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Flughafen Berlin-Brandenburg, Schallschutz, Lärmschutz, Selbständiges Beweisverfahren, Rechtliches Interesse (verneint), Amtsermittlungsgrundsatz, Behörde (verneint), Juristische Person des Privatrechts, Ermittlungspflicht, Planfeststellungsbeschluss, Lärmschutzbereich, Streitwert


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 04.02.2025
Aktenzeichen OVG 6 A 4/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0204.OVG6A4.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 3 Abs 1 GG , § 98 VwGO , § 485 ZPO , § 24 Abs 1 VwVfG , Anlage 2 FlugLärmSBBbgV , § 52 Abs 3 GKG

Leitsatz

Zur Frage der Durchführung eines selbständgen Beweisverfahrens zur Ermittlung des Anspruchs auf passiven Schallschutz.

Tenor

Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin beantragt die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Nähe des Flughafens Berlin-Brandenburg. Sie bekundet, die Antragsgegnerin habe im Jahre 2014 einen Voranschlag in Höhe von 36.085,76 Euro in Bezug auf die für Lärmschutz zu erwartenden Kosten erstellt. Dort seien zwei zum Wintergarten gerichtete Türen nicht aufgeführt worden. Die Preise seien auf der Grundlage der Verhältnisse des Jahres 2014 ermittelt worden. Der Wintergarten müsse gedämmt werden. Er sei beheizbar, als Nutzfläche in der Baugenehmigung ausgewiesen und in den Wohnraum integriert. Das Dach des Wintergartens sei in Glas und nicht, wie der Bauantrag es vorgesehen habe, in Kunststoff ausgeführt. Im Jahr 2024 habe die Antragsgegnerin auf Betreiben der Antragstellerin ein aktualisiertes Leistungsverzeichnis vorgelegt, das nur noch Kosten in Höhe von 20.405,47 Euro vorgesehen habe. Eine von der Antragstellerin befragte Fachfirma habe allein für Material zusätzlich 10.044,86 Euro veranschlagt. Die zweite Tür vom Wintergarten zum Küchenbereich, die Nebenarbeiten und eventuell erforderliche Lüfter seien dabei noch nicht berücksichtigt. Über die Dämmung des Wintergartens gebe es keine Aussagen der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin meine, es müssten die Preise aus dem Jahr 2014 angesetzt werden, der Küchenbereich sei kein Wohnraum und die Einordnung des klägerischen Grundstücks in die „Lärmklasse“ sei richtig. Die Antragstellerin habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. Juni 2024 zur Anerkennung der streitigen Punkte aufgefordert. Eine derartige Anerkennung sei in der Erwiderung der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2024 nicht erfolgt.

Das Landgericht Cottbus (1 OH 3/24) hat das Verfahren durch Beschluss vom 22. August 2024 an das OVG Berlin-Brandenburg verwiesen.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. Der Sachverständige soll feststellen, dass das Grundstück der Antragstellerin im K_____, im Lärmbereich des BER (Flughafen bei Berlin) liegt und mit welchen Lärmspitzen und Dauerlärmpegeln dort zu rechnen ist.
  2. Der Sachverständige soll feststellen, welche Lärmdämmmaßnahmen zu ergreifen sind. Dabei soll der Sachverständige alternativ aufstellen, welche Maßnahmen bei einer Lärmsanierung inclusive Wintergarten und ohne Wintergarten entstehen.
  3. Der Sachverständige soll den Aufwand für die erforderlichen sach- und fachgerechten Lärmdämmmaßnahmen im Einzelnen ermitteln.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Die Voraussetzungen der § 98 VwGO, § 485 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Hiernach kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

Weder hat die Antragsgegnerin der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zugestimmt noch ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin konkrete Anhaltspunkte dafür, ein Beweismittel gehe verloren oder seine Benutzung werde erschwert.

Auch die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 98 VwGO, § 485 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.

Gemäß § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist dabei anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Für die von der Antragstellerin begehrte Feststellung zu dem Lärmschutzbereich (Ziffer 1 ihres Antrags) ist ein rechtliches Interesse nicht ersichtlich, weil sich der Lärmschutzbereich einschließlich der jeweiligen dB-Werte schon aus der Brandenburgischen Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg (FlugLärmSBBbgV) vom 7. August 2013 (GVBl. II Nr. 61) ergibt. Anlage 2 der Verordnung beschreibt die Ausdehnung der jeweiligen Zonen. Das Land Brandenburg hat zudem die maßgeblichen Informationen im Internet veröffentlicht (vgl. https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/umwelt/immissionsschutz/laerm/fluglaerm-ber/#).

Für die Klärung der Fragen 2 und 3 im Wege des selbständigen Beweisverfahrens kann die Klägerin ebenfalls kein rechtliches Interesse geltend machen.

Eine der zivilrechtlichen Situation vergleichbare „Beweispflicht“ der Antragstellerin besteht im öffentlichen Recht nicht. Das öffentliche Recht wird in allen Verfahrensordnungen durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Gegenstand des Amtsermittlungsgrundsatzes ist, dass die zuständige Behörde im Rahmen ihrer verwaltungsverfahrensrechtlichen Pflicht zur Amtsermittlung (§ 24 Abs. 1 VwVfG) die erforderliche Sachaufklärung selbst zu betreiben und gegebenenfalls ein Gutachten einzuholen hat.

Die Antragsgegnerin ist zwar keine Behörde, sondern eine juristische Person des Privatrechts. Sie hat jedoch gegenüber Lärmbetroffenen eine § 24 Abs. 1 VwVfG vergleichbare Pflicht zur eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts.

Die Antragsgegnerin hat ihr Handeln an dem Planfeststellungsbeschluss „Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld“ vom 13. August 2004 in seiner derzeit gültigen Fassung (PFB) auszurichten. Gemäß Teil A II Ziffer 5.1.2 Nr. 1 Satz 3 und Ziffer 5.1.3 Nr.1 Satz 3 PFB ist sie es, die als Trägerin des Vorhabens für geeignete Schallschutzvorrichtungen zur Erreichung der jeweils formulierten Schallschutzziele „Sorge zu tragen“ hat. Dabei hat sie nach Ziffer 5.1.2. Nr. 1 Satz 5 PFB und Ziffer 5.1.3. Nr. 1 Satz 6 PFB die Kosten für den Nachweis, die Einzelfalluntersuchung und die geeigneten Schallschutzvorrichtungen zu übernehmen.

Auch bei der Prüfung der Ansprüche verfährt die Antragsgegnerin vergleichbar einer Behörde, die einen (ganz oder teilweise ablehnenden oder stattgebenden) Bescheid erlässt. Sie ist dabei gehalten, die verfahrensrechtlichen und materiellen Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses unter Beachtung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG umzusetzen. Sie wird nur auf Antrag der Lärmbetroffenen tätig und prüft sodann das Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen nach einem bestimmten Schema, das auch durch die Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses geprägt wird. Kommt es zwischen der Antragsgegnerin und Lärmbetroffenen zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzungen, steht zur Klärung der Fragen der Verwaltungsrechtsweg offen (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2021 - OVG 6 A 8/20 -, juris, Rn. 171).

Ein rechtliches Interesse der Antragstellerin für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens besteht (auch) in dieser Konstellation nicht. Die Antragsgegnerin kann und muss die erforderliche „Beweisaufnahme“ im Rahmen der ihr vom PFB zugewiesenen Aufgaben ohnehin durchführen (vgl. auch Senatsurteil vom 6. Mai 2021 - OVG 6 A 9/20 -, juris Rn. 37).

Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Antragstellerin glaubhaft machte, die Antragsgegnerin komme unter Nichtbeachtung des Grundsatzes, die erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen, ihrem Auftrag gar nicht oder fehlerhaft nach. Denn eine Untätigkeit soll nicht zu Lasten der jeweiligen Antragsteller gehen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 20. August 2019 - 5 S 2488/18 -, juris Rn. 12; VGH Kassel, Beschluss vom 20. Juli 2023 - 9 E 809/22 -, juris Rn. 21; OVG Schleswig, Beschluss vom 22. Januar 1998 - 2 M 36/97 -, juris Rn. 3, jeweils zur parallelen Frage einer Nichtbeachtung des Untersuchungsgrundsatzes des § 24 Abs. 1 VwVfG durch eine Behörde). Eine solche Glaubhaftmachung leistet die Antragstellerin nicht.

Die Antragstellerin behauptet lediglich, der Wintergarten müsse - auf Kosten der Antragsgegnerin - gedämmt werden, er sei als beheizbarer Wintergarten ausgeführt und in den Wohnraum integriert. Dass die einen Schutzbedarf im Ergebnis verneinenden Ermittlungen der Antragsgegnerin im obigen Sinne fehlerhaft gewesen seien, zeigt die Antragstellerin nicht auf. Daran ändert auch der Hinweis nichts, der Wintergarten sei „in Glas und nicht in Kunststoff ausgeführt, wie der Bauantrag“ es vorgesehen habe. Sollte die Antragstellerin an ihrer Auffassung festhalten, wäre sie gehalten, im Rahmen eines Klageverfahrens auf gerichtliche Entscheidung hinzuwirken.

Auch zu der Küche der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin ermittelt und in dem Schreiben vom 20. Juni 2024 ausgeführt, diese sei nicht als Wohnküche zu bewerten, da sie keinen wohnlichen Charakter aufweise. Inwieweit die Ermittlungen unzureichend seien, zeigt die Antragstellerin nicht auf.

Soweit die Antragstellerin beanstandet, die Antragsgegnerin habe keinen rechtsmittelfähigen Bescheid erlassen, berücksichtigt sie nicht, dass die Antragsgegnerin keine Behörde ist und daher bei der Umsetzung der im PFB vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen gegenüber den Grundstückseigentümern keine Bescheide erlässt. Ungeachtet dessen erschließt sich nicht, inwiefern ein selbständiges Beweisverfahren den aus Sicht der Antragstellerin fehlenden Bescheid ersetzen könnte.

Besteht hiernach kein rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Klärung der von der Antragstellerin aufgeworfenen zweiten Frage, so gilt dies auch für die dritte Frage, die die Kosten zur Durchführung der nach der zweiten Frage zu ermittelnden Maßnahmen behandelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Wird der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt, ist der Beschluss mit einer Kostenentscheidung zu versehen (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2022, § 98 Rn. 64; Garloff, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 1. Juli 2023, § 98 Rn. 26).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Der Senat hat den Mittelwert der von der Antragstellerin angegebenen Spanne (10.000 Euro bis 20.000 Euro) zugrunde gelegt. Von der Halbierung jenes Wertes wegen einer eilverfahrensähnlichen Konzeption des selbständigen Beweisverfahrens (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2022, § 98 Rn. 64 m.w.N.) oder einer Drittelung des Wertes (vgl. vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2022 - OVG 4 I 1/22 -, juris Rn. 11) hat der Senat abgesehen, denn die von der Antragstellerin beantragte Beweiserhebung würde die Klärung der sich in einem Klageverfahren stellenden Fragen vorwegnehmen.

Die Streitwertfestsetzung durch das LG Cottbus vom 22. August 2024 ist infolge der Verweisung gegenstandslos (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. November 1991 - 4 A 1.87 -, juris Rn. 3).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).