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Entscheidung 2 ORbs 191/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 19.12.2024
Aktenzeichen 2 ORbs 191/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:1219.2ORBS191.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

  2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 24. September 2024 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Cottbus zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Gemeinde …/…– Zentrale Bußgeldstelle – verhängte gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 7. November 2023 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h eine Geldbuße von 200 €.

Das Amtsgericht Cottbus hat den Einspruch des Betroffenen hiergegen zunächst durch Urteil vom 18. April 2024 verworfen, weil der Betroffene ohne genügende Entschuldigung im Termin zur Hauptverhandlung ausgeblieben sei. Der Senat hat das Urteil auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde durch Beschluss vom 19. August 2024 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Das Amtsgericht hat daraufhin durch Urteil vom 24. September 2024 den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid erneut verworfen, nachdem es den Betroffenen zunächst von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hatte, diese Entscheidung im Termin zur Hauptverhandlung sodann jedoch aufgehoben hat.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und mit der Verfahrensrüge sinngemäß beanstandet, dass die Aufhebung der Entscheidung über die Entbindung des Betroffenen zum persönlichen Erscheinen rechtswidrig gewesen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

  1. Die Rechtsbeschwerde ist durch den Einzelrichter des Senats zuzulassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es erneut geboten ist, die angefochtene Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG).

  2. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, denn das Amtsgericht hätte die bereits getroffene Entscheidung über die Entbindung des Betroffenen vom Erscheinen der Hauptverhandlung weder aufheben noch durch Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG entscheiden dürfen.
  1. Die Verfahrensbeanstandung ist zulässig; das Rügevorbringen genügt den Begründungsanforderungen, denn die zugrunde liegenden Verfahrenstatsachen sind hinreichend vollständig mitgeteilt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Danach hat das Amtsgericht den zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienenen Betroffenen zunächst auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden, nachdem dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt hatte, dass er Angaben zur Sache und zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch auf Nachfrage des Gerichts nicht machen werde. Nachdem sich der Verteidiger in der Hauptverhandlung mit entsprechender Vertretungsvollmacht für den Betroffenen zu dessen persönlichen Verhältnissen und zur Sache äußerte bzw. äußern wollte, beschloss das Amtsgericht nach vorheriger Anhörung des Verteidigers, dass die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen aufgehoben werde und der Betroffene „wieder verpflichtet“ sei, „an der heutigen Hauptverhandlung teilzunehmen“, und verwarf seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG durch Urteil mit der Begründung, dass er ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden war. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Entschuldigungsgründen seien nicht ersichtlich.

  2. Das angefochtene Verwerfungsurteil kann keinen Bestand haben.

Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG hat das Tatgericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzungen lagen aufgrund der vom Betroffenen bzw. der Verteidigung abgegebenen Erklärungen vor, so dass das Amtsgericht zunächst zu Recht die Entbindung des Betroffenen ausgesprochen hat. Eine bereits getroffene Entbindungsentscheidung kann der Bußgeldrichter wieder zurücknehmen, wenn sich während der Hauptverhandlung ergibt, dass die Anwesenheit des Betroffenen zur Erforschung der Wahrheit unverzichtbar ist (Karlsruher Kommentar/OWiG-Senge, 5. Aufl. § 73 Rdnr. 15).

Dass dies hier der Fall gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Weder dem Beschluss über die Aufhebung der Entbindungsentscheidung noch den Urteilsgründen ist zu entnehmen, aufgrund welcher Umstände das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung für erforderlich erachtet hat. Bereits dies stellt einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, denn Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 20. Februar 2007 - 1 Ss (OWi) 45/07; Beschl. v. 26. März 2012 - 2 Ss (OWi) 24/12; Beschl. v. 17. April 2014 – [2 B] 53 Ss-OWi 176/14 [92/14]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285 m. w. N.). Da es daran fehlt, vermag der Senat nicht nachzuprüfen, ob das Amtsgericht seine Entscheidung über die Ablehnung bzw. die Rücknahme der Entbindung rechtsfehlerfrei getroffen hat.

Soweit das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben sollte, dass sich der Verteidiger für den Betroffenen zur Sache geäußert hat bzw. weiter äußern wollte, vermag allein dies das Erfordernis einer Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht zu begründen. Nachdem der Betroffene seine Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt hat, ansonsten keine Angaben zu machen, ist für ein Bedürfnis seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung zum Zwecke der Sachaufklärung nichts ersichtlich. Dass der Verteidiger für den Betroffenen Angaben zur Sache machen wollte, ändert daran für sich genommen nichts. Wenn mit der Anwesenheit des Betroffenen eine Sachaufklärung nicht erreicht werden kann und ihr deshalb kein Aufklärungswert zukommt, ist eine Ablehnung der Entbindung unzulässig (Karlsruher Kommentar/OWiG-Senge, aaO. § 73 Rdnr. 27ff. mwN).

Der Erlass des Verwerfungsurteils verstößt darüber hinaus gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, weil das Amtsgericht gehalten gewesen wäre, den Betroffenen nach Rücknahme der Entbindungsentscheidung erneut zur Hauptverhandlung zu laden und mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen (vgl. Karlsruher Kommentar/OWiG, aaO. § 73 Rdnr. 15).

Im Hinblick auf die wiederholt erforderliche Aufhebung in dieser Bußgeldsache macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Cottbus zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).