Gericht | LG Neuruppin 1. Zivilkammer | Entscheidungsdatum | 08.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 O 106/22 | ECLI | ECLI:DE:LGNEURU:2023:0808.1O106.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Die Klägerin ist Halterin eines Pkw VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen OHV-… Mit diesem Wagen befuhr Herr U.. M… am 21.10.2021 die Bundesautobahn 10 zwischen dem Autobahndreieck Werder in Fahrtrichtung Autobahndreieck Havelland. Er fuhr dabei hinter dem Wohnmobil eines weiteren Unfallbeteiligten. Am KM 130,0 kippte das, an der Mittelschutzplanke befestigte, Hinweisschild „Baustelle in 2 km“ beim Vorbeifahren in die Spur und durschlug zunächst das Wohnmobil, ehe es vor dem Fahrzeug der Klägerin auf die Fahrbahn fiel. Die Unfallbeteiligten hielten in der nächsten Nothaltebucht an und warteten auf die aufnehmenden Polizeibeamten, die das Schild mit seinem Standfuß von der Fahrbahn räumten. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin kontaktierte für die Schadensregulierung zunächst die A… GmbH als Verantwortliche, deren Anwalt die Haftungsübernahme zunächst zusagte. Im Folgenden verwies man die Klägerin an den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, da die A… GmbH nur auf deren Anweisung hin für die Einrichtung der Baustelle verantwortlich war. Diese Behörde verwies die Klägerin an die Autobahn GmbH des Bundes und diese wiederum an deren Versicherung, die Allianz Versicherungs-AG. Diese behauptete mit Schreiben vom 21.04.2022 schließlich, dass man für den eingetretenen Schaden nicht haften werde, da das Verkehrsschild ausreichend gesichert gewesen sei. Weitere Auskünfte erteilte die Versicherung auf Nachfrage der klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht. Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des geschädigten Fahrzeugs. Herr M… habe beim Fahren mit diesen Kfz dem fallenden Schild nicht mehr ausweichen können und es überfahren müssen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung seinerseits habe es nicht gegeben. Die nötige Vorsicht habe er walten lassen. Dadurch sei es am Wagen zu erheblichen Sachschäden gekommen. Das Verkehrsschild sei nicht hinreichend gesichert gewesen. Die Klägerin ist daher der Ansicht, die Beklagte hafte mangels Einhaltung ihrer Verkehrssicherungspflichten für den entstandenen Schaden. Der Klägerin sei durch den Unfall ein Schaden in Höhe von 9.184,39 EUR (Reparaturkosten netto: 8.193,19 EUR, 2. Kostenpauschale: 25,00 EUR 3. Kosten des Gutachters netto: 966,20 EUR) entstanden und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 821,20 EUR angefallen.
Die Klägerin beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.184,39 € zzgl. 5% über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von einer Forderung ihrer Prozessbevollmächtigten wegen der vorgerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche in Höhe von netto 821,20 € gemäß der Kostenrechnung 1272-22 La vom 23.06.2022 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie habe ihre Verkehrssicherungspflichten eingehalten. Die Baustelle werde mehrmals in der Woche durch die Autobahnmeisterei und die Baustellensicherung täglich durch die A… GmbH kontrolliert. Das Schild habe sich trotz ausreichender und fachgerechter Sicherung aufgrund eines Sturms gelöst. Am Unfallort habe zur gegebenen Zeit eine Windstärke von 100 km/h geherrscht. Sie behauptet zudem, der geltend gemachte Schaden sei nicht durch das Überfahren des Verkehrsschildes entstanden. Es liege kein eindeutig bezifferbarer, von bestehenden Vorschäden abgrenzbarer Schaden vor. Die Klägerin habe bzgl. der Vorschäden zum genauen Umfang sowie der Ursache ihrer Entstehung und zu ihrer sach- und fachgerechten Beseitigung vorzutragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Kläger kann von der Beklagte die Zahlung von 9.184,39 € nebst Zinsen und die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen.
Der Anspruch ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 839, 249 BGB wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, die der Beklagten als hoheitliche Aufgabe für den Bereich der Unfallstelle auf der BAB 10 obliegen.
Die Aktivlegitimation der Klägerin liegt vor. Sie ist Eigentümerin. Das Bestreiten der Beklagten bleibt insoweit zu pauschal, nachdem die Klägerin als Indiz für ihre Eigentümerstellung Kopien der Zulassungsbescheinigungen Teil 1 und Teil 2 vorgelegt hat.
Die Beklagte ist auch passiv legitimiert, da der heute gültige Art. 90 Abs. 2 GG die Bundesverwaltung der Bundesautobahnen vorschreibt. Mit der Verwaltung der Bundesautobahnen durch den Bund liegen Wahrnehmungs- und Sachkompetenz sowie die Finanzierungsverantwortung allein beim Bund (vgl. dazu BT-Drs. 18/11131, S. 15). Er ist damit Träger der Verkehrssicherungspflichten.
Die Beklagte haftet für die am Fahrzeug der Klägerin durch das herabgefallene Verkehrsschild entstandenen Schäden, weil sie die ihr obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht verletzt hat. Die Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine Rechtspflicht die auch die öffentliche Hand verpflichtet Gefährdungen und Schädigungen Dritter nach Möglichkeit auszuschließen. Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht sind hierbei diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ein umsichtiger und verständiger, in den vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend zur Schadensverhinderung hält. Der Inhalt, der Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich einerseits nach den berechtigten Sicherungserwartungen des Verkehrs und andererseits auch nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Sicherungsverpflichteten
Gemessen an diesen Grundsätzen stellt der den Schaden der Klägerin verursachenden Zustand des Verkehrsschildes, nämlich die unzureichenden Befestigungseinrichtungen im Zeitpunkt des Schadensereignisses, einen objektiv verkehrswidrigen Zustand im Sinne einer abhilfebedürftigen Gefahrenquelle dar. Insbesondere im Bereich einer Autobahn gehört die dauerhaft standsichere Aufstellung von Verkehrszeichen angesichts des drohenden Gefahrenpotenzials durch die mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahrenden Fahrzeuge zu den wichtigsten Pflichten des Trägers der Straßenbaulast. Soweit die Beklagte darauf verweist zum Unfallzeitpunkt am Unfallort Windgeschwindigkeiten von 100 km/h geherrscht hätten, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Um Verkehrsteilnehmer nicht lebensgefährlichen Situationen auszusetzen, müssen Verkehrsschilder derart fixiert sein, dass sie auch Einwirkungen bei solchen Windgeschwindigkeiten standhalten. Vor diesem Hintergrund genügt auch nicht der Verweis der Beklagten darauf, dass die Kontroll- und Überwachung auf die Firma A… GmbH übertragen worden seien. Offensichtlich geht die Beklagte davon aus, dass ab einer Windgeschwindigkeit von 100 km/h Verkehrsschilder sich aus ihren Verankerungen lösen dürfen, ohne dass dem Verkehrssicherungspflichtigen ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann. Dies spricht dafür, dass die Kontroll- und Überwachungspflichten ausgehend von einem fehlerhaften Maßstab betreffend den Umfang der Verkehrssicherungspflichten ausgeübt worden sind.
Hinzu kommt, dass die vorgelegten Unterlagen ungeeignet sind, die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des streitgegenständlichen Verkehrsschild zu belegen. Der vorgelegte Streckenkontrollbericht aus der Anlage BLD 2 zeigt gerade nicht auf, dass am Tag vor dem Unfall zwischen 7:01 und 14:41 Uhr die Kontrolle der späteren Unfallstelle stattgefunden hat. Auch die Abnahmeniederschrift vom 25.09.2021 aus der Anlage BLD 1 gibt keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Mangelfreiheit und ausreichende Sicherung der Beschilderung am späteren Unfalltag. Schließlich können auch die Lichtbilder aus Anlage BLD 3 die ordnungsgemäße Befestigung des Verkehrsschildes nicht darlegen, weil aus den Bildern nicht eindeutig hervorgeht, dass es sich um das betroffene Verkehrsschild bzw. dessen Standfuß handelt.
Hinsichtlich der Schadenshöhe begegnen dem Vortrag der Klägerin keine durchgreifenden Bedenken. Die Reparaturkosten i.H.v. 8193,19 € (netto) sind durch das vorgelegte Privatgutachten ausreichend belegt. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Schadensberechnung auch Vorschäden mit einbezogen worden sind, teilt die Kammer die Bedenken nicht. Aus dem Gutachten des Sachverständigen S... (Anlage K 7) ergibt sich, dass Vorschäden, nämlich Lackkratzer an der Tür vorn links und normale altersentsprechende Gebrauchsspuren berücksichtigt wurden und von den Unfallschäden deutlich abgrenzbar waren.
Erstattungsfähig sind darüber hinaus auch die Kosten des Gutachtens selbst i.H.v. 966,20 € und eine Kostenpauschale von 25 €.
Die zugesprochenen Zinsen ergeben sich als Prozesszinsen aus § 291 BGB.
Vom Ersatzanspruch umfasst ist auch die Verpflichtung der Beklagten die außergerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin zum erstatten. Da diese noch nicht beglichen wurden, können sie im Wege eines Freistellungsantrags geltend gemacht werden. Die Vermutung der Beklagten, die Rechtsschutzversicherung habe die Anwaltsrechnung bereits bezahlt, bleibt spekulativ.
Nach alledem war der Klage vollumfänglich stattzugeben.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem
Landgericht Neuruppin
Feldmannstraße 1
16816 Neuruppin
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Rechtsbehelfe, die durch eine Rechtsanwältin, einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument einzureichen, es sei denn, dass dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wobei die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen ist. Auf Anforderung ist das elektronische Dokument nachzureichen.
Elektronische Dokumente müssen
Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:
Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130a Absatz 4 der Zivilprozessordnung verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.