022 übersandte sie ein Schreiben des Landesamtes für Einwanderung in E…, nach dem ihr ab dem 22. Februar 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt worden sei.
Die Beklagte erließ daraufhin am 18. Mai 2022 einen Änderungsbescheid und gewährte der Klägerin ab Februar 2022 Kindergeld für ihre drei Kinder.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2022 wies die Beklagte den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Eine Duldung, die nicht nach § 60d AufenthG erteilt worden sei, berechtige nicht zum Kindergeldbezug. Damit lägen die Voraussetzungen von § 62 Abs. 2 EStG nicht vor.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene hiesige Klage.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- (Urteil vom 18. Dezember 2019, Az. 1 C 34.18) ein Ausländer nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erst dann geduldet sei, wenn ihm eine Duldungsbescheinigung erteilt worden sei, sondern bereits dann, wenn ein entsprechender Duldungsanspruch bestehe. Gleiches gelte anerkanntermaßen für § 60d Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (vgl. Verwaltungsgerichtshof -VGH- Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Januar 2020, Az. 11 S 2956/19), auch wenn dort vom „Besitz einer Duldung“ die Rede sei. Entsprechendes müsse daher auch für § 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG gelten. Der Zwölfmonatszeitraum habe mit Eintritt der Bestandskraft des ablehnenden Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge am 29. Februar 2020 begonnen und mit Ablauf des 27. Februar 2021 geendet, so dass noch im Monat Februar 2021 ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung entstanden sei, da auch die weiteren Voraussetzungen nach § 60d Abs. 1 AufenthG erfüllt gewesen seien. Damit bestehe jedenfalls für die Zeit ab Februar 2021 ein Anspruch auf Kindergeld.
Ferner sei § 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht -BVerfG- habe in den Verfahren Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14 und 2 BvL 14/14 durch Beschluss vom 28. Juni 2022 entschieden, dass § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b) EStG 2006 eine Unterscheidung treffe, die dem Ziel des Gesetzgebers, nur Drittstaatsangehörige mit einer dauerhaften Bleibeperspektive zu begünstigen, nicht diene und deshalb mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG- unvereinbar sei. Diese Erwägung treffe hier erst recht zu. Ein Ausländer, der in Deutschland eine Berufsausbildung absolviere, müsse sich besonders gut integriert haben und die deutsche Sprache beherrschen, so dass die Bleibeprognose sogar eher günstiger ausfalle als bei einem ausländischen Beschäftigten, der vielleicht nur eine ungelernte Tätigkeit ausübe und rudimentäre Sprachkenntnisse besitze. Deshalb verstoße die Entscheidung des Gesetzgebers, Kindergeld nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern bei einer Beschäftigungsduldung zu gewähren, bei einer Ausbildungsduldung dagegen zu verweigern, ebenfalls gegen den Gleichheitssatz. Da § 60c AufenthG die Voraussetzung einer Vorduldungszeit nicht kenne, habe sie -die Klägerin- bereits ab dem Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids, also ab dem 29. Februar 2020, einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gehabt. Damit habe der Kindergeldanspruch bereits ab Beginn des hiesigen Streitzeitraums, nämlich ab Mai 2020, bestanden.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 8. Februar 2022 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18. Mai 2022 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr auch für die Monate Mai 2020 bis Januar 2022 Kindergeld für B…, C… und D… zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist auf die Gründe ihrer Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie wie folgt aus: Soweit sich die Klägerin auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14) vom 28. Juni 2022 berufe, betreffe dies nur die Regelungen hinsichtlich des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG 2006 in der bis 29. Februar 2020 geltenden Fassung. Im Streitfall sei demgegenüber ein Zeitraum ab Mai 2020 streitig.
Dem Gericht hat zur Beratung und Entscheidung ein Band Kindergeldakte der Beklagten vorgelegen.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Kindergeldfestsetzung, § 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-. Die Klägerin ist im Streitzeitraum nicht im Besitz eines in § 62 Abs. 2 EStG aufgeführten Aufenthaltstitels gewesen.
1. Die Klägerin, die ihren Wohnsitz im Streitzeitraum im Inland hatte, erfüllt zwar unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG für ihre in ihrem Haushalt lebenden drei minderjährigen Kinder.
2. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer (also solche Personen, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, noch zum Kreis der in § 62 Abs. 1a EStG genannten Personen - d. h. im Wesentlichen Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - gehören), hat jedoch nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn er - zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG - die in Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt.
a) Nach § 62 Abs. 2 EStG können sog. nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, Kindergeld nur beanspruchen, wenn sie einen der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel besitzen, z. B. eine Aufenthaltserlaubnis, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erteilt wurde und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG), ohne unter die Ausschlusstatbestände des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG zu fallen, oder eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d i. V. m. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (§ 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG).
b) Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin im gesamten Streitzeitraum unstreitig keinen der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 EStG aufgeführten Aufenthaltstitel. Die der Klägerin am 1. Februar 2021 erteilte Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 60c Abs. 1 AufenthG berechtigt nicht zum Bezug von Kindergeld.
c) Nach Auffassung des Senats kommt mangels einer planwidrigen Regelungslücke auch keine analoge Anwendung von § 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG auf Fälle der Ausbildungsduldung in Betracht. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Gesetzgeber bewusst die Ausbildungsduldung nicht in den Katalog des § 62 Abs. 2 EStG aufgenommen und damit anders als die Beschäftigungsduldung behandelt wissen wollte.
aa) Der Gesetzgeber hat den Quasi-Aufenthaltstitel der Beschäftigungsduldung durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (BGBl I 2019, S. 2451) in den Katalog des § 62 Abs. 2 EStG aufgenommen, da diese seiner Ansicht nach perspektivisch zu einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG (qualifizierte Geduldete) oder nach § 25b AufenthG (nachhaltige Integration einschließlich Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung) führe (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 125). Aus den Gesetzesmaterialien wird deutlich, dass bei der Anpassung des § 62 Abs. 2 EStG ansonsten unverändert an der Zielrichtung festgehalten werden solle, einen Leistungsanspruch grundsätzlich nur für Familien vorzusehen, die sich aller Voraussicht nach dauerhaft in Deutschland aufhalten werden. Daneben solle aber ein Anspruch auf Kindergeld bestehen, wenn es zur Gewinnung von Arbeitskräften in betroffenen Bereichen sinnvoll erscheine und der Aufenthalt nicht nur kurzfristig sei. Auf diese Weise solle die Fachkräftegewinnung erleichtert und ein Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesetzt werden. Gleichzeitig solle eine unangemessene Leistungsinanspruchnahme verhindert werden. Deshalb sei ein Leistungsausschluss für kurzfristig befristete Aufenthalte zu regeln (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 123).
bb) Ausdrücklich ausgeschlossen hat der Gesetzgeber daher bspw. die Berechtigung zum Kindergeldbezug bei:
cc) Bei der Betrachtung dieser Ausnahmetatbestände wird deutlich, dass gerade Aufenthaltstitel, die ausschließlich für Zwecke einer Ausbildung, eines Studiums, eines Sprachkurses oder ähnliche zeitlich begrenzte Maßnahmen erteilt worden sind, grundsätzlich nicht zum Kindergeldbezug qualifizieren sollen. Der Kindergeldausschluss wird damit begründet, dass bei den genannten Aufenthaltstiteln davon auszugehen sei, dass sich die Inhaber in der Regel nicht dauerhaft in Deutschland aufhielten und ein Kindergeldanspruch daher nicht angezeigt sei (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 124).
Dies zugrunde gelegt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch die Ausbildungsduldung als einen nicht zum Kindergeldbezug qualifizierenden Aufenthaltstitel angesehen hat. Einen Anspruch auf Ausbildungsduldung hat - wie auch im Streitfall die Klägerin - bspw., wer als Asylbewerber eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufgenommen hat und nach Ablehnung des Asylantrags diese Berufsausbildung fortsetzen möchte (vgl. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) AufenthG). Die Ausbildungsduldung wird nur für die Dauer der Ausbildung erteilt (vgl. § 60c Abs. 3 Satz 4 AufenthG). Sie erlischt, wenn die Ausbildung vorzeitig beendet oder abgebrochen wird (vgl. § 60c Abs. 4 AufenthG). Damit wird bei der Ausbildungsduldung ebenso wie bei den in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) und b) EStG ausdrücklich aufgeführten Ausnahmetatbeständen der Aufenthaltstitel von vornherein nur für einen begrenzten Zeitraum für einen konkret bestimmten Zweck erteilt. Die von dem Gesetzgeber angeführten Gründe für einen Ausschluss vom Kindergeldbezug greifen somit auch hier.
dd) Demgegenüber erhalten Personen, denen eine Beschäftigungsduldung erteilt wurde, einen Kindergeldanspruch. Eine Beschäftigungsduldung wird nur unter engen Voraussetzungen gewährt. Die Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG in der Fassung vom 8. Juli 2019, gültig vom 01.01.2020 bis 31.12.2023) setzt voraus, dass der Drittstaatsangehörige bereits seit mindestens 18 Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden pro Woche (20 Wochenstunden bei Alleinerziehenden) ausgeübt und dadurch seinen Lebensunterhalt innerhalb der letzten zwölf Monate gesichert hat sowie aktuell weiter sichert (vgl. § 60d AufenthG). Dies bedeutet, dass zumindest ein Elternteil sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und die Duldung auf die Verfestigung als langfristige Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 6 AufenthG ausgerichtet ist. Damit sind die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung anders gelagert als die für eine Ausbildungsduldung. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber es schlicht übersehen hat, die Ausbildungsduldung ebenfalls als zum Kindergeldbezug berechtigenden Aufenthaltstitel mit in das Gesetz aufzunehmen, ergeben sich somit nicht. Vielmehr soll gerade die Unterscheidung dem Anliegen des Gesetzgebers, Familienleistungen nur für diejenigen Ausländer vorzusehen, die sich voraussichtlich auf Dauer im Inland aufhalten, gerecht werden.
d) Ein Kindergeldanspruch für den Streitzeitraum ergibt sich im Streitfall auch nicht unter Verweis auf die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 28. Juni 2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277), wonach § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b) EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915) mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG- unvereinbar und nichtig ist. Auch geben die Ausführungen des BVerfG aus Sicht des Senats keinen Anlass dazu, im Streitfall verfassungsrechtliche Zweifel an der Versagung eines Kindergeldanspruchs der Klägerin für die Zeit der Geltung der Ausbildungsduldung aufkommen zu lassen.
aa) Das BVerfG stellte einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG lediglich insoweit fest, als nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die einen humanitären Aufenthaltstitel nach den § 23 Abs. 1, § 23a, § 24 oder § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG besitzen und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, kein Kindergeld erhalten sollen, sofern sie weder berechtigt erwerbstätig sind noch laufende Leistungen der Arbeitsförderung beziehen noch Elternzeit in Anspruch nehmen. Das Nichtigkeitsverdikt ist begrenzt auf § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b) EStG a. F. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277, Rz. 81 ff.). Nicht erfasst von der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ist die dem Streitfall zu Grunde liegende Konstellation, in der im Streitzeitraum kein Aufenthaltstitel i. S. d. § 62 Abs. 2 EStG gegeben ist.
bb) Zudem erkannte das BVerfG das Ziel des Gesetzgebers als legitim an, Kindergeld nur solchen Personen zukommen zu lassen, die sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten werden. Grundsätzlich könne die unterschiedliche Bleibedauer in Deutschland eine ungleiche Behandlung rechtfertigen. Das Ziel des § 62 Abs. 2 EStG (a. F.), den Adressatenkreis auf Personen zu beschränken, die sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten werden, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277, Rz. 89).
cc) Verfassungsrechtlich beanstandet wurde demgegenüber, dass die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien den Kreis der Leistungsberechtigten - bezogen auf das gesetzgeberische Ziel - nicht in geeigneter Weise bestimmen, weil sich die Aufenthaltsdauer mittels der verwendeten Kriterien nicht hinreichend zuverlässig prognostizieren lassen. Im Ergebnis sei das Abstellen auf eine tatsächliche Mindestaufenthaltsdauer verfassungsrechtlich gleichwohl nicht zu beanstanden. Ungeeignet, die zuverlässige Prognose eines dauerhaften Aufenthalts zu begründen und damit das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, sei jedoch das Kriterium einer Integration in den Arbeitsmarkt (BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277, Rz. 90).
dd) Das Abstellen auf eine tatsächliche Mindestaufenthaltsdauer hat das BVerfG hingegen verfassungsrechtlich gebilligt. Denn im Unterschied zum Merkmal einer (beginnenden) Integration in den Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG a. F.) sei das in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG a. F. genannte Erfordernis eines mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ungeeignet, die Prognose eines voraussichtlich dauerhaften Aufenthalts als Voraussetzung für eine Kindergeldgewährung zu begründen (BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277, Rz. 96).
ee) Hieraus ist aus Sicht des Senats für den Streitfall abzuleiten, dass für Zeiträume, in denen lediglich eine Ausbildungsduldung vorliegt, ohne Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ein Kindergeldbezug ausgeschlossen werden kann.
Der für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels maßgebliche Grund, nämlich die Ausbildung, ist typischerweise von nur vorübergehender Natur. Die Ausbildungsduldung wird dementsprechend nur befristet für die Dauer der Ausbildung erteilt. Der Wegfall und der Zeitpunkt des Wegfalls des Aufenthaltszwecks stehen grundsätzlich von vornherein fest. Der Aufenthaltstitel erlischt, wenn die Ausbildung abgeschlossen, vorzeitig beendet oder abgebrochen wird. Eine Verlängerung oder Verfestigung des Aufenthaltstitels ist wegen seiner Befristung und Beschränkung auf einen konkreten Zweck grundsätzlich nicht vorgesehen. Dies unterscheidet die Ausbildungsduldung signifikant von der Beschäftigungsduldung, die verlängert werden kann und gerade auf die Verfestigung als langfristige Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 6 AufenthG ausgerichtet ist.
Für die Ungleichbehandlung dieser Fallgruppen sind daher Differenzierungsgründe ersichtlich, welche die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Sowohl die Ausbildungsduldung als auch die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) und b) EStG aufgeführten Aufenthaltstitel werden zum Zweck einer Ausbildung, eines Studiums, Sprachkurses, Schulbesuches o. ä. und damit erkennbar nur für einen begrenzten Zeitraum und einen bestimmten Zweck erteilt. Der Gesetzgeber durfte daher typisierend vermuten, dass diese Fallgruppen eine geringere Wahrscheinlichkeit für einen dauerhaften Aufenthalt im Inland begründen als die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG oder aber auch die Beschäftigungsduldung.
ff) Eine andere Betrachtungsweise ist im Streitfall auch nicht deshalb angezeigt, weil der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. März 2024 parallel zur Ausbildungsduldung in § 16g AufenthG die Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung für ausreisepflichtige Ausländer eingeführt hat. Diese Aufenthaltserlaubnis dürfte grundsätzlich zum Kindergeldbezug nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG berechtigen, da diese die Ausübung einer Beschäftigung, die nicht vom Zweck der Aufenthaltserlaubnis umfasst ist, bis zu 20 Stunden/Woche erlaubt (vgl. § 16g Abs. 3a AufenthG). Die neue Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung ist allerdings an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft, so dass eine unmittelbare Vergleichbarkeit mit der Ausbildungsduldung nicht gegeben ist. Insbesondere unterliegt § 16g AufenthG als Aufenthaltstitel grundsätzlich den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel gem. § 5 AufenthG. Somit werden sowohl Passbesitz als auch Lebensunterhaltssicherung (mit einigen Besonderheiten) zu zusätzlichen Voraussetzungen des § 16g AufenthG gegenüber der Ausbildungsduldung. Überdies galt § 16g AufenthG im Streitzeitraum nicht. Es kann daher zumindest für den hiesigen Streitzeitraum dahinstehen, ob die unterschiedlichen Voraussetzungen eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Kindergeldanspruches zu rechtfertigen vermögen.
e) Ferner bestehen aus Sicht des Senats auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 62 Abs. 2 EStG, als hiernach für einen Kindergeldanspruch eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers grundsätzlich an das Vorliegen eines Aufenthaltstitels angeknüpft wird. Dies ist von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers umfasst. Insoweit wird nicht ein atypischer Fall als Leitbild gewählt, da ein Aufenthaltstitel regelmäßig Grundlage für einen rechtmäßigen Daueraufenthalt im Inland darstellt. Sofern also - wie im Streitfall - Zeiten, die vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels liegen, vom Kindergeldbezug ausgeschlossen werden, ist dies vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Abstellens auf einen inländischen Daueraufenthalt gerechtfertigt (BFH, Beschluss vom 23. Dezember 2013, III B 88/13, BFH/NV 2014, 517).
f) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es im Übrigen nicht auf den bloßen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an, sondern darauf, ob der Klägerin tatsächlich ein Aufenthaltstitel, der für das Kindergeldrecht Tatbestandswirkung hat, erteilt wurde. Selbst wenn die Ausländerbehörde rückwirkend einen Aufenthaltstitel, der nach § 62 Abs. 2 EStG zur Inanspruchnahme von Kindergeld berechtigt, erteilt, würde dies kindergeldrechtlich keine Rückwirkung entfalten (BFH, Urteil vom 5. Februar 2015, III R 19/14, BStBl. II 2015, 840; BFH, Beschluss vom 10. Juni 2015, V B 136/14, BFH/NV 2015, 1233).
§ 62 Abs. 2 EStG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut an den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis an. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich (körperlich) in den Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in Deutschland durch einen entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt worden ist (BFH, Beschluss vom 1. Dezember 1997, VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696; BFH, Beschluss vom 9. November 2012, III B 138/11, BFH/NV 2013, 372). Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein Anspruch auf einen entsprechenden Titel bestand (BFH, Urteil vom 28. April 2010, III R 1/08, BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980; BFH, Beschluss vom 23. Dezember 2013, III B 88/13, BFH/NV 2014, 517; BFG, Beschluss vom 31. Juli 2009, III B 152/08, BFH/NV 2009, 1811).
Daraus folgt für den Streitfall, dass die Klägerin kein Kindergeld für den Streitzeitraum beanspruchen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird zugelassen. Der Streitfall dient der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Rechtsfortbildung ist jede Fortentwicklung des Rechts (Gesetz, Richterrecht) durch das Aufstellen neuer Rechtsgrundsätze, auch soweit diese durch Auslegung des Gesetzes gewonnen werden (Ratschow, in: Gräber, FGO, 9. Aufl., § 115 Rz. 161). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts erforderlich, wenn über eine bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden ist, insbesondere wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. bspw. BFH, Beschluss vom 9. Februar 2017, VI B 58/16, BFH/NV 2017, 763, m. w. N.; BFH, Beschluss vom 9. Mai 2017, XI B 13/17, BFH/NV 2017, 1198 m. w. N.). Die Frage, ob § 62 Abs. 2 Nr. 5 EStG dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, dass auch der Aufenthaltstitel der Ausbildungsduldung hiervon erfasst wird, ist bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.