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Dienstunfähigkeit, Pensionierung ohne Antrag, Anhörung des Beamten, Mitbestimmung des Personalrats, Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens, maßgeblicher Zeitpunkt


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 22.01.2025
Aktenzeichen OVG 4 N 54/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0122.OVG4N54.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 26 BeamtStG, § 41 LBG BE, § 79 Abs 2 PersVG BE, § 88 Nr 10 PersVG BE, § 28 VwVfG

Leitsatz

Zum Zeitpunkt der Anhörung eines Beamten und der Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens, wenn der Berliner Dienstherr die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit beabsichtigt. Dem Personalrat ist der Vorgang einer beabsichtigten Zwangspensionierung nach Ablauf der Äußerungsfrist des Beamten nicht erneut zur Mitbestimmung vorzulegen.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. August 2024 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 48.338 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Gericht prüft nur die vom Kläger dargelegten Gründe (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Gemessen an dessen Darlegungen hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers gegen seine vorzeitige Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zu Recht abgewiesen.

Der Kläger meint, die Berufung sei wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist es erforderlich, dass eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht geklärte, konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und dazu erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung in einem Berufungsverfahren geklärt werden muss (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. März 2020 – OVG 10 N 41.17 – juris Rn. 23). Die Frage von grundsätzlicher Bedeutung muss ausformuliert werden (OVG Münster, Beschluss vom 1. April 2020 – 10 A 2667/19 – juris Rn. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich der Rechtsmittelführer mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen nicht der Vorinstanz zu folgen sei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – 1 B 22.23 – juris Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Dezember 2024 – 10 N 74/23 – juris Rn. 15). Einer Rechtsfrage fehlt die grundsätzliche Bedeutung, wenn sie mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (entsprechend BVerwG, Beschluss vom 4. September 2024 – 3 B 22.23 – juris Rn. 7) oder wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2024, § 124 Rn. 32).

Der Kläger stellt die Fragen,

ob eine Dienststelle den Personalrat im Rahmen des § 88 Nr. 10 PersVG ordnungsgemäß beteiligt, wenn sie bereits vor Ablauf der Einwendungsfrist des § 41 Abs. 2 Satz 1 LBG seine Zustimmung zur Zurruhesetzung einer Dienstkraft (die der Beteiligung nicht widersprochen hat) beantragt und später für ihre Entscheidung nach § 41 Abs. 2 Satz 2 LBG über die Zurruhesetzung bzw. Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht die Zustimmung beantragt bzw.

ob der richtige Zeitpunkt des Antrags der Dienststelle auf Zustimmung zur vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand ohne eigenen Antrag erst gegeben ist, wenn die Einwendungsfrist des § 41 Abs. 2 Satz 1 LBG verstrichen ist und danach die Entscheidung beabsichtigt ist, die Dienstkraft wegen Dienstunfähigkeit zwangsweise zu pensionieren.

Diesen Fragen fehlt die grundsätzliche Bedeutung, weil sie, soweit sie nicht bereits höchstrichterlich entschieden sind, mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens eindeutig beantwortet werden können. Danach steht fest, dass die Mitbestimmung des Personalrats aufgrund des Berliner Landesrechts nicht (erneut oder erstmals) beginnt, nachdem die in § 41 Abs. 2 Satz 1 LBG geregelte Einwendungsfrist des Beamten verstrichen ist und die Dienstbehörde vor der Entscheidung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 LBG steht.

Im Einzelnen: Die Dienststelle unterrichtet die Personalvertretung von der beabsichtigten Maßnahme und beantragt die Zustimmung (§ 79 Abs. 2 Satz 1 PersVG). Beabsichtigt ist eine Maßnahme dann, wenn der Willensbildungsprozess beim Dienststellenleiter mit Blick auf den Gegenstand des Mitbestimmungsrechts abgeschlossen ist, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung annimmt (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2015 – 5 P 8.14 – juris Rn. 15 und vom 18. März 2008 – 6 PB 19.07 – juris Rn. 4; ebenso Binkert, in: Germelmann/Binkert/Germelmann, PersVG Berlin, 4. Aufl. 2022, § 79 Rn. 17; Gerhold, in: Lorenzen/​Gerhold/​Schlatmann u.a., BPersVG, Stand Februar 2022, § 70 Rn. 32; Ricken, in: BeckOK BPersVG, Stand 1. Oktober 2024, § 70 Rn. 37; undeutlich Daniels, in: Daniels/Kunze/Pätzel/Witt, PersVG Berlin, 5. Aufl. 2023, § 79 Rn. 3). Auf diesen Zeitpunkt stellt auch die beamtenrechtliche Anhörungspflicht ab. Hält die oder der Dienstvorgesetzte oder die Dienstbehörde die Beamtin oder den Beamten für dienstunfähig und beantragt die Beamtin oder der Beamte die Versetzung in den Ruhestand nicht, so teilt die Dienstbehörde der Beamtin oder dem Beamten oder ihrer oder seiner Vertreterin oder ihrem oder seinem Vertreter mit, dass die Versetzung in den Ruhestand beabsichtigt ist (so § 41 Abs. 1 Satz 1 LBG). Beide Rechtskreise stellen auf den Zeitpunkt ab, in dem sich eine Erwägung des Dienstherrn zur Absicht verdichtet.

Das ist vom Bundesverwaltungsgericht nicht nur allgemein, sondern sogar speziell für die Fälle der Pensionierung von Beamten wegen Dienstunfähigkeit ebenso entschieden worden (BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2006 – 2 B 31.06 – juris Rn. 8: „normalerweise“). Allerdings hängt die Beteiligungspflicht der Personalvertretung bei der vorzeitigen Zurruhesetzung von Beamten je nach Landesrecht von deren Antrag ab, wenn sie überhaupt vorgesehen ist (vgl. von Roetteken, in: von Roetteken/​Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand März 2023, § 26 Rn. 573 f.; siehe zum Bundesrecht das Rundschreiben zur Dienstunfähigkeit sowie zur begrenzten Dienstfähigkeit des Bundesministeriums des Innern vom 16. Juli 2021, Nr. 6.2. mit Nr. 5.2., GMBl 2021 Nr. 44/45, S. 962). Ist ein Antrag des Beamten auf Beteiligung des Personalrats erforderlich, muss der Dienstherr, wenn er die Zurruhesetzung beabsichtigt, den Betroffenen zunächst anhören und kann die Personalvertretung erst auf dessen Antrag beteiligen. Dabei wird eine Überlegungsfrist für den Beamten von zwei Wochen für angemessen gehalten (von Roetteken, in: von Roetteken/​Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand März 2023, § 26 Rn. 575). In solchen Fällen fallen die Zeitpunkte, zu denen die Anhörung des Beamten und die Beteiligung des Personalrats ausgelöst werden, auseinander.

Das trifft indes nicht auf das Personalvertretungsgesetz des Landes Berlin zu, denn es räumt dem Beamten nicht ein Antrags-, sondern ein Widerspruchsrecht ein. Gemäß § 88 Nr. 10 PersVG bestimmt der Personalrat in Angelegenheiten der Beamten mit bei vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand ohne eigenen Antrag, soweit der Beamte der Mitbestimmung des Personalrats nicht widerspricht.

Bei dieser Gesetzeslage könnten sich die Fragen stellen, ob die Pflichten zur Anhörung des Beamten und zur Mitbestimmung durch den Personalrat gleichzeitig ausgelöst werden und dessen Mitbestimmungsrecht solange besteht, wie die Dienstkraft nicht ausdrücklich widerspricht (so Pätzel/Witt, in: Daniels/Kunze/Pätzel/Witt, PersVG Berlin, 5. Aufl. 2023, § 88 Rn. 28) oder ob der Dienstherr wegen des Widerspruchsrechts des Beamten erst eine angemessene Zeit abwarten muss, bevor er den Personalrat beteiligt (in dieser Richtung C.-H. Germelmann, in: Germelmann/Binkert/Germelmann, PersVG Berlin, 4. Aufl. 2022, § 88 Rn. 61 f.), und ob eine Überlegungsfrist für den Beamten von zwei Wochen angemessen ist (entsprechend von Roetteken, in: von Roetteken/​Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand März 2023, § 26 Rn. 575).

Diese Fragen stellt der Kläger nicht. Die von ihm stattdessen formulierten Fragen verdeutlichen seine Ansicht, dass die Anhörung des Beamten gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 LBG noch der Feststellung der Dienstunfähigkeit diene und die Entscheidung zur Zwangspensionierung eigentlich erst oder wenigstens erneut getroffen werde, wenn der Beamte sich hat äußern können. Das trifft so jedoch nicht zu. Der Kläger verkennt die Phasen eines Zurruhesetzungsverfahrens ohne entsprechenden Antrag des Beamten. Bestehen beim Dienstherrn noch Zweifel über die Dienstunfähigkeit eines Beamten, werden diese nach § 39 Abs. 1 LBG durch eine angewiesene ärztliche bzw. psychologische Untersuchung ausgeräumt. Sodann ergeht aufgrund von § 40 LBG die Entscheidung des Dienstvorgesetzten (Abs. 1), letztlich der Dienstbehörde (Abs. 2) darüber, ob der Beamte für dienstunfähig gehalten wird (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LBG). Hegt der Dienstherr die Absicht, den Beamten wegen der Dienstunfähigkeit zu pensionieren, hört er ihn gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 LBG an. „Danach entscheidet die Dienstbehörde über die Versetzung in den Ruhestand“, wie es in § 41 Abs. 2 Satz 2 LBG heißt. Sie erlässt den beabsichtigten Bescheid oder gibt die Absicht zur Zwangspensionierung auf.

Anders als der Kläger meint, verdeutlicht § 41 Abs. 2 LBG mit seinen beiden Regelungen die Pflicht der Dienstbehörde, die Äußerung des Beamten einzuholen und ergebnisoffen zu würdigen. Hegte sie vor der Anhörung die Absicht, den Beamten wegen Dienstunfähigkeit zu pensionieren, dann könnte sie nunmehr in Auseinandersetzung mit dessen Einwänden ihre Ansicht geändert haben. Das betrifft nicht nur den Fall, dass womöglich eingereichte privatärztliche Äußerungen die (Wiederherstellung der) Dienstfähigkeit belegen oder ankündigen. Die Einwände des Betroffenen können auch den Entschluss der Dienstbehörde bewirken, anstelle der Zurruhesetzung andere Maßnahmen zu ergreifen (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3, § 27 BeamtStG). Der zur Anhörung verpflichtete Staat darf sich den Argumenten der Betroffenen nicht versperren (vgl. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 28 Rn. 5 und insbesondere Rn. 38). Ebenso muss die Möglichkeit bestehen, dass der Personalrat sich mit besseren Argumenten durchsetzt (BVerwG, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – 6 PB 17.10 – juris Rn. 8 zu § 84 PersVG Berlin). Absicht gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 LBG und § 79 Abs. 2 Satz 1 PersVG ist richtigerweise der behördliche Entschluss zu einer bestimmten Maßnahme verbunden mit der Bereitschaft, den Entschluss im Fall besserer Argumente wieder aufzugeben. Eine behördliche Vorfestlegung, an der Zwangspensionierung ohne Rücksicht auf alle Einwände festzuhalten, wäre rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 6 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).