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Windenergie, Änderung, Drittanfechtung, Feststellungsbescheid, Windeignungsgebiet, Prioritätsgrundsatz, Abschaltzeiten, Standsicherheit, Nacbarbeteiligung, Akteneinsicht, Abstandsflächentiefe, Abstandsflächenreduzierung, wechselseitige Abstandsflächenverringerung, maximale Ausnutzbarkeit, Ertragsminderung, Pachteinnahmen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 7. Senat Entscheidungsdatum 18.02.2025
Aktenzeichen 7 A 42/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0218.7A42.24.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 15; 16; 17; 20 BImSchG, 6; 67; 70 BbgBO, 45 VwVfg

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Windenergieanlage auf seinem Nachbargrundstück.

Das Grundstück des Klägers (Gemarkung B____, Flur _, Flurstück __) befindet sich in A_______ im Landkreis B_____ und ist an einen Windenergieanlagenbetreiber verpachtet.

Auf dem Nachbargrundstück des Klägers (Gemarkung B______, Flur _, Flurstück __) plant die Beigeladene eine Windenergieanlage. Sie stellte am 26. Februar 2020 einen Antrag auf Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-147 EP5 E2 (Nabenhöhe: 155,1 m, Rotordurchmesser: 147 m, Gesamthöhe: 228,6 m; elektrische Nennleistung: 5 MW). Die Beigeladene beantragte eine Reduzierung der Abstandsflächentiefe auf die Projektion der Windenergieanlage als Radius der fiktiven Kugel. Der Beklagte hörte den Kläger zu der Reduzierung der Abstandsfläche an und übersandte eine Kopie des Lageplans mit Ausweisung der Abstandsfläche 0,4 H und der rotorüberstrichenen Fläche, eine Information zum Standort der Windkraftanlage und eine Ansicht der Windkraftanlage mit Vermaßung. Der Kläger verweigerte die Zustimmung zu der Reduzierung der Abstandsfläche. Er begehrte weitergehende Akteneinsicht, die der Beklagte nach anfänglicher Weigerung auf Widerspruch des Klägers hin bewilligen wollte, wogegen die Beigeladene Klage bei dem VG Frankfurt (Oder) erhob.

Der Pächter des Klägers stellte am 8. Juni 2020 einen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage auf dem Grundstück des Klägers. Auch er beantragte eine Reduzierung der Abstandsflächentiefe auf die Projektionsfläche der Windenergieanlage. Die Entfernung zwischen den beiden Windenergieanlagen beträgt ca. 169 Meter.

Mit Genehmigungsbescheid vom 3. Dezember 2021 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die beantragte Genehmigung. Der Genehmigungsbescheid setzt in Ziffer I.2 die beantragte Reduzierung der Abstandsflächentiefe fest.

Mit Genehmigungsbescheid vom 4. April 2022 erteilte der Beklagte dem Pächter des Klägers ebenfalls die beantragte Genehmigung. Auch in diesem Bescheid ist in Ziffer I.2 die Abstandsflächentiefe wie beantragt auf die Projektionsfläche reduziert. Zur Gewährleistung der Standsicherheit umliegender Windenergieanlagen sieht die Genehmigung in Ziffer IV.3.6 Abschaltzeiten vor.

Der Kläger erhob am 6. Januar 2022 Widerspruch gegen den Genehmigungsbescheid der Beigeladenen.

Am 20. Januar 2022 zeigte die Beigeladene dem Beklagten eine Änderung ihres Vorhabens in eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-138 EP3 E2 an (Nabenhöhe: 160 m, Rotordurchmesser: 138 m, Gesamthöhe: 229,13 m; elektrische Nennleistung: 4,2 MW). Mit Feststellungsbescheid vom 10. März 2022 entschied der Beklagte auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, dass die angezeigte Änderung keines Genehmigungsverfahrens nach § 16 Abs. 1 BImSchG bedürfe.

Der Kläger erhob am 29. Juni 2022 Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2022 wies das VG Frankfurt (Oder) die Klage der Beigeladenen gegen die weitergehende Gewährung von Akteneinsicht ab. In der Folge erhielt der Kläger die von ihm begehrte Akteneinsicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2024 wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen den Genehmigungsbescheid zugunsten der Beigeladenen und den Feststellungsbescheid zurück.

Am 21. März 2024 hat der Kläger Klage erhoben.

Er macht geltend, dass ihm eine Klagebefugnis sowohl gegen den Feststellungsbescheid als auch gegen den Genehmigungsbescheid zustehe. Der Genehmigungsbescheid sei formell rechtswidrig, da kein ordnungsgemäßes Nachbarbeteiligungsverfahren durchgeführt worden sei. Der Beklagte habe den Genehmigungsbescheid erlassen, bevor er die Möglichkeit der erweiterten Akteneinsicht erhalten habe. Die im Genehmigungsbescheid enthaltene Ermessensabwägung sei fehlerhaft. Es hätte geprüft werden müssen, inwieweit das Grundstück des Klägers durch die Abstandsflächenreduzierung im Hinblick auf andere Bebauungen beeinträchtigt werde. Weiterhin führten die Abschaltzeiten zu erheblichen Einnahmeeinbußen, die sich im fünf- oder voraussichtlich sogar sechsstelligen Bereich bewegten. Darüber hinaus hätte die Abstandsflächenreduzierung auf Grundlage der Daten des geänderten Anlagentyps neu berechnet und neu beantragt werden müssen. Der Feststellungsbescheid sei rechtswidrig, da eine Änderungsgenehmigung notwendig gewesen wäre. Schließlich befinde sich die Windenergieanlage der Beigeladenen außerhalb des festgesetzten Windeignungsgebietes.

Der Kläger beantragt,

den Genehmigungsbescheid des Landesamts für Umwelt vom 3. Dezember 2021 und den Feststellungsbescheid vom 10. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2024 betreffend die Genehmigung einer Windkraftanlage in _____ A______, Gemarkung B______, Flur _, Flurstück __ aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass die Klage unzulässig sei, soweit sich der Kläger gegen den Feststellungsbescheid nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG wende. Diesem Feststellungsbescheid komme grundsätzlich keine Drittwirkung zu. Soweit sich die Klage gegen den Genehmigungsbescheid richte, sei sie teilweise zulässig. Der Kläger könne sich als Nachbar nicht darauf berufen, dass sich die streitgegenständliche Windenergieanlage außerhalb des festgesetzten Windeignungsgebietes befinde. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die gewährte Akteneinsicht sei ausreichend gewesen. Aus den an den Kläger übermittelten Informationen sei es möglich gewesen, sich über das Vorhaben und die geplante Abstandsflächenreduzierung zu informieren und zu äußern. Selbst eine unzureichende Nachbarbeteiligung führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung. Der Verfahrensfehler sei durch die Äußerungsmöglichkeit im Widerspruchs- und Klageverfahren geheilt. Die Reduzierung der Abstandsfläche sei rechtmäßig. Bei Windenergieanlagen im Außenbereich komme einer ausreichenden Belichtung und Belüftung sowie der Sicherung des Wohnfriedens durch Einhaltung eines ausreichenden Sozialabstandes keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Für die Reduzierung der Abstandsflächentiefe spreche vorliegend auch das öffentliche Interesse an der Nutzung von Windenergie nach § 2 EEG. Das Grundstück des Klägers könne weiterhin unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften bebaut werden. Die Ausführungen zu den reduzierten Pachteinnahmen seien unsubstantiiert und ohne Nachweis geblieben. Im Übrigen sei fraglich, ob das Rücksichtnahmegebot bei erheblichen finanziellen Einbußen überhaupt verletzt sei. Der Kläger könne auch nicht darauf vertrauen, dass keine Windenergieanlagen auf den Nachbargrundstücken errichtet würden. Der Feststellungsbescheid sei rechtmäßig. Der Anlagenwechsel bedürfe keiner Änderungsgenehmigung. Weiterhin befinde sich die Anlage nicht außerhalb des festgesetzten Windeignungsgebietes.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage in Bezug auf den Feststellungsbescheid und den Vortrag zur Lage im Windeignungsgebiet für unzulässig und im Übrigen für unbegründet. Das Nachbarbeteiligungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Benachrichtigung nach § 70 Abs. 2 BbgBO sei so zu gestalten, dass der Nachbar erkennen könne, von welcher Vorschrift in welchem Umfang abgewichen werde. Die vorliegend zur Verfügung gestellten Unterlagen erfüllten diesen Zweck. Im Übrigen sei anerkannt, dass selbst eine vollständig unterbliebene Nachbarbeteiligung nicht zu einer materiell-rechtlichen Fehlerhaftigkeit oder Unwirksamkeit der Genehmigung führe. Ein Fehler sei hier auch nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Der Kläger habe seinen Vortrag nach erfolgter Akteneinsicht nicht substanziell erweitert. Die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung einer Abweichung von den Abstandsflächen lägen vor. Es sei nicht ersichtlich, dass durch die Gewährung einer Abweichung die Bebaubarkeit des Grundstücks des Klägers erheblich erschwert werde. Soweit der Kläger sich auf die angeordneten Abschaltzeiten für die auf seinem Grundstück genehmigte Windenergieanlage und damit für ihn verbundene verringerte Pachteinnahmen berufe, resultiere dieser Umstand nicht aus der gewährten Abweichung. Vielmehr gelte für die zugrundeliegende Konkurrenzsituation der beiden Windenergieanlagen das Prioritätsprinzip. Die Typenänderung habe keiner Änderungsgenehmigung bedurft, da es sich nicht um eine wesentliche Änderung handle. Eine erneute Berechnung der Abstandsflächen sei nicht erforderlich, da die maßgebliche Gesamthöhe der Anlage im Wesentlichen unverändert bleibe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Streitakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten zum Ausgangsvorhaben (zwei Ordner Antragsunterlagen, ein Ordner Genehmigungsverfahrensakte), zum Änderungsvorhaben (ein Hefter Auszug Betriebsakte) und zum Widerspruchsverfahren (ein Hefter); die genannten Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Sie ist teilweise zulässig.

Soweit sich der Kläger gegen den Genehmigungsbescheid wendet, erscheint eine Verletzung subjektiver Rechte möglich. Ausgeschlossen ist eine Klagebefugnis nur insoweit, als der Kläger rügt, dass sich die streitgegenständliche Windenergieanlage außerhalb eines Windeignungsgebietes befindet. Die Ausweisung eines Windeignungsgebietes dient nicht dem Schutz nachbarlicher Belange. Ziele der Raumordnung haben im Übrigen grundsätzlich gegenüber privaten Grundstückseigentümern keine unmittelbaren Rechtswirkungen (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2003 – BVerwG 4 CN 8.01 – juris Rn. 30; OVG Greifswald, Urteil vom 10. April 2018 – 3 LB 133/08 – juris Rn. 111).

Die Klage gegen den Feststellungsbescheid ist unzulässig (BVerwG, Urteil vom 7. August 2012 – BVerwG 7 C 7.11 – juris Rn. 12 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Januar 2025 – OVG 7 A 41/24 – Entscheidungsabdruck Seite 8 f., in Kürze bei juris). Entscheidend hierfür ist, dass der Feststellungsbescheid nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG allein eine Aussage zur formellen Legalität des Änderungsvorhabens trifft. Eine materiell-rechtliche Wirkung geht von ihm nicht aus. Der Nachbarschutz wird über § 17 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 BImSchG gewährleistet (vgl. hierzu ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Januar 2025 – OVG 7 A 41/24 – Entscheidungsabdruck Seite 9, in Kürze bei juris).

2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der Genehmigungsbescheid verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist bei einer immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, sofern sich nicht ausnahmsweise aus dem anzuwendenden materiellen Recht etwas anderes ergibt. Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zu Lasten des Vorhabenträgers haben daher außer Betracht zu bleiben. Änderungen zu seinen Gunsten sind jedoch zu berücksichtigen (vgl. u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Juli 2022 – BVerwG 7 B 15.21 – juris Rn. 12 und vom 8. Oktober 2021 – BVerwG 7 B 1.21 – juris Rn. 9; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2024 – OVG 7 A 39/24 – juris Rn. 33 m.w.N.).

a. Ein Aufhebungsanspruch folgt nicht aus der Verletzung formellen Rechts.

Die von dem Beklagten vor Erlass des Genehmigungsbescheides zu der Abstandsflächenreduzierung durchgeführte Beteiligung des Klägers nach § 70 Abs. 2 BbgBO war ordnungsgemäß. § 70 Abs. 2 BbgBO bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde vor der Zulassung von Abweichungen nach § 67 und vor der Erteilung von Befreiungen nach § 31 Absatz 2 des Baugesetzbuches, die öffentlich-rechtliche geschützte nachbarliche Belange berühren können, die betroffenen Nachbarn von dem Vorhaben durch Zustellung zu benachrichtigen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von einem Monat zu geben hat. Für die Beteiligung nach § 70 Abs. 2 BbgBO ist erforderlich, dass der Nachbar erkennen kann, von welcher Vorschrift in welchem Umfang abgewichen werden soll (Semtner/Langer/Frey, Die neue Brandenburgische Bauordnung, Handkommentar, 5. Aufl., § 70 Rn. 10). Ihm ist regelmäßig eine Baubeschreibung zukommen zu lassen und er ist insbesondere auf die Gründe für die Berührung nachbarlicher Interessen hinzuweisen (Otto, Brandenburgische Bauordnung, Kommentar für die Praxis, 5. Aufl., § 70 Rn. 9). Gemessen an diesen Maßstäben waren die vor Erlass des Genehmigungsbescheides übersandten Unterlagen ausreichend. Ein formeller Fehler liegt insoweit nicht vor. Anders zu beurteilen ist dies für die von dem Kläger darüber hinaus beantragte und von dem Beklagten nach § 1 VwVfG Bbg, §§ 13, 29 VwVfG gewährte erweiterte Akteneinsicht. Diese konnte der Kläger infolge des von der Beigeladenen angestrebten Klageverfahrens erst nach Erteilung des Genehmigungsbescheides wahrnehmen. Ein hieraus folgender formeller Fehler des Genehmigungsbescheides ist jedoch in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt (vgl. zur entsprechenden Anwendung BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983 – BVerwG 1 C 13.81 – juris Rn. 12; Schemmer, in: BeckOK VwVfG, 66. Ed. 1. Januar 2025, VwVfG § 45 Rn. 44; Schneider, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 5. EL Juli 2024, VwVfG § 45 Rn. 94). Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Die Nachholung ist bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich, § 45 Abs. 2 VwVfG. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hatte noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides die Möglichkeit, Akteneinsicht in dem begehrten Umfang zu nehmen und seinen Vortrag zu ergänzen. Hiervon hat er auch Gebrauch gemacht.

b. Der Genehmigungsbescheid verletzt den Kläger auch nicht materiell in seinen Rechten.

aa. Die in dem Genehmigungsbescheid festgesetzte reduzierte Abstandsflächentiefe verletzt keine Nachbarrechte des Klägers.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BbgBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. § 6 Abs. 1 Satz 2 BbgBO bestimmt, dass Satz 1 entsprechend für andere Anlagen gilt, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen. Eine solche Wirkung wie von Gebäuden ist für Windenergieanlagen im Allgemeinen anzunehmen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2023 – OVG 3a A 1/23 – juris Rn. 34). Die Berechnung der Abstandsflächen richtet sich nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BbgBO. Danach beträgt die Tiefe der Abstandsflächen 0,4 H, mindestens 3 Meter. Nach dem mit Gesetz vom 29. September 2023 geänderten § 6 Abs. 5 Satz 2 BbgBO genügt in Gewerbe- und Industriegebieten sowie für Windenergieanlagen im Außenbereich eine Tiefe von 0,2 H. Diese Rechtsänderung ist zu berücksichtigen, da sie zugunsten der Beigeladenen wirkt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2024 – OVG 3a S 9/23 – juris Rn. 16). Infolge der Reduzierung der Abstandsflächentiefe auf die Projektionsfläche ist der Wert von 0,2 H hier nicht eingehalten.

(1) Eine Berufung des Klägers auf eine Abstandsflächenreduzierung ist vorliegend schon nach den Grundsätzen der wechselseitigen Abstandsflächenverletzung ausgeschlossen. Danach kann sich der Nachbar nach Treu und Glauben in der Regel nicht auf die Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften berufen, wenn die Bebauung auf seinem Grundstück die erforderlichen Abstandsflächen mindestens in vergleichbarem Umfang selbst nicht einhält. Hierfür ist eine quantitativ und qualitativ wertende Betrachtung der mit der Verletzung der Abstandflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigungen vorzunehmen. Diesen Grundsätzen liegt die Erwägung zugrunde, dass der baurechtliche Nachbarschutz seine Grundlage in dem auf gegenseitiger Rücksichtnahme beruhenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis findet, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zugunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet. Dabei ist unerheblich, ob die Bebauung auf dem Grundstück des Nachbarn, der ein Abwehrrecht geltend macht, in Übereinstimmung mit den baurechtlichen Bestimmungen errichtet wurde, ob diese aufgrund einer Baugenehmigung Bestandsschutz genießt, und ob die eigene Abstandsflächenunterschreitung ihm subjektiv vorwerfbar ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Januar 2025 – OVG 2 B 6/23 – juris Rn. 24 m.w.N.). Die Voraussetzungen einer solchen wechselseitigen Abstandsflächenreduzierung liegen hier vor. Sowohl die Abstandsflächentiefe auf dem klägerischen Grundstück als auch diejenige auf dem Nachbargrundstück sind auf die Projektionsflächen der Windenergieanlagen reduziert. Der Kläger nimmt daher im Wesentlichen die gleiche Abstandsflächenreduzierung in Anspruch, die er bei seinem Nachbarn rügt. Dass die beiderseitige Abstandsflächenunterschreitung zu einer gemessen am Schutzzweck des Abstandsflächenrechts schlechthin untragbaren Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks führen würde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. April 2017 – OVG 2 B 4.16 – juris Rn. 33), ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dem Kläger steht daher ein Abwehrrecht nicht zu.

(2) Unabhängig hiervon ist die im Genehmigungsbescheid festgesetzte Reduzierung der Abstandsflächentiefe rechtmäßig. Rechtsgrundlage sind die §§ 6 Abs. 11, 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO. § 6 Abs. 11 BbgBO bestimmt, dass eine Abweichung von den Abstandsflächen und Abständen nach § 67 zugelassen werden kann, wenn deren Schutzziele berücksichtigt werden. Nach der mit Gesetz vom 29. September 2023 geänderten aktuellen Fassung des § 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO soll die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Satz 1, vereinbar sind.

Die im Rahmen des §§ 6 Abs. 11, 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO getroffene Abwägungsentscheidung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger vorträgt, der Beklagte habe bei der Reduzierung der Abstandsflächen nicht berücksichtigt, dass der Kläger Mindereinnahmen in Kauf nehmen müsse, kann er hiermit nicht durchdringen. Der Beklagte hat hierzu im Rahmen der Abwägung hinreichend ausgeführt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Vortrag zu Einkommenseinbußen bereits nicht geeignet ist, die Abstandsflächenreduzierung in Frage zu stellen. Abstandsflächen dienen der Belichtung, Besonnung und Belüftung; sie sollen einen Sozialabstand und damit auch den Brandschutz gewährleisten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juni 2023 – OVG 3a A 57/23 – juris Rn. 34). Der Schutzzweck der Abstandsflächen besteht demgegenüber nicht darin, den Nachbarn vor einem Einnahmeverlust zu schützen. Darüber hinaus beruhen die behaupteten Mindereinnahmen nicht auf den festgelegten Abstandsflächen. Sie resultieren vielmehr aus den Abschaltzeiten für die auf dem Grundstück des Klägers gelegene Windenergieanlage. Die Abschaltzeiten wiederum sind Folge des zugunsten der Beigeladenen wirkenden Prioritätsprinzips (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 – BVerwG 4 C 3.19 – juris Rn. 19 ff.). Da die Windenergieanlage der Beigeladenen gegenüber der auf dem klägerischen Grundstück geplanten Windenergieanlage prioritär ist, hat letztere Abschaltzeiten hinzunehmen. Im umgekehrten Fall müsste die Beigeladene Abschaltzeiten in Kauf nehmen, ohne dass sich dies auf die Abstandsflächen auswirken würde.

Auch der Vortrag des Klägers, die Abwägung des Beklagten verhalte sich nicht zu den Auswirkungen der Reduzierung der Abstandsflächen auf eine anderweitige Bebaubarkeit des klägerischen Grundstücks, verfängt nicht. Der Beklagte hat die Frage der Bebaubarkeit in die Abwägung eingestellt. Die Ausführungen hierzu sind nicht zu beanstanden. Aktuell ist auf dem Grundstück des Klägers eine Windenergieanlage geplant. Konkrete Pläne zu einer anderen Bebauung nennt der Kläger nicht. Dies wäre jedoch erforderlich, um eine zukünftige Beeinträchtigung durch die im Bescheid festgelegten Abstandsflächen beurteilen zu können. Die von dem Kläger angestrebte maximale Ausnutzbarkeit seines Grundstücks, die alle zukünftigen und denkbaren Nutzugsmöglichkeiten umfasst, kann im Rahmen der Abwägung nach § 67 BbgBO nicht zu einer Entscheidung gegen die Abstandsflächenreduzierung führen.

Aus den genannten Gründen können die von dem Kläger vorgetragenen Argumente auch keine Ermessenfehler – soweit das Ermessen in § 6 Abs. 11 BbgBO nicht ohnehin als intendiertes Ermessen zu verstehen ist – begründen.

bb. Weiterhin kann der Vortrag, die Abstandsflächen hätten nach Änderung des Anlagentyps neu berechnet werden müssen, der Klage gegen den Genehmigungsbescheid nicht zum Erfolg verhelfen. Ziffer III. 2. des Feststellungsbescheides bestimmt, dass die im Genehmigungsbescheid getroffenen Festlegungen und Nebenentscheidungen durch diese Entscheidung nicht berührt werden. Eine Neuberechnung der Abstandsflächen hätte in der – auf Grund des durch den Feststellungsbescheid bewirkten Wegfalls der Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG erforderlichen – Baugenehmigung vorgenommen werden können. Die Baugenehmigung ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht Klagegegenstand.

cc. Schließlich liegt auch keine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme aus § 35 BauGB vor. Die Abschaltzeiten und die hieraus folgenden Ertragseinbußen muss der Kläger infolge des Prioritätsprinzips hinnehmen. Hieran ändern auch der Wechsel des Anlagentyps und der hierauf erlassene Feststellungsbescheid nichts (vgl. hierzu ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Januar 2025 – OVG 7 A 41/24 – Entscheidungsabdruck Seite 15, in Kürze bei juris). Unabhängig hiervon können die Ausführungen des Klägers zu den infolge der Abschaltzeiten behaupteten Mindereinnahmen nicht überzeugen. Zwar dürfte es nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass sich Ertragsverluste eines konkurrierenden Windenergieanlagenbetreibers infolge von festgelegten Abschaltzeiten als rücksichtslos darstellen (vgl. für den Fall der Abschattung: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2024 – 7 A 39/24 – juris Rn. 72 m.w.N.). Ob dies auch für Ertragsverluste eines Verpächters gilt, kann hier offenbleiben. Denn eine erhebliche Ertragsminderung hat der Kläger nicht dargelegt. Er trägt pauschal Mindereinnahmen „im fünf- oder sogar sechsstelligen Bereich“ vor, ohne diese konkret zu belegen. Auch im Klageverfahren hat er hierzu keine Nachweise vorgelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie einen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch ein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich hinsichtlich der Vollstreckung durch die Beigeladene aus §§ 167 VwGO, 709 Satz 1 und 2 ZPO und hinsichtlich der Vollstreckung durch den Beklagten aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.