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Visum, Elternnachzug, subsidiär schutzberechtigtes Kind, Wahrnehmung des Sorgerechts, Volljährigkeit, Verlängerungsmöglichkeit des Visums, Auslandsvertretung, Beteiligung der Ausländerbehörde, Zustimmung als Verwaltungsinternum, Versagung der Zustimmung, Bindung der Auslandsvertretung, Ermessen, Ermessensausübung durch die Auslandsvertretung, Ermessensausfall, Ermessensreduzierung auf Null, Begründung der Versagung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 3. Senat Entscheidungsdatum 15.01.2025
Aktenzeichen 3 S 153/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0115.3S153.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Artikel 19 Abs. 4 GG, § 71 Abs. 2 Satz 1; § 36a Abs. 1 Satz 2; § 17 Abs. 4 Satz 3; § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG , § 26 Abs. 5 AsylG, § 114 Satz 1; 114 Satz 2 VwGO

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. November 2024 wird auf die Beschwerde der Antragsgegnerin geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, über den Visumantrag der Antragsteller (erstinstanzlich Antragsteller zu 1 und 2) erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die darüber hinausgehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Antragsteller zusätzlich 1/7 und die Beigeladene nur 1/7. Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller, syrische Staatsangehörige, sind Eltern des im Bundesgebiet lebenden M., der am 28. Januar 2007 geboren ist. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet als unbegleiteter Minderjähriger erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 15. November 2022 subsidiären Schutz zu. M. hatte bei seiner Anhörung angegeben, dass mehrere Onkel und eine Tante in Deutschland lebten und er bei seinem Onkel A. wohne. Die Antragsteller und ihre fünf in Syrien verbliebenen Kinder beantragten im April 2024 bei der Deutschen Botschaft Beirut Visa zur Familienzusammenführung mit M. Die später im gerichtlichen Verfahren beigeladene  Ausländerbehörde versagte ihre Zustimmung nach § 31 AufenthV und begründete dies mit verschiedenen Erwägungen, die sie als Ermessensausübung ansah. Die Botschaft Beirut bejahte zwar in Bezug auf die Antragsteller einen humanitären Grund im Sinne von § 36a Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, lehnte jedoch sämtliche Visaanträge mit Bescheiden vom 29. Juli 2024 ab und begründete dies gegenüber den Antragstellern damit, dass die zuständige Ausländerbehörde die erforderliche Zustimmung verweigert habe.

Die Antragsteller und ihre fünf Kinder haben am 28. August 2024 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragstellern als Eltern ein Visum zum Familiennachzug bis 27. Januar 2025, 24.00 Uhr, zu erteilen und den Antrag hinsichtlich der Kinder abgelehnt. Der Anspruch der Antragsteller ergebe sich aus § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen sie glaubhaft gemacht hätten. Der von § 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderte humanitäre Grund sei angesichts der Minderjährigkeit des im Bundesgebiet lebenden Sohnes zu bejahen. Das der Antragsgegnerin zustehende Ermessen sei hier auf Null reduziert.

II.

Die allein von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang teilweise begründet. Insoweit rechtfertigt das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass das Verwaltungsgericht nicht zu Gunsten der Antragsteller von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen durfte. Da die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen gegenüber den Antragstellern bislang noch nicht ausgeübt hat, ist sie im Wege einstweiliger Anordnung zur Neubescheidung zu verpflichten.

Nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen – unter Berücksichtigung der in § 36a Abs. 3 AufenthG genannten Regelversagungsgründe – wie hier vor, besteht gemäß § 36a Abs. 1 Satz 3 AufenthG kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, sondern die Vorschrift räumt der für die Visumerteilung nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zuständigen Auslandsvertretung bei der Entscheidung, ob die nachzugswilligen Eltern ein Visum zur Familienzusammenführung mit ihrem im Bundesgebiet lebenden minderjährigen ledigen Kind erhalten (§ 6 Abs. 3, § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG), Ermessen ein.

Das der Antragsgegnerin zustehende und von ihr bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen ordnungsgemäß auszuübende Ermessen bezieht sich auf das „Ob“ der Visumerteilung, während die durch das Bundesverwaltungsamt zu treffende Auswahlentscheidung lediglich eine (Zwischen-)Entscheidung über das „Wann“ der Visumerteilung zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2024 – 1 C 17.23 – Rn. 10; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2024 – OVG 3 B 38/23 – juris Rn. 34 zu § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Insoweit besteht in rechtlicher Hinsicht kein Unterschied, ob die für die Erteilung nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zuständige Auslandsvertretung im Visumverfahren oder die nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bei einem (erstmalig) im Bundesgebiet gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zuständige Ausländerbehörde entscheidet.

Demgegenüber kommt es – anders als die Beschwerde meint - auf eine etwaige Ermessensausübung der im Verwaltungsverfahren nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV zu beteiligenden und im gerichtlichen Verfahren nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladenden Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1984 – 1 A 4/83 – juris Rn. 15) nicht an, wenn sich der im Ausland befindliche nachzugswillige Familienangehörige in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Visumversagung durch die zuständige Auslandsvertretung richtet. Das Verwaltungsgericht überprüft ausschließlich, ob die für den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes zuständige Auslandsvertretung das ihr zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, § 114 Satz 1 VwGO.

Bei der von der Auslandsvertretung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV einzuholenden Zustimmung der Ausländerbehörde handelt es sich um einen behördeninternen Mitwirkungsakt, auf den im Außenverhältnis kein Rechtsanspruch besteht und der nicht isoliert angegriffen oder erstritten werden kann. Die Nichterteilung der Zustimmung hat zwar faktisch negative Auswirkungen für den Visumantragsteller, weil die Auslandsvertretung in diesem Fall rechtlich gehindert ist, das beantragte Visum zu erteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1984 – 1 A 4/83 – juris Rn. 15; Beschluss vom 15. März 1985 – 1 A 6/85 – juris Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juli 2019 – OVG 3 M 47.18 – juris Rn. 4). Rechtlich verbindliche Außenwirkung gegenüber dem Antragsteller erlangt indessen erst deren Bescheid, mit dem sie den Visumantrag ablehnt. Wird hingegen die Zustimmung erteilt, so hat dies keine Bindungswirkung für die Entscheidung der Auslandsvertretung (BVerwG, Beschluss vom 7. September 1990 – 1 A 65/90 – juris Rn. 2). Insbesondere existiert keine gesetzliche Regelung, nach der die abschließende Prüfung bestimmter Voraussetzungen für eine Visumerteilung der Ausländerbehörde vorbehalten ist. Die Auslandsvertretung hat den Visumantrag vielmehr als für die Erteilung nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG allein zuständige Behörde aus eigenem Recht umfassend zu prüfen, muss eigenständige Ermessenserwägungen anstellen und kann den Antrag auch dann ablehnen, wenn die Ausländerbehörde zugestimmt hat. Inwieweit sich die Auslandsvertretung etwaige Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde zu eigen macht, bleibt ihr vorbehalten (vgl. zu alledem BVerwG, Beschluss vom 15. März 1985 – 1 A 6/85 – juris Rn. 3; Beschluss vom 7. September 1990 – 1 A 65/90 – juris Rn. 2, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2019  OVG 3 S 9/19 – juris Rn. 3 m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-Aufenthaltsrecht, § 6 AufenthG Rn. 243; Teipel, in: ZAR 1995, 162 [164]).

Die hier am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO zu überprüfende Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist fehlerhaft, weil die zuständige Auslandsvertretung – was auch die Beschwerde eingesteht – nicht erkannt hat, dass ihr § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG Ermessen einräumt und dementsprechend keine Ermessenserwägungen angestellt hat. Zwar ergibt sich dies noch nicht aus den gegenüber den Antragstellern ergangenen versagenden Bescheiden vom 29. Juli 2024, die als Ablehnungsgrund nur die fehlende Zustimmung des Beigeladenen nennen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann zur Beantwortung der Frage, ob die Auslandsvertretung eine Ermessensentscheidung getroffen hat und welche Erwägungen ihr zugrunde lagen, im Visumverfahren neben dem versagenden Bescheid ergänzend auf die sonstigen in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Umstände zurückgegriffen werden, weil die Visumversagung als solche keinem unmittelbaren gesetzlichen Begründungserfordernis im Sinne von § 39 VwVfG unterliegt, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG nicht anwendbar ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2011 - OVG 3 B 11.09 - juris Rn. 31; Urteil vom 15. März 2022 – OVG 3 B 41/19 – Rn. 19; s. ferner OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2024 – OVG 3 B 38/23 – juris Rn. 34). Allerdings lässt sich auch dem Verwaltungsvorgang der Auslandsvertretung nichts zu ihrer Ermessensausübung entnehmen, sondern sie ist in ihrem Schreiben vom 26. Juli 2024 vielmehr – unzutreffend - davon ausgegangen, dass weder ihr noch der Ausländerbehörde Ermessen zustehe, sondern allein dem Bundesverwaltungsamt bei der Auswahlentscheidung.

Ob die Antragsgegnerin während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachträglich Ermessenserwägungen angestellt hat, kann hier dahinstehen. § 114 Satz 2 VwGO erlaubt zur wirksamen Heilung eines Ermessensfehlers lediglich die Ergänzung oder Korrektur des im Verwaltungsverfahren bereits ausgeübten (defizitären) Ermessens und ist bei einem – wie hier – (vollständigen) Ermessensausfall grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2021 – 8 C 25/19 - juris Rn. 13). Ein von der Rechtsprechung bejahter Ausnahmefall, wonach § 114 Satz 2 VwGO trotz seiner Beschränkung auf ergänzende Erwägungen herangezogen werden darf, wenn sich aufgrund nachträglich eingetretener Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erstmals im gerichtlichen Verfahren ergibt und die Behörde zunächst einen rechtmäßigen gebundenen Verwaltungsakt erlassen hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 C 14/10 – juris Rn. 8), liegt ersichtlich nicht vor.

Trotz dieses Ermessensausfalls kann die Antragsgegnerin – was die Beschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht – hier nicht verpflichtet werden, die von den Antragstellern begehrten Visa zu erteilen. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 (– OVG 3 B 38/23 – juris Rn. 34) für den Kindernachzug davon ausgegangen ist, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG „in der Regel“ zu einer Einbeziehung des Visumantrags in die Auswahlentscheidung führe, gilt dies hier – unabhängig davon, dass es sich um einen Elternnachzug handelt - aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, dass die Antragsgegnerin zu der begehrten Visumerteilung verpflichtet wird, setzt eine Reduzierung des der Antragstellerin zustehenden Ermessens auf Null oder im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bei entsprechender Zeitknappheit zumindest voraus, dass die erforderliche Neubescheidung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Visumerteilung führt (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 2 B 282/19 – juris Rn. 17; OVG Münster, Beschluss vom 25. Mai 2021 – 19 B 821/21 - juris Rn. 5; s. ferner Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123 Rn. 161b f.). Da diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, ist die Sache nicht spruchreif und es kommt lediglich eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO in Betracht.

Allerdings setzt die gerichtliche Feststellung einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen der Beschwerde nicht voraus, dass die Behörde ihr Ermessen bereits betätigt hat. Das Gericht darf die Behörde immer dann zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes statt zu einer Neubescheidung verpflichten, wenn der behördliche Handlungsspielraum auf der Rechtsfolgenseite, den die Norm einräumt, im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände so verengt ist, dass sich bei der Anwendung nur noch eine einzige Handlungsalternative als rechtmäßig erweist, während alle übrigen Möglichkeiten ermessensfehlerhaft sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 8 C 18/16 - juris Rn. 22). Da der Behörde mithin keine Letztentscheidungsbefugnis mehr verbleibt, kommt es im Fall einer Stattgabe durch das Gericht zu demselben Ausspruch wie bei einer gebundenen Norm (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - juris Rn. 68). Vor diesem Hintergrund kommt es nicht (mehr) darauf an, ob und wie die Behörde den versagenden Verwaltungsakt begründet hat.

Gemessen daran ist hier nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat bei erneuter ordnungsgemäßer Ermessensausübung zur Erteilung der begehrten Visa verpflichtet wäre bzw. mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit die begehrten Visa erteilen würde.

Dies gilt zunächst im Hinblick auf die gesetzgeberische Konzeption des § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG und den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck. Ein den Antragstellern gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteiltes Visum wäre zwingend bis zum XX. Januar 2025 befristet, weil ihr im Bundesgebiet lebender, subsidiär schutzberechtigter Sohn am YY. Januar 2025 volljährig wird und das den Eltern zum Familiennachzug erteilte Visum allein der Wahrnehmung der Personensorge dient. Diese zeitliche Begrenzung des Elternnachzugs bis zur Volljährigkeit eines subsidiär schutzberechtigten Kindes verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 31/21 – juris Rn. 11 ff.). Die Regelung dient nicht eigenständigen Interessen der Eltern am Zusammenleben mit dem volljährig gewordenen Kind, sondern soll ein minderjähriges Kind schützen, wenn sich noch kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Dies verdeutlicht auch der Wille des Gesetzgebers, die Vorschrift auf den Schutz der Kernfamilie zu beschränken (vgl. BT-Drs. 19/2438, S. 22), wozu volljährige Kinder grundsätzlich nicht mehr zählen. Ferner war beabsichtigt, mit der besonderen Ausgestaltung des § 36a AufenthG den Anreiz, dass Minderjährige von ihren Eltern unter Gefährdung des Kindeswohls auf die gefährliche Reise in die Bundesrepublik Deutschland vorgeschickt werden, weiter zu reduzieren (vgl. BT-Drs. 19/2438, S. 3 und S. 15).

Müsste die Gültigkeit den Antragstellern erteilter Visa demnach auf die Zeit bis zur Volljährigkeit beschränkt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 31/21 - juris Rn. 11; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 38/19 - juris Rn. 15 ff.), so wären die Antragsteller nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet nur während eines kurzen Zeitraumes im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Eine (reguläre) Verlängerung der Visa über den XX. Januar 2025 hinaus wäre mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht möglich. Nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes und dem Willen des Gesetzgebers steht den nachgezogenen Eltern eines subsidiär schutzberechtigten Kindes mit dessen Volljährigkeit kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 38/19 - juris Rn. 17; Beschluss vom 7. Januar 2025 – OVG 3 S 2/25 - juris).

Nichts anderes ergibt sich aus § 27 Abs. 4 Satz 3 AufenthG. Soweit diese Regelung in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) bestimmt, dass der betreffende Mitgliedstaat den Familienangehörigen einen ersten Aufenthaltstitel mit mindestens einjähriger Gültigkeitsdauer – allerdings unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Akzessorietät (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) – erteilt, gilt dies nicht für die Antragsteller. Die Familienzusammenführungsrichtlinie und die zu ihrer Umsetzung normierten aufenthaltsrechtlichen Vorschriften wären in Bezug auf den Antragstellern gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilte Visa nicht anwendbar, denn die Familienzusammenführungsrichtlinie erfasst nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst c nicht den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 31/21 - juris Rn. 17).

Ebenso wenig könnten die Antragsteller mit Erfolg einwenden, sie würden nach ihrer Einreise bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stellen oder internationalen Schutz für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 5, Abs. 3 AsylG erhalten, denn dies stellt keine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis dar. Im Übrigen kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zur gemeinsamen Einreise von Kindern mit ihren Eltern, die im Besitz eines Visums nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG sind) ein eventuelles zukünftiges Aufenthaltsrecht, das von der zunächst erforderlichen Zuerkennung internationalen Schutzes abhängt, grundsätzlich nicht vor dem Abschluss des im Bundesgebiet durchzuführenden Asylverfahrens fingiert und bei einem Visumantrag zum Familiennachzug bereits im Vorgriff berücksichtigt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2025 – OVG 3 S 2/25 – juris; Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 38/19 - juris Rn. 17; Beschluss vom 12. Juli 2017 - OVG 3 S 47.17 - juris Rn. 5 m.w.N.). Diese Rechtsauffassung des Senats hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2017 - 2 BvR 2801/17 - juris Rn. 6). Hinzu kommt, dass der Ausgang eines von den Antragstellern ggf. durchzuführenden Asylverfahrens im Hinblick auf die veränderte Situation in Syrien derzeit ungewiss wäre.

Neben dem nur noch für kurze Zeit wahrzunehmenden Sorgerecht und dem zeitlich begrenzten Aufenthaltsrecht der Antragsteller steht einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen, dass ihr im Bundesgebiet lebender Sohn weder geltend noch glaubhaft gemacht hat, auch nach Erreichen seiner Volljährigkeit aufgrund besonderer individueller Umstände eine Betreuung durch seine Eltern im Bundesgebiet zu benötigen und dass sich bereits weitere Familienangehörige des Sohnes im Bundesgebiet befinden, bei denen er sich aufgehalten hat. Angesichts dessen ist die Erteilung der begehrten Visa auch nicht aufgrund höherrangigen Rechts im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK geboten.

Schließlich können sich die Antragsteller hier nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie bereits im August 2024 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt haben und die Visumerteilung vorrangig an der von dem Beigeladenen – zudem verzögert – verweigerten Zustimmung gescheitert ist. Ausschlaggebend sind hier der derzeit noch zur Wahrnehmung des Sorgerechts zur Verfügung stehende kurze Zeitraum, der im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Verpflichtung zur Visumerteilung als Kompensation für säumiges oder gar rechtswidriges Verhalten in der Regel nicht erlaubt, sowie der Umstand, dass sich die Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren nicht gegen die Erteilung der Visa gewendet hat, jedoch intern an die durch den Beigeladenen versagte Zustimmung gebunden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung ist im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf den Grundsatz der Kosteneinheit einzubeziehen, weil es insoweit allein auf den abschließenden Ausgang des gesamten Prozesses, d.h. hier das Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens ankommt (vgl. Wöckel, in: Eyermann, VwGO, § 154 Rn. 4). Deshalb sind die Kosten, die das Verwaltungsgericht dem Beigeladenen im Hinblick auf das Obsiegen der Antragsteller auferlegt hat, wegen des Ausgangs des Beschwerdeverfahrens zu teilen. Der Senat schließt sich jedoch insoweit der Auffassung des Verwaltungsgerichts an, dass der Beigeladene wegen der versagten Zustimmung die erstinstanzlichen Kosten (teilweise) zu tragen hat und nicht die (teilweise unterlegene) Antragsgegnerin. Dies ist allerdings im Beschwerdeverfahren nicht möglich, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).