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Entscheidung 2 OAus 26/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 23.01.2025
Aktenzeichen 2 OAus 26/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0123.2OAUS26.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Vollstreckung der durch Urteil des 1. Vollstreckungsrichters von Gaziantep vom 22. November 2022 (Az. 2022/6607, Urteilsnummer 2022/6614) erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen abzüglich der bereits verbüßten Strafe von einem Tag, 488 Tagen und 134 Tagen sowie mit Ausnahme der Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem einbezogenen Urteil des 9. Strafgerichts erster Instanz von Gaziantep vom 14. September 2017 (Az. 2017/454, Urteilsnummer 2017/457) ist zulässig.

    Im Übrigen ist die Auslieferung unzulässig.

  2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.

  3. Die Einwendungen des Verfolgten gegen die Anordnung bzw. Fortdauer der Auslieferungshaft werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 15. August 2023 auf der Grundlage des Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft von Gaziantep vom 28. April 2023 (Az. 2017/1-1526) um Auslieferung des zur Fahndung ausgeschrieben Verfolgten mit türkischer Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Strafvollstreckung der durch „Urteil der 1. Vollstreckungsrichterschaft“ von Gaziantep vom 22. November 2022 (Az. 2022/6607, Urteilsnummer 2022/6614) erkannten Gesamtfreiheitstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen. Diese Gesamtfreiheitsstrafe, von denen der Verfolgte einen Tag, 488 Tage sowie 134 Tage bereits verbüßt hat, wurde aus sieben Einzelstrafen gebildet und beruht auf den folgenden vier in Anwesenheit des Verfolgten ergangenen Verurteilungen durch die türkische Strafjustiz:

1.

Das 4. Schwurgericht von Gaziantep verurteilte den Verfolgten am 7. Februar 2017 (Az. 2016/133, Urteilsnummer 2017/43) wegen Handelns oder Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien (Art. 188 Abs. 3, Art. 62, Art. 52 Abs. 2, Abs. 4, Art. 63 und Art. 53 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 4 Monaten sowie einer Freiheitsstrafe von 50 Tagen.

Nach der deutschen Übersetzung des Schreibens der Oberstaatsanwaltschaft Gaziantep vom 2. Mai 2023 lag diesem Urteil der Vorwurf zugrunde, dass bei einer ordnungsgemäßen Durchsuchung der Wohnung des Verfolgten am 18. März 2016 in Gaziantep 1,4 Gramm Cannabis und 376,25 Gramm Cannabis in einer weiteren Tüte, sowie 0,44 Gramm Amphetamin und 105,05 Gramm Amphetamin in einer weiteren Tüte beschlagnahmt worden seien. Unter Berücksichtigung der Vielzahl und der Art der beschlagnahmten Substanzen sowie ihrer Menge und Verfügbarkeit zum Verkauf sei das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass der Verfolgte die besagten Substanzen behalten habe, um sie zu verkaufen und auf diese Weise die ihm zur Last gelegten Straftaten des Handelns oder der Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien begangen habe.

2.

Mit Urteil des Schwurgerichts von Nizip vom 15. November 2017 (Az. 2017/28, Urteilsnummer 2017/111) wurde der Verurteilte wegen Handelns oder Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien (Art. 188 Abs. 3, Art. 62 Abs. 1, Art. 52 Abs. 2, 63 und Art. 53 Abs. 1 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 8 Monaten sowie einer Freiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Dem Verfolgten wurde nach der Sachverhaltsschilderung in dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Gaziantep vom 2. Mai 2023 und den dies ergänzenden Auslieferungsunterlagen zur Last gelegt, er habe am 15. März 2013 in Nizip zusammen mit weiteren Personen versucht, aus einem von der Polizei verfolgten Fahrzeug, das für einen Drogentransport benutzt worden sei, zu fliehen. Es habe sich dann herausgestellt, dass Drogen aus dem Fenster des Fahrzeugs geworfen worden seien. Die Menge der beschlagnahmten Drogen habe 41,485 Gramm Cannabispulver und drei synthetische Drogentabletten betzragen. Dabei seien unter Berücksichtigung der Aussagen der vermutlich gemeinsam handelnden Personen, der Menge und Qualität der beschlagnahmten Betäubungsmittel sowie der in der Akte enthaltenen Kommunikationsaufzeichnungen die oben genannten Strafen bestimmt worden.

3.

Das 12. Strafgericht erster Instanz von Gaziantep verurteilte den Verfolgten am 30. März 2017 (Az. 2016/437, Urteilsnummer 2017/150) wegen Urkundenfälschung (Art. 204 Abs. 1, Art. 62 Abs. 1, Art. 53 Abs. 1 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten.

Dem Urteil liegt nach der Sachverhaltsschilderung in dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Gaziantep vom 2. Mai 2023 und den dies ergänzenden Auslieferungsunterlagen der Vorwurf der „offiziellen Urkundenfälschung“ zugrunde. Der Verfolgte habe in dem Wissen einer gegen ihn verhängten rechtskräftigen Freiheitsstrafe am 18. März 2016 in Gaziantep ein Foto (von sich) auf einem (fremden) Personalausweis angebracht, um damit über seine Identität zu täuschen. Dies habe er gestanden. Der so gefälschte Personalausweis sei auch insoweit zur Täuschung geeignet gewesen.

4.

Mit Urteil des 9. Strafgerichts erster Instanz von Gaziantep vom 14. September 2017 (Az. 2017/454, Urteilsnummer 2017/457) wurde der Verfolgte wegen des Kaufs, Tragens oder Besitzes von nicht lizensierten Schusswaffen und Kugeln (Art. 13 Abs. 1 des Gesetzes über Schusswaffen und Messer und andere Geräte des Gesetzes Nr. 6136; Art. 62, 52, 53 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten sowie einer Geldstrafe von 500 TL verurteilt.

In diesem Urteil wurde dem Verfolgten nach dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Gaziantep vom 2. Mai 2023 Folgendes zur Last gelegt:

Am 19. März 2013 sei in Gaziantep das Auto mit dem Kennzeichen …, in dem sich der Verfolgte aufgehalten habe, von Polizeibeamten durchsucht worden. In der Tür des Fahrzeugs seien eine nicht lizenzierte Waffe mit der Seriennummer …, 7,65 mm Durchmesser, Marke … und fünf „gefüllte“ Kugeln dieser Waffe gefunden und beschlagnahmt worden. Im Rahmen der Kriminalermittlungen zu den betreffenden Waffen und Kugeln habe sich herausgestellt, dass die Waffe und die Kugeln nach dem Gesetz Nr. 6136 über Schusswaffen und Messer verboten seien.

Der Verfolgte ist in („Ort 01“), („Adresse 01“) gemeldet. Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende, die der Verfolgte ausweislich der polizeilichen Ermittlungen regelmäßig aufsucht, um seine Post abzuholen, letztmalig am 3. Juni 2024. Zudem begibt er sich einmal monatlich zu der Ausländerbehörde des Landkreises …, um die Sozialleistungen in Empfang zu nehmen. Der Verfolgte ist rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber und ausreisepflichtig. Einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit geht er nicht nach. Er ist nach islamischem Recht verheiratet und hat einen am …. Oktober 2021 geborenen Sohn. Zu dem tatsächlichen Wohnort des Verfolgten und seiner Familie liegen keine Erkenntnisse vor.

Mit Beschluss vom 1. August 2024 hat der Senat gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt nunmehr zu entscheiden, wie geschehen. Mit Beschlüssen vom 24. Oktober 2024 und 19. Dezember 2024 hat der Senat vorab jeweils die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Der Senat entscheidet nunmehr auch im Übrigen antragsgemäß.

II.

1.

Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Türkei findet nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. Oktober 2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen statt; nachrangig nach den Bestimmungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe (IRG). Die auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbk) zwischen der Botschaft der Republik Türkei und dem Auswärtigen Amt übermittelten Auslieferungsunterlagen genügen den gemäß § 10 Abs. 1 IRG, Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen. Die darin enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen enthalten nach dieser Maßgabe ausreichende Angaben zu Ort, Zeit und Art und Weise der Tatdarstellung; sie sind einer strafrechtlichen Subsumtion zugänglich und zudem ausreichend konkret beschrieben, um eine wiederholte Verfolgung oder Verurteilung wegen derselben Tat auszuschließen. Obwohl ein solches (weiteres) Erfordernis nicht bestand, sind ferner auch die Ermittlungsergebnisse bzw. Beweismittel im Einzelnen konkret aufgeführt worden.

2.

Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk, § 3 Abs. 1, 2 IRG. Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten sind sowohl nach dem türkischen Strafgesetzbuch als auch nach deutschem Recht strafbar und nach diesem im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht.

Die Taten zu 1.) und 2.) wären nach deutschem Recht als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; 34 Abs. 1 Nr. 4, KCanG; 52 Abs. 1 StGB strafbar; die Tat zu 3.) als Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB und die Tat zu 4.) als unerlaubter Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe gemäß §§ 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) WaffG in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 2 lit. b) WaffG.

3.

Vollstreckungsverjährung ist nach dem gemäß Art. 10 EuAlÜbk zu beachtenden deutschem Recht nach Maßgabe von § 79 Abs. 3 Nr. 4 StGB (Verjährungsfrist von fünf Jahren, gemäß § 79 Abs. 6 StGB beginnend mit der Rechtskraft der Entscheidung) lediglich hinsichtlich der Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des 9. Strafgerichts erster Instanz von Gaziantep vom 14. September 2017 (Az. 2017/454, Urteilsnummer 2017/457) mit der Folge eingetreten, dass insoweit die Auslieferung des Verfolgten nicht bewilligt werden darf (Tat zu I. 4.). Sie ist insoweit unzulässig. Hinsichtlich der bei Gesamtstrafenbildung berücksichtigten weiteren Verurteilungen (Taten zu 1. bis 3.) ist sowohl nach türkischem als auch nach deutschem Recht eine Vollstreckungsverjährung nicht gegeben.

4.

Ein Auslieferungshindernis gemäß § 6 Abs. 2 IRG, Art. 3 Abs. 1 und 2 EuAlÜbk liegt nicht vor.

Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten weisen keine Bezüge zu einer politischen oder mit einer solchen Zusammenhängenden strafbaren Handlung auf, so dass Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk der Auslieferung nicht entgegen steht.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse aus der Asylverfahrensakte und sein dortiges Vorbringen ergeben ferner keine ernstlichen Gründe für die Annahme, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nicht politischen strafbaren Handlung gestellt worden ist, um den Verfolgten aus auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen (Art. 3 Abs. 2 1. Alt. EuAlÜbk), oder dass der Verfolgte der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus solchen Gründen ausgesetzt wäre (Art. 3 Abs. 2 2. Alt. EuAlÜbk).

Die Behauptung des Verfolgten im Rahmen seines Asylverfahrens, die in der Türkei gegen ihn geführten Strafverfahren und die daraus resultierenden Verurteilungen seien auf der Grundlage fingierter Tatvorwürfe erfolgt, ist durch nichts belegt. Dies haben sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 26. April 2019 (7527090 - 163) als auch das Verwaltungsgericht Potsdam in seinem am 10. Mai 2022 verkündeten Urteil (VG 1 K 2434/19. A) mit schlüssiger Begründung festgestellt. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf diese Entscheidungen Bezug. Gegen die Annahme vorgetäuschter Tatvorwürfe und damit einem rechtsmissbräuchlichen Auslieferungsersuchen der türkischen Behörden sprechen aber insbesondere auch die in den übermittelten Auslieferungsunterlagen konkret aufgeführten Ermittlungsergebnisse bzw. Beweismittel. Auch das sich in der Akte des beigezogenen Asylverfahrens befindliche Urteil des Schwurgerichts von Nizip vom 15. November 2017 (Tat zu 2.) gibt keinen Anlass, von einem fingierten Tatvorwurf auszugehen. Die Täterschaft des Verfolgten wird nach den Urteilsgründen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren und plausiblen Beweiswürdigung festgestellt. Vor diesem Hintergrund liegen keine besonderen Umstände vor, die - auch mit Blick auf die Übrigen Verurteilungen - Anlass zur Prüfung des Tatverdachts geben würden (§ 10 Abs. 2 IRG). Dass der Verfolgte die Tatbegehung bestreitet und einen abweichenden Sachverhalt schildert, genügt hierfür jedenfalls nicht (vgl. Hackner in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 10 IRG Rn. 36 ff. m. w. N.).

5.

Ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 Satz 1 IRG besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass dem Verfolgten im Falle seiner Überstellung an die türkischen Behörden die Vollstreckung einer „unerträglich harten (schweren) Strafe“ droht (vgl. Gleiß/Wahl/Zimmermann in Schomburg/Lagodny, a. a. O., § 73 Rn. 60 m. w. N.).

Die Leistung von Rechtshilfe, zu der auch die Auslieferung (Überstellung) gehört, ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 IRG unzulässig, wenn sie den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, namentlich den einzelnen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) widersprechen würde. Der Kernbereich dieser unabdingbaren verfassungsrechtlichen Anforderungen ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 2 BvR 685/03, BeckRS 2003, 30321512 Rn. 29 - 31; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2021 - 2 Ausl. 178/21, 2 Ausl. 195/21, BeckRS 2021, 37765 Rn. 18). Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es deshalb verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die in dem ersuchenden Staat gegen ihn verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem Gesichtspunkt unangemessen erscheint (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 30); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. März 2016 - 1 AK 108/15, BeckRS 2016, 10529 Rn. 1). Dies gilt hingegen nicht, wenn die Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer Beurteilung allein am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte (vgl. BerfG, a. a. O. Rn.31; OLG Hamm, a. a. O.; OLG Karlsruhe, a. a. O.). Da das Grundgesetz von der Eingliederung Deutschlands in die Völkerrechtsordnung ausgeht, gebietet es zugleich, im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu beachten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2015 - 2 BvR 2088/15, BeckRS 2016, 40283, Rn. 25; OLG Hamm, a. a. O.). Das bedeutet, dass die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen - zumal auf einem Gebiet wie dem der Betäubungsmitteldelikte, auf dem sich die entsprechenden Auffassungen der einzelnen Staaten insgesamt derart unterscheiden, dass vom Bestehen eines internationalen Mindeststandards nicht gesprochen werden kann - im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2010 - 2 BvR 2299/09, BeckRS 2010, 45668 Rn. 19 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 26. Januar 2022 - Ausl 99/20, BeckRS 2022, 7116 Rn. 19). Mit Blick hierauf ist bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Auslieferung mit den in Bezug genommenen verfassungsrechtlichen Standards ein Vergleich der jeweiligen Straferwartung vorzunehmen; neben den Besonderheiten des Einzelfalls sind auch die gegebenen Umstände der Strafvollstreckung, des Strafvollzugs und der Strafaussetzung im Blick zu behalten (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 26; OLG Hamm, a. a. O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen sind weder die durch Urteil des 1. Vollstreckungsrichters von Gaziantep vom 22. November 2022 erkannte Gesamtfeiheitsstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen noch die diesem Urteil zugrunde liegenden vier Verurteilungen durch die türkische Strafjustiz im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unerträglich hart.

Dies gilt namentlich zunächst hinsichtlich der mehrjährigen Freiheitsstrafen für die Taten zu 1.) und 2.) auf der Grundlage des türkischen Betäubungsmittelstrafrechts. Zwar spricht bei der Betrachtung der Tat zu 2.) für den Verfolgten, dass er zum Zeitpunkt deren Begehung noch nicht das neunzehnte Lebensjahr vollendet hatte und nach deutschem Recht die Anwendung von Jugendstrafrecht zu prüfen gewesen wäre. Ferner ist die relativ geringe Menge der festgestellten Betäubungsmittel bzw. des Cannabis ein zu Gunsten des Verfolgten zu berücksichtigender strafmildernder Gesichtspunkt. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten ist zwar mit Blick hierauf nach deutschem Verständnis sehr hoch. Sie ist aber weder unerträglich hart noch schlechterdings - unter jedem denkbaren Gesichtspunkt - unangemessen. Denn ausweislich der dem Senat mit der beigezogenen Akte des Asylverfahrens vorliegenden Urteilsgründe handelte es sich bei dem Tatgeschehen um eine Kurierfahrt (Drogentransport), die unter Leitung des Verfolgten von mehreren Tätern arbeitsteilig und professionell aufeinander abgestimmt durchgeführt worden ist und sich nach den Urteilsgründen als Geschehen im Rahmen eines organisierten und gewinnbringenden Handels mit Betäubungsmitteln bzw. Cannabis dargestellt hat, was bei der Gesamtbetrachtung der Tat nicht nur nach deutschem sondern insbesondere auch nach türkischem Recht in erheblicher Weise strafschärfend Berücksichtigung finden musste. Ferner wird die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe dadurch relativiert, dass nach dem türkischem Strafvollstreckungs- bzw. Strafvollzugsrecht bei Verurteilungen zu zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen eine vorzeitige (bedingte) Entlassung nach Verbüßung von zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe möglich ist (Art. 107 türkisches StVollzG).

Vor diesem Hintergrund ist auch die für die Tat zu 1.) gegen den Verfolgten verhängte Freiheitsstrafe von 8 Jahren und vier Monaten angesichts der in diesem Fall erheblichen Mengen von Betäubungsmitteln und Cannabis und des von der türkischen Justiz auch insoweit angenommenen Handeltreibens mit Drogen zu Erwerbszwecken damit nicht als unerträglich hart zu werten.

Dies gilt somit im Ergebnis auch für die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Vollstreckung der erkannten und aus den aufgeführten vier Verurteilungen (durch Addition) gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen. Hierauf werden nach Mitteilung der türkischen Behörden die bereits erlittenen Haftzeiten angerechnet, so dass noch ein Strafrest von 10 Jahren, fünf Monaten und 26 Tagen verbleiben würde. In diesem Zusammenhang wäre aber zu berücksichtigen, dass aufgrund der Vollstreckungsverjährung nach deutschem Recht hinsichtlich der Tat zu 4.) die Auslieferung insoweit durch einen Spezialitätsvorbehalt zu beschränken wäre (vgl. BGH; NJW 1977, 1598; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Juli 2011 - 1 Ausl A 76/11, BeckRS 2011, 20648; Zimmermann in Schomburg/Lagodny, a. a. O., § 9 IRG Rn. 29).

6.

Ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 IRG i. V. m. Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK besteht unter den vorliegenden Umständen auch nicht mit Blick auf möglicherweise problematische Haftbedingungen im Strafvollzug der Türkei. Mit Verbalnote vom 20. Februar 2024 haben die türkischen Behörden mitgeteilt, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs Typ T in („Ort 02“) untergebracht werden wird. Sie haben unter dieser Prämisse völkerrechtlich verbindlich und einzelfallbezogen konkret zugesichert, dass die Unterbringung des Verfolgten den Anforderungen nach Art. 3 EMRK entspricht und er im Sinne dieser Regelung keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen sein wird. Ferner ist zugesichert worden, dass der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Verfolgten zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren. Solche Zusicherungen seitens der türkischen Behörden sind als belastbar anzusehen (so Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 12. Juli 2022 zu Rechtsstaatlichkeit und Haftbedingungen in der Türkei; vgl. dazu ausführlich OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2021 - 2 Ausl. 174/20, BeckRS 2021, 45583, Rn. 88 bis 97; OLG Bremen, Beschluss vom 3. Januar 2022 - 1 Ausl. A 28/20; BeckRS 2022, 177 Rn. 14 f.).

7.

Der Umstand, dass die Gesamtstrafenentscheidung der „1. Vollstreckungsrichterschaft von Gaziantep“ vom 22. November 2022 nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen in Abwesenheit des Verfolgten ergangen sein dürfte, steht der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Gesamtfreiheitsstrafe wurde allein durch Addition der zuvor gegen den Verfolgten verhängten vier Freiheitsstrafen gebildet, ohne diese neu zu bewerten. Da dem erkennenden türkischen Gericht bei der Bildung der Gesamtfreiheitstrafe insoweit kein Ermessen bei der Strafzumessung zustand und die Gesamtstrafenbildung ausschließlich das Ergebnis einer arithmetischen Rechnung ist, beruht die Gesamtstrafenentscheidung nicht auf einem Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK (vgl. EuGH, Urteil vom 10. August 2017 - C - 271/17 PPU, BeckRS 2017, 121046 Rn. 87 - 90).

8.

Zu den Einwendungen des Beistands und des Verfolgten hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihren Stellungnahmen vom 27. September 2024, 15. und 16. Oktober 2024 sowie 5. Dezember 2024 das Folgende ausgeführt:

„Entgegen der Auffassung des Beistands steht der Auslieferung nicht die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Türkei entgegen. Im Auslieferungsverfahren sind die zuständigen Stellen verpflichtet, soweit Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung im Zielstaat bestehen, im Rahmen entsprechender auslieferungsvertraglicher Regelungen - wie hier Art. 3 Nr. 2 EuAIÜbk - eigenständig zu prüfen, ob dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung politische Verfolgung droht (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2020, 62 m. w. N.). Dabei ist das Oberlandesgericht an die Entscheidung der deutschen Asylbehörde nicht gebunden (§ 6 Satz 2 AsylG). Gern. Artikel 3 Abs. 2 EuAIÜbK ist die Auslieferung unzulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte aus rassischen, religiösen, nationalen oder politischen Erwägungen verfolgt oder bestraft werden würde bzw. dass er der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus den vorgenannten Gründen ausgesetzt wäre.

Solche Gründe liegen hier auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beistands nicht vor. Der Verfolgte hat im Rahmen seiner Anhörung im Asylverfahren angegeben, Mitglied der HOP zu sein. Er habe keine konkreten Aufgaben in der HDP übernommen, sondern lediglich an Meetings und Kundgebungen teilgenommen. Es handelt sich somit um eine sehr niedrigschwellige politische Tätigkeit. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass den Verfolgten deswegen in der Türkei politische Verfolgung droht, sind weiterhin nicht ersichtlich. Dem Vorbringen des Beistands lassen sich insoweit lediglich allgemein gehaltene Ausführungen entnehmen. Konkrete Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Mitgliedschaft in der HDP und gezielte Rechtsverletzungen gerade gegenüber dem Verfolgten ergeben sich daraus nicht. Die hinsichtlich der Darstellung der Schläge, die der Verfolgte in der Haftanstalt („Ort 03“) erlitten haben will, angebrachten Zweifel, da er die behaupteten Misshandlungen gegenüber dem Mitarbeiter des BAMF erst auf Nachfrage erwähnte, obwohl die Anhörung gerade der Klärung etwaiger Asylgründe diente, werden durch das Vorbringen des Beistands nicht entkräftet. Selbst wenn man unterstellt, dass die dargestellte Misshandlung stattgefunden habe, würde es sich (jeweils) um einen einzelnen Übergriff von Mitarbeitern der Haftanstalt („Ort 03“) gehandelt haben, dessen Anlass nach den Angaben des Verfolgten nicht seine Mitgliedschaft in der HDP gewesen sei, sondern der Umstand, dass er kurdisch gesprochen habe. Diese Misshandlungen mögen einen politischen Hintergrund gehabt haben, können aber keine systematische politische Verfolgung wegen einer Mitgliedschaft in der HDP belegen. Eine Vernehmung des Verfolgten gern. § 30 Abs. 2 Satz 1 IRG oder eine mündliche Verhandlung gem. § 30 Abs. 3 IRG, um sich etwa einen persönlichen Eindruck von dem Verfolgten zu verschaffen, sind daher entbehrlich.

Dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in die Türkei in der Haft gefoltert werden könnte, ist durch die konkreten und belastbaren Zusicherungen der türkischen Behörden ausgeschlossen. Danach wird der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs Typ T in („Ort 02“) untergebracht werden. Nach den detaillierten Ausführungen der türkischen Behörden zu den dortigen Haftverhältnissen erfolgt die Unterbringung in Großzellen mit maximal 14 oder 8 Häftlingen oder in Einzelzellen. Eine Unterbringung mit bis zu 50 weiteren Personen in einer Zelle - wie der Verfolgte sie im Rahmen des Asylverfahrens für die Haftanstalt („Ort 03“) beschrieben hat - ist danach nicht möglich. Da der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nicht in der Haftanstalt („Ort 03“) aufgenommen werden wird, ist die von dem Beistand beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der dortigen Haftbedingungen nicht erforderlich. Ein solches Gutachten bedarf es auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unerträglich harten Strafe, da insoweit nur die im Falle der Auslieferung zu erwartende Strafe bzw. Strafvollstreckung zur berücksichtigen ist.

Entgegen der Auffassung des Beistands liegen besondere Umstände im Sinne von § 10 Abs. 2 IRG nicht deshalb vor, weil die Auslieferungsunterlagen der türkischen Behörden aus seiner Sicht zur Bewertung des hinreichenden Tatverdachts nicht genügen würden. Im Auslieferungsverfahren nach dem EuAIÜbk findet eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts nach § 10 Abs. 2 IRG grundsätzlich nicht statt, sondern es wird der in den Auslieferungsunterlagen mitgeteilte Sachverhalt als zutreffend unterstellt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juli 2016 - 2 BvR 1468/16 -, juris, Rn. 54; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2018 - (4) 151 AuslA 44/18 (41/18) -, jurls, Rn. 26). Das ergibt sich schon aus Art. 12 EuAIÜbk, nach welchem dem Auslieferungsersuchen lediglich das vollstreckbare Erkenntnis, der Haftbefehl oder eine entsprechende Urkunde, eine Darstellung der dem Verfolgten zur Last gelegten Handlungen und ihrer näheren Umstände, die Mitteilung des anwendbaren Rechts und Angaben über die Person des Verfolgten, nicht jedoch Unterlagen, aus denen sich der Tatverdacht ergibt, beizufügen sind. Zu den Vertragsstaaten, die grundsätzlich nur eine formelle Prüfung vornehmen, gehört die Bundesrepublik Deutschland. Das deutsche Auslieferungsverfahren ist kein Strafverfahren, sondern lediglich ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung. Es überlässt deshalb jedenfalls im vertraglichen Auslieferungsverkehr die - ganz überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegende ~ Prüfung des Tatverdachts dem ausländischen Verfahren und überträgt dem inländischen Richter, der über die Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafverfolgung zu befinden hat, nur die Prüfung der in den Auslieferungsbestimmungen geschaffenen - formellen - Sicherungen gegen eine unzulässige Unterstützung des ausländischen Verfahrens. Dem deutschen Richter ist es deshalb grundsätzlich verwehrt, bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach dem EuAIÜbk eine Prüfung des Tatverdachts (Schuldverdachts) vorzunehmen, und zwar regelmäßig auch dann, wenn er Anlass zu der Annahme hat, dass das ausländische Gericht zu Unrecht den Tatverdacht bejaht hat. Eine solche Prüfung ist nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen, nämlich dann zulässig und geboten, wenn und soweit hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht, oder die besonderen Umstände des Falles befürchten lassen, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt wäre, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstoßen würde, und die Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluss geben kann (KG Berlin a.a.O. m. w. N.).

Solche hinreichenden Anhaltspunkte liegen hier aus den im Senatsbeschluss vom 1. August 2024 genannten Gründen nicht vor.

Schließlich gibt das Vorbringen des Beistands auch keinen Anlass zur Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Tatsachen, die auf eine psychiatrische Erkrankung des Verfolgten schließen lassen könnten, werden weder mitgeteilt, noch sind diese sonst ersichtlich.

Nach der aktuellen Stellungnahme des zuständigen Vollzugsabteilungsleiters der JVA („Ort 04“) besteht bei dem Verfolgten derzeit keine akute Selbstverletzungs-/Suizidgefahr. Allerdings muss im Falle der Bekanntgabe der Entscheidung, dass dem Auslieferungsersuchen stattgegeben wird, von einer hohen Gefahr selbstverletzender/suizidaler Verhaltensweisen ausgegangen werden.

Danach besteht die Gefahr, dass der Verfolgte weiterhin versuchen könnte, mit einer Suizidankündigung und/oder selbstverletzendem Verhalten seine Auslieferung in die Türkei zu verhindern. Dieses Verhalten gibt aus hiesiger Sicht jedoch keinen Anlass, den Gesundheitszustand des Verfolgten weiter aufzuklären.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Auslieferungshindernis wegen Verstoßes gegen Art. 3 EMRK vorliegen, wenn gewichtige Gründe dafür angeführt werden, dass für den Verfolgten bei der Durchführung einer Auslieferung eine reale Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung insofern unterworfen zu werden, als die Möglichkeit einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Gesundheitsverschlechterung infolge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten und ein damit verbundenes intensives Leid beziehungsweise eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung besteht. Allerdings obliegt es dem Verfolgten, den Nachweis zu erbringen, dass es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, er laufe im Falle der Durchführung der Auslieferung tatsächlich Gefahr, einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn der Verfolgte die erforderlichen Nachweise beigebracht hat, obliegt es den Vertragsstaaten, das bestehende Risiko sorgfältig aufzuklären. Auch hinsichtlich der Frage der Reisefähigkeit kann die Durchführung einer Auslieferung ohne eine entsprechende angemessene Risikobeurteilung eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen, wenn gewichtige Gründe für eine fehlende Reisefähigkeit aufgrund einer physischen oder psychischen Erkrankung vorliegen. Gewichtige Gründe können sich auch insoweit aus Attesten und medizinischen Stellungnahmen ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 2024 - 2 BvR 1694/23, zitiert nach juris, Rn. 62 m. w. N.).

Gewichtige Gründe, die die Annahme rechtfertigen würden, dass der Verfolgte unter einer gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet, die ursächlich für die Suizidankündigung bzw. für seine Nahrungsverweigerung sein könnte, liegen nicht vor. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen des Verfolgten oder seines Rechtsbeistands. Es ist daher nicht ersichtlich, dass sein Gesundheitszustand Maßnahmen zur Verhinderung eines Suizidversuches gebieten würde.“

Schließlich steht das Grundrecht auf Schutz der Familie der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Art. 6 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass ein Ausländer als Folge der Verletzung von Strafnormen außerhalb des Bundesgebietes zur Verantwortung gezogen wird (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. März 1994 - 2 BvR 2037/93 -, NJW 1994, s. 2884; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1998 - 2 BvR 1947/98 -, veröffentlicht in JURIS). Hinter dieser Rechtsprechung steht eine Abwägung des Anspruchs auf Ehe- und Familienleben mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse bei den schweren Straftaten, die allein Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens sind, und für deren Durchsetzung die Bundesrepublik Deutschland auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen ist. Gerade aus diesem Grund unterstützt Deutschland das Strafverfolgungsinteresse anderer Staaten, um seinerseits in einem entsprechenden Fall Unterstützung zu erhalten. Die internationale Offenheit des vom Grundgesetz verfassten Staates sowie sein Interesse an der Durchsetzung des eigenen Strafanspruchs im Ausland überwiegen angesichts der typischerweise schwerwiegenden „auslieferungsfähigen" Straftaten regelmäßig die Schutzwirkung des Art. 6 GG (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. Dezember 2003 - 2 BvR 879/03 -, BVerG 2, 165 - 173). Die Abwägung im vorliegenden Fall führt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens, dass die Ehefrau des Verfolgten einen Asylantrag gestellt habe, weil ihr In der Türkei eine Zwangsheirat drohe, zu keinem anderen Ergebnis. Der Verfolgte ist wegen schwerer Straftaten, insbesondere wegen des Handels mit Betäubungsmitteln, rechtskräftig zu erheblichen Strafen verurteilt worden. Der Umstand, dass der Verfolgte durch die Verbüßung der Strafe mehrere Jahre von seiner Familie getrennt sein wird, ist eine Folge der Straftatbegehung, die ihn auch bei einer Strafvollstreckung im Inland treffen würde. Kontakte mit der Familie können durch Briefe, Telefongespräche und Besuche aufrechterhalten werden. Allein die Vermutung, dass Besuche „aufgrund der Verfolgung der Ehefrau" voraussichtlich nicht möglich seien, rechtfertigt keine andere Bewertung, zumal der geltend gemachte Asylgrund keine staatliche Verfolgung darstellen würde, sondern eine Verfolgung durch Familienangehörige. In der Türkei ist auch grundsätzlich strafrechtlicher Schutz sowie Schutz durch Einrichtungen wie Frauenhäuser vorhanden, um Frauen vor Misshandlungen zu schützen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 21. März 2023-10 A 35/23).

Soweit der Beistand erneut ausführt, die Gefahr selbstverletzender oder suizidaler Verhaltensweisen des Verfolgten stehe seiner Auslieferung entgegen, wird an der hiesigen Bewertung im Schreiben vom 15. Oktober 2024 festgehalten. Neue Tatsachen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden, lassen sich dem Schriftsatz nicht entnehmen. Insbesondere wird die pauschale Behauptung, die von dem Verfolgten geäußerte Suizidabsicht würde auf einer Depression beruhen, nicht belegt. Allein die von dem Beistand erwähnten Umstände, dass der Verfolgte im Aufnahmegespräch einen ziemlich niedergeschlagenen und bedrückten Eindruck gemacht habe und von Suizidalität ausgegangen werde, lassen diesen Schluss nicht zu.

Das Vorbringen des Beistands ist ferner nicht geeignet, die Belastbarkeit der vom türkischen Staat abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen in Zweifel zu ziehen. Das Justizministerium der Türkei hat zugesichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs Typ T in („Ort 02“) untergebracht werden wird, in der die Haftverhältnisse den Anforderungen nach Art. 3 EMRK entsprechen. Diese Zusicherung wird von dem Auswärtigen Amt als belastbar angesehen. Dass die Unterbringung in dieser Haftanstalt tatsächlich eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Verfolgten im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen würde, wird von dem Beistand nicht behauptet. Dies ergibt sich auch nicht aus dem beigefügten Urteil des Obersten Gerichtshofs in London vom 17. September 2024. Das Gericht sieht die Gefahr einer unzulässigen Behandlung der ausgelieferten Personen vielmehr dann, wenn diese entgegen der Zusicherung zunächst in anderen Haftanstalten der Türkei untergebracht werden wegen der dort herrschenden Haftbedingungen (Rn. 88). Eine Überbelegung der Haftanstalt („Ort 02“) verneint das Gericht ausdrücklich (Rn. 17). Ausweislich der Urteilsgründe wurden in fünf von sechs Fällen Personen, die mit der Zusicherung einer Unterbringung in der Haftanstalt („Ort 02“) an die Türkei ausgeliefert wurden, nach ihrer Ankunft in der Türkei zwischen 12 und 28 Tage in einer anderen Haftanstalt untergebracht, bevor sie in die Haftanstalt („Ort 02“) überstellt wurden (Rn. 22ff, 87). Das Gericht geht nicht davon aus, dass damit absichtlich gegen die abgegebene Zusicherung verstoßen worden sei. Vielmehr handele es sich um Fehler bei der Kommunikation bzw. Organisation des Transports der Gefangenen (Rn. 91. 94). Ferner wird berücksichtigt, dass einige Fälle während der Covid-19-Pandemie stattfanden, wobei allgemein bekannt sei, dass Covid-19 die Schwierigkeiten, unter denen Personen in Haft leiden, noch verstärkt habe (Rn. 89).

Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass es sich bei den im Urteil genannten Fällen um Einzelfälle handelte, die die Fähigkeit und den Willen der türkischen Behörden, die abgegebenen Zusicherungen einzuhalten, nicht in Frage stellen. Ferner ist anzunehmen, dass die türkischen Behörden auch anlässlich der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs jeweils einen unverzüglichen Transport der überstellten Person in die Haftanstalt („Ort 02“) gewährleisten werden.

Es besteht bereits deshalb kein Anlass, die von dem Beistand beantragten Auskünfte einzuholen. Insbesondere sprechen die in den Urteilsgründen genannten Belegungszahlen der Haftanstalt („Ort 02“) gegen eine vom Beistand gemutmaßte Überbelegung.

Schließlich ist auch die Forderung des Beistands auf Beiziehung der türkischen Strafakten zu dem Urteil des Schwurgerichts von Nizip vom 15. November 2017 (Az. 2017/28), durch das der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 8 Monaten verurteilt wurde, abzulehnen. Die Ausführungen zu der Beweiswürdigung des türkischen Gerichts rechtfertigen es nicht, die vertraglich nicht vorgesehene Prüfung des Tatverdachts(§ 10 Abs. 2 IRG) durchzuführen. Dies gilt auch für die gleichlautende Forderung des Verfolgten in seinem Schreiben vom 19. November 2024. Insoweit wird ergänzend auf die hiesige Stellungnahme vom 27. September 2024 Bezug genommen.

Die Befürchtungen des Verfolgten hinsichtlich der Haftbedingungen werden durch die von der Türkei abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen entkräftet. Das Vorbringen zu seiner familiären Situation begründet ebenfalls kein Auslieferungshindernis. Die mit der Auslieferung verbundene Trennung des Verfolgten von seiner Familie stellt keinen außergewöhnlichen Härtefall dar, welcher den Kernbestand der sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergebenden Garantie der Achtung seines Privat- und Familienlebens verletzen könnte. Es handelt sich dabei vielmehr um eine hinzunehmende Folge der Strafvollstreckung und damit der Straftatbegehung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg schließt sich der Senat an und merkt ergänzend an:

Im Auslieferungsverfahren nach dem - wie hier - Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) findet eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts nach § 10 Abs. 2 IRG grundsätzlich nicht statt, sondern der in den Auslieferungsunterlagen mitgeteilte Sachverhalt wird als zutreffend unterstellt (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2023 - 1 Oaus 12/23 (S), BeckRS 2023, 37552 Rn. 11 m. w. N.). Ausnahmsweise kann eine Tatverdachtsprüfung dann geboten sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Verletzung elementarer Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens vorliegen (vgl. OLG Brandenburg, a. a. O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Juni 2020 - Ausl 301 AR 20/20, BeckRS 2020, 10958 Rn. 10 und Rn. 12 m. w. N.). Der Senat vermag aber nicht zu erkennen, dass der Verfolgte jeweils unter Verletzung elementarer Grundsätze eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens zu Unrecht verurteilt worden ist. Die dahingehenden Behauptungen des Verfolgten sind auch nicht so substantiiert, dass die dem Senat obliegende Sachaufklärungspflicht die Durchführung weiterer Nachforschungen bzw. eine Anhörung des Verfolgten gebieten würde.

Der Senat hat die Personal- und Krankenakte des Verfolgten beigezogen. Daraus haben sich keine fundierten Hinweise auf eine auf einer psychischen Erkrankung bzw. Störung beruhenden Suizidalität ergeben. Vielmehr wurde der vom Verfolgten im Falle seiner Auslieferung an die türkischen Behörden angekündigte Suizid als Drohmittel verstanden. Der Senat hat sich vor diesem Hintergrund nicht veranlasst gesehen, zur Aufklärung einer möglichen Suizidalität des Verfolgten aufgrund eines behaupteten psychischen Defekts ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Schließlich begründet auch die vom Verfolgten geltend gemachte Erkrankung seines dreijährigen Sohnes (Autismus) und die starke Beziehung zwischen ihnen als besondere familiäre und persönliche Situation kein Auslieferungshindernis gemäß § 73 IRG, Art. 6 GG, Art. 8 MRK. Insoweit ist eine Abwägung der persönlichen und familiären Interessen des Verfolgten mit dem Strafverfolgungsinteresse des ersuchenden Staates vorzunehmen, wobei regelmäßig das Strafverfolgungsinteresse überwiegt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2021 - 2 Ausl. 174/20, BeckRS 2021, 45583 Rn.100 m. w. N.). Dies ist hier angesichts der dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Strafvollstreckung einer hohen Gesamtfreiheitsstrafe der Fall. Auch nach deutschem Recht würden die in Rede stehenden familiären Belange einer Strafvollstreckung grundsätzlich nicht entgegenstehen und es würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Familienlebens mit einer räumlichen Trennung zwischen Vater und minderjährigem Kind kommen. Der Senat hat in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass die Strafvollstreckung in der Türkei voraussichtlich zu einer außerordentlichen Beeinträchtigung des Familienlebens führen wird und mit einer besonderen Gefahr der Entfremdung, insbesondere bei Kleinkindern, einhergeht. Dennoch überwiegt unter den vorliegenden Umständen bei einer Abwägung das Strafverfolgungsinteresse des ersuchenden Staates gegenüber dem Anspruch des Verfolgten auf Schutz seines Familienlebens, der ohnehin nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen Geltung beanspruchen kann (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Besonderes und ausschlaggebendes Gewicht kommt insoweit der Höhe der zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe und damit auch die darin abgebildete Schwere der den Verurteilungen nach türkischem Recht zu beurteilenden Taten zu, sowie dem Umstand, dass sich der Verfolgte dem staatlichen Anspruch der Türkei auf Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe durch Flucht entzogen und erst danach die nunmehr im Raum stehenden besonderen familiären Umstände (durch Heirat und Geburt seines Sohnes) selbst herbeigeführt hat (vgl. OLG Hamm., a. a. O.).

9.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG) besteht auch weiterhin fort. Der Verfolgte wird im Falle seiner Überstellung an die türkischen Behörden mit der Vollstreckung einer besonders hohen Freiheitsstrafe zu rechnen haben. Der daraus herzuleitende Fluchtanreiz wird nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht durch hinreichend belastbare familiäre, soziale ober berufliche Bindungen ausgeräumt. Zudem hat sich der Verfolgte nach den Erkenntnissen aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen der weiteren Strafvollstreckung in der Türkei durch Flucht entzogen und im Verlauf des vorliegenden Verfahrens durch seine Eingaben und Einwendungen gegen seine Überstellung an die türkischen Behörden deutlich zu erkennen gegeben, dass er sich dem Auslieferungsverfahren nicht freiwillig stellen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 1 IRG bieten vor diesem Hintergrund keine ausreichende Gewähr, die Auslieferung sicherzustellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem Vollzug der Auslieferungshaft nicht entgegen.