Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 17.01.2025 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 159/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0117.OVG3S159.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 51 Abs 1 Nr 7 AufenthG , § 51 Abs 4 AufenthG , § 3 Abs 1 AufenthG , § 56 Abs 1 Nr 1 AufenthV |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. November 2024 wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerde mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. In dem Beschwerdeverfahren gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das den Umfang der Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der angefochtenen Entscheidung.
Die Antragstellerin erstrebt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege einstweiliger Anordnung, zu ihren Gunsten eine längere als die in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG geregelte sechsmonatige Wiedereinreisefrist zu bestimmen, um trotz länger zurückliegender Ausreise noch auf der Grundlage der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, die ihr bis zum 23. Februar 2025 erteilt worden ist, wieder in das Bundesgebiet einreisen zu können, hilfsweise die Verpflichtung zu einer erneuten Entscheidung. Sie hat jedoch auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass sie mit einer die Vorwegnahme des Ergebnisses des Hauptsacheverfahrens rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit die begehrte Fristverlängerung beanspruchen kann.
Dabei kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Antragstellerin entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts glaubhaft gemacht hat, dass sie im Mai 2023 aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grund nach Syrien gereist und die Aufenthaltserlaubnis demgemäß nicht bereits nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen ist. Die Beschwerde macht jedenfalls weder mit Erfolg geltend, dass die Antragstellerin die begehrte Verlängerung der in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG normierten Frist beanspruchen kann, noch macht sie glaubhaft, dass der Antragsgegner die Verlängerung ermessensfehlerhaft versagt hat.
Entgegen der Beschwerde kann sich die Antragstellerin nicht auf § 51 Abs. 4 Satz 1 2. Alt. AufenthG berufen, wonach in der Regel eine längere Frist bestimmt wird, wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Diese Voraussetzungen wären auch dann nicht erfüllt, wenn man zu Gunsten der Antragstellerin davon ausginge, dass sie nach Syrien ausgereist ist, um dort ihren Reisepass – anders als im Bundesgebiet möglich - noch vor Ablauf seiner Gültigkeit verlängern zu lassen und damit der Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG zu genügen. Ein solcher Aufenthalt dient nicht Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 51 Abs. 4 Satz 1 2. Alt. AufenthG, weil die in § 3 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Pflicht zum Besitz eines gültigen und anerkannten Passes ausschließlich dem jeweiligen ausländischen Staatsangehörigen obliegt, allein in dessen Verantwortungsbereich fällt und nur sein Interesse betrifft, sich zur Vermeidung aufenthaltsrechtlicher, strafrechtlicher oder sonstiger Sanktionen rechtskonform zu verhalten. Dies gilt gleichermaßen für die in § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV normierte Konkretisierung hinsichtlich der Pflicht zur rechtzeitigen Verlängerung oder Neubeantragung eines Passes.
Demgegenüber handelt es sich bei dem von § 51 Abs. 4 Satz 1 2. Alt. AufenthG erfassten Interesse um wirtschaftliche, soziale, politische oder sonstige staatliche Belange, die so bedeutend für die Bundesrepublik Deutschland sind, dass ein längerer Auslandsaufenthalt nicht zum Erlöschen einer im Bundesgebiet erteilten Aufenthaltserlaubnis führen soll. In einem solchen Fall wäre es unbillig, wenn der ausländische Staatsangehörige nicht in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren könnte, obwohl sein Auslandsaufenthalt deren Interesse dient. Ziffer 51.4.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz sieht dies beispielhaft und zutreffend als gegeben an bei einer Tätigkeit als Entwicklungshelfer, bei ausländischen Ehegatten deutscher Diplomaten oder wenn es um die Förderung entwicklungsrelevanter Geschäftsbeziehungen oder Beschäftigungsverhältnisse im Ausland geht (zustimmend insoweit auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 51 Rn. 101; ähnlich Möller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl., § 51 Rn. 35).
Unabhängig davon hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie allein oder in erster Linie deshalb ausgereist ist, um in Syrien ihren Reisepass verlängern zu lassen. Der Senat sieht die hierzu im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Erklärungen einschließlich der eidesstattlichen Versicherungen als verfahrensangepasste Schutzbehauptungen an. Die Antragstellerin hat anlässlich ihrer Anhörung durch eine Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft Beirut am 2. November 2023 ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Aufzeichnung ihre Ausreise aus Deutschland damit begründet, dass der Ehemann allein zurückgelassen worden sei und er wegen seines Alters Unterstützung benötige. Von einer Passverlängerung war hingegen nicht die Rede, auch nicht als weiterer Grund. Soweit die Antragstellerin behauptet, sie könne sich an eine solche Angabe nicht erinnern und gehe davon aus, dass die unzutreffende Information aufgrund einer verärgerten Reaktion der Mitarbeiterin in der Akte gelandet sei, ist dies weder plausibel noch glaubhaft. Es ist schon nicht nachvollziehbar, warum die Mitarbeiterin die dokumentierte Antwort erfunden haben und woher sie gewusst haben soll, dass die Antragstellerin ihren Ehemann besucht hat. Dies gilt umso mehr, als der Antragstellerin weitere Fragen gestellt worden sind, deren Beantwortung die Mitarbeiterin ebenfalls dokumentiert und auch notiert hat, wenn die Antragstellerin keine Antwort wusste oder geben konnte.
Das behördliche Ermessen zur Bestimmung einer längeren Wiedereinreisefrist nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist hier auch nicht aus einem anderen Grund auf die von der Antragstellerin begehrte Verlängerung als allein ermessensfehlerfreie Entscheidung reduziert. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG beruht auf der Annahme des Gesetzgebers, es stehe grundsätzlich unwiderleglich fest, dass ein Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist und seine Aufenthaltserlaubnis erloschen sei, wenn er sich länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes aufhält. Um jedoch unbeabsichtigte Härten zu vermeiden, wird der Ausländerbehörde die Möglichkeit eröffnet, eine längere, für den Bestand der Aufenthaltserlaubnis unschädliche Frist zu bestimmen (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 71 zu § 44 AuslG 1990; Fleuß, in: Beck OK AuslR, § 51 AufenthG Rn. 39). Einen Härtefall, der von solchem Gewicht ist, dass er hier ausnahmsweise zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen müsste, macht die Beschwerde nicht glaubhaft.
Das Vorbringen zu dem Gesundheitszustand der Antragstellerin und zu ihren gegenwärtigen Lebensverhältnissen in H____ rechtfertigt keine derartige Beurteilung. Dass die Antragstellerin einer in Syrien nicht möglichen ärztlichen Behandlung bedarf oder nicht, ggf. über ihre Kinder, mit den erforderlichen Medikamenten versorgt werden kann, ist weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, angesichts der früher üblichen kürzeren Dauer einer Passerteilung in Syrien habe sie angenommen, sie könne in Syrien innerhalb weniger Wochen einen neuen Pass erhalten, jedoch habe sich die Ausstellung wegen der Einführung des digitalen Passes verzögert, hat der Antragsgegner bereits in seiner Antragserwiderung zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragstellerin die begrenzte, an die Gültigkeit ihres Reisepasses gekoppelte Gültigkeit der Trägerkarte des ihr erteilten Aufenthaltstitels bekannt war. Dass für eine Wiedereinreise auf dem Luftweg ein gültiges Dokument über das Aufenthaltsrecht in Deutschland erforderlich sein würde, war ebenfalls absehbar. Die Antragstellerin hätte sich daher verlässlich vergewissern können und müssen, ob sie in der verbleibenden Zeit mit der Ausstellung eines Reisepasses in Syrien rechnen konnte. Jedenfalls hätte sie, als sich eine längere Bearbeitungsdauer herausstellte, vor Ablauf der Gültigkeit der Karte und ihres bisherigen Passes nach Deutschland zurückkehren können. Im Hinblick darauf kann die Würdigung des Antragsgegners in der Antragserwiderung, die Antragstellerin habe die Kartengültigkeit bewusst verstreichen lassen und deshalb die Folgen ihres Verbleibs in Syrien selbst zu vertreten, nicht als ermessenfehlerhaft beanstandet werden. Vor diesem Hintergrund hat auch die hilfsweise beantragte Verpflichtung des Antragsgegners, über die Gewährung einer längeren Frist erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, keinen Erfolg.
Unabhängig davon ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin ihren Pass nicht auch bei der syrischen Botschaft in Berlin hätte verlängern oder dessen Neuausstellung hätte beantragen können. Abgesehen davon, dass der Senat – wie oben ausgeführt – die Behauptung, sie sei in erster Linie nach Syrien gereist, um ihren Pass verlängern zu lassen, ohnehin nicht für glaubhaft hält, wäre eine längere Bearbeitungszeit durch die syrische Botschaft in Berlin nicht mit nachteiligen aufenthaltsrechtlichen Folgen verbunden gewesen, wenn sie den Antrag bald nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet gestellt hätte. Im Übrigen hätte sie zur Klärung konkreter Fragen auch Kontakt zu dem Antragsgegner aufnehmen können. Demgegenüber stand für die Passbeschaffung in Syrien und die anschließende Rückreise nach der Ausreise am 21. Mai 2023 von vornherein nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung, weil die Trägerkarte der Aufenthaltserlaubnis – übereinstimmend mit dem Reisepass – nur bis zum 8. Juli 2023 gültig war. Soweit die Antragstellerin geltend macht, ihr Sohn habe von dem Antragsgegner bei einer Vorsprache zur Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis die Auskunft erhalten, sie dürfe sich weniger als sechs Monate außerhalb von Deutschland aufhalten und könne in Syrien die Passverlängerung beantragen, wird mit den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht glaubhaft gemacht, dass es sich nicht lediglich um einen allgemeinen Hinweis auf die nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG bestehende Rechtslage handelte.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung – wie ausgeführt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 VwGO, § 114 Abs. 1 ZPO).
Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht ist ebenfalls zurückzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den angeführten Gründen schon erstinstanzlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (§ 166 Abs. 1 VwGO, § 114 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe bedurfte es wegen der insoweit bestimmten Festgebühr (KV Nr. 5502, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).