Gericht | AG Zossen Einzelrichter | Entscheidungsdatum | 13.01.2025 | |
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Aktenzeichen | 5 C 63/24 | ECLI | ECLI:DE:AGZOSSE:2025:0113.5C63.24.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Sittenwidrig ist ein Mietvertrag, der eine nahestehende in Erwartung einer zeitnah drohenden Zwangsvollstreckung auf Kosten des zukünftigen Ersteigerers im Besitz der gegenständlichen Wohnung halten soll, ohne dafür einen angemessenen Mietzins zu entrichten und der im Bewußtsein dessen abgeschlossen worden ist, daß zu dem vereinbarten Mietzins niemals eine vergleichbare Wohnung zu erlangen wäre.
Die Beklagte zu 2 war seit 1. April 2019 Eigentümerin des Grundstücks (…)straße … in …. Im Wege der Zwangsversteigerung erwarb der Kläger mit Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Luckenwalde zum Aktenzeichen 17 K (…)/2021 am 17. Juli 2024 das mit einem Wohngebäude bebaute Grundstück.
Im Jahr 2021 wurde die Zwangsversteigerung des vorgenannten Grundstücks angeordnet und auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Berlin am 26. Januar 2022 ein Veräußerungsverbot wegen eines Vermögensarrestes im Grundbuch eingetragen. Am 22. März 2021 wurde weiterhin auf Grundlage eines Beschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Januar 2021 eine Zwangssicherungshypothek in Höhe von 500.629,44 €; am 26. Januar 2022 eine Sicherungshypothek zum Höchstbetrag von 885.015,50 € für das Land Berlin, vertreten durch die Staatsanwaltschaft Berlin; am 23. Januar 2023 für das Land Brandenburg auf Ersuchen des Finanzamts Calau eine Zwangssicherungshypothek in Höhe von 9.354,10 € und am 10. Mai 2023 aufgrund eines Versäumnisurteils des Landgerichts Potsdam eine Zwangssicherungshypothek in Höhe von 605.573,22 € im Grundbuch eingetragen.
Die in der Vergangenheit erheblich straffällig gewordene Beklagte zu 2 und der Beklagte zu 1 unterzeichneten ein mit „Mietvertrag für Wohnraum“ überschriebenes Schriftstück, wonach die Beklagte zu 2 dem Beklagten zu 1 beginnend am 1. März 2020 die auf dem Grundstück belegene 130 m² große Wohnung in der ersten Etage, bestehend aus viereinhalb Zimmern, drei Kellerräumen, einer Waschküche, einem Bad, Balkon sowie den gesamten Garten mit Terrasse, Pool und Gartenhaus, eine Doppelgarage sowie zwei Stellplätzen zu einem Mietzins von netto 500,- € vermiete. Gleichzeitig war in dem Dokument eine Vereinbarung enthalten, daß der Mieter (Beklagter zu 1) die alleinige Pflege des Gartens sowie in den Wintermonaten die Streupflicht übernehme, wofür ihm 250,- € und in den Wintermonaten (November bis März) weitere 50,- € erlassen würden. Im übrigen wird zum Inhalt des Schriftstücks auf die Anlage K2 Bezug genommen.
Ein inhaltlich vergleichbarer Vertrag („gleiche Machart“) wurde zwischen der Beklagten zu 2 und ihrer Tochter über die im ersten Obergeschoß belegene 105 m² große Wohnung geschlossen. Auch hier beträgt der vertraglich vereinbarte Mietzins nur 500,- € (Anlage B2).
Die Beklagten schlossen am 31. Januar 2019 einen Ehevertrag, ausweislich dessen der Ehemann (Beklagter zu 1) keine Rechte an der streitgegenständlichen Immobilie haben sollte. Diese Vereinbarung ist auf Verlangen derjenigen dritten Person, die der Beklagten zu 2 den Kauf der Immobilie finanziell ermöglicht hatte, getroffen worden. Ohne eine solche ehevertragliche Vereinbarung hätte die Beklagte zu 2 Immobilie nicht erwerben können.
Der Kläger behauptet, die ortsübliche Nettomiete für das gegenständliche Objekt betrage mindestens 2.000,- € monatlich.
Er ist der Ansicht, der „Mietvertrag“ sei nichtig, weil er entweder eine strafbare Handlung verfolge (Gläubigerbenachteiligung) oder weil er ein Scheingeschäft sei.
Mit Versäumnisurteil vom 5. November 2024 hat das Gericht die Beklagten verurteilt, die von ihnen innegehaltenen Mieträume (…)straße …, … OT …, Wohnung Nr. 1, Erdgeschoß, mit Doppelgaragen und zwei Stellplätzen, Garten und Pool nebst Gartenhaus zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben. Das Versäumnisurteil ist den Beklagten jeweils am 13. November 2024 zugestellt worden. Mit bei Gericht am 25. November 2024 eingegangenen Schriftsatz haben die Beklagten Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Die Beklagten beantragen,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, der Mietvertrag sei zwischen ihnen im Jahr 2020 geschlossen worden. Der Vertragsschluß habe dem Beklagten zu 1 auch für den Fall des Scheiterns der Ehe den Wohnraum sichern sollen.
Mit Schriftsätzen von 17. und 18. Dezember 2024 haben die Parteien ihr Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.
Aufgrund des statthaften und auch im übrigen zulässigen, insbesondere form- und fristgerechten Einspruchs ist der Rechtsstreit in die Lage vor der Säumnis zurückversetzt (§ 342 ZPO).
Das Versäumnisurteil ist überwiegend – betreffend den Herausgabeanspruch – aufrechtzuerhalten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Herausgabe der gegenständlichen Wohnung einschließlich des Gartens und der Nebengelasse aus § 985 BGB zu. Der Kläger ist Eigentümer der streitgegenständlichen Räumlichkeiten, die Beklagten sind Besitzer. Die Beklagten haben kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB.
Ein Recht zum Besitz besteht nicht aufgrund eines Mietvertrages. Der vermeintliche Mietvertrag, der ein Mietverhältnis ab dem 1. März 2020 begründen soll (im folgenden: „Mietvertrag“), ist nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Er verstößt gegen die guten Sitten. Der Mietvertrag enthält ein grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Für ein solches grobes Mißverhältnis ist eine Vereinbarung des Doppelten oder der Hälfte des Marktwertes der Gegenleistung ein wichtiges Indiz (BeckOGK/Jakl, 1.8.2024, BGB § 138 Rn. 165, beck-online). Vorliegend war für die Gebrauchsüberlassung einer 130 m² großen Viereinhalbzimmerwohnung mit Bad und Balkon, drei Kellerräumen, einer Waschküche, des gesamten Gartens mit Terrasse, Pool und Gartenhaus, einer Doppelgarage sowie zwei Stellplätzen lediglich ein monatlicher Mietzins in Höhe von netto 500,- € vereinbart. Es ist aufgrund einer Vielzahl von Verfahren, insbesondere beruhend auf Klagen auf Zustimmung zu Mieterhöhungen und den in diesen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten, gerichtsbekannt, daß für vergleichbare Wohnungen in … ein Mietzins von mindestens 2.000,- € bereits dann ortsüblich ist, wenn das Vertragsobjekt nicht über einen Garten mit Pool und Nebengelassen verfügt. Daher beträgt der vorliegend vereinbarte Mietzins allenfalls ein Viertel des ortsüblichen Mietzinses. Hierbei ist noch nicht berücksichtigt, daß der Mietvertrag darüber hinaus eine Abgeltung in Höhe von 250,- € beziehungsweise 300,- € für Gartenpflege beziehungsweise Gartenpflege und Übernahme der Räumpflicht enthält, so daß der tatsächlich zu entrichtende Mietzins auf 250,- € beziehungsweise 200,- € fällt.
Die mit dem vorliegenden Mietvertrag getroffene Vereinbarung einer Leistung und Gegenleistung mit einem objektiv auffälligen Mißverhältnis beruht auf einer verwerflichen Gesinnung. Kann ein besonders auffälliges Mißverhältnis festgestellt werden, gestattet dies den tatsächlichen Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten und begründet also grundsätzlich die Vermutung der verwerflichen Gesinnung (BeckOGK/Jakl, 1.8.2024, BGB § 138 Rn. 175, beck-online). Die Bedeutung der guten Sitten erschöpft sich nicht in der Beziehung zwischen Vertragspartnern. Werden schon erworbene Rechte Dritter durch ein Rechtsgeschäft gefährdet oder zielt dieses auf Beeinträchtigung künftiger Rechtspositionen von Dritten, so kann sich hieraus ein Sittenverstoß ergeben (MüKoBGB/Armbrüster, 10. Aufl. 2025, BGB § 138 Rn. 167, beck-online).
Das gegenständliche Verhalten ist in besonderer Weise verwerflich, da die Beklagten sich trotz der zeitnah drohenden Zwangsvollstreckung auf Kosten des zukünftigen Ersteigerers im Besitz der gegenständlichen Wohnung halten wollten, ohne dafür einen angemessenen Mietzins zu entrichten und im Bewußtsein dessen, daß sie zu dem vereinbarten Mietzins niemals eine vergleichbare Wohnung erhalten würden. Letztendlich handelte es sich um einen in kollusivem Zusammenwirken geschlossenen Vertrag zulasten eines Dritten in Gestalt des zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages noch unbekannten Ersteigerers.
Den Beklagten muß im Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses bewußt gewesen sein, daß die Beklagte zu 2 erheblichen Forderungen ausgesetzt ist, die zu einer Zwangsvollstreckung in das Grundstück führen würden. Das Grundstück wurde innerhalb von drei Jahren mit Grundpfandrechten in Höhe von annäherungsweise zwei Millionen Euro belastet. Der ein besonders auffälliges Mißverhältnis aufweisende Mietvertrag sollte den zukünftigen Ersteigerer binden, um über § 57 ZVG iVm. § 566 BGB dem Beklagten zu 1 trotz der zeitnah drohenden Zwangsvollstreckung ein Besitzrecht an der Wohnung und damit auch der Beklagten zu 2 die Möglichkeit, die Wohnung weiter zu bewohnen, zu verschaffen, ohne daß dafür ein ortsüblicher Mietzins zu entrichten wäre.
Die Erklärung der Beklagten, welche Motivation der konkreten Vertragsgestaltung zugrunde gelegen habe, vermag die Vermutung der verwerflichen Gesinnung nicht zu erschüttern. Auch wenn der Mietvertrag im Jahr 2020 geschlossen und nicht erst später rückdatiert worden sein mag, beruht er auf einer verwerflichen Gesinnung. Die Erklärung der Beklagten, der Mietvertrag habe dem Beklagten zu 1 Sicherheit über den Bestand der Ehe hinaus für seinen Wohnraum geben sollen, ist lebensfremd und nicht nachvollziehbar.
Den Beklagten war im Zeitpunkt des vermeintlichen Mietvertragsschlusses bewußt, daß sie das Wohngrundstück mit der gegenständlichen Wohnung zeitnah im Wege der Zwangsvollstreckung verlieren würden. Demnach bestand redlicherweise für den Beklagten zu 1 ohnehin kein Anlaß für eine Sicherung des Besitzes für die weitere Zukunft, da beide Beklagten wußten, daß die Wohnung unabhängig vom Bestand der Ehe nicht ihr Lebensmittelpunkt bleiben würde. Dieses Wissen ist nach der gesetzgeberischen Wertung des § 3 Abs. 4 S. 2, 2. Var AnfG auch beim Beklagten zu 1 als der Beklagten zu 2 nahestehenden Person (Ehemann) zu vermuten. Ein Sicherungsbedürfnis für den Fall des Scheiterns der Ehe ist daher konstruiert. Das Sicherheitsbedürfnis des Beklagten zu 1 bestand daher nicht für den Fall eines zukünftigen Scheiterns der Ehe, sondern ausschließlich für den absehbaren alsbaldigen Verlust des Grundstückes im Rahmen der Zwangsvollstreckung.
Es erscheint zudem lebensfremd, daß ein Ehepartner auch für den Fall des Scheiterns der Ehe ein Besitzrecht an der gemeinsam bewohnten Ehewohnung behalten soll. Mit einer Trennung als Paar ist typischerweise auch Wunsch nach einer räumlichen Trennung verbunden. Zudem wäre aber eine solche Sicherheit am Bestand des Wohnraums für den Beklagten zu 1 mittels eines schuldrechtlichen Mietvertrages ohnehin nicht zu erzielen, da im Scheitern der Ehe ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 573 Abs. 1 BGB läge, so daß eine ordentliche Kündigung möglich würde. Eine tatsächliche Sicherheit über den Bestand der Ehe hätte allenfalls ein dingliches Wohnrecht gewähren können, welches die Parteien aber nicht bestellt haben.
Weiterhin wird die Vermutung der verwerflichen Gesinnung dadurch gestützt, daß eine vergleichbare Vertragsgestaltung betreffend die Wohnung im ersten Obergeschoß zwischen der Beklagten zu 2 und ihrer Tochter vereinbart worden ist. Der Abschluß dieses Mietvertrages läßt sich nicht mit einem Sicherungsbedürfnis für ein Scheitern der Ehe begründen und findet auch sonst keine nachvollziehbare Begründung im Vortrag der Beklagten. Auch er entspringt offensichtlich dem Wunsch, das Haus und die Wohnungen trotz Zwangsversteigerung im „Familienbesitz“ zu erhalten, ohne eine angemessene Gegenleistung erbringen zu müssen.
Nicht begründet ist die Klage, soweit sie auf Räumung gerichtet war. Ein Räumungsanspruch folgt aus § 985 BGB nicht. Die Pflicht zur Räumung ist lediglich eine Nebenpflicht aus der mietvertraglichen Verpflichtung zur Rückgabe der Mietsache aus § 546 Abs. 1 BGB.
Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf §§ 344, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen des Beklagten betrifft lediglich die Räumungspflicht und ist gering. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 3 ZPO. Das Gericht bemißt das Vollstreckungsrisiko für die Beklagten mit 10.000,- €.
Der Streitwert beträgt das Zwölffache der ortsüblichen Monatsmiete in Höhe von 2.000,-€.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem
Landgericht Potsdam
Jägerallee 10-12
14469 Potsdam
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.
Die Berufung muß mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muß die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, daß Berufung eingelegt werde.
Die Berufung muß binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Rechtsbehelfe, die durch eine Rechtsanwältin, einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument einzureichen, es sei denn, daß dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wobei die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen ist. Auf Anforderung ist das elektronische Dokument nachzureichen.
Elektronische Dokumente müssen
Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:
Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130a Absatz 4 der Zivilprozeßordnung verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.