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Bestenauslese, Konkurrentenstreitigkeit, Begründung der einzelnen Leistungsmerkmale, Begründung des Gesamturteils, strukturiertes Auswahlverfahren, Streitwert


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 4. Senat Entscheidungsdatum 10.02.2025
Aktenzeichen 4 S 32/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0210.4S32.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 33 Abs. 2 GG, 52 Abs. 1; Abs. 6 Satz 4; 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG

Leitsatz

Fehlen allgemeine Gewichtungsvorgaben des Dienstherrn für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen, müssen solche nicht in der Begründung des Gesamturteils jeder einzelnen dienstlichen Beurteilung dargestellt werden. Wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes um die Vergabe einer Beförderungsstelle gestritten, orientiert sich der Streitwert an § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Oktober 2024 wird einschließlich der Streitwertfestsetzung geändert. Die Anträge der Antragstellerin, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung 1. eine erneute Entscheidung über die Vergabe der Stelle mit der Kennzahl 1024/10 2023 aufzugeben sowie 2. die endgültige Besetzung dieser Stelle mit einem anderen Bewerber vorerst zu untersagen, werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstands wird für beide Rechtsstufen auf über 19.000 bis 22.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst nur die vom Antragsgegner fristwahrend dargelegten Gründe der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Erweisen sich diese Gründe als berechtigt, setzt eine Stattgabe durch das Oberverwaltungsgericht voraus, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2024 – OVG 4 S 47/23 – juris Rn. 1). Hier ist die Argumentation des Antragsgegners stichhaltig und die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts, die unter der Kennzahl 1024/10 2023 ausgeschriebene Stelle einer Sekundarschulrektorin/eines Sekundarschulrektors bzw. eines Studiendirektors/einer Studiendirektorin als Fachbereichsleiter/in vorerst nicht zu besetzen, nicht aufrechtzuerhalten.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht lege bereits im Hinblick auf die Anforderungen an die Begründung des Gesamturteils im Hinblick auf die streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilungen einen falschen Maßstab an. Dessen Grundannahme, es handle sich hier um ein Beurteilungssystem im „Ankreuzverfahren“, gehe fehl. Die dienstlichen Beurteilungen enthielten aufgrund der durchgehend besseren Bewertung als 3 eine textliche Begründung für jedes der 16 Einzelmerkmale. Damit seien jedenfalls keine gesteigerten Anforderungen an die Begründung der Gesamteinschätzung zu stellen. Das Verwaltungsgericht wende außerdem nicht die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach die Anforderungen an die Begründung sinken würden, je einheitlicher sich das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen darstelle, und die Begründungspflicht bei einem sich aufdrängenden Ergebnis sogar entfalle.

Der Antragsgegner führt zu Recht an, dass die vom Verwaltungsgericht angelegten gesteigerten Anforderungen an die Begründung der Gesamteinschätzung überzogen seien. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die beginnend im Jahr 2015 selbst entwickelten Anforderungen an die Begründung des Gesamturteils (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 30 ff.) inzwischen präzisiert und teilweise relativiert (siehe dazu bereits OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. November 2023 – OVG 4 S 37/23 – juris Rn. 17). Der von der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung angeführte Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2019 – OVG 10 N 15.17 – dürfte einen älteren Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Blick gehabt haben. Wie das Bundesverwaltungsgericht im jüngeren Beschluss vom 13. Januar 2021 ausführt, bedürfe das Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung, die im sog. Ankreuz- oder ähnlichen Verfahren erstellt worden sei, in der Regel einer gesonderten Begründung. Eine Begründung sei insbesondere dann notwendig, wenn die Beurteilungsrichtlinien für die Einzelbewertungen einerseits und für das Gesamturteil andererseits unterschiedliche Bewertungsskalen vorsähen. Denn hier müsse erläutert werden, wie sich die unterschiedlichen Maßstäbe zueinander verhielten und wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen gebildet worden sei. Anderes gelte ausnahmsweise nur dann, wenn in dem konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht komme, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdränge. Diese Rechtsprechung betreffe Beurteilungsrichtlinien mit einer großen Anzahl von Einzelmerkmalen ohne Vorgaben des Dienstherrn zu deren Gewichtung (BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 2 B 21.20 – juris Rn. 16 f.). Ein der Ankreuzbeurteilung ähnliches Verfahren sei gegeben, wenn die dienstliche Beurteilung „allein“ durch Angabe eines Zahlenwertes (oder Angabe eines Buchstabens) erstellt werde (BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 65). Mit der dementsprechend gebotenen Begründung solle „erkennbar“ gemacht werden, wie das Gesamturteil aus den Einzelbegründungen hergeleitet werde (BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 2 B 21.20 – juris Rn. 17), solle geprüft werden können, ob die Begründung die vergebene Gesamtnote „trägt“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Oktober 2023 – 2 VR 3.23 – juris Rn. 55); es gehe darum, ob die Gesamtnote im Hinblick auf die gegebene Begründung „plausibel“ sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2023 – 2 A 7.22 – juris Rn. 46).

Im Hinblick auf diese Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts weist der Antragsgegner zutreffend gesteigerte Anforderungen an die Begründung des Gesamturteils im vorliegenden Fall von sich. Die einschlägige Richtlinie sieht nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, „Beurteilungen – wie hier – im Ankreuzverfahren für vorgegebene Einzelmerkmale“ vor. Denn die Leistungsmerkmale werden in der Regel nicht allein durch die Angabe einer Note bewertet. Gemäß Nr. 3.5.2 der noch maßgeblichen alten Version der Ausführungsvorschriften über die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten und Tarifbeschäftigten des Schul- und Schulaufsichtsdienstes – AV LB – in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. März 2021 (Amtsblatt Berlin 2021 S. 983) war jede andere Note als 3 für ein Leistungsmerkmal auf dem Begründungsbogen anhand der im Orientierungssatz genannten Merkmale zu begründen (nunmehr gilt die AV LB vom 2. Dezember 2024). So ist denn auch bei der Antragstellerin (abgesehen von einem mit 3 bewerteten Leistungsmerkmal) und dem Beigeladenen verfahren worden. Auch die abschließende Gesamteinschätzung ist zu begründen (Nr. 3.5.3 AV LB a.F.). Es kommt hinzu, dass ein- und dieselbe Bewertungsskala für die einzelnen Leistungsmerkmale und die Gesamteinschätzung zu verwenden ist (Nr. 3.5.2 und Nr. 3.5.3 AV LB a.F.). Demnach müssen nicht verschiedene Maßstäbe ins Verhältnis gesetzt werden. Da eine Begründung des Gesamturteils nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Beurteilungsrichtlinien mit einer großen Anzahl von Einzelmerkmalen ohne Vorgaben des Dienstherrn zu deren Gewichtung geboten ist, braucht die jeweilige Begründung nicht gleichsam in jedem Einzelfall entsprechende Vorgaben zu formulieren. Es reicht vielmehr aus, wenn erkennbar wird, worauf es der beurteilenden Person ankommt. Ob die verschiedenen Beurteiler beim Fehlen von verschriftlichten Vorgaben des Dienstherrn sich von einem gleichen Maßstab leiten lassen, ergibt sich nicht aus der einzelnen Beurteilung (so wohl schon das BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 2 B 21.20 – juris Rn. 17), sondern im Vergleich einer Mehrzahl von Beurteilungen. Die einzelne Beurteilung muss lediglich – so der jüngst vom Bundesverwaltungsgericht verwendete Begriff – plausibel sein.

Die Plausibilität der abschließenden Gesamteinschätzung lässt sich hier – allgemein gesagt – aufgrund der vorgesehenen Begründungen der jeweiligen (von 3 abweichenden) Leistungsmerkmale sowie deren Benotungen und der Begründung der Gesamteinschätzung überprüfen. Die Gesamteinschätzungen der dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin wie auch des Beigeladenen sind – speziell gewürdigt – plausibel.

Die Antragstellerin zieht in diesem Gerichtsverfahren weder die ihr noch die dem Beigeladenen vergebenen Noten der einzelnen Leistungsmerkmale der dienstlichen Beurteilungen substantiiert in Zweifel. Sie sind auch nicht von Amts wegen zu hinterfragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2024 – 2 A 1.23 – juris Rn. 18). Aus den einzelnen Bewertungen ist die Gesamteinschätzung zu entwickeln. Angesichts der Einzelbewertungen des Beigeladenen ist dem Antragsgegner zuzustimmen, dass sich bei diesem die abschließende Gesamteinschätzung 1 (selbst wenn deren Begründung fehlen würde) aufdrängt. Denn der Beigeladene wurde in 10 von 16 Einzelmerkmalen mit der Note 1 bewertet. In fünf Kategorien wurde die Note 1-2 vergeben und lediglich in einer die Note 2. Auch wenn nicht alle Einzelmerkmale gleichwertig sind, ist dessen abschließende Gesamteinschätzung jedenfalls plausibel.

Auch die abschließende Gesamteinschätzung 1-2 der Antragstellerin ist plausibel. Sie wurde von insgesamt 16 Einzelmerkmalen siebenmal mit der Note 1, zweimal mit der Note 1-2, viermal mit der Note 2, zweimal mit der Note 2-3 und einmal mit der Note 3 bewertet. Die Begründung der abschließenden Gesamteinschätzung trägt die Gesamtnote. Nach § 27 LfbG, der Zwischenbewertungen ausdrücklich zulässt, ist mit 1 – sehr gut – eine Leistung, die die Anforderungen in herausragender Weise übertrifft, und mit 2 – gut – eine Leistung, die die Anforderungen deutlich übertrifft, zu bewerten.

Angesichts dessen ist der Beigeladene der Antragstellerin mit Blick auf deren dienstliche Beurteilungen vorzuziehen. Denn in der Bestenauslese maßgeblich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2023 – 2 VR 1.23 – juris Leitsatz und Rn. 21). Danach ist der Beigeladene wesentlich besser beurteilt worden als die Antragstellerin, die eine gesetzlich zugelassene Zwischenbewertung unterhalb der Note des Beigeladenen erhielt (vgl. dazu näher OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. November 2021 – 4 S 34/21 – juris Rn. 4). Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass wegen des Vorsprungs eine weitere ausschärfende Betrachtung beider dienstlicher Beurteilungen nicht geboten gewesen sei. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung gerügte Unterscheidung zwischen Lehrkraft und Funktionskraft ist so in den Anlagen 2a und 2b des amtlichen Beurteilungsformulars angelegt; gemäß Nr. 3.5.1 AV LB a.F. sind je nach Funktion bis zu drei Anforderungsprofile zu beachten.

Das mit beiden Bewerbern durchgeführte strukturierte Auswahlverfahren gibt keinen Anlass zu einer anderen Entscheidung. Denn auch darin ist der Beigeladene durchweg besser bewertet worden als die Antragstellerin. Zusätzliche Auswahlinstrumente kommen in Betracht und können ergebnisrelevant sein, wenn ein Vorsprung auch unter Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilungen nicht festgestellt werden kann oder wenn eine abschließende Entscheidung über Eignung, Leistung und Befähigung der Bewerber auf der Grundlage der dienstlichen Beurteilungen nicht möglich ist (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2024 – 2 VR 1.24 – juris Rn. 33). Der Rüge der Antragstellerin, sie sei keine Deutschlehrerin und die im Fach Deutsch durchgeführte Unterrichtsanalyse hätte nicht von ihr verlangt werden dürfen, hat der Antragsgegner überzeugend entgegengehalten, dass die Fachbereichsleitung stets höchstens über eine fachliche Ausbildung in zwei Fächern verfüge und stets auch fachfremden Unterricht bewerten und hierzu beraten müsse. Im Rahmen der Besetzung von Funktionsstellen für Lernbereiche sei es üblich, die Beratung in einem Unterrichtsfach durchführen zu lassen, das dem ausgeschriebenen Lernbereich nicht angehöre. Hierdurch werde die Chancengleichheit sichergestellt. Angesichts des dem Dienstherrn zustehenden Beurteilungsspielraums in der Bestenauslese (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2024 – 2 A 1.23 – juris Rn. 15 f.) ist gegen diese Handhabung gerichtlich nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Orientierung an § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG, wenn eine Beförderung ansteht. Da die Antragstellerin mit dem streitgegenständlichen Eilverfahren nur eine vorläufige Freihaltung der Stelle erreichen kann und nicht eine Vergabe an sich selbst, ist eine weitere Halbierung des Betrags geboten, sodass der Wert auf ein Viertel des sich aus § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG berechneten Betrags festzusetzen ist (wie BVerwG, Beschluss vom 25. September 2024 – 2 VR 1.24 – juris Rn. 40 m.w.N.). Daran anschließend gibt der 4. Senat im Einvernehmen mit dem 10. Senat die langjährig andere Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zum Streitwert in dienstrechtlichen Beförderungskonkurrenzen (Eilrechtsschutz) auf. Der noch daran ausgerichtete Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts für die erste Instanz wird gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG geändert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).