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Entscheidung 5 K 828/07


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 5. Kammer Entscheidungsdatum 18.02.2011
Aktenzeichen 5 K 828/07 ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2011:0218.5K828.7.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid des Beklagten 22. in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08. und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer Duldungs-, Anschluss- und Benutzungsverfügung.

Die Klägerin ist Eigentümerin des ehemaligen Rittergutes (Flurstücke,,,, und der Flur der Gemarkung ), das im Gebiet der vom Beklagten vertretenen Stadt liegt. von ist (Allein-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück der Flur der Gemarkung .

Die Flurstücke und der Flur sind mit einem Wohnhaus (Gutshaus) bebaut. Das Flurstück grenzt an die G... . In der G... gibt es eine Schmutzwasserkanalisation über die das Abwasser im Druckentwässerungsverfahren abgeleitet wird. Für den Anschluss des Grundstückes an der in der G... verlaufenden Sammelleitung ist aus technischen Gründen die Errichtung eines Pumpwerkes als Übergabepunkt auf dem Grundstück der Kläger erforderlich. Weder die Errichtung des Pumpwerkes noch die Errichtung der Verbindungsleitung (Anschlussleitung) zwischen Pumpwerk und Sammler sind bislang erfolgt.

Unter dem 6. stellte die Klägerin beim Rechtsvorgänger des Beklagten einen Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für den vorgenannten Grundbesitz (Flurstücke ). Sie führte zur Begründung aus, dass seit Jahren eine eigene Abwasserentsorgung existiere, ein Anschluss an die neu errichtete öffentliche zentrale Abwasseranlage nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich sei und die Pflicht zur Überlassung des anfallenden Abwassers entfalle, weil Abwasser aus dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb unter Beachtung der abwasser- und abfallrechtlichen Bestimmungen zur Bodenbehandlung Verwendung finde sowie Niederschlagswasser zur Gartenbewässerung genutzt würde.

Mit Bescheid vom 30. lehnte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Befreiungsantrag ab und führte im Wesentlichen aus, dass es keinerlei Hinweise auf eine schadlose Abwasserbeseitigung der Klägerin gebe. Die Klägerin habe ferner nicht nachgewiesen, dass lediglich land- und forstwirtschaftliches Abwasser anfalle. Dies sei aufgrund der konkreten Nutzung der Grundstücke auch auszuschließen. Bisher werde zur Abwasserbeseitigung eine ungesicherte Privatleitung in Richtung genutzt, die den technischen Voraussetzungen des § 70 des Brandenburgischen Wassergesetzes i. V. m. § 18 b des Wasserhaushaltsgesetzes nicht entspreche. Ferner liege die hierfür erforderliche behördliche Betriebsgenehmigung nicht vor. Etwaiger Bestandsschutz könne mangels gesicherten Bestands nicht entstanden sein. Unter dem 27. legte die Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid Widerspruch ein, den der Rechtsvorgänger des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 04. zurückwies. Die dagegen erhobene Klage () hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.

Mit Kanalanschluss- und Benutzungsverfügung vom 22. verpflichtete der Beklagte die Klägerin, „die Flurstücke der Flur der Gemarkung an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt durch Herstellung der satzungsmäßigen Grundstücksentwässerungsanlage anzuschließen“ (Punkt I1). Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Verfügung drohte der Beklagte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 Euro an (Punkt II 2). Ferner verpflichtete er die Klägerin, „nach der Herstellung des Anschlusses für die Flurstücke der Flur der Gemarkung an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt sämtliches, auf den vorbezeichneten Flurstücken anfallendes Abwasser der öffentlichen Abwasseranlage der Stadt zuzuführen und diese somit zu benutzen“ (Punkt II 1 des Bescheides vom 22. ). Für den Fall der Nichtbefolgung drohte der Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 Euro an (Punkt II 2).

Hiergegen erhob die Klägerin der Klägerin mit Schreiben vom 12. am 13. Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15., dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten zugestellt am 19., zurückwies.

Die Klägerin hat am 18. Klage erhoben.

Mit Änderungsbescheid vom 08. hat der Beklagte die Kanalanschlussverfügung vom 22. neu gefasst und die Klägerin verpflichtet, „die Herstellung des satzungsgemäßen Grundstücksanschlusses für den Anschluss ihres Grundstücks in, OT (Flur, Flurstücke der Gemarkung ) an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt durch die Stadt sowie deren Beauftragte zu dulden“ (Punkt I. 1. des Bescheides). Gleichzeitig hat der Beklagte die sofortige Vollziehung der Duldungsverfügung angeordnet (Punkt I. 2. des Bescheides) und ihr für den Fall der Nichtbefolgung der Duldungsverfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angedroht. Weiter hat der Beklagte der Klägerin aufgegeben, „den Anschluss des Grundstücks in, OT (Flur, Flurstücke der Gemarkung ) an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt innerhalb einer Frist von einem Monat ab Rechtskraft dieser Verfügung und nach Herstellung des Grundstücksanschlusses gem. Punkt I. 1. vorzunehmen“ (Punkt II. 1). Für den Fall, dass die Klägerin dieser Verfügung nicht nachkommen werde, hat der Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angedroht. Ferner hat der Beklagte die Klägerin verpflichtet, „nach der Herstellung des Anschlusses für das Grundstück in der in,OT (Flur, Flurstücke der Gemarkung ) an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt Werneuchen sämtliches auf dem Grundstück anfallendes Abwasser der zentralen öffentlichen Abwasseranlage der Stadt Werneuchen zuzuführen und somit zu benutzen“ (Punkt III. 1 des Bescheides vom 08. ). Gleichzeitig hat er für den Fall der Nichtbefolgung dieser Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angeordnet.

Unter Einbeziehung des Änderungsbescheides begründet die Klägerin ihre Klage im Wesentlichen wie folgt: Die dem Anschluss- und Benutzungszwang zugrunde liegende Satzung sei nichtig. Die Nichtigkeit erfolge zum einen aus Bekanntmachungsfehlern, zum anderen aber auch aus der Tatsache, dass die betroffene Umlageregelung rechtswidrig sei. Die Klägerin werde durch die Heranziehung von Grundstücken, auf denen kein Abwasser anfalle, unzumutbar belastet. Soweit das Wohngrundstück, Flurstücke, betroffen sei, seien unbebaubare Grundstücksteile im denkmalgeschützten Park herangezogen worden, auf denen ebenfalls kein Abwasser anfalle. Eine wirtschaftliche Einheit der von der Anschlussverfügung betroffenen Flurstücke liege nicht vor. Das werde schon daran deutlich, dass die Grundstücke von Straßenzügen getrennt und auch unterschiedlich – teils zu Wohn- teils zu landwirtschaftlichen Zwecken – genutzt würden.

In dem Parallelverfahren hat die Klägerin vorgetragen, das Abwasser des Gutshauses (Flurstücke und ) werde biologisch geklärt. Die Abwässer des landwirtschaftlichen Betriebes würden im Betrieb unter Beachtung der abwasser- und abfallrechtlichen Bestimmungen zur Bodenbehandlung eingesetzt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 22. in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16. in der Fassung des Änderungsbescheides des Beklagten vom 08. aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, wegen eines möglichen Veröffentlichungsmangels der ursprünglichen Abwasserbeseitigungssatzung vom 18., auf die die Anschlussverfügung vom 22. gestützt worden sei, habe Stadtverordnetenversammlung der Stadt vorsorglich am 20. eine mit Rückwirkung versehene Abwasserbeseitigungssatzung neu beschlossen. Diese Satzung sei am 23. im Amtsblatt für die Stadt veröffentlicht worden.

Das von den Klägern angeführte Flurstück sei nicht Gegenstand der Anschluss- und Benutzungsverfügung. Die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der „betroffenen Umlageregelung“ beziehe sich offenbar auf eine hier nicht maßgebliche beitragsrechtliche Satzungsregelung. Das anzuschließende Grundstück sei erschlossen, der Hauptsammler liege vor diesem, lediglich der Grundstücksanschluss selbst habe wegen der Verweigerung der Klägerin bisher nicht hergestellt werden können.

Zu der von der Klägerin behaupteten Abwasserentsorgungsanlage lägen weder beim Beklagten noch bei der unteren Wasserbehörde noch beim örtlichen Bau- und Planungsamt Unterlagen vor. Vielmehr sei dem Beklagten aufgrund von Schachtarbeiten im öffentlichen Straßenraum bekannt, dass eine reine Sickerleitung von den Grundstücken der Klägerin (Flurstücke und ) über den öffentlichen Straßenraum hinweg verlaufe. Unzumutbare hohe Kosten für die Klägerin stünden nicht an.

Aufgrund eines Vertagungsantrages des Rechtsanwaltes vom 11., bei Gericht per Fax am selben Tag um 17:58 Uhr eingegangen, hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 12. die Sache vertagt und im Laufe des Gerichtsverfahrens einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 18. bestimmt. Den Vertagungsantrag vom 11. hat Rechtsanwalt mit einer krankheitsbedingten Verhinderung unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med./ begründet, die ihm bescheinigte, dass er sich seit dem Jahre 2009 wegen einer bipolaren Störung (ICD 10 F 25.0) in ihrer ambulanten psychiatrischen Behandlung befinde. Herr sei zurzeit arbeits- und reisefähig. Die Arbeitsunfähigkeit sei bis zum 02. ausgestellt. Mit einem weiteren - undatierten - Vertagungsantrag, bei Gericht per Fax eingegangen am 15., beantragte Rechtsanwalt, auch die auf den 18. bestimmte mündliche Verhandlung zu vertagen. Zur Begründung berief er sich - erneut unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Dr. med. - auf seine krankheitsbedingte Reise- und Arbeitsunfähigkeit. Nach dem Inhalt der vorgelegten – undatierten - ärztlichen Bescheinigung sei Herr wegen einer bipolaren Störung für die weiteren zwei Wochen arbeits- und reiseunfähig. Arbeitsunfähigkeit sei bis zum 01. ausgestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs und der eingereichten Satzungsunterlagen des Beklagten sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte in dem Verfahren Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Sache konnte trotz des Ausbleibens der Gesellschafter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gem. § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verhandelt und entschieden werden, weil diese rechtzeitig unter Hinweis auf diese Folge ihres Ausbleibens geladen wurden.

Die Verhandlung war nicht gem. § 173 VwGO in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu vertagen. Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin „aus erheblichen Gründen“ aufgehoben werden.Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung ist in der Regel ein solcher erheblicher Grund für eine Terminsaufhebung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, juris RdNr 5 m. w. N.).Das Ermessen des Gerichts verdichtet sich angesichts des hohen Rangs des Anspruchs auf rechtliches Gehör regelmäßig auf eine entsprechende Verpflichtung zur Terminsaufhebung (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O.). Allerdings wird für eine wegen Verhinderung des Rechtsanwaltes beantragte Terminsaufhebung verlangt werden müssen, dass die Abwesenheit des Rechtsanwaltes nicht verschuldet ist (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O.). Ferner besteht keine Verpflichtung zur Terminsverlegung, wenn der Antrag durch die Absicht der Prozessverschleppung getragen wird oder ansonsten gegen die prozessuale Mitwirkungspflicht eines Beteiligten verstößt BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O., m. w. N.). Im Übrigen muss die Erkrankung oder sonstige Verhinderung des Prozessbevollmächtigten schlüssig aus dem dem Verwaltungsgericht vorgelegten Attest hervorgehen (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O., m. w. N.); die Bescheinigung muss so substantiiert sein, dass das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit selbst zu beurteilen (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O., m. w. N.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufzuheben. Die Verhinderung des sich selbst vertretenden Rechtsanwaltes war nicht unverschuldet. Zwar ist bei einer Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten in der Regel davon auszugehen, dass die Verhinderung unverschuldet und damit ein „erheblicher Grund“ im Sinne von § 227 Abs 1 ZPO ist; eine andere Beurteilung ist aber dann geboten, wenn es sich nicht um eine plötzliche, nicht vorhersehbare, sondern um eine chronische, wiederholt in gleicher Weise auftretende Erkrankung handelt, die den Anwalt außerstande setzt, seinen Berufspflichten ordnungsgemäß nachzukommen (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O. RdNr 7, m. w. N.). Wenn ein Rechtsanwalt trotz einer bereits seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankung keine Vorsorge für die Wahrnehmung von Gerichtsterminen trifft, stellt dies eine schuldhafte Verletzung seiner prozessualen Mitwirkungspflichten dar (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O. RdNr 7, m. w. N.). Ebenso wie der Rechtsanwalt für den Fall der Erkrankung seines Büropersonals organisatorische Vorkehrungen, also Vertretungsregelungen, schaffen muss, trifft ihn eine vergleichbare Vorsorgepflicht auch dann, wenn sein eigener Gesundheitszustand hierzu Anlass gibt, also für ihn erkennbar eine geordnete Erfüllung seiner prozessualen Mitwirkungspflichten wesentlich behindert (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 8 B, a. a. O. RdNr 7, m. w. N.).

Diese Vorsorgepflicht hat Rechtsanwalt schuldhaft verletzt. Seine ärztlich attestierte Reise- und Arbeitsunfähigkeit am Tag der mündlichen Verhandlung trat nicht unvorhergesehen ein, sondern beruhte auf einer chronischen, häufig zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung, so dass er verpflichtet gewesen wäre, die Terminswahrnehmung durch einen anderen Rechtsanwalt sicherzustellen; aus der am 15. Februar 2011 vorgelegten ärztlichen Bescheinigung ergibt sich, dass Rechtsanwalt an einer bipolaren Störung (ICD ) erkrankt und deswegen über den Tag der mündlichen Verhandlung hinaus für längere Zeit (bis zum 01. März 2011) reise- und arbeitsunfähig war. Aus demselben Grund hatte das Gericht die mündliche Verhandlung vom 12. vertagt. Auch aus dem am 11. vorgelegten ärztlichen Attest ergab sich eine Reise- und Arbeitsunfähigkeit des Rechtsanwalts für einen längeren Zeitraum (bis zum 02. ) wegen seiner psychischen Erkrankung. Vor diesem Hintergrund musste Rechtsanwalt damit rechnen, dass er auch den für den 18. angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung krankheitsbedingt nicht werde wahrnehmen können. Es ist auch davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege weiß, dass es bei einer chronischen Erkrankung geboten ist, die ordnungsgemäße Verfahrensführung für den Fall der eigenen Verhinderung durch einen Vertreter sicherzustellen.

Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat den Änderungsbescheid vom 08. Januar 2008 zulässigerweise in das Verfahren einbezogen. Ob dies eine Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO darstellt, kann dahinstehen; eine solche Klageänderung wäre jedenfalls sachdienlich, weil der Sach- und Streitstoff nahezu derselbe bleibt. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens war insoweit nicht erforderlich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 68 RdNr. 23, m. w. N.).

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 22. in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08. und der Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2007 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das gilt zunächst, soweit der Beklagte unter Punkt I 1 des Änderungsbescheides vom 08. die Verpflichtung der Klägerin ausgesprochen hat, die Herstellung des satzungsmäßigen Grundstücksanschlusses für den Anschluss des Grundstückes in, OT an die zentrale Abwasseranlage der Stadt durch diese und deren Beauftragte gegen ihren Willen zu dulden.

Insoweit fehlt es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an einer ausreichenden Rechtsgrundlage.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage und Rechtslage ist hier der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, weil es sich bei der zum Vollzug des satzungsmäßigen Anschluss- und Benutzungszwanges erforderlichen Aufforderung an den Verpflichteten (vgl. dazu: OVG Lüneburg, Urteil vom 23. November 1994 - 9 L 1458/93 - und Urteil vom 16. Februar 1990 - 9 L 283/89 -) um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dessen Wirkung, die allgemeine Anschluss- und Benutzungspflicht des Grundstückseigentümers zu konkretisieren, besteht solange fort, wie die allgemeine Pflicht begründet bleibt und keine Befreiung im Einzelfall ausgesprochen worden ist. Für die Entscheidung über eine gegen diesen Verwaltungsakt erhobene Anfechtungsklage kommt es daher (regelmäßig) darauf an, ob er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig ist.

Dies ist hier nicht der Fall.

Der Beklagte hat die Duldungsverfügung zu Unrecht auf die (noch) im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Satzung der Stadt über den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage und die Abwasserbeseitigung (Abwasserbeseitigungssatzung – AWS) vom 20., öffentlich bekannt gemacht im Amtsblatt für die Stadt vom 23. S. 4-10 gestützt. Die AWS misst sich in ihrem § 17 rückwirkende Geltung bei zum 01. Januar 2004.

Die AWS bestimmt in § 5 Abs. 1, dass jedes Grundstück einen eigenen, unmittelbaren Anschluss an die Abwasseranlage haben muss. Die Lage und lichte Weite der Anschlussleitungen und die Anordnung der Revisionsschächte bestimmt die Stadt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 AWS). Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AWS steht die Anschlussleitung im Eigentum der Stadt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 3 AWS wird die Anschlussleitung ausschließlich von der Stadt oder einem von ihr beauftragten Unternehmer hergestellt, erneuert, verändert, unterhalten oder beseitigt wird. Gem. § 5 Abs. 2 Satz 3 AWS bestimmt die Stadt Art und Lage des Anschlusses, Führung und lichte Weite der Anschlussleitung sowie Art und Lage des Reinigungs- und Übergabeschachtes nach den Verhältnissen der einzelnen Grundstücke. Nach § 2 Abs. 4 AWS ist die „Anschlussleitung“ die Leitung von der Sammelleitung bis zum Reinigungs- und Revisionsschacht.

Unter dem gegebenen technischen Erfordernis einer Entwässerung im Druckentwässerungsverfahren im Bereich der Gartenstraße in, OT und der damit einhergehenden technischen Notwendigkeit der Errichtung eines Pumpwerkes (welches gleichzeitig die Funktion eines Übergabeschachtes haben soll) a u f dem Grundstück der Klägerin stellt die Herstellung des Grundstücksanschlusses (ausnahmslos) durch die Stadt oder ihre Beauftragten einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) dar, weil hierfür das Grundstück der Klägerin (gegen den Willen ihrer Gesellschafter) betreten werden muss. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schützt nicht nur die Wohnung im engeren Sinn, sondern auch den Wohnaußenbereich einschließlich der zum Wohnhaus gehörenden Grundstücksfläche (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 1997 - 1 BGs 65/97 -, juris; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 2. Auflage 2004, Art. 13 RdNr 19). Eingriffe in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung dürfen vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Regelungen des Art. 13 Abs. 2 bis 6 GG nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden (Art. 13 Abs. 7 GG). Um die Abwehr einer gemeinen Gefahr oder Lebensgefahr geht es vorliegend unstreitig nicht (vgl. zum Vorstehenden OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. November 2009 – 9 B 71.08 – juris RdNr 17). Darüber hinaus gibt es auch kein Gesetz, dass den Eingriff hier rechtfertigen würde.

Die Abwasserbeseitigungssatzung der Stadt vom 18. März 2004 genügt insoweit nicht. Sie hat keine Gesetzesqualität, weil die kommunale Rechtssetzungsfähigkeit dem Bereich der Verwaltung und nicht der Gesetzgebung zuzuordnen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 1983 – 2 BvL 25/81 -, BVerfGE 65, 283). Unter dem Blickwinkel des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung bedarf die Abwasserbeseitigungssatzung der Stadt zu ihrer Wirksamkeit vielmehr ihrerseits einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (vgl. zum Vorstehenden OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. November 2009 – 9 B 71.08 – juris RdNr 18) An einer solchen fehlt es hier. Eine den Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) deckende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ergibt sich weder aus § 15 Abs. 1 Satz 1 GO (nunmehr § 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg - BbgKVerf -) noch aus § 10 Abs. 3 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG). Das OVG Berlin-Brandenburg hat dazu in dem zuvor angeführten Urteil – dessen Ausführungen sich der erkennende Einzelrichter zu eigen macht - ausgeführt: „... Die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Satz 1 GO (nunmehr § 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg - BbgKVerf -) gibt insoweit nichts her. Danach kann ein Aufgabenträger aus Gründen des öffentlichen Wohls durch Satzung für die Grundstücke seines Gebiets insbesondere den Anschluss an die Kanalisation (Anschlusszwang) vorschreiben. Die Bestimmung mag den Aufgabenträgern bei verständiger Auslegung die Befugnis zum Erlass aller Regelungen verleihen, die zur Verwirklichung des Anschlusszwangs zwingend erforderlich sind. Hierzu gehören indessen nicht Regelungen, die einen ausnahmslosen Herstellungsvorbehalt des Verbandes in Bezug auf technische Einrichtungen vorsehen, die auf den anzuschließenden Grundstücken liegen. Es mag zur Verwirklichung des Anschlusses und zur Verwirklichung der mit dem Anschlusszwang verfolgten Zwecke zwingend geboten sein, dass sich auf den anzuschließenden Grundstücken bestimmte technische Einrichtungen befinden, die einen bestimmten technischen Standard aufweisen. Nicht zwingend geboten ist indessen insoweit ein ausnahmsloser öffentlicher Herstellungsvorbehalt und ein damit zwangsläufig verbundenes Betretungsrecht (vgl. zum Ganzen auch Kluge, in: Becker u. a., KAG-Kommentar, Stand Juli 2009, § 10 Rdnr. 35; Lübbe-Wolff, DVBl. 1993, 762).Auch § 10 Abs. 3 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) trägt das mit dem öffentlichen Herstellungsvorbehalt zwingend verbundene Betretensrecht nicht. Nach dieser Gesetzesvorschrift können die Gemeinden und Gemeindeverbände bestimmen, dass die Haus- oder Grundstücksanschlüsse an Versorgungsleitungen und Abwasserbeseitigungsanlagen zu der öffentlichen Einrichtung oder Anlage im Sinne des § 4 Abs. 2 KAG und des § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG gehören. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des § 10 KAG zu sehen, der ausweislich seiner amtlichen Überschrift den „Kostenersatz für Haus- und Grundstücksanschlüsse“ regelt. § 10 Abs. 3 KAG eröffnet den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Möglichkeit, über eine Einbeziehung der Haus- und Grundstücksanschlüsse in die öffentliche Einrichtung eine durch sie erfolgte Herstellung der Haus- und Grundstücksanschlüsse nicht durch Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs nach § 10 Abs. 1 und 2 KAG abzurechnen, sondern die Herstellungskosten in die Kalkulation des Anschlussbeitrages einfließen zu lassen. § 10 Abs. 3 KAG ist danach eine rein abgabenrechtliche Vorschrift, die keine Aussage hinsichtlich etwaiger Herstellungsvorbehalte und damit verbundener Betretungsrechte treffen will... “ (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. November 2009 – 9 B 71.08 – juris, RdNr. 19 f.).

Die Duldungsanordnung unter Ziffer I 1. des angefochtenen (Änderungs-)Bescheides vom 08. Januar 2008 lässt sich auch nicht auf die Regelungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg stützen. Zwar stellen die formell-gesetzlichen Bestimmungen über das Zwangsmittel der Ersatzvornahme gemäß §§ 15, 17 Abs. 1 Nr. 1, 19, 23, 25, 40 VwVGBbg eine ausreichende gesetzliche Grundlage für das Betreten der grundrechtlich geschützten „Wohnung“ auch gegen den Willen des Bewohners dar. Die Duldungsanordnung ist aber kein Zwangsmittel, sondern selbst Vollstreckungstitel (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. November 2009 – 9 B 71.08 – juris, Rdnr. 23).

Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen zur Rechtswidrigkeit der Duldungsverfügung erweist sich auch die mit ihr unzertrennbar verbundene Anschlussverfügung unter Punkt II. 1 des angefochtenen (Änderungs-) Bescheides vom 08. Januar 2008.als rechtswidrig, weil der geforderte Anschluss der von der Klägerin nach § 6 Abs. 1 AWS herzustellenden Grundstücksentwässerungsanlage an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt mangels des dafür erforderlichen, aber aus rechtlichen Gründen nicht herstellbaren Grundstücksanschlusses für die Klägerin tatsächlich unmöglich ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 AWS, danach besteht ein Anschlusszwang nicht, wenn der Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Abwasseranlage tatsächlich unmöglich ist).

Nachdem die Duldungsverfügung und die Anschlussverfügung sich als rechtswidrig erweisen, führt dies auch zur Rechtswidrigkeit der mit ihnen verbundenen Zwangsgeldandrohungen unter den Punkten I. 3. und II. 2. des angefochtenen (Änderungs-) Bescheides vom 08. Januar 2008.

Der vom Beklagten unter Punkt III. 1. des angefochtenen Änderungsbescheides vom 08. Januar 2008 verfügte Benutzungsanordnung ist gleichfalls rechtswidrig. Der Beklagte hat die Anordnung, „nach Herstellung des Anschlusses für das Grundstück in der in, OT an die zentrale öffentliche Abwasseranlage der Stadt „sämtliches auf dem Grundstück anfallendes Abwasser der zentralen Abwasseranlage der Stadt zuzuführen und somit zu benutzen“ auf § 4a AWS gestützt. Nach dieser Vorschrift ist der Grundstückseigentümer verpflichtet, alles anfallende Abwasser, sofern nicht eine Einleitungsbeschränkung nach den § 11 und 12 (der AWS) gilt, der öffentlichen Abwasseranlage zuzuführen, wenn und soweit ein Grundstück an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen ist. Die Voraussetzungen des § 4a AWS liegen nicht vor.

Denn das Grundstück der Klägerin ist nicht an die öffentliche zentrale Abwasseranlage der Stadt angeschlossen.

Die Rechtswidrigkeit der Benutzungsanordnung führt gleichfalls zur Rechtswidrigkeit der mit ihr verbundenen Zwangsgeldandrohung unter Punkt III. 2. des angefochtenen Änderungsbescheides vom 08. Januar 2008.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Dabei bewertet die Kammer das Interesse an der Vermeidung des Anschlusses an die öffentliche Einrichtung, wenn wie hier konkrete Anhaltspunkte für die tatsächliche Höhe der Anschlusskosten fehlen, und mit dem halben Regelstreitwert, also 2.500,-- € (vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschluss 2 E 61/99 vom 07. März 2001 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss 9 N 139.05 vom 19. Dezember 2005). Der Benutzungszwang war nicht Gegenstand der Verfügung vom 26. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2010. Da hier die angedrohten Zwangsgelder in Höhe von 6000,00 Euro die Höhe des für die Grundverfügung selbst anzusetzenden Streitwertes überschreitet, war nur dieser höhere Wert, also 6000,00 Euro, als maßgeblicher Streitwert zu Grunde zu legen (vgl. die Regelung in Ziffer 1.6.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen).