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Entscheidung 2 W 21/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 18.12.2024
Aktenzeichen 2 W 21/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:1218.2W21.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 26. November 2024 wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam – Einzelrichterin – vom 14. November 2024 zum Aktenzeichen 12 O 165/24 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit Online-Sportwetten geltend, an denen der Zedent auf den Internetseiten der Beklagten teilgenommen hat.

Das Landgericht hat auf den Antrag der Beklagten nach Anhörung der Klägerin mit dem angegriffenen Beschluss das Verfahren entsprechend § 148 ZPO bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-530/24 ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin nach § 812 BGB auf Rückzahlung von Spielverlusten in von der Beklagten ohne Erlaubnis deutscher Behörden angebotenen Online-Glücksspielen hänge von der Rechtsfrage ab, ob das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 enthaltene Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet mit Unionsrecht vereinbar sei. Mit dieser Frage stehe und falle zugleich die Entscheidung, ob die zwischen den Parteien zustande gekommenen Verträge wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig seien. Sowohl die Vereinbarkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 mit Unionsrecht als auch die generellen Wirkungen einer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit seien Gegenstand im Verfahren C-440/23 vor dem EuGH. Die Vorlagefragen seien weder offenkundig unzulässig, noch mit Blick auf die Vielzahl von Entscheidungen zum Glücksspielrecht durch den EuGH im Sinne eines acte claire derart offenkundig zu beantworten, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe. Die Vorlage sei auch wegen der allgemeinen Diskussion darüber gegeben, ob § 284 StGB überhaupt ein die Interessen des Spielers schützendes Schutzgesetz darstelle.

Das Landgericht hat der Beschwerde der Klägerin vom 26. November 2024 mit Beschluss vom selben Tag nicht abgeholfen.

II.

Der Senat entscheidet als Kollegialgericht, nachdem der originär zuständige Einzelrichter die Sache dem Senat gemäß § 568 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen hat.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat vorläufigen Erfolg.

1.Die Beschwerde ist zulässig. Der Senat schließt sich in dieser Frage, die er in seinem Beschluss vom 29. April 2024 – 2 W 12/24 – noch offenlassen konnte, der mittlerweile herrschenden Auffassung an.

a) Nach einer Auffassung ist gegen auch isolierte Aussetzungsbeschlüsse keine Beschwerde gegeben.

Zwar findet gemäß § 252 ZPO gegen die Entscheidung, durch die aufgrund der Vorschriften der §§ 239 ff. ZPO oder aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, die sofortige Beschwerde statt. Das gilt nach fast einhelliger Auffassung allerdings nicht für Aussetzungsentscheidungen, die mit einer Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht verbunden sind, also vor allem nicht für die Aussetzungsbeschlüsse nach Art. 100 Abs. 1 GG sowie für Vorlageentscheidungen anderer Art, etwa die Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV. Hintergrund dieses einschränkenden Verständnisses von § 252 ZPO ist das Gebot der allgemeinen Prozessgrundsätze, nach denen die Instanzgerichte ihre eigentliche Prozessentscheidung unabhängig und ohne Steuerung von außen – grundsätzlich auch ohne eine solche durch die übergeordnete Instanz – finden und fällen dürfen.

Gleiches muss nach dieser Auffassung für so genannte isolierte Aussetzungsentscheidungen gelten, die also nicht mit einer eigenen Vorlage verbunden werden, sondern im Hinblick auf die Vorlage durch ein anderes Gericht ergehen. Aus der Sicht der Parteien mache es keinen Unterschied, ob das Ausgangsgericht wegen derselben Frage, über die vom EuGH bereits aufgrund der Vorlage eines anderen Gerichts vorab zu entscheiden ist, eine unanfechtbare weitere Vorlageentscheidung treffe oder ob es lediglich die Vorabentscheidung in dem anderen Verfahren abwarte. Mit der Entscheidung über die Aussetzung bringe das Gericht zum Ausdruck, dass es, hätte nicht bereits ein anderes Gericht die Frage vorgelegt, die identische Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof richten würde (OLG Jena, Beschluss vom 26. Juli 2024 – 4 W 296/23 –; OLG Köln, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 15 W 19/23 –; OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –; OLG Celle, Beschluss vom 10. Oktober 2008 – 9 W 78/08 –).

Die im Vordringen begriffene andere Auffassung bejaht dagegen auch in diesen Fällen die Anfechtbarkeit solcher so genannten isolierten Aussetzungsbeschlüsse, wenn auch mit einer nur eingeschränkten Prüfungsmöglichkeit für das Beschwerdegericht (OLG Köln, Beschluss vom 23. Januar 2024 – 19 W 1/24 –; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. Oktober 2023 – 17 W 23/23 –). Zur Begründung wird angeführt, dass die Parteien durch die isolierte Aussetzung mit einem fremden Vorlageverfahren konfrontiert würden, das nicht Teil des auszusetzenden Zivilprozesses sei, so dass im Rechtsweg zumindest die Klärung ermöglicht werden müsse, ob eine Parallelsache vorliege und deshalb eine Aussetzung gerechtfertigt sei (KG, Beschluss vom 17. Mai 2024 – 21 W 5/24; OLG Köln, ebd. und Beschluss vom 15. März 2024 – 19 W 18/24 –; OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. April 2023 – 4 W 4/23 –; OLG Braunschweig, Beschluss vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –; ohne nähere Begründung OLG München, Beschluss vom 18. Oktober 2024 – 14 W 122/24 e –, Rdnr. 45; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Mai 2024 – 12 W 9/24 –, Rdnr. 5).

b) Der Senat folgt nunmehr der zuletzt genannten Auffassung. Der allgemeine prozessrechtliche Grundsatz, dass Instanzgerichte ihre Sachentscheidung ohne Steuerung und Einflussnahme von außen treffen dürfen und müssen, verbietet zwar auch in der vorliegenden Konstellation eine umfassende Überprüfung der Aussetzungsentscheidung. Es muss im Rechtsweg jedoch zumindest geklärt werden können, ob eine „Parallelsache“ vorliegt, also eine Aussetzung in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO dem Grunde nach in Betracht kommt. Denn wenn das aussetzende Gericht gerade nicht den unanfechtbaren Weg wählt, eine eigene Vorlageentscheidung zu treffen, gebietet es der in § 252 ZPO verankerte Justizgewährungsanspruch zum Schutz der Parteien, dass zumindest die Identität der Vorlagefragen überprüfbar ist. Der Entscheidungsprärogative der Vorinstanz kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts entsprechend eingeschränkt wird (OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juli 2024 – 2 W 28/24 –, BeckRS 2024, 26552, Rdnr. 23 bei juris; KG, Beschluss vom 17. Mai 2024 – 21 W 5/24 – Rdnr. 22 bei juris).

2. Die Beschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss hält einer rechtlichen Prüfung nach dem allein gegebenen eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand.

Das Beschwerdegericht kann eine Aussetzungsentscheidung auf der Tatbestandsseite allein daraufhin überprüfen, ob eine „Parallelsache“ in dem Sinne vorliegt, dass die Vorlage durch das andere Gericht überhaupt eine Aussetzung in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO zulässt, ob also ein Aussetzungsgrund gegeben ist. Auf der Rechtsfolgenseite darf das Beschwerdegericht eine Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten oder ob Ermessensfehler gegeben sind. Dabei ist zu prüfen, ob das erstinstanzliche Gericht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat. Ob es zweckmäßig ist, ein Verfahren auszusetzen, kann hingegen nicht nachgeprüft werden. Dem Beschwerdegericht sind eigene Zweckmäßigkeitserwägungen verwehrt (Senat, Beschluss vom 29. April 2024 – 2 W 2/24 –, BeckRS 2024, 9873; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juli 2024 – 2 W 28/24 –, BeckRS 2024, 26552, je m. u. N.).

Nach der durch den Senat seiner Prüfung zugrunde zu legenden Rechtsauffassung des Landgerichts (vgl. Senat ebd.) liegt zwar eine „Parallelsache“ in dem genannten Sinne vor. Die Auffassung des Landgerichts ist jedenfalls vertretbar.

Die Entscheidung des Landgerichts leidet aber an einem durchgreifenden Ermessensfehler. Sie lässt nicht erkennen, dass das Landgericht sich überhaupt bewusst war, eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Entsprechend fehlen Ausführungen zu den Interessen der Parteien, wozu die Prozessökonomie und das Kosteninteresse der Parteien gehören können, sowie das Recht auf eine rasche erstinstanzliche Entscheidung. Die Gesichtspunkte wurden auch nicht erkennbar abgewogen.

Da dem Senat eine eigene Ermessensentscheidung verwehrt ist (vgl. Senat ebd.; OLG Naumburg ebd.; OLG München, Beschluss vom 18. Oktober 2024 – 14 W 122/24 e –, Rdnr. 51), ist die Sache dem Landgericht zur erneuten Entscheidung nach Abwägung der sein Ermessen leitenden Gesichtspunkte zurückzugeben.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sowohl die Ausgangsentscheidung des Landgerichts über die Aussetzung des Verfahrens als auch das Beschwerdeverfahren Bestandteile des Hauptverfahrens darstellen (vgl. Senat ebd.).