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Kinder und Jugendhilfe sowie Jugendförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Cottbus 3. Kammer Entscheidungsdatum 13.01.2014
Aktenzeichen VG 3 L 331/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 20 Abs 4 AGSGB VIII, § 45 Abs 7 SGB 8, § 80 Abs 5 VwGO

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragstellerin.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches vom 17. Dezember 2013 gegen den Widerrufsbescheid des Landesjugendamtes Brandenburg vom 13. Dezember 2013 anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Betriebserlaubnis – wie ihn das Landesjugendamt in den Ziffern 1 bis 3 seines Bescheides vom 13. Dezember 2013 hinsichtlich der drei Einrichtungen der Antragstellerin in N., J. und M. verfügt hat – keine aufschiebende Wirkung. Im Rahmen seiner Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 i. V. m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO trifft das Gericht der Hauptsache eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen hat. Maßgeblich ist hierfür auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens abzustellen; sind diese im Rahmen der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offen, bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen.

Hier überwiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung der verfügten Widerrufe.

Rechtsgrundlage für den Widerruf einer Betriebserlaubnis für Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche ganztägig betreut werden, ist § 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII. Hiernach ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn das Wohl der Kinder oder der Jugendlichen in der Einrichtung gefährdet und der Träger der Einrichtung nicht bereit oder in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden. Der Behörde steht insoweit bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen kein Ermessen zu.

Hier ist mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer Gefährdung des Wohles der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen der Antragstellerin auszugehen. Dies ist der Fall, wenn aufgrund von Tatsachen eine gegenwärtige oder nahe bevorstehende, nicht unerhebliche Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Minderjährigen festzustellen ist. Als Maßstab für die geforderte Gefährdung kann auf die Vorschrift des § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abgestellt werden. Eine Gefährdung kann demzufolge etwa dann bejaht werden, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen das Wohl der Kinder oder Jugendlichen beeinträchtigt wird. Einen erfolgten Schadenseintritt erfordert das nicht, auch ist das Wohl der in einer Einrichtung zu betreuenden Minderjährigen nicht erst dann gefährdet, wenn ihr Zustand sich verschlechtert, insbesondere Rückschritte in der Entwicklung zu beobachten sind. Vielmehr reicht es aus, dass Tatsachen vorliegen, angesichts derer die negativen Folgen normalerweise zu befürchten sind (vgl. zum Ganzen: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Dezember 2008 – 12 CS 08.1417 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 34; Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 3. April 2013 – M 18 S 13.794 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 38). Orientiert an den Kriterien für die Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 45 Abs. 2 SGB VIII werden derartige Besorgnisse insbesondere dadurch begründet, dass etwa die dem Zweck und der Konzeption der Einrichtung entsprechenden fachlichen und personellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind oder die gesellschaftliche Integration oder gesundheitliche Vorsorge und medizinische Betreuung erschwert werden.

Eine Gefährdung des Wohles der Kinder und Jugendlichen folgt vorliegend aus der mit dem Zweck der Einrichtungen nicht übereinstimmenden pädagogischen Konzeption und ihrer praktischen Umsetzung. Es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass insbesondere durch die Praxis körperlicher Zwangsmaßnahmen und eine nicht ausreichende kinderpsychiatrische und –psychologische Betreuung das körperliche und seelische Wohl der Minderjährigen nicht unerheblich gefährdet ist. Hierfür stützt sich die Kammer im Rahmen des vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren maßgeblich auf den Bericht der von der Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg mit der Untersuchung der Einrichtungen der Antragstellerin beauftragten unabhängigen Kommission vom 30. Oktober 2013 (im Folgenden: Untersuchungsbericht (UB)). Anhaltspunkte für Zweifel an der Sachkunde oder Unvoreingenommenheit der Sachverständigen sind vorliegend von der Antragstellerin nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Unter Zugrundelegung dieses Untersuchungsberichtes geht die Kammer davon aus, dass zwar das von der Antragstellerin entwickelte pädagogische Konzept, dem prägend das Programm einer lerntheoretisch begründeten Verhaltensmodifikation zu Grunde liegt (vgl. Seite 40 UB), nicht von vorn herein methodisch ungeeignet im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist. Verhaltenstherapien und die darin angewandten Konditionierungsprogramme sind anerkannte psychotherapeutische Verfahren vor allem zur Behandlung sogenannter externalisierender Störungen (Aggressivität, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen), weshalb sie durchaus auch in der Arbeit mit aggressiven, delinquenten Kindern und Jugendlichen Anwendung finden (vgl. Seiten 42, 74 UB). Als problematisch ist aber die einseitige Orientierung an dieser maßgeblich auf Außensteuerung und Anpassung angelegten Methode zu bewerten, die unter Vernachlässigung etwa sozialpädagogischer, beziehungsorientierter, familiendynamischer, traumatheoretischer und systemischer Modelle, wie sie in den üblichen vorherrschenden Mischansätzen in die pädagogische Arbeit einfließen, den Blick und den emphatischen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen verengt. Dementsprechend attestiert der Untersuchungsbericht der Antragstellerin eine überstandardisierte, schematische, überreglementierte Pädagogik, der es insbesondere weitgehend an einem sozialpädagogischen und kinderpsychologischen Verstehen der betreuten Minderjährigen und ihrer Entwicklung mangelt. Diese werden primär als Erziehungsobjekte und Adressaten von Fremdzielen behandelt, Spielräume für ein individualisierendes, personenbezogenes Handeln des – durch engmaschige Handlungsanweisungen gebundenen und hauptsächlich einschränkend und kontrollierend auftretenden - pädagogischen Personals und einen positiven Beziehungsaufbau verbleiben kaum (vgl. Seiten 41 - 42, 61 - 62, 74 - 78, 112 UB).

Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Konzeption der Antragstellerin in dieser Form nicht den pädagogischen Standards und dem Zweck der Einrichtungen entspricht. Ihrem eigenen Verständnis nach operiert die Antragstellerin an der Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie, die betreuten Minderjährigen weisen erhebliche seelische Probleme bzw. Behinderungen auf, die das Eingreifen stationärer Erziehungshilfemaßnahmen bis hin zur geschlossenen Unterbringung gemäß § 1631 b BGB erforderlich gemacht haben. Gehäuft finden sich psychiatrische Diagnosen wie eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, deren Ursache in aller Regel schwere Traumatisierungen durch Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch sind, haben sich gestörte Bindungsmuster herausgebildet und weisen die Minderjährigen ein selbst- und fremddestruktives Verhalten auf. Herkunftserfahrungen, biographische Entwicklung und persönliche Ressourcen sind ebenso wie die konkreten Störungsbilder hochverschieden, weshalb auch der pädagogische und psychotherapeutische Bedarf differiert (vgl. Seite 112 - 114 UB). Die Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen stellt mithin sehr hohe Anforderungen, denen das pädagogische Personal der Antragstellerin ohne ein sozialpädagogisches und kinderpsychologisches Verstehen und ohne einen empathischen Zugang zu den Minderjährigen nicht gewachsen ist (vgl. Seiten 74 – 75, 79, 112 UB). Die daraus immer wieder entstehenden, sich negativ verstärkenden Beziehungsdynamiken zwischen dem pädagogischen Personal und den Kindern und Jugendlichen, wie sie im Untersuchungsbericht beschrieben werden, laufen dem Zweck der Einrichtungen zuwider. Die mangelnde Nachvollziehbarkeit der sozialen Auffälligkeiten, emotionalen Störungen und dysfunktionalen Verhaltensweisen der Minderjährigen führt zu Fehlreaktionen, Überforderung und aggressiven Eskalationen, was sich in einem beobachteten Überhang an Machtkämpfen und Zwangsmaßnahmen äußert, die auch zu Misshandlungen und Strafaktionen führen können (vgl. Seiten 44, 61 – 63, 76 - 79, 112 – 114 UB). Dies gilt um so mehr, als es der Antragstellerin - ausweislich der Feststellungen der Untersuchungskommission -konzeptionell wie praktisch an einer selbstreflektiven und selbstkritischen Grundhaltung fehlt, eine Auseinandersetzung mit Grenzen und Risiken des eigenen pädagogischen Ansatzes ebenso wie eine hinreichende Aufarbeitung des pädagogischen Alltags im Rahmen von Supervisionen weitgehend vernachlässigt werden (vgl. Seiten 41, 76, 79, 119 UB).

Zwar kann mit der Antragstellerin davon ausgegangen werden, dass es eine relevante Zahl von betreuten Kindern und Jugendlichen gibt, die die pädagogischen Angebote für sich nutzen und hierin Halt und Orientierung finden können. Für Minderjährige, die das pädagogische Programm dagegen nicht erreicht, die das praktizierte System der Verhaltensanpassung und Impulskontrolle ablehnen (und bekämpfen) oder hiervon entwicklungspsychologisch, unter Umständen auch kognitiv überfordert sind, existieren weder Verständnis noch Alternativen (vgl. Seiten 48, 74 - 75, 77, 112 UB). Dies kann dazu führen, dass diese Kinder und Jugendlichen teilweise über mehrere Monate bzw. mehr oder minder die gesamte Betreuungszeit hinweg in der sogenannten roten Phase verbleiben, in der sie mit stark einschränkenden Bedingungen auf niedrigster Lebensqualitätsstufe, einem weitgehenden Verlust des Subjektstatus, völlig inadäquater schulischer Betreuung und einer starken Isolation konfrontiert sind, was nach Auffassung der Untersuchungskommission ethisch im Rahmen der Jugendhilfe nicht zu rechtfertigen und fachlich kaum zu begründen ist (vgl. Seiten 44 – 45, 77, 79, 114 UB).

Mit ihrem Vortrag, im Ergebnis der in der Anfangsphase stattfindenden pädagogischen Diagnostik werde für den jeweiligen Minderjährigen ein individuelles Hilfesetting erarbeitet, wofür sie die entsprechende Passage ihrer Leistungsbeschreibung zitiert, vermag die Antragstellerin den Feststellungen der Untersuchungskommission nicht wirksam entgegen zu treten. Die konzeptionelle Behauptung erschöpft sich in der Praxis im Wesentlichen zunächst in einer schematischen, durch zahlreiche Abschreibaufgaben und dem Ausfüllen von Fragebögen bei mangelnder Differenzierung zwischen spezifischen Entwicklungsaufgaben und individuellen Entwicklungsschwierigkeiten gekennzeichneten Abarbeitung des Aufnahmeordners, während etwa für eine Beziehungsgestaltung zwischen dem Bezugsbetreuer und dem Minderjährigen wenig Platz bleibt (Seiten 62 – 63 UB). Trotz der breiten und zeitaufwändigen Diagnostikansprüche vermisst die Untersuchungskommission zudem ein sozialpädagogisches und psychodynamisches Fallverstehen (Hilfegeschichte, Familiendynamik, Lebensthemen, Entwicklungsaufgaben, Entwicklungsschwierigkeiten, vgl. Seiten 74, 112 UB), biographische Reflexionen werden standardisiert anhand von hierfür entwickelten Instrumenten vorgegeben, ohne dass die Minderjährigen in dieser Phase wissen können, wem und warum sie dies anvertrauen sollen, was insbesondere bei Erfahrungen traumatisierender Ereignissen in der Vergangenheit erneut zu Ausnahmesituationen und destruktiven Verhaltensweisen führen kann (vgl. Seiten 61, 63 UB). Eine Begleitung durch Fachärzte erfolgt nicht regelmäßig. Entsprechend illustrieren die von der Antragstellerin beispielhaft vorgelegten Abschlussberichte zur Diagnostikphase die kritische Einschätzung der Untersuchungskommission (vgl. Seiten 74, 79 UB), dass trotz der beschriebenen mehrperspektivischen Erhebung der Ausgangslage der Kinder und Jugendlichen weder eine Rekonstruktion der Hilfe- und der Problemgeschichte erfolgt noch damit zusammenhängende Versuche, Lebensthemen und Entwicklungsaufgaben hypothetisch zu bestimmen. Ein Bemühen um ein Verstehen der hinter den sozialen und emotionalen Problemen und dysfunktionalen Verhaltensweisen stehenden Störungsbilder, Traumata und Erziehungsdefizite wird ebenso wenig erkennbar wie etwa ein wertschätzender oder ressourcenorientierter Fokus.

Ohnehin vermag die Antragstellerin nicht nachvollziehbar darzulegen, dass und welche individuellen Alternativen für Kinder und Jugendliche, die das praktizierte Konditionierungsprogramm nicht erreicht, in ihren Einrichtungen zur Verfügung stehen. Passungsverhältnisse zwischen Minderjährigen in und mit hochkomplexen Schwierigkeiten und Einrichtungsstrukturen und -angeboten (darauf verweist die Untersuchungskommission, vgl. Seite 121 UB), sind nicht vorab gegeben und feststellbar, sondern müssen im Lauf des diagnostischen und therapeutischen Prozesses gesucht, erkundet und erarbeitet werden. Hierüber erfolgt im Konzept der Antragstellerin ersichtlich keine vertiefte Reflektion, die einseitige und damit verengende verhaltensmodifikatorische Ausrichtung, die starke Regulierung und Standardisierung des pädagogischen Alltags und die Vernachlässigung beziehungspädagogischer Aspekte lässt gerade wenig Spielraum für ein individualisierendes, personengeprägtes Handeln.

Die dementsprechend in der Konzeption der Antragstellerin angelegten Risiken begründen für eine erhebliche Anzahl von Kindern und Jugendlichen die greifbare Gefahr nicht nur der Stagnation ihrer Entwicklung bzw. nicht nachhaltiger Schein-anpassung, sondern im ungünstigsten Fall von negativen Lerneffekten und Retraumatisierungen.

Die darin liegende Kindeswohlgefährdung offenbart sich am deutlichsten im Bereich der sogenannten Anti-Aggressionsmaßnahmen (AAM). Nach den Feststellungen der Untersuchungskommission (vgl. Seiten 51 – 53, 77, 114 – 117 UB) ermöglichen, wenn nicht gar begünstigen Konzeption, Klima, Geist und Menschenbild, wie sie in den Einrichtungen der Antragstellerin herrschen, die fehlerhafte und missbräuchliche Handhabung körperlicher Zwangsmaßnahmen. So erscheint es der Kommission als gesichert (S. 115), dass AAM von Betreuern auch mitprovoziert wurden und dass dabei Bestrafungsabsichten für Verweigerungen wirksam wurden, ebenso könne der Eindruck entstehen, dass sie auch als pädagogisches Mittel, etwa zur Durchsetzung von Regeln eingesetzt wurden. Die der Kommission vorliegenden Erlebnisberichte spiegelten - und zwar ausdrücklich selbst bei Einkalkulierung auch falscher Angaben oder von Übertreibungen - unqualifizierte und möglicherweise aus der Kontrolle geratene pädagogische Herangehensweisen, insoweit werden alle drei Einrichtungen negativ bewertet.

Aufgrund des hohen Gefahrenpotentials körperlicher Zwangsmittel für das körperliche wie seelische Wohl insbesondere von Kindern und Jugendlichen stellen diese kein zulässiges Erziehungsmittel und Regelinstrument der Grenzsetzung dar. Ihre Anwendung ist auch und gerade im Bereich der therapeutischen Arbeit mit Minderjährigen mit selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen auf wenige ausnahmsweise Notfall- und Notwehrsituationen zu beschränken. Gerade weil diese Kinder und Jugendlichen in aller Regel selbst schwer durch Gewalterfahrungen und Missbrauch traumatisiert sind, birgt die Anwendung von Gewalt im pädagogischen Kontext die – hier beachtliche - hohe Gefahr ungünstiger Lerneffekte bis hin zu Retraumatisierungen und weiterer psychischer und physischer Schäden in sich (vgl. Seiten 51 - 52, 77, 79 UB).

Dieser Gefahr wurde, worauf der Widerrufsbescheid zutreffend verweist, in der pädagogischen Praxis der Antragstellerin ersichtlich nicht wirksam begegnet. Vielmehr hinterlassen die vorliegenden Meldungen und Protokolle über AAM den Eindruck, dass aggressive Eskalationen wenn nicht gefördert, so doch jedenfalls zugelassen wurden und AAM – bei bestimmten Jugendlichen phasenweise fast wie ein Standardprogramm – als Mittel der Grenzsetzung, Machtausübung und Unterwerfung missbraucht wurden. Unabhängig davon, dass zahlreiche Einzelfälle Gegenstand noch nicht abgeschlossener staatsanwaltlicher Ermittlungen und im Rahmen des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahrens nicht aufklärbar sind, wie überhaupt eine detaillierte Untersuchung der Fülle von protokollierten Maßnahmen den Rahmen und die Möglichkeiten des vorliegenden Verfahrens übersteigt, legen die im letzten Jahr in die Öffentlichkeit gelangten Vorwürfe und die Vielzahl ähnlich lautender Erlebnisberichte, das Andauern der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen - die entgegen dem Vortrag der Antragstellerin offenkundig keineswegs weitgehend im Sande verlaufen sind, wie anschaulich der zuletzt aufgetretene Verdacht verbotener mechanischer Fixierungen belegt - und die seitens der Untersuchungskommission getroffenen Feststellungen den Schluss nahe, dass im Einzelnen wie auch konzeptionell eine Kindeswohlgefährdung vorlag.

Der dem entgegen tretende Vortrag der Antragstellerin ignoriert die Feststellungen und Bewertungen des Untersuchungsberichtes und geht am Kern vorbei. Die Einschätzung, AAM so respektvoll und empathisch wie möglich und nur in seltenen Fällen durchgeführt zu haben, bleibt angesichts dessen bloße Behauptung, der schon die von ihr selbst zitierten Beispielsfälle widersprechen. Auch der Hinweis auf Selbst- oder Fremdgefährdung als Indikationen für die Anwendung von AAM übergeht den festzustellenden Automatismus, mit dem immer wieder verhältnismäßig niedrigschwellige Aggressionen – etwa das Werfen von Plastikbechern, Kuscheltieren oder Hausschuhen in Richtung der Betreuer, das Schlagen mit den Händen gegen Wände oder Fenster, das Treten gegen Gegenstände – zu körperlichen Zwangsanwendungen führen. Ebenso wenig setzt sich die Antragstellerin mit dem Vorwurf auseinander, dass bereits im Vorfeld derartiger Eskalationen aufkeimende Konfliktsituationen und wahrgenommene psychische Anspannungen mittels frühzeitiger Anwendung von Deeskalationstechniken entspannt hätten werden können. Die Untersuchungskommission sieht gerade im anspruchsvollen Bereich der Gesprächsführung in Konfliktsituationen und der Deeskalation bei Konflikten Kompetenzmängel des pädagogischen Personals und beschreibt den Eindruck, dass die Betreuer - bewusst und unbewusst – eben jene Aggression auch mitbefördern bzw. verstärken, denen sie sodann mit der Anwendung von AAM begegnen (vgl. Seiten 114 – 115, 119 UB).

Kontraindikationen für körperliche Zwangsmaßnahmen werden in den Handlungsanweisungen der Antragstellerin nicht deutlich beschrieben (vgl. Seiten 52, 117 UB) und ersichtlich grundsätzlich in Abrede gestellt, obwohl die Gefahr insbesondere von Retraumatisierungen bei Kindern und Jugendlichen, bei denen komplexe psychische Störungen diagnostiziert wurden, die nicht selten auf traumatische Gewalterfahrungen zurück gehen, auf der Hand liegt. Dabei geht es entgegen dem Einwand der Antragstellerin nicht um Inkaufnahme schwerster Verletzungen, sondern um eine Reduzierung von körperlichen Interventionen in Häufigkeit und Intensität auf ein absolutes Minimum sowie um den Schutz vor allem von Minderjährigen mit traumatischen Vorerfahrungen, Mehrfachdiagnosen und gesundheitlichen Problemen vor und bei körperlichen Zwangsmaßnahmen. An einem entsprechenden Problembewusstsein fehlt es der Antragstellerin ersichtlich.

Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen der Untersuchungskommission (vgl. Seiten 63 -65, 117 UB) auch die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung, besonders die Behandlung manifester psychiatrischer Störungen, die Versorgung mit Medikamenten und die Intervention bei krisenhaften Zuspitzungen in den Einrichtungen der Antragstellerin nicht hinreichend gesichert sind. Auch die hieraus zu schlussfolgernden Mängel in der medizinischen Betreuung der Kinder und Jugendlichen begründen die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls. Die dagegen erhobenen Einwände der Antragstellerin ignorieren auch insoweit die Feststellungen der Untersuchungskommission und bleiben bloße Behauptung.

So wird die zuletzt praktizierte kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung, in deren Rahmen ein externer Facharzt ein Mal im Monat je eine der Einrichtungen der Antragstellerin besucht, wobei ihm von den Betreuern ausgewählte Minderjährige vorgestellt werden, von der Kommission ausdrücklich als nicht ausreichend bewertet (vgl. Seite 117 UB); selbst die betreffenden Fachärzte haben bekundet, dass die Minderjährigen kinder- und jugendpsychiatrisch unterversorgt seien, und zwar sowohl bezüglich der psychiatrisch-medikamentöser Behandlung als auch hinsichtlich des praktisch kaum gedeckten Bedarfes an psychotherapeutischer Versorgung (vgl. Seite 64 UB wie auch Seite 117 „… bei diesen schweren Störungen ist eine rein pädagogische Umgangsweise nicht ausreichend …“). Beispielsweise ist in diesem Zusammenhang auf den von den Beteiligten thematisierten Fall eines 13jährigen Jungen zu verweisen, der allein im Zeitraum vom 1. bis 13. Juli 2012 fünf Mal von AAM betroffen war und, obwohl die entsprechende Notwendigkeit bereits nach dem ersten Mal festgestellt wurde, erst zum turnusmäßigen Termin am 26. Juli 2012 zwecks medikamentöser Einstellung dem externen Facharzt vorgestellt wurde. Beanstandet wird außerdem, dass eine Kooperation mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur begrenzt erfolgte, Krisenpläne nur unvollständig erarbeitet und Ärzte in Krisen zu spät hinzugezogen werden (vgl. Seite 117 UB). So finden sich in den vorliegenden Unterlagen Protokolle, in denen eine 14jährige Jugendliche innerhalb weniger Tage zwei Mal AAM von jeweils über sechs Stunden Dauer ausgesetzt war und ein Notarzt erst jeweils gegen Ende des Zeitraumes verständigt wurde, woraufhin beide Male eine Klinikeinweisung zur Krisenintervention erfolgen musste. Die internen Psychologinnen/Standortpsychologinnen verfügen nach den Feststellungen der Untersuchungskommission (vgl. Seite 30 UB) nicht über abgeschlossene Therapieausbildungen, insbesondere auch nicht als Kinderpsychotherapeutinnen. Gruppentherapien werden teilweise auch vom pädagogischen Personal durchgeführt und entsprachen im Fall von zwei Konsultationen der Kommission nicht annähernd dem an Gruppenpsychotherapien zu stellenden Anspruch (vgl. Seite 64 UB).

Angesichts der erheblichen Anzahl von zu betreuenden Minderjährigen mit psychischen Störungen sind derartige Mängel in der entsprechenden medizinischen Versorgung nicht hinnehmbar. Die daraus folgenden Risiken, dass psychische oder psychiatrische Probleme nicht, zu spät oder ungünstig aufgegriffen und die Minderjährigen deshalb nicht in gebotenem Maße behandelt werden sowie dass es bei den Betreuern zu Fehleinschätzungen und Überforderung und daraus folgend zu falschen Reaktionsweisen und aggressiven Eskalationen kommt, wurden von der Antragstellerin offensichtlich nicht erkannt beziehungsweise hinreichend reflektiert. Auch insoweit liegen daher Umstände vor, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine Kindeswohlgefährdung sprechen.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Situation der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen der Antragstellerin im Hinblick auf die strukturelle Vernachlässigung sozialpädagogischer und psychologischer Aspekte, die kaum differenzierte und reflektierte Anwendung pädagogischer Methoden und körperlicher Zwangsmittel und eine nicht in gebotenem Maße erfolgende psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung erhebliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung begründet, die sich in der relevanten Gefahr stagnierender oder negativer Entwicklungsverläufe, psychischer und physischer Schädigungen bis hin zu Retraumatisierungen manifestiert. Auch wenn die beschriebenen Gefährdungen nicht für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen greifen, besteht angesichts der Zielgruppe ein nicht von vorn herein anhand von Ausschlusskriterien zu beherrschendes Risiko für jeden aufgenommenen Minderjährigen, in seinem körperlichen oder seelischen Wohl beeinträchtigt zu werden.

Angesichts dessen kann im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren dahingestellt bleiben, ob aus der als unüberschaubar bezeichneten Personalsituation und dem zwischen den Beteiligten strittigen Vorwurf des Verstoßes gegen Auflagen insbesondere im Hinblick auf Eignung und Zuverlässigkeit der Antragstellerin weitere Umstände zu schlussfolgern sind, die für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung sprechen.

Die seitens des Landesjugendamtes aus den Ergebnissen des Untersuchungsberichtes gezogenen Konsequenzen, die Betriebserlaubnisse zu widerrufen, begegnet auch im Hinblick darauf keinen durchgreifenden Bedenken, dass dies gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII nur zulässig ist, wenn der Träger der Einrichtung nicht bereit oder nicht in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, einer Kindeswohlgefährdung wirksam entgegentreten zu können. Allein die vorgetragenen Wechsel in der Geschäftsführung und im Personalbestand genügen hierfür angesichts des Umstandes nicht, dass die Antragstellerin ihre Konzeption nach wie vor vehement vertritt und für überlegen hält sowie die erhobenen Vorwürfe bagatellisiert. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie die erforderlichen grundlegenden Reformen durchzuführen vermag. Schon in der Vergangenheit musste ausweislich der wiederholt aus gegebenen Anlässen verfügten weitreichenden Auflagen seitens des Landesjugendamtes nachgesteuert werden, ohne dass die Antragstellerin ersichtlich in der Lage war und ist, von sich aus eine dem Spektrum der aufgenommenen Kinder und Jugendlichen adäquate Betreuung zu gewährleisten und den neuerlich beanstandeten Mängeln entgegenzuwirken. Selbst wenn dabei die in den Einrichtungen ausgeübte Praxis auch durch die Aufsichtsbehörde nicht hinreichend kritisch hinterfragt und kontrolliert worden ist, ist es ihr nicht verwehrt, auf Grundlage der nunmehr sachverständig erhobenen Erkenntnisse die notwendigen Konsequenzen zu ergreifen. Nur am Rande sei an dieser Stelle auf die seitens der Untersuchungskommission dokumentierte Haltung des Gründers und Gesellschafters der Antragstellerin verwiesen, der hinsichtlich der durch das Landesjugendamt initiierten Entwicklung „Verwässerungen“ in Konzept und Praxis der Verhaltensmodifikation ebenso bedauert wie das Verbot der mechanischen Fixierungen, die er für ein gegebenenfalls probates Instrument in Übererregungssituationen hält (vgl. Seite 98 UB).

Die weitreichenden konzeptionellen und praktischen Mängel lassen sich ersichtlich auch nicht durch nachträgliche Auflagen beheben, was insbesondere hinsichtlich der grundlegenden methodischen Ansätze gilt, die sich in den vielfältigen Problembereichen niederschlagen. Entsprechend zielen auch die Empfehlungen der Untersuchungskommission auf eine in ihrem Umfang und Ausmaß seitens der Aufsichtsbehörde nicht umsetzbare völlige Neuorientierung der Antragstellerin (vgl. Seiten 121 – 123 UB).

Die im Rahmen der vorliegenden Entscheidung vorzunehmende Interessenabwägung fällt in Anbetracht der getroffenen Feststellungen zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Dabei ist von der in der Regelung des § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII enthaltenen gesetzlichen Wertung auszugehen. Der dort bestimmte Wegfall der aufschiebenden Wirkung soll einen effektiven Schutz der Kinder und Jugendlichen garantieren. Das Gesetz bewertet deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher als das Interesse des Trägers der Einrichtung an der aufschiebenden Wirkung, wie es dem Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdungen entspricht. Es wollte den Aufsichtsbehörden effiziente Mittel an die Hand geben, um Gefahrenlagen im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII wirksam abzuwehren (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Dezember 2008 – 12 CS 08.1417 -, a. a. O., dort Rdn. 49).

Im Hinblick auf die nach dem Vorstehenden mit hoher Wahrscheinlichkeit gegebene Kindeswohlgefährdung muss das rein wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin hier demgemäß zurücktreten. Ein auch nur vorläufiger Weiterbetrieb der Einrichtungen der Antragstellerin ist angesichts der daraus für betreute Kinder und Jugendliche resultierenden erheblichen Gefährdungen und Risiken für ihr körperliches und seelisches Wohl nicht hinnehmbar.

2. Hinsichtlich der unter Ziffer 4 des Widerrufsbescheides verfügten Betriebsuntersagung ist der Antrag bereits unzulässig.

Die Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage nicht in den Bestimmungen des achten Buches des Sozialgesetzbuches, sondern basiert auf § 20 Abs. 4 Satz 1 des brandenburgischen Ausführungsgesetzes zum achten Buch des Sozialgesetzbuches. Hiernach kann das Landesjugendamt, wenn eine Einrichtung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird, den weiteren Betrieb untersagen. Die gesetzliche Bestimmung des Sofortvollzuges in § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII gilt hierfür nicht, selbst wenn die Betriebsuntersagung – wie hier – nach einem Widerruf der Betriebserlaubnis erfolgt (vgl. Mann in Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 45, Rdn. 41 f.).

Da eine Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hinsichtlich der Verfügung in Ziffer 4 nicht erfolgt ist, hat der Widerspruch der Antragstellerin insoweit aufschiebende Wirkung, so dass es der beantragten Anordnung nicht bedarf. Selbst wenn der Antrag in einen entsprechenden Feststellungsantrag umzudeuten wäre, fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, nachdem in ihren Einrichtungen tatsächlich seit dem 20. Dezember 2013 keine Minderjährigen mehr betreut werden und sie im Hinblick darauf, dass gemäß § 104 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII eine Einrichtung ohne Erlaubnis betreibt, kein schützenswertes Interesse daran hat, den Betrieb wieder aufzunehmen.

Unabhängig von der Frage, ob sich mit der Betriebseinstellung zum 20. Dezember 2013 der Antrag hinsichtlich der in der Ziffer 5 des Bescheides aufgenommenen Zwangsgeldandrohung erledigt hat, besteht jedenfalls mit Blick auf die obigen Erwägungen ein überwiegendes privates Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.