Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 02.05.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 N 70/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0502.OVG9N70.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 VwGO, § 124a VwGO, § 43 VwGO, § 7 KonsG, § 5 KonsG |
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Mai 2023 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger und freier Journalist, begehrt die Feststellung, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland ihm während einer Haft in Venezuela (17. November 2018 bis 15. März 2019) sowie beim Boarding des Rückfluges am 17. März 2019 nicht ausreichend konsularisch geholfen habe.
Das Verwaltungsgericht hat seine Klage mit Urteil vom 16. Mai 2023, dem Kläger zugestellt am 6. Juni 2023, abgewiesen. Der Kläger hat am 6. Juli 2023 Berufungszulassung beantragt und seinen Zulassungsantrag am 1. August 2023 begründet.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Das fristgerechte Zulassungsvorbringen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) gibt keinen Grund für eine Zulassung der Berufung. Es weckt nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Das Verwaltungsgericht hat folgende Teilanträge des Klägers wegen fehlenden Feststellungsinteresses (§ 43 Abs. 2 VwGO) als unzulässig angesehen:
1. festzustellen, dass die Beklagte das aus seinem Staatsbürgerschaftsrecht wie aus den Grundrechten fließende Recht auf angemessenen diplomatischen Schutz im Ausland verletzt habe, indem sie es während seiner gesamten Gefangenschaft in der Bolivarischen Republik Venezuela zwischen dem 17. November 2018 und dem 15. März 2019 unterlassen habe,
a) öffentlich gegen seine Inhaftierung zu protestieren sowie
b) jemals von der Bolivarischen Republik Venezuela seine Freilassung zu verlangen,
2. festzustellen, dass die Beklagte sein Recht auf hinreichende, angemessene und pflichtgemäße konsularische Betreuung in ausländischer Haft sowie insbesondere auf hinreichenden Rechtsschutz (§ 1 2. Spiegelstrich, § 7 KonsG) dadurch verletzt habe, dass sie
[…]
d) es unterlassen habe, seine Zeitungsartikel, die er in seinem offenbar bevorstehenden Strafverfahren dringend benötigt hätte, um seine Journalisteneigenschaft zu beweisen und um sich gegen den Vorwurf der Spionage zu verteidigen, ihm in der Haft zur Verfügung zu stellen, indem sie es unterlassen habe, der Wochenzeitung „Junge Freiheit", die diese Artikel bereits zusammengestellt gehabt und für ihn bereitgehalten habe, entgegen deren wiederholten Ansinnen in geeigneter Weise bei der Versendung dieser Zeitungsartikel nach Venezuela Hilfe zu leisten, und es insbesondere unterlassen habe, diese Artikel mit Hilfe eines Kuriers des Auswärtigen Amtes zuverlässig von Deutschland nach Venezuela transportieren zu lassen,
e) ihm gegenüber durch die Chefin der Abteilung Rechts- und Konsularwesen der deutschen Botschaft in Venezuela während der gesamten, 119-tägigen Haftzeit daran festgehalten habe, man habe bei der Deutschen Botschaft keinerlei Kenntnisse vom venezolanischen Recht und könne ihm daher keinerlei Auskünfte darüber geben, wie der Rechtsbegriff „Spionage" im venezolanischen Recht definiert werde oder unter welchen Umständen ein Zivilist vor einem Militärtribunal angeklagt werden dürfe, und ihm dadurch jegliche Möglichkeit vorenthalten habe, sich in geeigneter Weise rechtlich auf das anstehende Verfahren vorzubereiten.
Eine Wiederholungsgefahr, ein Rehabilitationsinteresse oder ein wegen eines beabsichtigten Amtshaftungsprozesses bestehendes Feststellungsinteresse bestehe nicht. Es lägen hinsichtlich der Anträge auch keine (unterlassenen) Maßnahmen vor, die sich typischerweise so kurzfristig erledigten, dass regelmäßig kein Rechtsschutz in der Hauptsache zu erlangen gewesen wäre.
Der Kläger hält dem mit seinem Zulassungsantrag zu seinem Antrag Nummer 1 Buchstabe a und b entgegen: Wiederholungsgefahr bestehe nicht erst, wenn ein Vorfall drohe, der dem ersten Vorfall in allen Details gleich sei. Es reiche aus, wenn ein in Bezug auf bestimmte abstrakte Merkmale im Wesentlichen gleicher Vorfall drohe. Hier bestünden diese abstrakten Merkmale darin, dass die Beklagte es über Monate unterlassen habe, während der Auslandsinhaftierung eines Deutschen öffentlichen zu protestieren und die Freilassung zu verlangen. Nachdem der Kläger nun schon in Syrien, den USA, der Türkei und Venezuela inhaftiert gewesen sei, sei jede weitere Inhaftierung durch irgendeinen Staat in irgendeinem Konflikt ein im Wesentlichen gleicher Sachverhalt. Gerade wenn das Verwaltungsgericht einräume, dass der Kläger auch künftig journalistisch in Krisengebiete reisen werde, sei Inhaftierungsgefahr ein konkretes Berufsrisiko des Klägers. Weil er weitere journalistische Auslandsaufenthalte in Krisengebieten plane, benötige er für den Inhaftierungsfall das Erforderliche an konsularischem Schutz. Seine Gefährdung habe sich unterdessen erhöht durch reihenweise im Internet nachzulesende Presseberichte, in denen jeweils auch von Spionageverdacht die Rede sei. Das mache Drittstaaten trotz Unbegründetheit besonders misstrauisch. Besondere Aufmerksamkeit würden Drittstaaten auch auf den Kläger richten, weil dessen Inhaftierung in Venezuela und das Verhalten der Beklagten Gegenstand einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung sei; Anfrage und Antwort seien weltweit im Internet abrufbar. Auch seine bei Wikipedia nachzulesende Vita würde Drittstaaten und ihre Geheimdienste misstrauisch machen. Dass die Beklagte wiederum nicht zureichend handeln werde, sei durch die Erstbegehung indiziert. Die gleichen Gründe für eine Wiederholungsgefahr bestünden auch hinsichtlich der Klageanträge zu Nummer 2 Buchstabe d und e. Im Übrigen bestehe hinsichtlich der Anträge zu Nummer 1 Buchstabe a und b entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch ein Feststellungsinteresse unter dem Blickwinkel von sich typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen, die auf Grund ihrer Eigenart sonst nicht einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung zugänglich seien. Es sei gerade für Willkürregime typisch, jemanden erst einmal unter Spionageverdacht zu inhaftieren und ihn irgendwann wieder laufen zu lassen, wenn sich der Verdacht zerstreue, jemand energisch protestiere oder die Sache öffentlich (und dadurch zu peinlich) werde. Solange ein - zumal unter Spionageverdacht in einem Geheimdienstgefängnis - Inhaftierter ohne Kontakt zur Außenwelt in einem Kerker irgendeiner Bananenrepublik schmachte, könne er bei einem deutschen Gericht noch nicht darauf klagen, dass ihm durch öffentlichen Protest zur Freilassung verholfen werde. Nach der Freilassung sei eine Leistungsklage wiederum nicht mehr möglich. Die Beklagte habe sich weder öffentlich noch nicht öffentlich für seine Freilassung eingesetzt und damit auch für künftige Fälle gegenüber anderen Staaten signalisiert, sich nicht für den Kläger einsetzen zu wollen, mutmaßlich, weil die zuständigen Stellen den Kläger nicht als jemand angesehen hätten, der ihnen weltanschaulich verbunden sei.
Das greift nicht. Im Rahmen der Prüfung eines Feststellungsinteresses liegt eine Wiederholungsgefahr im Falle eines - aus Sicht des Klägers von der Behörde nicht rechtmäßig behandelten Leistungsbegehrens dann vor, wenn in absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer gleichartigen negativen behördlichen Entscheidung zu rechnen ist; insoweit müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass der Eintritt eines vergleichbaren Sachverhalts und eine erneute Versagung absehbar sind (vgl. NK-VwGO/Heinrich Amadeus Wolff, 5. Aufl. 2018, VwGO § 113 Rn. 271). Danach genügt es für die Annahme einer Wiederholungsgefahr hier nicht, dass der Kläger sich darauf beruft, er werde sich als investigativer Journalist auch weiterhin im Ausland in Situationen begeben, die eine Gefahr neuer Verhaftungen mit sich brächten, die überdies sogar größer geworden sei, und es sei durch die Erstbegehung indiziert, dass die Beklagte wiederum nicht ausreichend handeln werde. Ausweislich der nicht angegriffenen Sachverhaltsschilderung des Verwaltungsgerichts wurde der Kläger am Nachmittag des 17. November 2018 verhaftet, wurde die deutsche Botschaft am 19. November 2018 durch Dritte über die Verhaftung informiert, telefonierte der Botschafter am 20. November 2018 mit dem venezolanischen Vizeaußenminister und versandte die deutsche Botschaft bis zum ersten Haftbesuch am 9. Januar 2019 acht Verbalnoten, demarchierte im venezolanischen Außenministerium, forderte Informationen und konsularischen Zugang und wurde der venezolanische Botschafter in das Auswärtige Amt einbestellt. Die Frage, ob die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht davon abgesehen hat, öffentlich gegen die Verhaftung zu protestieren oder öffentlich oder nichtöffentlich eine Freilassung zu fordern, kann nur vor dem Hintergrund dieses Sachverhalts angemessen bewertet werden. Insoweit ist ein im Wesentlichen gleicher Sachverhalt aber nicht absehbar. Soweit der Kläger hinsichtlich der Anträge zu Nummer 2 Buchstabe d und e Wiederholungsgefahr geltend macht, ist dies unsubstantiiert.
Soweit der Kläger hinsichtlich seiner Anträge zu Nummer 1 a und b ein Feststellungsinteresse (auch) unter dem Blickwinkel eines Geschehens geltend macht, das sich typischerweise so kurzfristig erledige, dass sonst verwaltungsgerichtlicher Hauptsacherechtschutz nicht zu erlangen sei (vgl. hierzu etwa Schoch/Schneider/Riese, VwGO, § 113 Rn. 141 ff., 44. EL März 2023), greift auch das nicht. Maßgebend für die Annahme einer entsprechenden Situation ist, ob die kurzfristige, eine Hauptsacheklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart der Maßnahme selbst ergibt (vgl. m. w. N.: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14/12 -, juris, Rn. 32 <für Verwaltungsakte>). Das gilt auch, wenn ein behördliches Unterlassen im Raum steht. Für das Unterlassen eines öffentlichen Protests gegen die Verhaftung eines Deutschen im Ausland oder die Forderung seiner Freilassung ist eine entsprechende Typik nicht anzunehmen. Der konsularische Schutz im Falle einer Verhaftung im Ausland vollzieht sich regelmäßig im Rahmen eines durch § 7 KonsG und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen geprägten Ablaufs. Auch wenn ein Deutscher schwerlich Hauptsacheklage erheben kann, wenn er sich im Ausland praktisch isoliert in Haft oder sogar in geheim gehaltener Haft befindet, wird typischerweise ein öffentlicher Protest gegen seine Verhaftung als solche oder eine Forderung nach Freilassung erst dann erfolgen, wenn die Haft länger andauert und ein Kontakt nicht nur zur Botschaft, sondern auch zur Außenwelt besteht; in diesem Falle ist indessen auch die Ergreifung von Hauptsacherechtschutz nicht ausgeschlossen.
2. Das Verwaltungsgericht hat folgende Teilanträge des Klägers als zulässig, aber unbegründet angesehen:
1. […]
2. festzustellen, dass die Beklagte sein Recht auf hinreichende, angemessene und pflichtgemäße konsularische Betreuung in ausländischer Haft sowie insbesondere auf hinreichenden Rechtsschutz (§ 1 2. Spiegelstrich, § 7 KonsG) dadurch verletzt habe, dass sie
a) nach Kenntnisnahme von seiner Gefangennahme noch insgesamt 11 Tage lang seinen Angehörigen den Eindruck vermittelt habe, sie habe bislang noch keine Kenntnis von dem Fall,
b) es unterlassen habe, die seinerseits dringend benötigten Medikamente gegen das Dengue-Fieber, sei es in Venezuela, sei es in Deutschland, zu beschaffen, und es weiter unterlassen habe, wenigstens zu versuchen, ihm diese Medikamente auf geeignetem Wege in der Haft zukommen zu lassen,
c) den ersten Konsularbesuch bei ihm in der Haft nicht unverzüglich, sondern erst 52 Tagen nach Kenntniserlangung von seiner Gefangennahme durchgeführt habe,
[…]
f) es in genauer Kenntnis des Umstandes, dass der für ihn seitens der Beklagten zwecks seiner Ausreise aus Venezuela ausgestellte Notpass keinen Einreisestempel enthielt, abgelehnt habe, ihn anlässlich seiner Ausreise aus Venezuela nicht nur bis zum Flughafen, sondern dort auch durch die Migrationskontrolle und bis ins Flugzeug weiter zu begleiten, und ihn dadurch der Gefahr ausgesetzt habe, erneut festgenommen zu werden.
Der Kläger hält dem mit seinem Zulassungsantrag entgegen, die Beklagte habe Schutzvorkehrungen nicht oder nur unzureichend ergriffen. Die Botschaft sei nicht an seiner Freiheit und Unversehrtheit interessiert gewesen. Speziell, was die Beschaffung und Zugänglichmachung von Medikamenten gegen sein Dengue-Fieber angehe, habe das Auswärtige Amt nie Interesse und Willen gezeigt, diese zu besorgen und am Gefängnistor für ihn abzugeben, obwohl das möglich gewesen sei. Insoweit könne auch nicht damit argumentiert werden, Medikamente seien am 29. November 2018 bereits von einer NGO beim Gefängnis für ihn abgeben worden und hätten ihn auch erreicht; dies hätten weder das Auswärtige Amt noch seine Eltern gewusst.
Das greift nicht. Die pauschale Behauptung, die Botschaft sei an seiner Freiheit und Unversehrtheit nicht interessiert gewesen, ist angesichts der nicht angegriffenen Sachverhaltsschilderung im angegriffenen Urteil abwegig. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet, aus welchem Grund es die Anträge zu Nummer 2 Buchstabe a bis c und f als unbegründet angesehen hat. Mit den entsprechenden Erwägungen setzt sich der Zulassungsantrag nicht substantiiert auseinander.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).