Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 30. Senat | Entscheidungsdatum | 24.02.2010 | |
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Aktenzeichen | L 30 R 938/07 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. Mai 2007 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2005 zu verurteilen, die Beschäftigungszeit des Klägers vom 1. September 1982 bis zum 26. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
die Klage abzuweisen.
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
„Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art 17 EV) einbezogen wurden, ist allerdings auf Grund einer vom Senat vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S 12 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S 20; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 4 S 26 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5 S 32; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S 39; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 59 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S 73). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.
Im Blick auf die AVItech ergeben sich diese Regelungen aus der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. S 844) und der dazu ergangenen 2. DB. Ein derartiger - fiktiver - bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt gemäß § 1 der VO-AVItech i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. DB von folgenden drei Voraussetzungen ab (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S 14, Nr. 5 S 33, Nr. 6 S 40 f, Nr. 7 S 60, Nr. 8 S 74), nämlich von
(1) der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und
(2) der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar
(3) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Dabei kommt es für die Anwendbarkeit des AAÜG (§ 1 Abs. 1 AAÜG) nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage mit Blick auf die am 1. August 1991 gegebene bundesrechtliche Rechtslage an.“
„Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers war kein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens i. S. des § 1 Abs. 1 2. DB. Nach seinem Hauptzweck verfolgte der Beschäftigungsbetrieb des Klägers nach den Feststellungen des LSG nicht die Herstellung von Industrieanlagen oder -bauwerken in Massenproduktion.
Insoweit hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang entschieden, dass der Betriebszweck der "Rationalisierung" keine betriebliche Tätigkeit ist, die auf die Massenproduktion von Bauwerken oder Gütern gerichtet ist (vgl BSG, Urteil vom 27.7.2004 - B 4 RA 8/04 R) . Ein Betrieb mit einem solchen Betriebszweck verfolgt vielmehr eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, Vorschläge zur Effizienzsteigerung in (anderen) Produktionsbetrieben zu unterbreiten. Die Tätigkeit der Rationalisierung ist dagegen nicht dem Bereich der industriellen Fertigung, Fabrikation, Herstellung oder Produktion von Sachgütern zuzuordnen (BSG a. a. O.).
Auch soweit der Beschäftigungsbetrieb des Klägers daneben den Betriebszweck der Projektierung von Bauinvestitionen verfolgte, handelte es sich nicht um eine Tätigkeit, deren Schwerpunkt auf der industriellen Fertigung, Fabrikation, Herstellung oder Produktion von Sachgütern liegt (vgl zum Projektierungsbüro: BSG SozR 4-8570 § 1 Nr. 11) . Im Hinblick auf die in der Präambel zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17.8.1950 (GBl 844) zum Ausdruck gekommene Zielsetzung des Versorgungssystems war allein die Beschäftigung in einem Betrieb, der die Massenproduktion im Bereich des Bauwesens zum Gegenstand hatte, von Bedeutung für die Einbeziehung in die Versorgung. Dem lag das so genannte fordistische Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und Konstruktion von Gütern mit Hilfe hoch spezialisierter, monofunktionaler Maschinen basierte. Der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (vgl. auch BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S 46 f ). Nur eine derartige Massenproduktion im Bereich des Bauwesens und nicht das Erbringen von Bauleistungen jeglicher Art war für die Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech von maßgeblicher Bedeutung.
Dieses Ergebnis wird auch durch den Beschluss über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.6.1963 ( GBl II 437 ) gestützt, denn danach wurde u. a. zwischen der von Bau- und Montagekombinaten durchzuführenden Erstellung von Bauwerken in Massenproduktion und anderen Baubetrieben unterschieden (vgl. BSG SozR 4-8570 § 1 Nr. 3 RdNr. 20) .“
„Der Begriff der Produktion in der Versorgungsordnung ist dabei vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Versorgungsordnung, nämlich durch versorgungsrechtliche Privilegierung bestimmter Personengruppen in bestimmten Bereichen der DDR-Volkswirtschaft diese abgegrenzten Teile der Wirtschaft, nämlich die industrielle Produktion, zu fördern, auszulegen. Erfasst wurden von der Versorgungsordnung nicht sämtliche volkseigenen Betriebe, sondern nur ausgewählte Betriebe im Bereich des Wirtschaftslebens der ehemaligen DDR. Es sollte nur ein bestimmter Bereich der DDR-Wirtschaft durch versorgungsrechtliche Privilegien gefördert werden und die darin tätigen Personengruppen - auch nicht alle, sondern nur die in der 2. DB genannten Personengruppen - privilegiert werden. Daher ist auch nicht ein weiter Produktionsbegriff, … zugrunde zu legen, sondern nur die engere industrielle Produktion, deren besondere Bedeutung für die Volkswirtschaft der ehemaligen DDR durch die Versorgungsordnung gefördert werden sollte. Unter Produktion wurde in der DDR die Herstellung standardisierter Massenprodukte verstanden. Dies folgt aus § 22 Abs. 1 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Produktionsbetriebe vom 09. Februar 1967 (GBl. II, S. 129). Danach hatte ein Produktionsbetrieb im Rahmen der Festlegungen des übergeordneten Organs seine Produktionsstruktur so zu gestalten, dass eine rationelle Produktion, besonders der Haupterzeugnisse, mit hoher Qualität, in großer Serie und nach modernen Fertigungsprinzipien erfolgte. Auch in der VO 1973 wird von Finalerzeugnissen gesprochen. In der VO 1979 wird die Verantwortung der Kombinate für die Sicherung der bedarfsgerechten Produktion der in den staatlichen Plänen festgelegten „Enderzeugnisse“ bestimmt. Das Finalerzeugnis war nach dem Sprachgebrauch der ehemaligen DDR ein „materielles Produkt eines Kombinates oder Betriebes, das als Investitionsgut oder Konsumgut unmittelbar für den Bedarf der Bevölkerung, der Wirtschaft sowie den Export bestimmt ist und nicht wieder als Arbeitsgegenstand in die Produktion eingeht.“ (Wörterbuch der Ökonomie Sozialismus, Hg. Ehlert, Joswig, Luchterhand u.a., Dietz Verlag Berlin, 5. Aufl. 1983 - Wörterbuch -).
…
Nach dem in der Versorgungsordnung zum Ausdruck gekommenen Sprachgebrauch der DDR war unter einem volkseigenen Produktionsbetrieb vielmehr nur ein Betrieb zur serienmäßigen Herstellung von erstmalig für den Gebrauch bestimmter Endprodukte verstanden worden (so auch: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Februar 2003, L 4 RA 48/02, E-LSG RA-135; veröffentlicht in juris)…“