Gericht | OVG Berlin-Brandenburg Der 10. Senat | Entscheidungsdatum | 21.02.2025 | |
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Aktenzeichen | 10 S 5/25 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0221.10S5.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | 8 Abs. 4 BauPVO, 3; 86a Abs.1,5 BbgBO, 12 GG, 16 GRC, VV TB, 47 Abs. 6 VwGO |
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 75.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Außervollzugsetzung der Ziffer 2.6 Anlage A 1.2.3/1 der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen des Landes Brandenburg (VV TB), am 28. November 2024 als Verwaltungsvorschrift des Landes in Kraft gesetzt durch Übernahme der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen des Deutschen Instituts für Bautechnik vom 28. August 2024 (MVV TB 2024/1) aufgrund von § 86a Abs. 5 Satz 2 BbgBO i.V.m. dem Erlass des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung vom 3. Mai 2023 (ABl./23, Nr. 20, S. 492).
Ziffer 2.6 Anlage A 1.2.3/1 VV TB lautet:
„Für die Planung, Bemessung und Ausführung von Betondecken/-dächern aus Fertigteilhohlplatten sind die Teile 1 und 2 der „DafStb-Richtlinie Betondecken und -dächer aus Fertigteilhohlplatten“ (01-2023) zu beachten. In Ermangelung einer allgemein anerkannten Regel der Technik zum Nachweis des Raumabschlusses des Bauteils (s. VV TB, A 2.1.3.3) ist ein Nachweis gemäß § 16a BbgBO erforderlich.“
Die Antragstellerinnen produzieren und vertreiben CE-gekennzeichnete Spannbeton-Hohlplatten. Zur Begründung ihres Antrages tragen sie im Wesentlichen vor, die mit der angegriffenen Regelung für die Planung, Bemessung und Ausführung für Betondecken und -dächern aus Fertigteilhohlplatten eingeführten verbindlichen zusätzlichen nationalen Anforderungen und Prüfverfahren wichen mitunter stark von den bestehenden Vorgaben der für das Produkt Spannbeton-Hohlplatte erlassenen europäischen harmonisierten Norm DIN EN 1168 ab und schafften mit neuen Nachweisanforderungen ein faktisches Verwendungsverbot ihrer bisherigen Produkte bis zum Abschluss eines langwierigen und kostenintensiven Zulassungsverfahrens. Zum Teil müssten sie ihre Produkte anpassen und die Produktion umbauen. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 der EU-Bauproduktenverordnung der bestimme, dass ein Mitgliedstaat die Verwendung CE-gekennzeichneter Bauprodukte weder untersagen noch behindern dürfe. Die Norm diene als Konkretisierung der Warenverkehrsfreiheit jedenfalls auch privaten Interessen. Ferner verletze die angegriffene Regelung ihre unternehmerische Freiheit aus Art. 16 der EU-Grundrechtecharta sowie ihre Berufsfreiheit nach Art. 12 GG. Die streitgegenständliche Regelung komme in ihren mittelbar-faktischen Wirkungen einem Eingriff gleich.
Die Antragstellerinnen beantragen,
Ziffer 2.6 Anlage A 1.2.3/1 der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen des Landes Brandenburg, am 28. November 2024 als Verwaltungsvorschrift des Landes in Kraft gesetzt durch Übernahme der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen des Deutschen Instituts für Bautechnik vom 28. August 2024 aufgrund von § 86a Abs. 5 Satz 2 BbgBO i.V.m. dem Erlass des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung vom 3. Mai 2023 (ABl./23, Nr. 20, S. 492), im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung über den noch zu erhebenden Antrag in der Hauptsache vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die digitale Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen oder angekündigten Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 VR 5/14 –, juris Rn. 12; aus der Rspr. des Senats etwa Beschlüsse vom 28. März 2022 – OVG 10 S 31/21 –, juris Rn. 20 f., und vom 6. Mai 2016 – OVG 10 S 16/15 –, juris Rn. 47).
Ausgehend von diesen Grundsätzen scheidet eine vorläufige Außervollzugsetzung der Ziffer 2.6 Anlage A 1.2.3/1 VV TB aus. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil den Antragstellerinnen für das angekündigte Normenkontroll-Hauptsacheverfahren bereits die Antragsbefugnis fehlt.
Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann eine natürliche oder juristische Person den Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO nur stellen, wenn sie geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein. Hierzu bedarf es der hinreichend substantiierten Darlegung von Tatsachen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass der Antragsteller in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt wird (st. Rspr., vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 – 4 CN 6.97 – juris Rn. 12; Beschluss vom 17. Dezember 2012 - 4 BN 19.12 - juris Rn. 3). Hierfür sind die Ausführungen in der Antragsschrift – vorliegend: des allein anhängigen Verfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO – maßgeblich und nicht etwa eine Auswertung des gesamten Prozessstoffs (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - juris Rn. 10).
An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten. Es reicht also aus, dass nach dem substantiierten Vortrag des Antragstellers eine Verletzung bestehender Rechte des Antragstellers durch den jeweiligen Hoheitsakt zumindest als möglich erscheint (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 24. September 1998, a. a. O. Rn. 8 ff.).
Dabei muss die Betroffenheit des Antragstellers von der zur gerichtlichen Prüfung gestellten Norm in eigenen Rechten - anders als die behauptete Verletzung dieser Rechte - für die Antragsbefugnis feststehen (vgl. Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 47 Rn. 44). Insofern genügt die bloße Möglichkeit einer eigenen Rechtsbetroffenheit des Antragstellers nicht. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO will die abstrakte Normenkontrolle, die von natürlichen oder juristischen Personen veranlasst wird, auf den subjektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränken und Popularklagen ausschließen. Damit verfolgt die Vorschrift dasselbe Ziel wie § 42 Abs. 2 VwGO für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Handhabung der Vorschrift muss sicherstellen, dass dieses Ziel erreicht wird. Zugleich muss in Rechnung gestellt werden, dass der einmal zulässige Normenkontrollantrag eine objektive Prüfung der beanstandeten Norm in jedweder Hinsicht auslöst. Eine Beschränkung auf die subjektiven Rechte des Antragstellers findet nicht (mehr) statt; vielmehr kann das Normenkontrollgericht die Norm auch aus Gründen für nichtig erklären, die die subjektiven Rechte des Antragstellers nicht berühren (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 2000 - 4 BN 59.00 - juris Rn. 8). Dies führt dazu, dass die gewollte Beschränkung der Normenkontrolle auf die eigenen subjektiv-öffentlichen Rechte des jeweiligen Antragstellers bereits abschließend im Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis zu leisten ist. Dementsprechend muss an dieser Stelle festgestellt werden, ob das vom Antragsteller als verletzt behauptete eigene Recht im Grundsatz auch besteht – einschließlich der Frage, ob eine in Betracht kommende Vorschrift seinem Schutz dient – und ob der Antragsteller von der zur Prüfung gestellten Norm in diesem Recht auch betroffen wird. Andernfalls würde nicht hinreichend verlässlich vermieden, dass die objektive Normenprüfung auch in Fällen ausgelöst wird, in denen sich der Antragsteller zwar einer eigenen Rechtsbetroffenheit – auch substantiiert – berühmt, die zur Prüfung gestellte Norm seine Rechtssphäre in Wirklichkeit aber unberührt lässt (vgl. zum Vorstehenden VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28. April 2004 - 9 S 1751/02 - juris Rn. 117 ff.).
In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Betrachtung vorliegend nicht von einer Antragsbefugnis der Antragstellerinnen im Hinblick auf die streitgegenständliche Norm auszugehen (vgl. insoweit und zum Nachfolgenden grundlegend Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 – 2 N 21.2595-, juris Rn. 14 ff.).
1. Die Antragstellerinnen sind nicht Adressaten der angegriffenen Regelung. Abschnitt A 1 – Mechanische Festigkeit und Standsicherheit – umfasst unter A 1.2.3.1 die Eurocodes zur Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken. Aus deren Anwendung ergibt sich, welche Merkmale und konkreten Leistungen die verwendeten Produkte am Bauwerk zur Erfüllung der bauwerksbezogenen Anforderungen ausweisen müssen. Gemäß § 3 Abs. 1 BbgBO sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Gemäß § 12 Abs. 1 BbgBO muss jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein. Die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke dürfen nicht gefährdet werden. Zur Erfüllung dieser Anforderungen an bauliche Anlagen sind die technischen Regeln nach Abschnitt A 1.2 im Grunde – auch wenn Abweichungen gestattet werden können – zu beachten. Sie richten sich ausschließlich an die am Bau Beteiligten, zu denen die Antragstellerinnen unter keinem Gesichtspunkt zu rechnen sind.
2. Die angegriffene Regelung berührt die Antragstellerinnen auch nicht in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.
Eine Berufung auf Grundrechte bleibt den Antragstellerinnen zwar grundsätzlich unbenommen. Es fehlt aber jedenfalls an einem finalen Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen nach Art. 12 Abs. 1 GG, der im hier zu entscheidenden Fall inmitten steht. Ein solcher ist gegeben bei Bestimmungen, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 1 BvR 1298/94 u.a. - juris Rn. 38; Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - juris Rn. 91). Dies ist bei der angegriffenen Regelung nicht der Fall. Der Antragsgegner wollte mit dieser Bestimmung erkennbar nicht die Berufstätigkeit der Produzenten und Händler von Betonfertigteilen reglementieren.
Die Antragstellerinnen berufen sich daher auf eine faktische oder mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung. Zwar können auch nicht unmittelbar auf die berufliche Betätigung abzielende Maßnahmen infolge ihrer spürbaren tatsächlichen Auswirkungen geeignet sein, den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG mittelbar erheblich zu beeinträchtigen. Voraussetzung für die Anerkennung solcher faktischen Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit ist aber, dass ein enger Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs besteht und dass nicht nur vom Staat ausgehende Veränderungen der Marktdaten oder allgemeinen Rahmenbedingungen eintreten, sondern eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 1 BvR 1298/94 - juris Rn. 138 m.w.N.; Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983/10 - juris Rn. 16, Beschluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 27 f; BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2013 - 8 CN 1.12 - juris Rn. 24 m.w.N.). Das ist dann der Fall, wenn der Staat zielgerichtet gewisse Rahmenbedingungen verändert, um zulasten bestimmter Unternehmen einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeizuführen. Anderenfalls handelt es sich – als Rechtsreflex – um gesellschaftliche Rahmenbedingungen, deren Dynamik der Unternehmer stets in Rechnung stellen muss. Wie oben näher dargestellt wurde, umfasst die Frage der Standsicherheit von Bauwerken bestimmte Beteiligte und ihre Rechtsbeziehungen. Nur innerhalb dieses Kreises können dem Antragsgegner finale Einwirkungsabsichten unterstellt werden. Für die Antragstellerinnen, die nicht zu diesem Kreis gehören, werden dabei Rahmenbedingungen gesetzt, mit deren Veränderung sie jederzeit rechnen müssen.
Soweit die Antragstellerinnen eine Grundrechtsbetroffenheit bereits daraus ableiten wollen, dass die faktische Wirkung der VV TB einer direkten Regelung gleichkomme, verkennen sie, dass ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nur dann gegeben ist, wenn diese mittelbar-faktische Wirkung der originären Zielsetzung des Normgebers entspricht (so BVerfG in dem angeführten Beschluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 - – juris Rn. 28 f.) Daran fehlt es hier.
Soweit der VGH Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 2020 (Az. 8 S 2959/18 – juris Rn. 34) eine Antragsbefugnis von Herstellern von Spanplatten gegen technische Baubestimmungen, die deren Verwendung verbieten bzw. beschränken, bejaht, vermag dies nicht zu überzeugen, nachdem er hierfür ohne Berücksichtigung der oben angeführten Gesichtspunkte ausschließlich die Berufung auf eine mittelbare Beeinträchtigung von Art. 12 Abs. 1 GG ausreichen lässt, ohne dies näher zu begründen.
Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 9. November 1979 – 4 N 1/78 –, juris; fortgeführt etwa von BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1993 – 3 B 113/92 –, juris) davon auszugehen, dass ein Antragsrecht gegen eine Norm demjenigen und nur demjenigen zusteht, dessen Belange bei der Entscheidung über den Erlass oder den Inhalt der Norm als privates Interesse in der Abwägung berücksichtigt werden mussten. Kernfrage ist daher, ob der Antragsgegner bei erstmaliger Schaffung der VV TB bzw. ihren jeweiligen Änderungen die Belange der Antragstellerinnen hätte berücksichtigen müssen. Zu berücksichtigen sind die öffentlichen Interessen an der Standsicherheit von baulichen Anlagen, aber nicht darüber hinaus auch die Interessen derjenigen Firmen, die auf diesem Gebiet gewissermaßen als Zulieferer tätig werden. Im Übrigen spricht auch das praktische Interesse an einem wirksamen Vollzug für diese Sichtweise. Die Statuierung elementarer sicherheitsrechtlicher Anforderungen an die Standsicherheit von baulichen Anlagen und die dabei zu berücksichtigenden Belange sind komplex genug; müssten bei Technischen Baubestimmungen daneben noch letztlich monetäre Interessen der als Zulieferer tätigen Unternehmen berücksichtigt und austariert werden, nähme die Schwerfälligkeit der entsprechenden Normgebung übermäßig zu und der Gestaltungsspielraum übermäßig ab.
Im Besonderen sind solche privaten Belange nicht berücksichtigungsbedürftig, die deshalb nicht schutzwürdig sind, weil sich ihr Träger vernünftigerweise darauf einstellen muss, dass „so etwas geschieht" (BVerwG, Beschluss vom 9. November 1979 – 4 N 1/78 –, juris Rn. 50). Damit ist wiederum das Thema der Rahmenbedingungen berührt, mit deren Veränderung ein Unternehmer jederzeit rechnen muss. Im Anschluss an diese Grundsatzentscheidung hat sich eine zahlreiche und gefestigte Rechtsprechung zu einer auch hier einschlägigen Fallgruppe herausgebildet, die wie folgt umschrieben werden kann: Eine Regelung verbietet oder beschränkt die Verwendung eines bestimmten Produktes, und der Hersteller oder Anbieter des Produkts wendet sich dagegen mit einem Normenkontrollantrag. Solche Anträge wurden überwiegend als unzulässig beurteilt (vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 29. April 1980 – 135 XIV 78 – juris; BayVGH, Beschluss vom 23. November 1995 – 8 N 95.3030 –, juris; HessVGH, Beschluss vom 28. Juli 1988 – 11 N 873/85 –, juris; BayVGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 – 20 CE 05.1142 –, juris; BayVGH, Urteil vom 22. September 2005 – 20 N 05.1564 –, juris).
3. Eine Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aus Art. 8 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten (BauPVO). Nach dieser Vorschrift darf ein Mitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Zuständigkeitsbereich die Bereitstellung auf dem Markt oder die Verwendung von Bauprodukten, die die CE-Kennzeichnung tragen, weder untersagen noch behindern, wenn die erklärten Leistungen den Anforderungen für diese Verwendung in dem betreffenden Mitgliedstaat entsprechen. Die Antragstellerinnen berufen sich vorliegend auf einen Verstoß gegen das Behinderungsverbot, das als Konkretisierung der Warenverkehrsfreiheit jedenfalls auch privaten Interessen diene.
Bei der BauPVO handelt es sich um eine unionsrechtliche Verordnung im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV, die in Deutschland unmittelbar gilt. Welche weiteren Voraussetzungen eine Norm des Gemeinschaftsrechts erfüllen muss, um dem Einzelnen ein Recht einzuräumen, ist noch nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich müssen auch gemeinschaftsrechtlich begründete Rechtspositionen im Weg des nationalen Verfahrens- und Prozessrechts durchgesetzt werden (EuGH, Urteil vom 21. Januar 1999 – C-120/97 –, juris). Vom Gemeinschaftsrecht ist dabei vorgegeben, dass der nationale Rechtsschutz diskriminierungsfrei und effektiv sein muss; die Ausübung der Gemeinschaftsrechte darf nicht praktisch unmöglich gemacht werden (grundlegend EuGH, Urteil vom 9. November 1983 – 199/82 –, juris). Gegen diese Vorgaben verstößt grundsätzlich die verwaltungsprozessuale Vorschrift des § 47 Abs. 2 VwGO auch dann nicht, wenn sie im Sinn der Schutznormtheorie gehandhabt wird (Burgi, Verwaltungsprozess- und Europarecht, München 1996, S. 65). Nach der Schutznormtheorie kommt es darauf an, ob der Rechtssatz nur die Allgemeinheit oder zumindest auch den Einzelnen schützen soll. Die Schutzrichtung des Rechtssatzes ist durch Auslegung zu ermitteln. Die BauPVO ist ein Rechtsakt zur Produktharmonisierung innerhalb der Europäischen Union, der der Errichtung und Verwirklichung eines Binnenmarktes dient (Held/Jaguttis/Rupp/Held/Jaguttis/Rupp, 1. Aufl. 2019, EWG_VO_305_2011 vor Art. 1 Rn. 1). Art. 8 Abs. 4 BauPVO ist die für die Wirksamkeit der BauPVO insgesamt zentrale Vorschrift (Held/Jaguttis/Rupp/Held/Jaguttis/Rupp, 1. Aufl. 2019, VO (EU) 305/2011 Art. 8 Rn. 22). Konkret folgt aus der Vorschrift, dass Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der BauPVO Anforderungen an die Leistung von Bauprodukten nur noch anhand der gemeinsamen Fachsprache (Kommission, KOM(2008) 311 endg., S. 3) festlegen dürfen. Anforderungen an die Leistung von Bauprodukten werden anhand von Leistungsstufen, -klassen oder einer Beschreibung festgelegt, die der Hersteller erklären muss, damit er sein Bauprodukt für den fraglichen Verwendungszweck in dem jeweiligen Mitgliedstaat vermarkten darf (Held/Jaguttis/Rupp/Held/Jaguttis/Rupp, 1. Aufl. 2019, VO (EU) 305/2011 Art. 8 Rn. 24). Die Vorschrift dient damit allgemeinen Interessen der Europäischen Union, nämlich der Statuierung eines Binnenmarktes und der Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit. Ein individuell geschütztes privates Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der unmittelbar geschützten Personen werden demgegenüber noch nicht einmal ansatzweise klargestellt und abgegrenzt (vgl. auch hierzu umfassend Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 – 2 N 21.2595 -, juris Rn. 21).
Eine klare Dogmatik der subjektiven Gemeinschaftsrechte hat der Europäische Gerichtshof bislang nicht entwickelt. Aus seiner neueren Rechtsprechung kann möglicherweise entnommen werden, dass er Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in großzügigerer Weise Rechte Einzelner entnimmt, als das mit Hilfe der Schutznormtheorie bei deutschen Gesetzen geschieht. Dem Gerichtshof reicht es teilweise aus, um Rechte Einzelner begründet zu sehen, wenn im Gemeinschaftsrecht auf personenbezogene Rechtsgüter Bezug genommen wird (Schach, NVwZ 1999, 457). Eine EU-Verordnung wäre danach daraufhin zu überprüfen, ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten Einzelner begründet (NK-VwGO/Helge Sodan, 5. Aufl. 2018, VwGO § 42 Rn. 400). Aber auch nach dieser Vorgehensweise ergibt sich kein anderes Ergebnis. Art. 8 Abs. 4 BauPVO lässt keine Bezugnahme auf personenbezogene Rechtsgüter erkennen, sodass hieraus keine Begründung von Rechten Einzelner gefolgert werden kann. Vielmehr geht es um die Festlegung einer gemeinsamen Fachsprache und um die Beachtenspflicht des Vorrangs bzw. der Ausschließlichkeit der unionsrechtlichen Fachsprache durch die Behörden der Mitgliedstaaten. Entgegen dem VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 7.Oktober 2020 – 8 S 2959/18 – juris Rn. 35; offen gelassen von BayVGH, Urteile vom 24. November 2021 – 2 N 19.1938 und 2 N 21.2173 – jeweils juris Rn. 23) entfaltet Art. 8 Abs. 4 BauPVO damit keinen drittschützenden Charakter, der eine Antragsbefugnis der Antragstellerinnen begründen würde. Die Rechtsansicht des VGH Baden-Württemberg, dass ein Gleichlauf zwischen Hamonisierung und Zuerkennung subjektiver Rechte bestehe, teilt der Senat nicht, denn dass die Betroffenen einer harmonisierten Regelung die sich aus dieser ergebenden Pflichten, aber eben auch nur diese, zu beachten haben, lässt für sich genommen keinen Schluss darauf zu, wessen Interessen die damit einhergehende Vereinfachung zu dienen bestimmt ist. Auch die dortige Bezugnahme auf die Erwägungsgründe 34 ff. der BauPVO (ABl. L 88 vom 4.4.2011, S. 5), überzeugt nicht. Für die Auslegung einer Vorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Bestimmung entnehmen lässt; nicht entscheidend ist hingegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder (NK-VwGO/Helge Sodan, 5. Aufl. 2018, VwGO § 42 Rn. 391 mit umfänglichen Rechtsprechungsnachweisen). Folgerichtig ist zur Durchsetzung der Regelungen in Art. 8 BauPVO das Vertragsverletzungsverfahren einschlägig (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 – C-100/13 –, juris; Bayerischer VGH, a.a.O., juris Rn. 22).
Soweit die Antragstellerinnen sich demgegenüber darauf berufen, die von Art. 8 Abs. 4 BauPVO konkretisierte Warenverkehrsfreiheit sei selbst als subjektives Abwehrrecht ausgestaltet, ist dem entgegenzuhalten, dass die Grundfreiheiten nur Prüfungsmaßstab sind, wenn und soweit keine sekundärrechtlichen Regelungen existieren (vgl. Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 36 Rn. 18 m.w.N aus der Rspr. des EuGH). Mit Art. 8 Abs. 4 BauPVO hat die Warenverkehrsfreiheit eine sekundärrechtliche Ausgestaltung in Form eines Behinderungsverbotes von Bauprodukten erhalten, die die CE-Kennzeichnung tragen. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Abwehrrechte darüber hinaus zugunsten der Antragstellerinnen aus der Warenverkehrsfreiheit ableitbar sind.
4. Eine Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aus Art. 16 GRC, wonach die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC gilt die Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.
Ob eine nationale Maßnahme der Durchführung des Rechts der Union dient, hängt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH davon ab, ob mit der fraglichen nationalen Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann (EuGH, Urteil vom 10.07.2014, C-198/13, Celex-Nr. 62013CJ0198, juris Rn. 37). Vorliegend ist mit Ziffer 2.6 Anlage A 1.2.3/1 VV TB und der darin enthaltenen Verweise auf die DAfStB-Richtlinie Betondecken und -dächer aus Fertigteilhohlplatten sowie auf § 16a BbgBO allein nationales Recht streitgegenständlich. Unerheblich ist, ob sich daneben im Regelungsumfeld von Bestimmungen für Bauprodukte – vorliegend mit Art. 8 Abs. 4 BauPVO – auch Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem Unionsrecht ergeben. Denn die Verpflichtungen aus der BauPVO verfolgen mit der Schaffung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten ersichtlich ein anderes Ziel als die Technischen Baubestimmungen, die gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 BbgBO die sich aus § 3 BbgBO ergebenden Anforderungen konkretisieren und damit im Gefahrenabwehrrecht zu verorten sind.
Die von den Antragstellerinnen zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung der GRC gelangt zum selben Ergebnis (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021 – 2 BvR 206/14 –, juris Rn. 36 ff.). Ob eine Rechtsfrage vollständig unionsrechtlich determiniert ist, richtet sich danach in aller Regel nach den Normen, aus denen die Rechtsfolgen für den streitgegenständlichen Fall abzuleiten sind, also danach, ob das streitgegenständliche Rechtsverhältnis und die sich aus ihm konkret ergebenden Rechtsfolgen durch das Unionsrecht oder das nationale Recht festgelegt werden. Auch danach sind die in Rede stehenden Normen nicht unionsrechtlich determiniert, weil sich die Rechtsfolgen der Einhaltung der VV TB aus dem Landesbauordnungsrecht ergeben.
Der Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung bzw. eines „Hängebeschlusses“ hat sich mit vorliegender Entscheidung erledigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streit-wertkatalog.php). Der Streitwert von 50.000,00 EUR war zu halbieren und für die jeweils zu zweit konzernverbundenen Antragstellerinnen in dreifacher Höhe festzusetzen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).