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Familienheim, Mittelpunkt des familiären Lebens


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Gericht FG Cottbus 14. Senat Entscheidungsdatum 19.12.2024
Aktenzeichen 14 K 14131/22 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2024:1219.14K14131.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG §

Leitsatz

Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ist teleologisch dahingehend einzuschränken, dass die Privilegierung einer Wohnung als Familienheim ausscheidet, wenn der Erblasser zu keinem Zeitpunkt in dem vererbten Haus oder der Wohnung gelebt hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die erbschaftsteuerliche Privilegierung einer vom Kläger von Todes wegen erworbenen Immobilie als Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz [ErbStG]).

Der Kläger ist Alleinerbe nach seiner am … 2020 in C… verstorbenen Mutter (Erblasserin). Zum Nachlass der Erblasserin gehören eine in C…, B…-allee belegene Eigentumswohnung sowie ein Miteigentumsanteil von 50 % an einer in C…, D…-straße belegenen Eigentumswohnung. Beide Immobilien sind ca. 130 Meter voneinander entfernt.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2021 reichte der Kläger über seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten die Erbschaftsteuererklärung beim Beklagten ein. In einem weiteren Schreiben seines Bevollmächtigten vom 17. Mai 2021 machte der Kläger für den Miteigentumsanteil an der Wohnung D…-straße eine Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG geltend. Hierzu führte er aus, der Vater der Erblasserin, der 1956 aus E… (Polen) nach C… gekommen sei (im Folgenden: „Herr F…“), habe zunächst für sich selbst Wohneigentum in der B…-allee erworben; im weiteren Verlauf sei die im selben Haus auf der gleichen Etage gelegene Wohnung hinzugekauft worden. Diese Wohnung sei zuletzt von der Erblasserin bis zu ihrem Tod bewohnt worden. Beide Wohnungen im Haus in der B…-allee seien über einen gemeinsamen Balkon miteinander verbunden gewesen und demnach als gemeinsamer Familienwohnsitz betrachtet worden. Der Sohn von Herrn F…, der Bruder der Erblasserin, habe im Jahr 2008 die Wohnung in der D…-straße gekauft und sie als Wohnsitz für seine und der Erblasserin Eltern bestimmt. Herr F… sei jedoch 2013 verstorben, bevor es zu einem Umzug in diese Wohnung gekommen sei. Dessen Witwe, die Mutter der Erblasserin, habe den Umzug in die D…-straße dann vollzogen und bis zu ihrem Tod im Jahr 2019 in dieser Wohnung gewohnt.

Die Erblasserin habe 2019 von ihrer Mutter einen hälftigen Miteigentumsanteil an der Wohnung D…-straße geerbt und habe eigentlich dorthin umziehen wollen. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt aber bereits sehr krank gewesen, weshalb ein Umzug in diese Wohnung nicht mehr möglich gewesen sei. Die beiden Wohnungen in der B…-allee und die Wohnung in der D…-straße seien jedoch immer als eine Einheit betrachtet worden, die auch jeweils zu Wohnzwecken für alle in C… ansässigen Familienmitgliedern gedient habe.

Er (der Kläger) habe außer seiner Wohnung in der B…-allee schon vor dem Tode seiner Mutter auch die Wohnung in der D…-straße bewohnt. Derzeit sei die Wohnung in der D…-straße sein einziger Wohnsitz und solle dies auch bleiben. Die beiden Wohnungen in der B…-allee würden hingegen derzeit grundlegend saniert und sollten danach zu Vermietungszwecken genutzt werden.

Am 1. November 2021 erließ der Beklagte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Abgabenordnung [AO]) einen Erbschaftsteuerbescheid, in dem er die Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger auf der Grundlage eines steuerpflichtigen Erwerbs in Höhe von 989.600 € und eines Steuersatzes von 19 % auf 188.024 € festsetzte. Dabei rechnete der Beklagte dem Erwerb von Todes wegen eine im Jahr 2014 erfolgte Vorschenkung mit einem (mittlerweile unstreitigen) Betrag von 53.018,81 € hinzu. Den Bescheid sandte der Beklagte an die ehemalige Wohnanschrift des Klägers in der B…-allee.

Mit zwei Teilzahlungen beglich der Kläger am 10. und am 13. Dezember 2021 den festgesetzten Steuerbetrag.

Nachdem dem Beklagten ein weiteres zum Nachlass der Erblasserin gehörendes Bankkonto bekannt geworden war, erließ er am 14. Juni 2022 einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer auf einen Betrag von 226.119 € erhöht wurde; zugleich hob er den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die vom Kläger begehrte Steuerbefreiung der Wohnung D…-straße als Familienheim gewährte der Beklagte nicht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 1. Juli 2022 Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, die der Beklagte mit Bescheid vom 25. August 2022 ablehnte.

Zur Begründung seines Einspruchs verwies der Kläger erneut darauf, dass die Erblasserin aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung der Wohnung D…-straße gehindert gewesen sei. Der Beklagte wies darauf hin, dass eine Berücksichtigung der Wohnung D…-straße als Familienwohnheim nicht in Betracht komme, da die Erblasserin diese Wohnung nicht selbst genutzt habe. Zwar könne eine schwere Erkrankung einen zwingenden Hinderungsgrund für eine Selbstnutzung darstellen. Nach dem Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift könne die Erkrankung eine Selbstnutzung der Wohnung durch die Erblasserin bis zum Eintritt des Erbfalls aber nur dann ersetzen, wenn die Erblasserin die Wohnung zumindest bis zum Eintritt des Hinderungsgrundes selbst genutzt habe.

Am 11. Oktober 2022 erfolgte ausweislich der amtlichen Meldebestätigung die Ummeldung des Klägers in die Wohnung D…-straße, wobei als Einzugsdatum „1. Januar 2021“ angegeben wurde.

Am 27. Oktober 2022 erließ der Beklagte im Rahmen des Einspruchsverfahrens erneut einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in welchem er die Erbschaftsteuer gemindert auf 213.123 € festsetzte. Die Änderung beruhte darauf, dass die Wohnung D…-straße nunmehr zutreffend zur Hälfte und nicht wie zuvor mit einem Anteil von zwei Dritteln berücksichtigt wurde; gegenläufig entfiel jedoch der für diese Wohnung zuvor berücksichtigte verminderte Wertansatz wegen Vermietung gemäß § 13d ErbStG. Letzteres hatte der Beklagte zuvor gegenüber dem Kläger im Rahmen eines Verböserungshinweises angedroht.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022, eingegangen am 1. November 2022, Klage erhoben.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 9. Januar 2023 hat der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Erbschaftsteuerbescheid sowie den Einspruch gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung als unbegründet zurückgewiesen. Zur streitigen Frage der Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift für ein Familienwohnheim führte der Beklagte erneut aus, dass es an der nach Sinn und Zweck zumindest bis zum Eintritt eines Hinderungsgrundes erforderlichen Selbstnutzung der Wohnung Hölderlinstraße 6 durch die Erblasserin fehle. Die Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides komme nicht in Betracht, weil weder ernsthafte Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestünden noch der Kläger dazu vorgetragen habe, dass die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstelle.

Der Kläger begründet seine gegen den Erbschaftsteuerbescheid erhobene Klage wie folgt:

Der Beklagte habe die Wohnung D…-straße zu Unrecht nicht als Familienheim im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG anerkannt. Nach dieser Vorschrift gelte die Steuerbefreiung (auch) dann, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung der Immobilie zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall in der Person der Erblasserin erfüllt, da diese aus zwingenden Gründen, nämlich aufgrund einer schwerwiegenden und langdauernden Erkrankung, daran gehindert gewesen sei, die Wohnung D…-straße zu Lebzeiten selbst zu nutzen, d.h. sie nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2019 zu beziehen. Ein Umzug in diese Wohnung hätte eigentlich im objektiven und subjektiven Interesse der Erblasserin gelegen, da diese Wohnung – im Gegensatz zu der von ihr genutzten Wohnung B…-allee – über einen Fahrstuhl verfüge. Angesichts des für die Erblasserin bescheinigten Grades der Behinderung von 100 sei ein Umzug aber nicht in Betracht gekommen. Die weitere für die Behandlung als Familienheim erforderliche Voraussetzung, nämlich die unverzügliche Selbstnutzung der Wohnung durch ihn, den Kläger, als Erwerber sei ebenfalls erfüllt. Er habe diese Wohnung bereits zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter „faktisch bewohnt“ und bewohne sie auch aktuell. Dieser Umzug sei auch erforderlich gewesen, weil die Wohnung B…-allee nach dem Tode der Erblasserin einer grundlegenden Renovierung und Sanierung unterzogen worden sei, ebenso wie seine eigene in der B…-allee belegene Wohnung.

In einem späteren Schriftsatz hat der Kläger seinen Vortrag wie folgt ergänzt:

Zwar sei seine Mutter aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert gewesen, den Umzug in die Wohnung D…-straße zu bewältigen; sie habe diese Wohnung aber immer wieder aufgesucht und sich dort auch aufgehalten, um darauf zu achten, dass der Standard der Wohnung in gutem Zustand erhalten blieb, aber auch für den Empfang von Besuchspersonen, da ihre eigene Wohnung in der B…-allee beengt und deshalb für solche Zwecke ungeeignet gewesen sei. Insofern habe eine – wenn auch begrenzte – Nutzung vorgelegen, die stets im Bewusstsein des Erbes und mit dem Willen zur Bewahrung für die Familie wahrgenommen worden sei.

Er (der Kläger) habe die Wohnung D…-straße kurze Zeit nach dem Tod seiner Mutter Anfang Juni 2020 regelmäßig in Benutzung genommen, da er sich in der Wohnung seiner verstorbenen Mutter unwohl gefühlt habe und die Wohnung D…-straße erheblich größer sei und einen höheren Wohnkomfort biete. Die letzten noch in der Wohnung B…-allee verbliebenen persönlichen Gegenstände habe er im November/Dezember 2020 in die Wohnung D…-straße verbracht. Ab diesem Zeitpunkt sei die Wohnung D…-straße sein Wohn- und Lebensmittelpunkt gewesen. Die Wohnung B…-allee habe er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr genutzt und auch nicht frequentiert.

Der Kläger hat eine schriftliche Erklärung („eidesstattliche Versicherung“) eines Herrn G… vom 28. November 2024 vorgelegt, der zufolge der Kläger ihn im September 2021 mit der Sanierung der Wohnung B…-allee beauftragt habe. Er (Herr G…) habe mit der Räumung der Wohnung im Oktober 2021 begonnen; die eigentliche Sanierung habe Anfang 2022 begonnen.

Der Kläger beantragt,

den Erbschaftsteuerbescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2023 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Erwerb des hälftigen Miteigentums an der Wohnung C…, D…-straße außer Ansatz gelassen wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt auf seine Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen Bezug.

Soweit der Kläger ursprünglich zugleich mit der Anfechtungsklage auch den Erlass von Säumniszuschlägen begehrt hat, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nach einem richterlichen Hinweis erklärt, er halte nicht länger an seiner Auffassung fest, dass Säumniszuschläge entstanden seien. Die Beteiligten haben diesbezüglich keine weiteren Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

Der Zulässigkeit der erhobenen Anfechtungsklage steht insbesondere nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung das Einspruchsverfahren noch nicht beendet war, sondern erst mit Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2023 seinen Abschluss gefunden hat. Bei dem Erfordernis eines erfolglosen Abschlusses des Rechtsbehelfsverfahrens (§ 44 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]) handelt es sich nach der vom Senat in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und herrschender Lehre vertretenen Auffassung um eine Sachurteilsvoraussetzung, die erst zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen muss, mithin während eines laufenden Klageverfahrens noch nachgeholt werden kann (vgl. z.B. Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 2. Juni 1987 – VIII R 192/83, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [BFH/NV] 1988, 104; BFH, Urteil vom 24. Mai 2012 – III R 95/08, BFH/NV 2012, 1658; von Beckerath in: Gosch, AO/FGO [November 2023], § 44 FGO Rn. 145).

Der Senat hatte den zuletzt ergangenen und vom Kläger angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auch in vollem Umfang – und nicht lediglich in dem über den Bescheid vom 1. November 2021 hinausgehenden Umfang – rechtlich zu prüfen. Eine (mögliche) Versäumung der Einspruchsfrist gegen den ersten Erbschaftsteuerbescheid vom 1. November 2021 stünde dem nicht entgegen. Sie wäre rechtlich ohne Belang, da der Bescheid unter Nachprüfungsvorbehalt stand. In einem solchen Fall kann der Steuerpflichtige auch nach Ablauf der Einspruchsfrist jederzeit innerhalb der Festsetzungsfrist eine Änderung des Vorbehaltsbescheids beantragen und hierbei in jeder Hinsicht neue Tatsachen geltend machen und neue Beweismittel beibringen (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 17. Aufl. [2023], § 163 Rn. 35, 38).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet.

1. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht im Sinne von § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in seinen Rechten. Insbesondere hat der Beklagte zu Recht davon abgesehen, den von Todes wegen auf den Kläger übergegangenen Miteigentumsanteil an der Wohnung D…-straße gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG von der Besteuerung freizustellen. Die Voraussetzungen für eine Behandlung der Wohnung als Familienheim liegen im Streitfall nicht vor.

a) Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG bleibt u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem inländischen bebauten Grundstück mit einer Wohnfläche von höchstens 200 m² durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und soweit diese beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim).

b) Im Streitfall stellt die mit einem Miteigentumsanteil zum Nachlass gehörende Wohnung D…-straße nach Auffassung des Senats kein Familienheim im vorgenannten Sinne dar, weil die Wohnung zu keinem Zeitpunkt vor dem Erbfall den Mittelpunkt des familiären Lebens der Erblasserin gebildet hat.

aa) Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der bloße Gesetzeswortlaut („… bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung … gehindert war“) nach allgemeinem Sprachverständnis auch den Fall einschließen könnte, dass der Erblasser – das Vorliegen zwingender Gründe vorausgesetzt – die betreffende Wohnung zu keinem Zeitpunkt zwischen deren Anschaffung und seinem Versterben zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat; denn der Wortlaut enthält in der mit „oder“ eingeleiteten Alternative keine entsprechende Einschränkung etwa dergestalt, dass die Hinderung erst „…nach anfänglicher Selbstnutzung...“ eingetreten sein darf. Insoweit unterscheidet sich der Wortlaut auch von den Regelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 bzw. Nr. 4c Satz 5 ErbStG, in denen die Hinderung des Erwerbers an einer Selbstnutzung aus zwingenden Gründen die vorangegangene Privilegierung des Erwerbs nur dann bestehen lässt, wenn der Erwerber das Objekt bis zum Eintritt solcher Gründe zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat (vgl.: „… nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt …“).

Der Senat hält aber aus teleologischen Gründen eine den Wortlaut einschränkende Auslegung der Norm für geboten. Hat der Erblasser zu keinem Zeitpunkt selbst in dem vererbten Haus oder der Wohnung gelebt, so kann sich in dem Haus niemals der „Mittelpunkt des familiären Lebens“ befunden haben. Dies aber ist nach dem insoweit übereinstimmenden Begriffsverständnis des „Familienheims“ in § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1, Nr. 4b Satz 1 und Nr. 4c Satz 1 ErbStG erforderlich.

Diese Sichtweise entspricht auch den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (vgl. Bundestagsdrucksache 16/11107, S. 9). Zweck der Befreiungsvorschrift ist danach zum einen dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes und zum anderen die Lenkung in immobiles Vermögen, um das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten. Diese Zwecke können nur erfüllt sein, wenn die betreffende Immobilie in der Zeit vor dem Erbfall bereits als eigengenutztes Familiengebrauchsvermögen gelten konnte. Die Steuerbefreiungsvorschrift dient allein dem gegenständlich-räumlichen Fortbestand des bestehenden Familienheimes über den Erbfall hinaus. Aus diesem Grund ist eine Immobilie, die bis zum Eintritt des Erbfalles überhaupt nie durch den Erblasser zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden ist, vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst. Mit der Aufnahme der zweiten Alternative („…oder…“) in den Befreiungstatbestand hatte der Gesetzgeber den Fall des Umzuges in ein Senioren- oder Pflegeheim aus zwingenden gesundheitlichen Gründen im Auge, der lediglich deshalb der im Regelfall erforderlichen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch den Erblasser bis zu seinem Tode gleichgestellt werden sollte, um sachliche Unbilligkeiten infolge schwerwiegender – in der Regel gesundheitlicher – Hinderungsgründe des Erblassers, die Eigennutzung dort weiter fortzusetzen, zu vermeiden.

bb) Der Senat folgt mit dieser restriktiven Auslegung einer in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur verbreiteten Auffassung (vgl. wie hier z.B. auch Finanzgericht [FG] München, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 4 K 2517/12, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2015, 238; Hessisches FG, Urteil vom 30. September 2015 – 1 K 1654/14, juris; FG München, Urteil vom 24. Februar 2016 – 4 K 2885/14, EFG 2016, 731 [zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG]; FG Köln, Urteil vom 27. Januar 2016 – 7 K 247/14, EFG 2016, 584 (rkr.) Niedersächsisches FG, Urteil vom 13. März 2024 – 3 K 154/23, EFG 2024, 1035; vgl. ebenso Curdt in Kapp/Ebeling, ErbStG [11/2022], § 13 Rn. 39.5 (dort zu § 13 Nr. 4b) sowie Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG [07/2023], § 13 Rn. 68a).

cc) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat, soweit ersichtlich, diese Rechtsfrage in Bezug auf § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG noch nicht entschieden.

Hinsichtlich der Begünstigungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG hält der BFH allerdings eine einschränkende Auslegung des Wortlauts „zu eigenen Wohnzwecken“ verfassungsrechtlich für geboten, indem ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht zugleich auch der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet, kein steuerbegünstigtes Familienheim im Sinne dieser Norm darstellt (vgl. BFH, Urteil vom 18. Juli 2013 – II R 35/11, Bundessteuerblatt [BStBl.] II 2013, 1051; vgl. auch BFH, Urteil vom 27. Juni 2017 – IX R 37/16, BStBl. II 2017, 1192, zur Abgrenzung des „Familienheims“ von den Objekten eines privaten Veräußerungsgeschäfts gemäß § 23 Einkommensteuergesetz). § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG enthält jedoch im Gegensatz zu § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nicht die durch „oder“ eingeleitete Alternative einer Hinderung der Selbstnutzung aus zwingenden Gründen.

Auch soweit der BFH eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für ein Familienheim ablehnt, wenn der Erwerber von vornherein gehindert ist, die Wohnung in dem von Todes wegen erworbenen Einfamilienhaus für eigene Wohnzwecke zu nutzen und deshalb auch tatsächlich nicht einzieht (vgl. BFH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II R 13/13, BStBl. II 2016, 223), kann aus dieser Entscheidung für den hiesigen Fall nichts hergeleitet werden; denn für den Erben sieht § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG – anders als für den Erblasser – die sprachlich uneingeschränkte „oder“-Alternative ausdrücklich nicht vor, sondern belässt die Privilegierung nur dann, wenn der Erbe die Selbstnutzung zunächst ausgeübt hat („… nicht mehr …“).

c) Im Streitfall kann auch nicht etwa deshalb etwas anderes gelten, weil – wie der Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat – die beiden Wohnungen in der B…-allee und die Wohnung in der D…-straße innerhalb seiner Familie immer als „eine Einheit“ betrachtet worden seien, die auch jeweils zu Wohnzwecken für alle in C… ansässigen Familienmitgliedern gedient hätten. Eine solche „Einheitsbetrachtung“ würde für erbschaftsteuerliche Zwecke bereits daran scheitern, dass es sich bei den Wohnhäusern in der B…-allee und der D…-straße um baulich voneinander getrennte Immobilien und demgemäß um steuer- und bewertungsrechtlich separate Vermögenswerte gehandelt hat. Schon zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen kann es von vornherein nicht in Betracht kommen, solche separaten Vermögenswerte aufgrund subjektiver Vorstellungen der Beteiligten „als Einheit“ zu behandeln. Es kann für den Streitfall offenbleiben, ob im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen ist (offengelassen auch bei BFH, Urteil vom 23. Februar 2021 – II R 29/19, BStBl. II 2023, 191). Denn in keinem der beiden Fälle käme eine „Einheitsbetrachtung“ der beiden separaten Wohnungen in Betracht (im Ergebnis ähnlich aufgrund einer Orientierung am Wortlaut „eine Wohnung“: FG Köln, Urteil vom 30. Januar 2019 – 7 K 1000/17, EFG 2019, 1126)

Soweit es die Erblasserin betrifft, hat der Kläger zudem ausdrücklich vorgetragen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen gerade nicht dazu in der Lage war, die Wohnung D…-straße zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen. Hieran ändert auch der in einem späteren Schriftsatz ergänzte Vortrag nichts, wonach die Erblasserin diese Wohnung mehrfach aufgesucht und dort auch Besuch empfangen habe. Dies kann als wahr unterstellt werden, ändert aber nichts an dem Umstand, dass die Hauptwohnung und der Lebensmittelpunkt der Erblasserin sich auch nach dem Klägervortrag in der B…-allee befanden, während die Wohnung in der D…-straße allenfalls den Charakter einer Zweitwohnung besaß. Nach der Rechtsprechung des BFH, dem der Senat folgt, ist ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet, kein steuerbegünstigtes Familienheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG, weshalb etwa Zweitwohnungen nicht unter die Begünstigung fallen (vgl. BFH, Urteil vom 18. Juli 2013 – II R 35/11, BStBl. II 2013, 1051). Nach Auffassung des Senats kann für den Begriff des Familienheims im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nichts anderes gelten.

d) Aus den vorgenannten Gründen kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls welche zwingenden Gründe dem Umzug der Erblasserin in die Wohnung D…-straße für eigene Wohnzwecke tatsächlich entgegengestanden haben.

e) Der angefochtene Bescheid in der Fassung vom 27. Oktober 2022 ist auch im Übrigen rechtmäßig. Er berücksichtigt die zutreffende Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG), den zutreffenden Freibetrag von 400.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) sowie den bei einem Erwerb von mehr als 600.000 €, jedoch weniger als 6.000.000 € in der Steuerklasse I anwendbaren Steuersatz von 19 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG).

2. Hinsichtlich des ursprünglich begehrten Erlasses der noch vom Beklagten geltend gemachten Säumniszuschläge war keine Entscheidung zu treffen, nachdem der Beklagte auf Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, an seiner Auffassung von der Existenz einer entsprechenden Forderung nicht mehr festzuhalten, und die Beteiligten daraufhin keine Anträge hierzu gestellt haben. Die Klage wäre im Übrigen auch insoweit unbegründet gewesen, da die Säumniszuschläge nach Auffassung des Senats mangels Säumnis des Klägers nicht entstanden waren, was einen Erlass ausschließt, und da ein Abrechnungsbescheid vom Kläger nicht beantragt worden war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO.

IV. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage zur Auslegung der mit „oder“ eingeleiteten alternativen Voraussetzung zur Steuerfreiheit eines Familienheims in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.

Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.

Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.

Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.