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Allgemeinverfügung, Corona-Pandemie, Entgeltfortzahlungsanspruch, infektionsschutzrechtliche Entschädigung, Kontaktpersonenquarantäne, nicht unerheblicher Zeitraum der Verhinderung, sog. Boosterimpfung, Verdienstausfall, Verschulden, Verweisung durch das Arbeitsgericht


Metadaten

Gericht VG Cottbus 8. Kammer Entscheidungsdatum 02.10.2024
Aktenzeichen VG 8 K 646/23 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:1002.8K646.23.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen 17 Abs. 2 Satz 1 GVG §, 17a Abs. 2 Satz 3 GVG §, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG §, 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG §

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 4. März 2022 bis zum 8. März 2022 453,02 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2022 zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Der Gerichtsbescheid ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach diesem Gerichtsbescheid vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung eines auf den Zeitraum der ihr gegenüber im März 2022 angeordneten infektionsschutzrechtlichen Absonderung bezogenen Entgeltbetrages.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 31. August 2000 – und seit dem 1. September 2002 unbefristet – als Teilzeitbeschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von zuletzt 30 Stunden angestellt. Sie arbeitet als Erzieherin in einer Kindertageseinrichtung und war im hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum in die Entgeltgruppe S 8a, Stufe 5 TVöD SuE eingruppiert.

Unter dem 4. März 2022 erließ der Landrat des Landkreises S_____ gemäß §§ 28 Abs. 1, 29 und 30 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG –) eine Allgemeinverfügung über die Absonderung und Beobachtung von Personen, die mit dem neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2 infiziert sind und von engen Kontaktpersonen (im Folgenden: AV S_____), die nach Buchstabe G am Tag nach ihrer Zugänglichmachung im Internet in Kraft trat. Gemäß Buchstabe C, Ziffer 1, lit. d entfiel hiernach die Quarantänepflicht u.a. für enge Kontaktpersonen, die eine Auffrischungsimpfung (Boosterimpfung) erhalten haben, was bei Vorliegen von insgesamt drei Impfungen der Fall sei (Nr. 1).

Mit Bescheid vom 13. März 2022 verfügte der Landrat des Landkreises S_____ auf Grundlage von §§ 28, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG die schon zuvor mündlich angeordnete Absonderung der Klägerin für den Zeitraum vom 4. März 2022 bis einschließlich 12. März 2022, da sie engen Kontakt zu einer Person mit bestätigter COVID-19-Erkrankung gehabt habe. Die Quarantäne endete, nachdem die Klägerin am 8. März 2022 negativ auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden war, vorzeitig, so dass sie ihre Berufstätigkeit am 9. März 2022 wiederaufnehmen konnte.

Die Beklagte bemaß das der Klägerin für den Monat März 2022 zu zahlende anteilige Entgelt der Entgeltgruppe S 8a, Stufe 5 TVöD SuE auf einen Betrag in Höhe von 2.357,53 Euro brutto, wobei sie den fünftägigen Zeitraum der Quarantäne der Klägerin mindernd berücksichtigte. Mit Schreiben vom 9. September 2022 forderte diese die Beklagte auf, den entsprechenden Differenzbetrag nachzuzahlen, da sie über einen vollständigen Impfschutz verfügt habe und die Grundsätze der Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz griffen. Die Beklagte teilte ihr hieraufhin mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 mit, dass eine Korrektur der Entgeltabrechnung nicht vorgenommen werde, da für fünf Tage im Monat März 2022 kein Anspruch auf Lohnfortzahlung bestanden habe.

Am 28. Dezember 2022 hat die Klägerin Klage beim Arbeitsgericht Cottbus erhoben, mit der sie einen auf § 56 Abs. 2 IfSG gestützten Entgelt- bzw. Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte geltend gemacht hat.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2023 – Az. 1 Ca 1079/22 – hat das Arbeitsgericht Cottbus den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesen, da für Streitigkeiten über eine Entschädigung in Geld nach dem Infektionsschutzgesetz der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass sie am 5. Juni 2021 und am 17. Juli 2021 gegen das Coronavirus geimpft worden sei, so dass sie im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 22a Abs. 1 Satz 3, 1. Halbsatz IfSG über einen vollständigen Impfschutz verfügt habe. Ein Ausschlussgrund hinsichtlich der begehrten Entschädigung liege damit nicht vor, namentlich habe es für eine sog. Boosterimpfung seinerzeit weder eine Impfpflicht noch eine öffentliche Empfehlung gegeben. Eine solche ergebe sich auch aus der AV _____ nicht, zumal diese zum Zeitpunkt der angeordneten Quarantäne noch nicht in Kraft gewesen sei und sich auch nicht über die gesetzlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes hinwegsetzen habe können. Ausweislich des medizinischen Attests des Herrn Dr. M_____vom 19. April 2023 habe zudem aufgrund ihrer chronischen Erkrankung (rezidivierende Infekte und Multiallergie) eine Kontraindikation für die Boosterimpfung vorgelegen, nachdem ihr bereits die ersten beiden Impfungen gesundheitlich geschadet hätten. Schließlich sei mit der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, wonach im Übrigen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung dem Anspruch aus § 56 IfSG vorgehe, davon auszugehen, dass auch die Auffrischungsimpfung eine Corona-Infektion und damit eine Arbeitsunfähigkeit nicht mit der gebotenen Sicherheit verhindern hätte können.

Die Klägerin beantragt wörtlich,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 2.810,55 Euro brutto abzüglich 2.357,53 Euro brutto nebst 5%-Punkten Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, dass der geltend gemachte Anspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG i. V. m. der AV S_____ ausscheide, da die Klägerin hiernach durch Inanspruchnahme der Auffrischungsimpfung die ihr gegenüber ausgesprochene Quarantäneanordnung verhindern hätte können. Daher liege ein Ausschlussgrund vor. Die Klägerin sei als ungeimpft einzustufen; das erstmals im vorliegenden Verfahren vorgelegte, sich auf einen ein Jahr zurückliegenden Zeitraum beziehende ärztliche Attest überzeuge nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Klägerin im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage, die mit Beschluss vom 11. August 2023 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden ist, kann diese gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündlichen Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, nachdem die Beteiligten entsprechend angehört worden sind.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des begehrten Betrages.

Dieser Anspruch ergibt sich jedoch nicht aus § 56 Abs. 1 IfSG.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Nach Satz 2 der Regelung gilt das Gleiche für Personen, die nach § 30 IfSG – hier § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG – abgesondert werden.

Hier ist die Klägerin zwar als ansteckungsverdächtige Person im Sinne dieser Norm in ihrer Häuslichkeit abgesondert worden. Sie hat hierdurch jedoch – was der Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG aber voraussetzt – keinen Verdienstausfall erlitten. An einem solchen fehlt es nämlich, wenn einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum trotz der Absonderung ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Fortzahlung des Lohns oder Gehalts gegen die oder den Arbeitgeber.in zusteht (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 –, juris Rn. 20; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2023 – 18 A 563/22 –, juris Rn. 54; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 2. Juli 2021 – 13 LA 258/21 –, juris Rn. 7 f.; Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 – 3 K 108/21.KO –, juris Rn. 23; Verwaltungsgericht Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2021 – B 7 K 21.210 –, juris Rn. 27).

So liegen die Dinge hier. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für die Zeit ihrer Quarantäne einen Lohnfortzahlungsanspruch – hierzu sogleich –, gegenüber dem der auf Billigkeitserwägungen beruhende infektionsschutzrechtliche Entschädigungsanspruch subsidiär ist.

Zwar ist hier entgegen der von der Klägerin zuletzt ersichtlich vertretenen Auffassung § 3 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) nicht einschlägig. Denn dieser setzt voraus, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert ist. Daran fehlt es hier, denn die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht selbst an Corona erkrankt oder – was selbst bei symptomlosen Verlauf genügen würde – mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, ihre entsprechende Testung war negativ geblieben.

Der Anspruch auf Lohnfortzahlung ergibt sich vorliegend vielmehr aus § 616 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Zwar ist insoweit der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet. Die Kammer ist hier jedoch sowohl im Hinblick auf den rechtskräftigen Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Cottbus vom 16. Mai 2023 (§ 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG –) als auch unter Berücksichtigung von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht an einer Entscheidung hierüber gehindert. Vielmehr hat sie den auf eine Vergütungszahlung gerichteten Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. zum umgekehrten Fall: Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. August 2023 – 1 Sa 41/23 –, juris Rn. 62 ff.).

Gemäß § 616 Satz 1 BGB wird eine zur Dienstleistung verpflichtete Person des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass sie für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in ihrer Person liegenden Grund ohne ihr Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Dass die Bestimmung – was möglich wäre – zwischen den Beteiligten abbedungen wurde, ist nicht ersichtlich und lässt sich insbesondere den zur Akte gereichten Arbeitsverträgen nicht entnehmen.

Die Voraussetzungen des § 616 Satz 1 BGB sind hier erfüllt. Insbesondere handelt es sich nach ganz überwiegender Auffassung, der sich die Kammer anschließt, bei der Absonderung nach dem Infektionsschutzgesetz um ein persönliches Leistungshindernis im Sinne dieser Norm. Denn bei der Anordnung der Absonderung verwirklicht sich unabhängig davon, dass es sich bei der Corona-Pandemie um ein weltweites Phänomen gehandelt hat, von dem eine Vielzahl von Menschen als Ausscheider, Ansteckungs- oder Krankheitsverdächtige betroffen war, immer ein rein personenbezogener Gefahrenverdacht (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 2. Juli 2021 – 13 LA 258/21 –, juris Rn. 10; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2023 – 18 A 563/22 –, juris Rn. 76 ff. m. w. N.; Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 – 3 K 108/21.KO –, juris Rn. 26; Verwaltungsgericht Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2021 – B 7 K 21.210 –, juris Rn. 30; insoweit auch Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. August 2023 – 1 Sa 41/23 –, juris Rn. 40 ff.).

Die Klägerin war auch für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung verhindert.

Zwar wird die Frage, wann von einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB auszugehen ist, in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Die Auffassungen reichen von wenigen Tagen über Zeiträume von bis zu zehn bzw. ca. 14 Tagen bis hin zu sechs Wochen. Teilweise wird auch vertreten, dass es insoweit auf das Verhältnis der Dauer der Verhinderung einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers zur Gesamtdauer des jeweiligen Arbeitsverhältnisses ankomme. Einigkeit besteht, dass es stets auf den gesamten Zeitraum der Verhinderung ankomme, der also nicht in einen „nicht erheblichen“ und einen verbleibenden „erheblichen“ Zeitraum aufgeteilt werden kann (vgl. zum Meinungsstand: Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. August 2023 – 1 Sa 41/23 –, juris Rn. 47 ff.; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 2. Juli 2021 – 13 LA 258/21 –, juris Rn. 11).

Der hier in Rede stehende Zeitraum von nur fünf Tagen Verhinderung – vom 4. bis 8. März 2022 – überschreitet die Erheblichkeitsschwelle aber in jedem Falle nicht, zumal die Klägerin bereits seit dem Jahr 2000 bei dem Beklagten beschäftigt ist.

Schließlich liegt auch kein den Anspruch ausschließendes Verschulden der Klägerin vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten resultiert ein Verschulden insbesondere nicht daraus, dass die 2021 zwei Mal gegen Corona geimpfte Klägerin keine dritte Auffrischungsimpfung (sog. Boosterimpfung) vorweisen konnte.

Für das Verschulden im Rahmen von § 616 Satz 1 BGB gelten dieselben Grundsätze wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Danach handelt schuldhaft nur die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, die bzw. der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Hierbei handelt es sich nicht um ein Verschulden i. S. v. § 276 BGB, der das Maß an Verhaltensanforderungen des Schuldners gegenüber Dritten bestimmt. Es gilt vielmehr festzustellen, ob ein "Verschulden gegen sich selbst" vorliegt. Anders als bei der Haftung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach § 277 BGB ist dabei jedoch von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2023 – 18 A 563/22 –, juris Rn. 160 ff., sowie zu § 3 EFZG: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 –, juris Rn. 23).

Hintergrund des in § 616 Satz 1 BGB normierten Lohnfortzahlungsanspruches sind sozialpolitische Erwägungen. Zweck der Regelung ist es, die wirtschaftliche Existenzgrundlage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in dem besonderen Fall der kurzfristigen, unverschuldeten Arbeitsverhinderung zu sichern. Insofern kann die Regelung auch als Ausprägung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht angesehen werden (vgl. BeckOGK/Bieder, 1.7.2022, BGB § 616 Rn. 2; MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 616 Rn. 2). Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist das beim Verschulden zu berücksichtigende Eigeninteresse allein das Interesse der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers, Arbeitsverhinderungen zu vermeiden. Ausschließlich dieses ist Bezugspunkt eines anspruchsausschließenden Verschuldens im Sinne von § 616 Satz 1 BGB.

Im Hinblick auf die hier den Grund der Arbeitsverhinderung bildende Kontaktpersonenquarantäne der Klägerin sind keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten im oben dargelegten Sinne ersichtlich, für deren Vorliegen der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt. Namentlich ist nicht erkennbar, dass die Klägerin etwa in vorsätzlicher oder leichtsinniger Weise den engen Kontakt zu einer ihr bekanntermaßen an COVID-19 erkrankten Person gesucht hätte, obwohl dieser vermeidbar gewesen wäre. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Klägerin es leichtfertig oder vorsätzlich unterlassen hätte, Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum ihrer Absonderung, der eigentlich bis auf den 12. März 2022 bestimmt war, noch weiter zu verkürzen (vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2023 – 18 A 563/22 –, juris Rn. 164). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Absonderung am 4. März 2022, einem Freitag, begann und sich im Wesentlichen über das anschließende Wochenende erstreckte, und sich die Klägerin bereits am darauffolgenden Dienstag, dem 8. März 2022 „frei testete“.

Mit der fehlenden dritten Auffrischungsimpfung lässt sich ein Verschulden hier schon deshalb nicht begründen, weil Zweck dieser Impfung allenfalls die Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit und die Vermeidung einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Corona-Erkrankung ist, was den – hier vorliegenden – Fall der reinen Kontaktpersonenquarantäne aber nicht betrifft. Gründet sich die Pflicht zur Absonderung – wie hier – nicht auf eine Erkrankung oder Infizierung der betroffenen Person, sondern auf ihre bloße Eigenschaft als ansteckungsverdächtige enge Kontaktperson, ist die Frage der unterlassenen Schutzimpfung für die Feststellung eines ursächlichen Verschuldens vielmehr ohne Relevanz. Es kann hier daher dahinstehen, ob der Rechtsgedanke des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG überhaupt auf § 616 Satz 1 BGB übertragbar wäre (vgl. so etwa MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 616 Rn. 65; ablehnend wohl Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 –, juris Rn. 29).

Der Beklagte kann sich insoweit auch nicht erfolgreich auf Buchstabe C, Ziffer 1, lit. d Nr. 1 AV S_____ berufen. Hiernach entfiel im Geltungszeitraum der AV S_____ die Quarantänepflicht für enge Kontaktpersonen, die eine sog. Boosterimpfung erhalten haben. Der am 4. März 2022 erlassenen und gemäß ihrem Buchstaben G. damit frühestens am 5. März 2022 in Kraft getretenen AV S_____ kam jedoch für die aufgrund zunächst mündlicher Anordnung bereits am 4. März 2022 begonnene Absonderung der Klägerin schon keine (rückwirkende) Geltung zu. Zudem bestimmt die Regelung lediglich eine an das Vorliegen der Boosterimpfung anknüpfende Rechtsfolge, enthält aber keine das – den Bezugspunkt des Verschuldens bildende – Eigeninteresse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an einer Vermeidung von Arbeitsverhinderungen konkretisierende Verpflichtung oder Empfehlung, eine Auffrischungsimpfung vorzunehmen.

Der Lohnfortzahlungsanspruch bezieht sich auf das arbeitsvertraglich vereinbarte Bruttoentgelt (vgl. BeckOGK/Bieder, 1.7.2022, BGB § 616 Rn. 43). Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Klägerin stehen nach § 187 Abs. 1 BGB Verzugszinsen ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu, die sich hier nach § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD SuE bestimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung: