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Konkurrentenstreit, Hauptsacheverfahren, Rechtsschutzbedürfnis nach Beförderung der ausgewählten Bewerber, Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren, zweiwöchige Warteverpflichtung des Dienstherrn vor Beförderung, Kenntnis des Dienstherrn von der Erhebung eines Eilrechtsschutzantrags, Zurückweisung, Zur Streitwertpraxis im Konkurrentenverfahren


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 10. Senat Entscheidungsdatum 27.02.2025
Aktenzeichen 10 N 43/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0227.10N43.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, Artikel 19 Abs. 4; Artikel 33 Abs. 2 GG, § 52 Abs. 6 Satz 4; § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG

Leitsatz

Der Dienstherr verletzt seine Wartepflicht nur dann, wenn Kenntnis von der Erhebung eines Eilrechtsschutzantrags erlangt hat, bevor er eine dessen Rechtsschutzeffektivität vereitelnde Beförderung vornimmt.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. August 2024 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstands für die zweite Rechtsstufe wird auf über 35.000 bis 40.000 Euro festgesetzt.

Der Wert des Streitgegenstands für die erste Rechtsstufe wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. August 2024 auf über 30.000 bis 35.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die mit A 12 besoldete Klägerin begehrt ihre Beförderung in ein Beamtenverhältnis der Besoldungsgruppe A 13.

Unter dem 29. März 2023 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie im Rahmen einer zum Stichtag 1. Februar 2023 durchgeführten Beförderungsrunde nicht berücksichtigt werden könne. Am 14. April 2023 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die Nichtberücksichtigung und die zugrundeliegende dienstliche Beurteilung vom 21. Februar 2023. Auf ihren Eilrechtsschutzantrag hin gab das Verwaltungsgericht der Beklagten mit Beschluss vom 14. Juni 2023 – VG 2 L 248/23 – im Wege der einstweiligen Anordnung auf, von der beabsichtigten Beförderung der ausgewählten Bewerber abzusehen, solange nicht über das Beförderungsbegehren der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden und eine weitere Rechtsschutzfrist von mindestens 14 Tagen abgelaufen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2023 gab die Beklagte dem Widerspruch gegen die Beurteilung statt und hob diese auf.

Unter dem 4. September 2023 erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, auch die Mitteilung vom 29. März 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu befördern, hilfsweise erneut über ihr Beförderungsbegehren zu entscheiden.

Mit E-Mails vom 14. September 2023 an die Klägerin und den Prozessbevollmächtigten und mit einem am 18. September 2023 an den Prozessbevollmächtigten zugestellten Schreiben gab die Beklagte zum einen die neu erstellte Regelbeurteilung bekannt, zum anderen teilte sie mit, dass sie eine neue Beförderungsauswahlentscheidung getroffen habe, bei der die Klägerin nicht berücksichtigt worden sei, und kündigte ihre Absicht an, die Beförderungen am 29. September 2023 durchzuführen. Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch, den er am 28. September 2023 per Telefax an die Beklagte übermittelte, und stellte nachfolgend einen weiteren Eilantrag mit dem Ziel, der Beklagten die beabsichtigten Beförderungen vorläufig zu untersagen, der am selben Tag beim Verwaltungsgericht einging und von diesem mit Beschluss vom 2. Oktober 2023 – Az. VG 2 L 742/23 – mit der Begründung abgelehnt wurde, die erneute Auswahlentscheidung und die ihr zugrundeliegende Beurteilung ließen keinen Fehler erkennen.

Mit Urteil vom 23. August 2024 hat das Verwaltungsgericht die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen und ausgeführt, dass dem klägerischen Begehren der Grundsatz der Ämterstabilität entgegenstehe, nachdem die Beförderungen am 29. September 2023 vollzogen worden seien und die Beklagte zuvor die vierzehntägige Rechtsschutzfrist abgewartet habe.

II.

Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist von der Klägerin dargelegten Gründe, die den Prüfungsumfang für das Oberverwaltungsgericht bestimmen (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2020 - OVG 10 N 68.20 -, juris Rn. 6 m.w.N.).

Dies legt der Berufungszulassungsantrag nicht mit Erfolg dar. Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass das auf die Auswahlmitteilung vom 14. September 2023 hin erhobene Eilrechtsschutzbegehren – VG 2 L 742/23 – entgegen der Feststellung im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils nicht erst am 2. Oktober 2023, sondern bereits am 28. September 2023 um 16 Uhr beim Verwaltungsgericht Potsdam eingegangen ist. Ungeachtet dessen erweist sich die erstinstanzliche Entscheidung jedoch als richtig, weil die Beklagte im Nachgang der Bekanntgabe – die nach der mit dem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellten Annahme des Verwaltungsgericht bereits mit dem Eingang der E-Mail am 14. September 2023 erfolgte – zwei Wochen zugewartet hat, bevor sie am 29. September 2023 die Beförderung der ausgewählten Bewerber vornahm, und sie bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der erneuten Erhebung eines Eilrechtsschutzantrags durch die Klägerin hatte. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Daraus, dass Art. 33 Abs. 2 GG jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gewährt, folgt der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung. Dieser Bewerbungsverfahrensanspruch lässt sich nach der verfassungsrechtlich nicht beanstandeten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur vor einer Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern. Aufgrund dieser Verfahrensabhängigkeit sind die Verwaltungsgerichte gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen. (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 –, juris Rn. 9 f.; m.w.N). Die Annahme, dass die endgültige Besetzung der umstrittenen Planstelle mit dem erfolgreichen Mitbewerber dem Unterlegenen die Verfolgung seines verfassungsrechtlich gewährleisteten Bewerbungsverfahrensanspruchs abschneide, ist deshalb nur dann mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar, wenn ein bei der Beförderungsauswahl unterlegener Bewerber seinen Anspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG durch vorläufigen Rechtsschutz zur Abwendung vollendeter Tatsachen wirksam sichern kann. Ebenso darf das Verwaltungsverfahren nicht so ausgestaltet werden, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert (BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 – 2 C 14/02 –, juris Rn. 16 und 18, m.w.N.). Die danach gebotene Wirksamkeit des Rechtsschutzes vor der Ernennung hängt davon ab, dass der Dienstherr die gerichtliche Nachprüfung seiner Auswahlentscheidung ermöglicht. Er muss mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers zuwarten, bis die unterlegenen Bewerber ihre Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Daher ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG Mitteilungs- und Wartepflichten des Dienstherrn, mit denen Ansprüche der unterlegenen Bewerber korrespondieren: Zunächst muss der Dienstherr die Auswahlentscheidung vor der Ernennung den unterlegenen Bewerbern mitteilen. Danach muss er eine angemessene Zeit zuwarten, damit die Unterlegenen das Verwaltungsgericht anrufen können. In der Praxis der Verwaltungsgerichte hat sich dafür eine Wartezeit von zwei Wochen ab Zugang der Mitteilung über die Ablehnung der Bewerbung als angemessen herausgebildet. Beantragt ein Bewerber rechtzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung, so darf der Dienstherr die Ernennung erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens vornehmen (BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16/09 –, juris Rn. 33 f. m.w.N.).

Nach dieser Rechtsprechung, der der Senat folgt, stellt die nach Bekanntgabe der Auswahlentscheidung zu wahrende Zweiwochenfrist entgegen der Annahme der Klägerin keine Rechtsmittelfrist dar, innerhalb derer der abgelehnte Bewerber einen Eilrechtsschutzantrag beim Verwaltungsgericht stellen müsste. Es handelt sich vielmehr um eine Wartefrist des Dienstherrn („zuwarten“), nach deren Ablauf es ihm freisteht, das Beförderungsamt an die ausgewählten Konkurrenten zu verleihen, solange er keine Kenntnis von der Anhängigkeit eines Eilrechtsschutzverfahrens hat, dessen Ausgang er abwarten müsste, um seine Rechtsschutzeffektivität nicht durch die Ernennung zu vereiteln. Die dem abgelehnten Bewerber obliegende Inanspruchnahme der ihm von Verfassungs wegen eröffneten Rechtsschutzmöglichkeit erfordert daher nicht lediglich einen binnen zwei Wochen gestellten Eilrechtsschutzantrag, sondern vielmehr einen Antrag, der so rechtzeitig gestellt wird, dass der Dienstherr noch innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Auswahlentscheidung von ihm Kenntnis erlangt. Hierfür muss der abgelehnte Bewerber sein Eilrechtsschutzbegehren entweder so rechtzeitig an das Verwaltungsgericht übermitteln, dass dieses den Dienstherrn nach dem üblichen Geschäftsablauf noch innerhalb der Zweiwochenfrist über dessen Eingang informieren kann, oder er muss andernfalls selbst dafür sorgen, dass der Dienstherr noch innerhalb der Zweiwochenfrist von der erfolgten Antragseinlegung erfährt.

An beidem fehlt es hier: Zum einen durfte die Klägerin nicht damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht die Beklagte noch innerhalb der Zweiwochenfrist über den Eingang ihres Eilrechtsschutzbegehrens informieren würde. Ihr Prozessbevollmächtigter hatte den Eilrechtsschutzantrag erst am letzten Tag der Zweiwochenfrist nach Ende der Sprechzeit des Gerichts (vgl. https://verwaltungsgerichtsbarkeit.brandenburg.de/vg/de/verwaltungsgerichte/verwaltungsgericht-potsdam/) bzw. Servicezeit der Beschäftigten in der Post- und Geschäftsstelle elektronisch übermittelt. Zu diesem Zeitpunkt war deshalb schon nicht mehr sichergestellt, dass der Posteingang noch am selben Tag einem Richter der zuständigen Kammer vorgelegt werden würde, welcher auf den unmittelbar bevorstehenden Ablauf der Wartefrist eine umgehende Information des Dienstherrn und Einholung einer Stillhaltezusage bzw. Erlass einer Zwischenverfügung hätte veranlassen können. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat es zudem unterlassen, seiner Antragsschrift einen Hinweis „Bitte sofort vorlegen, Fristablauf am…“ voranzustellen, wie es im Fall besonderer Eilbedürftigkeit sachdienlich ist, um eine priorisierte Übermittlung des Faxeingangs von der Poststelle an die zuständige Kammer zu erreichen. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht den Dienstherren auch erst in Kenntnis setzen können, nachdem die Zweiwochenfrist bereits verstrichen und die Beförderung bereits erfolgt war.

Zum anderen ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte durch die Klägerin selbst oder ihren Prozessbevollmächtigten noch innerhalb der Zweiwochenfrist darüber informiert worden wäre, dass ein erneuter Eilrechtsschutzantrag gestellt worden war. Aus den Gerichtsakten ergibt sich lediglich, dass die Klägerin der Beklagten am 28. September 2023 um 13.37 Uhr ein – nicht vollständig vorgelegtes – Widerspruchsschreiben übermittelt hat, das eine solche Information nicht enthalten konnte, weil der Eilrechtsschutzantrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht beim Verwaltungsgericht eingegangen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG. Danach ist der Streitwert eines Hauptsacheverfahrens, das auf die Verleihung eines anderen Amtes gerichtet ist, mit der Hälfte der in dem angestrebten Amt für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge – hier: A 13 Stufe 6 – zu bemessen. Die erkennbar an der – mittlerweile aufgegebenen Streitwertpraxis des 4. und 10. Senats in Konkurrentenschutz-Eilverfahren (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2025 - OVG 4 S 32/24 – EA S. 7) – ausgerichtete Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für die erste Instanz wird nach Anhörung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen geändert. Die divergente Festsetzung für beide Instanzen erklärt sich durch die zum 1. März 2024 wirksam gewordene Besoldungssteigerung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).