Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat | Entscheidungsdatum | 10.12.2014 | |
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Aktenzeichen | L 16 R 123/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 106 SGB 6 |
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2013 geändert.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Zwischen den Beteiligten ist (noch) streitig, ob dem 1938 geborenen und in der Schweiz wohnhaften Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2005 ein Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen für seine in der Schweiz durchgeführte freiwillige Krankenversicherung nach § 106 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) zusteht.
Im Oktober 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Regelaltersrente, die ihm die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2004 für die Zeit ab 1. Januar 2004 bewilligte. Im März 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten "einen Zuschuss zum KV-Beitrag gem. § 106 SGB VI" bei der Schweizer G M. Nach den vom Kläger überreichten Bescheinigungen dieser Versicherung vom 24. Oktober 2008 besteht die Krankenversicherung seit 1. Januar 1999, ist die Mitgliedschaft sowohl obligatorisch nach Maßgabe der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKPV) als auch freiwillig nach Maßgabe des schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und umfasst ua die Kosten ambulanter Arztbehandlung, stationärer Krankenhausbehandlung, Aufwendungen für Arzneien und Heilmittel sowie die zahnärztliche Behandlung bzw Zahnersatz. In der Bescheinigung bestätigt die Krankenversicherung zugleich, dass sie der Aufsicht der Schweiz unterliege und auf die Krankenversicherungsleistungen ein Rechtsanspruch bestehe, der weder von der Bedürftigkeit des Versicherungsnehmers noch von der Disposition Dritter abhänge. Mit Bescheid vom 6. August 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass der Kläger aufgrund einer ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sei. Dies schließe gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ab dem 1. Mai 2007 den Zuschuss zur Krankenversicherung aus. Da der Kläger als „Doppelrentner“ mit Wohnsitz in der Schweiz der schweizerischen Pflicht-Krankenversicherung unterliege, habe bei Rentenantragstellung auch nicht die Durchführung der Krankenversicherung der Rentner oder die Gewährung eines Beitragszuschusses geprüft werden müssen.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch berief sich der Kläger auf eine Vielzahl vergleichbarer (positiv beschiedener) Verfahren und wies darauf hin, in seinem Antrag auch einen Beratungsfehler im Zusammenhang mit der Beantragung von Altersrente im Oktober 2003 geltend zu machen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2010).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat auf die auf Gewährung eines Zuschusses für die „private Krankenversicherung“ ab Rentenbeginn gerichtete Klage mit Urteil vom 29. Januar 2013 die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, dem Kläger einen Zuschuss zur Krankenversicherung für die Zeit ab 1. Januar 2005 „nach Maßgabe des § 106 Abs. 3 SGB VI“ zu gewähren und ab 1. Februar 2005 zu verzinsen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Zuschusses lägen unter Berücksichtigung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches für die Zeit ab 1. Januar 2005 vor.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie bezieht sich zuletzt im Wesentlichen auf die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage des Bestehens eines Anspruchs auf Beitragszuschuss zu den Aufwendungen der freiwilligen Krankenversicherung bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der OKPV der Schweiz (Urteile vom 27. Mai 2014 - B 5 RE 6/14 R - und - B 5 RE 8/14 R -). Danach bestehe bei Mitgliedschaft in der OPKV auch für Zeiten vor dem 1. Mai 2007 nach der Ausschlussvorschrift in § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI kein Anspruch auf Zuschuss zu einer privaten Krankenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2013 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Auch die Urteile des BSG vom 27. Mai 2014 gäben keine Veranlassung, seine Rechtsauffassung zu ändern.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Rentenakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz . SGG -).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger hat für die Zeit ab 1. Januar 2005 - die hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 ergangene klageabweisende Entscheidung des SG ist mangels Einlegung eines Rechtsmittels in Rechtskraft erwachsen und nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens - keinen Anspruch auf Gewährung eines Beitragszuschusses zu den Aufwendungen seiner privaten bzw freiwilligen Krankenversicherung.
Einem Anspruch steht für die Zeit ab 1. Mai 2007 jedenfalls der Ausschlussgrund des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung von Art. 1 Nr. 33 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007 (BGBl I 554) entgegen. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. April 2007 gilt auf der Grundlage der seinerzeit geltenden Fassung des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nichts anderes.
Gemäß § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erhalten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung. Der Kläger war und ist im streitigen Zeitraum Rentenbezieher. Ob es sich bei der G M um ein Krankenversicherungsunternehmen iSv § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI handelt, kann indes dahinstehen. Selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI vorliegen würden, wäre der Anspruch des Klägers gleichwohl ausgeschlossen, weil der Ausschlussgrund des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI verwirklicht ist.
Gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in der mWv 1. Mai 2007 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 33 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I554) erhalten Rentenbezieher den Zuschuss nicht, wenn sie gleichzeitig in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind. Nach § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in der bis 30. April 2007 geltenden Fassung vom 19. Februar 2002 (BGBl I 754) war ein Anspruch nach Satz 1 ausgeschlossen, wenn Rentenbezieher gleichzeitig in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert waren. Nach der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des BSG, die der Senat nunmehr seiner Entscheidung zugrunde legt und auf die auch der Kläger mit Schreiben des Gerichts vom 26. Juni 2014 hingewiesen worden ist, ist die schweizerische OKPV eine ausländische gesetzliche Krankenversicherung, die den Kläger als Pflichtmitglied im Streitzeitraum erfasste und erfasst. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der Vorschriften des schweizerischen Krankenversicherungsgesetzes im Vergleich mit den im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Merkmalen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Die OKPV ist als ausländische gesetzliche Krankenversicherung unter dem Gesichtspunkt der Pflichtversicherung auf eine Vollversicherung angelegt und daher auch wenigstens annähernd mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar (vgl zum Ganzen BSG, Urteile vom 27. Mai 2014 - B 5 RE 6/14 R = SozR 4-2600 § 106 Nr 4 und - B 5 RE 8/14 R - juris). Demgemäß ist ein Beitragszuschuss auch für Zeiten vor dem 1. Mai 2007 zu versagen, wenn der Rentner - wie hier der Kläger - in die schweizerische OKPV einbezogen war (vgl BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 - B 5 RE 6/14 R - Rn 62 ff). Der Senat verweist auf die Ausführungen des BSG zu § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in den zitierten Entscheidungen, denen nichts hinzuzufügen ist. Seine anderslautende Rechtsauffassung (vgl Senatsurteil vom 16. Februar 2013 - L 16 R 1253/11 - juris) hält er nicht mehr aufrecht.
Mangels Vorliegens eines Anspruchs auf Beitragszuschuss kann sich ein solcher auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergeben (vgl hierzu ausdrücklich BSG aaO Rn 68).
§ 106 Abs. 1 SGB VI ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz liegt nicht vor. Da die Pflichtmitgliedschaft eines Inlandsrentners in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung die Gewährung eines Beitragszuschusses ausschließt, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Pflichteinbeziehung in ein ausländisches gesetzliches Krankenschutzsystem dieselbe Wirkung hat (vgl BSG aaO). Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung von Unionsrecht. Ob auch § 249a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) mit verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, falls eine Beteiligung der Rentenversicherungsträger nach dieser Vorschrift an den Kosten einer ausländischen Pflichtkrankenversicherung ausscheiden sollte, die wie die schweizerische obligatorische Krankenversicherung Beiträge als Kopfprämien (Art 61 KVG) erhebt, hat der Senat nicht zu entscheiden. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zu seiner freiwilligen bzw privaten Kranken(zusatz)versicherung nach § 106 Abs. 1 SGB VI und nicht die anteilige Tragung seiner Beiträge zur obligatorischen Krankenversicherung nach § 249a SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nach der höchstrichterlichen Klärung nicht vor.