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Insolvenzverfahren, In-Kraft-Treten der Beitragssatzung, sachliche Beitragspflicht, Satzungserlass


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 16.01.2025
Aktenzeichen OVG 9 N 77/20 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0116.OVG9N77.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 251 Abs 2 Satz 1 AO , § 8 Abs 1 Satz 1 KAG BB , § 8 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 1 KAG BB , § 38 InsO , § 55 InsO , § 87 InsO

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 15. Mai 2020 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 6.407,10 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen einen Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der „P_____“, die Eigentümerin des Grundstücks Flurstück 5_____, Flur 6_____, Gemarkung S_____, postalische Anschrift: R_____, 6_____, Ortsteil S_____, ist. In der Straße vor dem Grundstück ist 2003 die Leitung zur Schmutzwasserbeseitigung gebaut worden. 2004 ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Der beklagte Verbandsvorsteher setzte durch Bescheid vom 21. Mai 2015 gegenüber dem Kläger im Hinblick auf das Grundstück einen Schmutzwasseranschlussbeitrag in Höhe von 5.125,68 Euro fest. Er erhob durch Widerspruchbescheid vom 6. Juli 2015 1.281,42 Euro nach und wies den Widerspruch zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 15. Mai 2020 abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 22. Mai 2020 zugestellt worden. Er hat am 15. Juni 2020 die Zulassung der Berufung beantragt und den Antrag am 21. Juli 2020 begründet.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO). Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Danach ist die Berufung nicht zuzulassen.

1. Die Darlegungen des Klägers zeigen ernstliche Richtigkeitszweifel nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auf. Der Kläger hat keinen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils schlüssig angegriffen.

Das Verwaltungsgericht hat unter anderem Folgendes angenommen: Der Beitragserhebung liege die am 4. September 2014 vom Zweckverband beschlossene Schmutzwasserbeitragssatzung zugrunde. Sie sei die erste wirksame Satzung des Zweckverbands zur Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen und sei rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Das 2004 eröffnete Insolvenzverfahren stehe der Beitragserhebung nicht entgegen. Die in Rede stehende Beitragsforderung sei eine Masseverbindlichkeit. Denn sie sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden, da es für die Entstehung einer Anschlussbeitragsforderung auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ankomme und diese erst mit In-Kraft-Treten der am 4. September 2014 beschlossenen Schmutzwasserbeitragssatzung entstanden sei.

Der Kläger trägt vor: Die streitige Beitragsschuld sei eine Insolvenzforderung und müsse zur Tabelle angemeldet werden. Die Erhebung durch Bescheid sei unzulässig. Maßgeblich für die Frage, wann der Vermögensanspruch im Sinne des § 38 InsO begründet sei, sei die Verwirklichung des Sachverhalts, der zum Abgabenanspruch führe, nicht die beitragsrechtliche Entstehung des Anspruchs. Die Erschließungsleistung des Zweckverbands sei 2003 und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden. Unerheblich sei, dass die sachliche Beitragspflicht seinerzeit noch nicht entstanden sei. Anderenfalls könnte der Zweckverband durch die Ausübung seiner Rechtssetzungsbefugnis eine Masseschuld begründen. Dies griffe in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ein und könnte zur Ungleichbehandlung der Gläubiger führen: Wenn der Zweckverband den Vorteil bis zur Grundstücksgrenze erbringe und ab der Grundstücksgrenze ein privater Unternehmer zeitglich die innere Erschließung des Grundstücks vornehme, wäre bei dann folgender Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Grundstückseigentümers der Werkunternehmer auf die Quote verwiesen. Der Zweckverband könnte hingegen, wenn er die erste wirksame Satzung nach Insolvenzeröffnung erlasse, sich den von ihm geschaffenen Vorteil als Masseschuld vergüten lassen. Das verstieße gegen den Gleichbehandlungsanspruch der Gläubiger (§ 1 InsO).

Das greift nicht. Handelt es sich der betreffenden Forderung um eine solche nach § 38 InsO, dürfen insoweit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der Beschränkungen, die sich aus der Insolvenz für eine Befriedigung der Forderung ergeben, Abgabenbescheide grundsätzlich nicht mehr ergehen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Dezember 2005 – OVG 9 B 23.05 –, juris Rn. 21). Nach § 38 InsO dient die Insolvenzmasse zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Die Beurteilung der Begründetheit einer Abgabenforderung im Sinne des § 38 InsO richtet sich nach den für die Zuordnung des Schuldnervermögens zur Insolvenzmasse maßgebenden insolvenzrechtlichen Grundsätzen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Dezember 2005 – OVG 9 B 23.05 –, juris Rn. 23). Eine Forderung ist hiernach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 38 InsO begründet, wenn das Schuldverhältnis schon vor der Verfahrenseröffnung bestand oder der Schuldrechtsorganismus, der die Grundlage der Forderung bildet, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffen war. Hierfür muss die Forderung nicht schon vollwirksam entstanden und durchsetzbar gewesen sein. Es genügt vielmehr, wenn von ihrem Entstehungstatbestand zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits so viele Merkmale verwirklicht waren, dass der Gläubiger eine gesicherte haftungsrechtliche Anwartschaft am Vermögen des Schuldners erlangt hat. Demgegenüber ist eine Forderung als Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) einzustufen, wenn sich ihre Begründung erst nach Verfahrenseröffnung vollzogen hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2010 – OVG 9 S 1.09 –, juris Rn. 11). In welchem Umfang für § 38 InsO auch die für einen abgabenrechtlichen Anspruch zu erfüllenden Voraussetzungen vorliegen müssen, richtet sich nach der Art des jeweiligen Abgabenanspruchs und der für seine Entstehung maßgeblichen Voraussetzungen. Abzustellen ist insoweit auf die für den Charakter des Anspruchs maßgebenden oder wesentlichen Voraussetzungen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Dezember 2005 – OVG 9 B 23.05 –, juris Rn. 23). Die Entstehung einer kommunalabgabenrechtlichen Anschlussbeitragsforderung setzt unter anderem wirksames Satzungsrecht voraus. Vor dessen Erlass und vor In-Kraft-Treten der Satzung ist eine derartige Forderung nicht „begründet“.

Ungeachtet der auch vom Verwaltungsgericht offen gelassenen Frage, ob nicht eine Beitragsforderung erst dann begründet ist, wenn auch die persönliche Beitragspflicht besteht (vgl. dazu etwa Driehaus, in: ders., Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 501a, Stand: September 2023), entsteht schon die sachliche (das heißt die abstrakt auf das Grundstück bezogene) Beitragspflicht für einen Anschlussbeitrag zwar nur, aber nicht immer schon dann, wenn das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann. Vielmehr entsteht sie frühestens erst mit dem In-Kraft-Treten der rechtswirksamen Satzung (§ 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 KAG). Für das Entstehen der Beitragspflicht notwendig ist hiernach nicht allein die Herstellung der Entwässerungsanlage und die Anschlussmöglichkeit des jeweiligen Grundstücks. Vielmehr bedarf es auch eines wirksamen Satzungsrechts. Denn erst mit dessen Erlass und In-Kraft-Treten steht fest, ob überhaupt und in welcher Höhe ein Beitrag erhoben wird. Bis zum Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung steht es dem jeweiligen Einrichtungsträger frei zu entscheiden, wie er die Deckung des Investitionsaufwands erreichen möchte (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KAG). Dementsprechend kann erst mit Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung ein zurechenbarer Beitragstatbestand verwirklicht werden. Dies war vorliegend, weil die zuvor vom Zweckverband beschlossenen Schmutzwasseranschlussbeitragssatzungen unwirksam waren (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. April 2012 – OVG 9 B 62.11 – juris Rn. 17 und 48 bis 51), frühestens mit dem In-Kraft-Treten der am 4. September 2014 beschlossenen Schmutzwasserbeitragssatzung der Fall, sodass die Beitragsforderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist.

Eine andere Beurteilung ist nicht durch den vom Kläger wiedergegebenen Auszug aus dem Beschluss des Senats vom 1. September 2005 – OVG 9 S 33.05 – (juris Rn. 4) veranlasst. Die dortigen Ausführungen beziehen sich auf die Rechtslage unter Geltung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung – a.F. –. Hierzu hat der Senat ausgeführt, dass für Grundstücke, die unter einer Beitragssatzung die Anschlussmöglichkeit erhalten oder schon gehabt hätten, die sich als ungültig erweise, zwar keine sachliche Beitragspflicht entstanden sei, wohl aber die unwirksame Satzung für den Zeitpunkt mitbestimmend sei, auf den die Beitragspflicht rückwirkend durch eine wirksame Satzung zur Entstehung gebracht werden müsse. Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. ist vorliegend, da die Anschlussmöglichkeit für das Beitragsgrundstück erst nach Ablauf des Jahres 1999 geschaffen worden ist, nicht anwendbar, auch nicht aus Vertrauensschutzgründen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, juris); deshalb spielt sie für die hier interessierende Frage des Zeitpunkts des „Begründet-Seins“ keine Rolle; außerdem war auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. eine – allerdings rückwirkende – wirksame Satzung erforderlich.

Dass die „Begründung“ der Beitragsforderung mit dem Satzungserlass auch einen Rechtsetzungsakt des Einrichtungsträgers zur Voraussetzung hat, hat zwar zur Folge, dass durch die Rechtssetzung des Einrichtungsträgers darüber entschieden wird, ob die Beitragsforderung eine Insolvenz- oder Masseschuld ist. Dies ist aber die gesetzliche Folge des kommunalen Abgabenrechts. Eine unzulässige Ungleichbehandlung mit den Inhabern zivilrechtlicher Forderungen liegt darin nicht. Kommunalabgabenrechtliche Beitrags- und zivilrechtliche (Werklohn-) Forderungen haben unterschiedliche Voraussetzungen. Es gibt auch keinen Übergriff in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Es geht allein um die Auslegung insolvenz- und kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften und deren Anwendung.

Die strittige Beitragsforderung ist eine Masseverbindlichkeit. Sie war durch Bescheid festzusetzen, da für Masseverbindlichkeiten die Einschränkungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a KAG in Verbindung mit § 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 87 InsO nicht gelten (vgl. Werth, in: Klein, AO, 14. Aufl., 2018, § 251 Rn. 21; Driehaus, in: ders., Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 501d, Stand: September 2014).

2. Mit Blick auf das zu 1. Ausgeführte weist die Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

3. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

a) Der Kläger sieht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob

„entgegen §§ 1, 38, 91 InsO eine Masseschuld durch bloße Neufassung einer Rechtsgrundlage begründet werden kann“.

Eine Frage, deren Beantwortung sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, ist nicht klärungsbedürftig (vgl. W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl., 2023, § 124 Rn. 10). So verhält es sich hier. Es ist – wie unter II 1 gezeigt – ohne weiteres § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 KAG zu entnehmen, dass eine Anschlussbeitragspflicht frühestens mit dem Erlass und dem In-Kraft-Treten einer wirksamen Beitragssatzung begründet wird, sodass, wenn die Satzung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Kraft tritt, die Beitragsforderung eine Masseschuld ist.

b) Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob

„eine allein in der Hand des Gläubigers liegende Begründung dieser Rechtsgrundlage dazu führen darf, dass für einen vor Verfahrenseröffnung verwirklichten Sachverhalt nach Verfahrenseröffnung Zahlungen als Masseschuld und damit zum Nachteil aller (anderen) Insolvenzgläubiger geleistet werden müssen“.

Da die Begründung der Beitragsschuld auch an die Schaffung wirksamen Satzungsrechts anknüpft, hängt die Einordnung der Beitragsforderung als Insolvenz- oder Masseverbindlichkeit auch bei der Herbeiführung der Anschlussmöglichkeit vor Insolvenzeröffnung vom gewählten Inkrafttretenszeitpunkt der Beitragssatzung ab. Dies ist die Folge der beschriebenen kommunalabgabenrechtlichen Gesetzeslage.

c) Der Kläger sieht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an,

„ob eine Rechtssetzung sowohl einerseits Rückwirkung auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung haben als auch andererseits eine Forderung erst nach Verfahrenseröffnung i.S.v. § 38 InsO – entgegen § 55 InsO – begründen kann“.

Die Frage zielt wie die beiden vorangegangenen Fragen auf die Klärung, ob der Satzungsgebungsakt darüber (mit-)bestimmt, wann die Beitragsforderung im Sinne des § 38 InsO „begründet“ ist. Sie ist nach der kommunalabgabenrechtlichen Gesetzeslage im bejahenden Sinne zu beantworten (vgl. II 3 a).

d) Der Kläger sieht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an,

„ob durch einfache Satzung in das Insolvenzrecht eingegriffen werden kann“.

Die Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit erfordert unter anderem, dass substantiiert begründet wird, warum die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist (vgl. W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl., 2023, § 124a Rn. 54). Es geht im vorliegenden Fall um die Auslegung und Anwendung insolvenz- und kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften (vgl. II 1). Inwieweit eine Beitragssatzung in das Insolvenzrecht eingreift und damit die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist, legt der Kläger nicht dar.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).