Gericht | VG Cottbus 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 10.02.2025 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | VG 4 K 1066/21.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2025:0210.4K1066.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG, § 46 VwVfG, § 71 AsylG, § 77 Abs. 2 AsylG |
Europarecht steht einer Anwendung des § 46 VwVfG nicht entgegen, wenn das Bundesamt einem Folgeantragssteller keine Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG gewährt.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der nach eigenen Angaben aus Kamerun stammende Kläger stellte am 5. Februar 2016 einen ersten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland (Az. 6_____).
Zur Begründung seines Asylantrags trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass er in Kamerun von Kriminellen gesucht werde. Grund hierfür sei, dass ihn sein damaliger Arbeitgeber im Oktober 2010 aufgefordert habe, mit zwei anderen Männern einen Auftrag zu übernehmen. Er habe gedacht, es handele sich um einen Bauauftrag. Während des Auftrags hätten allerdings zwei andere Männer eine Leiche beseitigt und ihm selbst sei eine Waffe gereicht worden. Er habe dann gemerkt, dass er an einer Straftat teilgenommen habe. Weil er nicht mehr für diese Leute habe arbeiten wollen, habe er sich im Dorf seines Vaters versteckt, ehe er nach Äquatorialguinea ausgereist sei. Im Jahr 2014 sei er nach Kamerun zurückgekehrt und dann mit einem Visum in die Türkei ausgereist. Bei einer Rückkehr nach Kamerun befürchte er, von den Kriminillen, vor denen er geflüchtet sei, wiedergefunden zu werden.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab (Ziffern 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 4). Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihm für den Fall des Verstreichen Lassens dieser Frist die Abschiebung nach Kamerun an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete das Bundesamt auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
Die gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Cottbus erhobene Klage (VG 9_____) wurde mit Urteil vom 25. Juni 2020 abgewiesen. Dem Kläger drohe mit der von ihm befürchteten Rache seines ehemaligen Arbeitgebers keine Verfolgungshandlung, die an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) anknüpfe. Zudem hätte der Kläger vor einer Verfolgung seitens des ehemaligen Arbeitgebers innerstaatlichen Schutz im Sinne des § 3e AsylG finden können. Dies stehe auch der Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Es bestünden keine Zweifel, dass der arbeitsfähige Kläger, der den Beruf des Schweißers gelernt habe, in Kamerun eine ausreichende Lebensgrundlage finden könne. Gefahren aus gesundheitlichen Gründen seien weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Der Bescheid des Bundesamts vom 11. Mai 2017 wurde am 4. August 2020 bestandskräftig.
Unter dem 27. September 2021 stellte die Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen beim Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Az. 8_____). Zur Begründung trug sie vor, der Kläger habe sich seit dem letzten Asylverfahren in Therapie begeben und sei erst jetzt in der Lage, ausführlich seine Verfolgungsgeschichte zu erzählen. Eine dem Antrag allerdings nicht beigefügte - psychologische Stellungnahme sei als neues Beweismittel zu werten, so dass eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) dargelegt sei. Der Kläger sei daher zur Anhörung zu laden, um seine Asylgründe umfassend schildern zu können.
Unter dem 6. Oktober 2021 übersandte das Bundesamt der Prozessbevollmächtigten des Klägers daraufhin mehrere Informationsblätter, in denen der Kläger u. a. darauf hingewiesen wurde, dass das Bundesamt über seinen Folgeantrag auf Grund der bisher von ihm vorgebrachten Begründung und Beweismittel entscheiden könne. Anders als in seinem früheren Asylverfahren müsse das Bundesamt den Antragsteller nicht persönlich anhören.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig (Ziffer 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 11. Mai 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG (Ziffer 2) ab.
Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahren nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe im Asylfolgeantrag keine Gründe vorgetragen, die die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigten. Gemäß § 71 Abs. 3 AsylG seien die entsprechenden Tatsachen und Beweismittel bereits bei der Antragstellung anzugeben. Die bloße Behauptung, der Kläger sei erst nach Abschluss einer Therapie in der Lage, seine Verfolgungsgeschichte zu schildern, erfülle nicht die Voraussetzungen für einen schlüssigen und objektiv geeigneten Sachvortrag hinsichtlich eines Wiederaufgreifensgrundes. Denn es werde weder ausgeführt, was sich an den geltend gemachten Asylgründen des Klägers aus seinem Erstverfahren (Probleme mit Kriminellen in Kamerun aus dem Jahr 2010) geändert haben solle bzw. was der Kläger in seinem Erstverfahren nicht habe vortragen können. Im Übrigen habe es der Kläger im Erstverfahren nicht einmal für notwendig erachtet, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Vor diesem Hintergrund seien angebliche nachträgliche Asylgründe auch wegen der Präklusionswirkung des § 51 Abs. 2 VwVfG ausgeschlossen.
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht erfüllt. Auch insoweit sei zunächst zu prüfen, ob Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 VwVfG dargelegt seien. Dies sei hier nicht der Fall. Es bestünden auch keine Gründe, das Verfahren im Ermessenswege wiederaufzunehmen (§ 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG). Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen habe, der Kläger befinde sich in psychologischer Behandlung, sei dies nicht durch entsprechende Atteste belegt worden. Zudem seien etwaige psychische Erkrankungen in Kamerun generell behandelbar.
Am 22. Oktober 2021 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er ausführt, dass er in erheblicher Weise psychisch erkrankt sei. Insoweit legt der Kläger eine psychologische Stellungnahme vom 28. Juli 2021 sowie ärztliche Bescheinigungen vom 9. Juli 2021 und vom 11. Oktober 2021 vor. Hieraus ergebe sich, dass er an einer schizoaffektiven Störung sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und auf eine durchgehende Behandlung zur Vermeidung einer erheblichen Gesundheitsverletzung dringend angewiesen sei. In Kamerun könne er eine solche Behandlung nicht erreichen. Diesbezüglich beruft sich der Kläger auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9. Oktober 2010 sowie auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. November 2020 (A 16 K 9479/17).
Den zeitgleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht Cottbus mit Beschluss vom 9. November 2021 (VG 9_____) abgelehnt.
Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe im Folgeantragsverfahren lediglich zu gesundheitlichen Problemen, nicht aber zu seiner Verfolgungsgeschichte berichtet, weshalb der Asylantrag zutreffend als unzulässig abgelehnt worden sei. Es bestünden auch keine geänderten Umstände im Hinblick auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG werde vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtige, müsse der Ausländer durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die bestimmten Anforderungen genügen müsse (§ 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG). Die von dem Kläger vorgelegten Arztberichte vom 9. Juli 2021 und vom 11. Oktober 2021 seien untereinander unstimmig und widersprüchlich und die vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 28. Juli 2021 stelle schon keine ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG dar. Auch sei die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung unschlüssig. Weder werde die Wertigkeit des traumatisierenden Ereignisses herausgearbeitet noch die zeitliche Zuordnung problematisiert. Zudem erschließe sich nicht, warum die Erkrankung des Klägers im Erstverfahren nicht thematisiert worden sei, obwohl der Kläger nach der psychologischen Stellungnahme bereits im Jahr 2018 in entsprechender Behandlung gewesen sein solle. Unabhängig davon seien die vom Antragsteller geltend gemachten psychischen Erkrankungen in Kamerun behandelbar. Die vom Kläger in Bezug genommene Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe stamme aus dem Jahr 2010 und sei durch aktuelle Erkenntnisse überholt. Es sei nicht ersichtlich, warum es dem Kläger, der sowohl in Kamerun als auch in der Bundesrepublik längerfristig erwerbstätig gewesen sei, nicht zumutbar sein solle, die entsprechenden Kosten durch eigene Erwerbstätigkeit aufzubringen. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht aus dem von dem Kläger in Bezug genommen Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Die Frage, ob ein Ausländer im Falle der Rückkehr die Behandlungskosten aufbringen könne und welche Folgen ein Therapieabbruch habe, seien Fragen des jeweiligen Einzelfalls und nicht verallgemeinerungsfähig. Auch im Übrigen habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht, warum die das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten betreffenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Juni 2020 nicht mehr zutreffend sein sollten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Oktober 2021 zu verpflichten,
ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid. Der Kläger habe auch im gerichtlichen Verfahren keine neuen Tatsachen vorgetragen, die eine Änderung der streitgegenständlichen Entscheidung rechtfertigten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte zum hiesigen Verfahren und zu den Verfahren VG 9_____ und VG 9_____, die seitens des Bundesamtes vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie die beigezogene Ausländerakte des Klägers Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.
Das Gericht entscheidet durch die Einzelrichterin, nachdem die Kammer dieser den Rechtsstreit mit Beschluss vom 9. März 2023 gemäß § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung übertragen hat.
Die Entscheidung ergeht nach § 77 Abs. 2 AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil, nachdem die Beteiligten hierauf hingewiesen worden sind und einen Antrag auf mündliche Verhandlung nicht gestellt haben.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger über die Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheids vom 6. Oktober 2021 hinaus die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise – subsidiären Schutzes begehrt, ist die Klage unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergehende Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 16).
Die Anfechtungsklage gegen die Ziffer 1 des Bescheides vom 6. Oktober 2021 ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger kann eine Aufhebung der in Ziffer 1 des Bescheids vom 6. Oktober 2021 getroffenen Entscheidung des Bundesamts, seinen Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen, nicht verlangen. Die Entscheidung ist zwar verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das ist jedoch nach § 46 VwVfG unbeachtlich, weil offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Klageverfahren als zutreffend.
a. Das Bundesamt hätte den Asylfolgeantrag des Klägers nicht als unzulässig ablehnen dürfen, ohne ihm zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinne des § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG zu geben.
Zwar sieht § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG vor, dass der Ausländer bereits in dem Folgeantrag seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben hat, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergibt, und kann von einer Anhörung nach § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG abgesehen werden. Es liegt damit im Ermessen des Bundesamts, ob es im konkreten Fall die persönliche Anhörung des Betroffenen für erforderlich hält. Entscheidet sich das Bundesamt dafür, eine persönliche Anhörung nicht durchzuführen, ist es aber jedenfalls verpflichtet, dem Antragsteller nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu den geltend gemachten Wiederaufgreifensgründen zu gewähren (vgl. Funke-Kaiser, in: GKAsylG, 147. EL, Stand: Juli 2024, § 71 Rn. 144; Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 42. Ed., Stand: 1. Juli 2024, § 71 Rn. 10; VG München, Beschluss vom 31. Oktober 2023 M 28 E 23.32191 , juris Rn. 33; VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2022 38 L 824/21 A , juris Rn. 17; für einen Zweitantrag nach § 71a AsylG: VG Berlin, Beschluss vom 22. September 2021 VG 38 L 554/21 A , juris Rn. 18; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 9. April 2020 10 K 9560/18.A , juris Rn. 56; VG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2018 2 A 131/16 , juris Rn. 25).
Daran fehlt es hier ausweislich des seitens des Bundesamts übersandten Verwaltungsvorganges, in dem sich insbesondere auch nicht das in der Verwaltungspraxis des Bundesamts sonst übliche Formblatt zur Befragung eines Folgeantragstellers findet. Vorliegend hat das Bundesamt vielmehr unmittelbar nachdem es das Verfahren am 5. Oktober 2021 angelegt und am 6. Oktober 2021 die Belehrungen an die Prozessbevollmächtigte des Klägers versandt hatte, eine Entscheidung über die Unzulässigkeit des Antrags getroffen, ohne dem Kläger zuvor jedenfalls Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben. Dabei hätte hierzu angesichts dessen besonderer Anlass bestanden, dass das Bundesamt seine Entscheidung wesentlich mit den lediglich lückenhaften Ausführungen des Klägers im Folgeantrag begründet hat. Damit stützt es seine Entscheidung letztlich auf Informationsdefizite, für deren Vorliegen im Zeitpunkt des Bescheiderlasses es wegen der Missachtung des § 29 Abs. 2 Satz AsylG zumindest mit verantwortlich war.
b. Dieser Verfahrensfehler ist im Laufe des Gerichtsverfahrens auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt worden.
Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG ist das Unterbleiben einer verfahrensrechtlich vorgesehenen Anhörung unbeachtlich, wenn dies den Verwaltungsakt nicht nach § 44 VwVfG nichtig macht und die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird.
Eine derartige Heilung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber nur ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Die Funktion der Anhörung besteht indes nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend reicht der Austausch von Schriftsätzen im gerichtlichen Verfahren als solches für eine Heilung nicht aus. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, ihre Entscheidung kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2021 1 C 41.20 -, juris Rn. 19, und vom 17. Dezember 2015 7 C 5/14 , juris Rn. 16 f., jeweils m. w. N.). Es ist nicht ersichtlich, warum diese zur Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG entwickelten Maßstäbe auf die Möglichkeit zur Stellungnahme nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG keine Anwendung finden sollten.
Dies zugrunde gelegt kann vorliegend nicht von einer Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG ausgegangen werden. Dem Schriftsatz des Bundesamts vom 2. Dezember 2021 lässt sich nicht einmal entnehmen, dass das Bundesamt das Vorbringen des Klägers aus der Klagebegründung überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Die Formulierung, es seien keine neuen Tatsachen ersichtlich, die eine Änderung der Entscheidung rechtfertigten, erweist sich insoweit als unergiebig, weil sie jeglichen Bezug zum Einzelfall vermissen lässt.
c. Der Verfahrensfehler ist aber nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
Nach dieser Regelung kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht bereits deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
So liegt es hier. Bei gebundenen Entscheidungen, zu denen auch die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gehört, ist nach nationalem Recht grundsätzlich davon auszugehen, dass sich ein Anhörungsmangel im Ergebnis nicht auswirken kann, weil die Behörden und ihnen nachfolgend die Verwaltungsgerichte aufgrund der ihnen jeweils obliegenden Amtsermittlungspflicht verpflichtet sind, alle Tatbestandsvoraussetzungen der Norm von Amts wegen aufzuklären. Ein etwaiger Anhörungsmangel im Verfahren des Bundesamts wird deshalb im nachfolgenden Gerichtsverfahren vollumfänglich kompensiert (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27. Juni 2017 1 C 26/16 , juris Rn. 42). Dementsprechend hatte der Kläger auch im vorliegenden Klageverfahren umfassend die Möglichkeit, Bedenken gegen die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts vorzubringen und die Begründung seines Folgeantrags zu vertiefen und zu ergänzen.
Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts erweist sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Klageverfahren als offensichtlich rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag u. a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrages nach § 71 ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
So liegt es hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG). Dass es sich bei dem Asylantrag des Klägers vom 27. September 2021 um einen Folgeantrag in im Sinne des § 71 AsylG handelt, steht nicht in Zweifel. Ein weiteres Asylverfahren ist deshalb nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind, und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich Bezug nicht nur auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG), sondern insbesondere auch auf die Begründung des Beschlusses vom 9. November 2021 (VG 9 L 355/21.A), in dem das Gericht bereits darauf hingewiesen hat, dass es sich bei dem Gesundheitszustand des Klägers für sich genommen - offensichtlich nicht um einen Gesichtspunkt handelt, der einem Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 2 AsylG zum Erfolg verhelfen kann. Diesen Erwägungen, die sich die erkennende Einzelrichterin zu eigen macht, ist der Kläger auch im Klageverfahren nicht entgegengetreten. Zu einem Verfolgungsgeschehen hat er weiter nichts vorgetragen.
d. Unionsrechtliche Vorgaben stehen einer Anwendung des § 46 VwVfG in der hier vorliegenden Konstellation eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht entgegen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich eine europarechtliche Problematik überhaupt stellt, weil die Mitgliedsaaten gemäß Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 S. 3, Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie - RL 2013/32/EU) im nationalen Recht Verfahrensvorschriften für die Prüfung festlegen können, ob ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zulässig im Sinne von Art. 40 Abs. 2 RL 2013/32/EU ist, und dabei insbesondere gestatten können, dass eine Prüfung allein auf der Grundlage schriftlicher Angaben ohne persönliche Anhörung erfolgt (Art. 42 Abs. 2 S. 2 lit. b RL 2013/32/EU). Lässt danach die Verfahrensrichtlinie die Prüfung allein auf Grundlage schriftlicher Angaben ausdrücklich zu, erscheint bereits zweifelhaft, ob die in § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG vorgesehene Gelegenheit zur (zusätzlichen) Stellungnahme europarechtlich überhaupt geboten ist oder eine Entscheidung nicht vielmehr allein aufgrund des Vorbringens bei der Antragstellung (vgl. § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG) erfolgen könnte.
Einer Entscheidung hierzu bedarf es nicht. Denn selbst wenn man davon ausginge, dass § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben dient, spricht unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Juli 2020 (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 C-517/17 , juris) nichts gegen eine Anwendung des § 46 VwVfG.
Der Europäische Gerichtshof hat zwar entschieden, dass Art. 14 und Art. 34 RL 2013/32/EU einer Anwendung des § 46 VwVfG entgegenstehen, wenn eine behördliche Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unter Verletzung der Pflicht zur persönlichen Anhörung ergangen ist. Er hat allerdings auch klargestellt, dass dies nur gilt, solange die erforderliche Anhörung des Antragstellers nicht im Rechtsbehelfsverfahren unter Wahrung der sich im Einzelfall aus der Verfahrensrichtlinie ergebenden Bedingungen und Garantien nachgeholt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 C-517/17 , juris). Kann danach wenn auch insbesondere unter den Voraussetzungen des Art. 15 RL 2013/32/EU selbst eine unterbliebene persönliche Anhörung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit der Folge nachgeholt werden, dass der Verfahrensverstoß gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich wird (vgl. zu den Anforderungen einer gerichtlichen Nachholung in diesem Fall: BVerwG, Urteil vom Urteil vom 30. März 2021 1 C 41.20 , juris Rn. 27), so muss das für die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG erst Recht gelten. Denn schriftliche Angaben können anders als eine persönliche Anhörung unter den Bedingungen des Art. 15 RL2013/32/EU ohne weiteres auch im gerichtlichen Verfahren erfolgen, in dem der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf grundsätzlich ausreichend Gelegenheit hat, sämtliche gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Gründen schriftlich geltend zu machen. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (vgl. Gerichtsbescheid vom 9. April 2020 10 K 9560/18.A , juris Rn. 61 ff.) ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof überholt.
2. Die Klage bleibt auch insoweit erfolglos, als sie sich gegen die Ziffer 2 des Bescheids vom 6. Oktober 2021 richtet, mit der das Bundesamt die Abänderung des Bescheids vom 11. Mai 2017 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abgelehnt hat.
Die Entscheidung des Bundesamts, die Abänderung des Bescheides vom 1. Oktober 2021 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Wie der Gesetzgeber nunmehr in § 31 Abs. 3 Satz 3 AsylG klargestellt hat, kann von der nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch in Fällen unzulässiger Asylanträge an sich gebotenen Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen, abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und Abs. 7 AufenthG entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. VG Leipzig, Urteil vom 26. September 2023 6 K 1159/21.A , juris Rn. 17; Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Juli 2024, § 31 AsylG Rn. 21).
So liegt es hier. Eine entscheidungserhebliche Veränderung der Sachlage ergibt sich insbesondere nicht aus etwaigen gesundheitlichen Problemen des Klägers, da diese nicht glaubhaft und substantiiert vorgetragen sind. Auch insoweit nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Gründe des Beschlusses vom 9. November 2021 (VG 9 L 355/21.A), in denen insbesondere ausführlich dargelegt wurde, warum die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen und Stellungnahmen unzulänglich und deshalb die geltend gemachten Erkrankungen nicht hinreichend dargelegt sind.
Dem hat der Kläger im Klageverfahren weder etwas entgegengesetzt noch hat er weitere ärztliche Atteste oder Bescheinigungen vorgelegt, aus denen sich etwas Anderes ergeben könnte. Dies, obwohl hierzu spätestens Anlass bestanden hätte, nachdem das Gericht mit Verfügung vom 20. August 2024 noch einmal in Erinnerung gerufen hat, dass die letzten ärztlichen Bescheinigungen und Stellungnahmen aus dem Jahr 2021 stammen und dem Kläger mit Blick auf die geltend gemachte Erkrankung Gelegenheit gegeben hat, aktuelle Bescheinigungen vorzulegen.
Dahinstehen kann, ob bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG auch nach der Neuregelung des § 31 Abs. 3 AsylG noch eine Befugnis des Bundesamts zur Abänderung der zu den Abschiebungsverboten ergangenen Entscheidung im Ermessenswege über § 51 Abs. 5 VwVfG in Betracht kommt (so: VG Cottbus, Urteil vom 25. April 2023 5 K 320/21.A , juris Rn. 34 f.; zweifelnd: Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Juli 2024, § 31 AsylG Rn. 21). Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der insoweit allenfalls bestehende Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung vorliegend verletzt wäre oder sich gar zu einem Anspruch auf Abänderung der ursprünglichen Entscheidung und Feststellung von Abschiebungsverboten verdichtet haben könnte (zu den Maßstäben vgl. VG Cottbus, Urteile vom 25. April 2023 5 K 320/21.A , juris Rn. 35, und vom 8. Februar 2017 1 K 273/11.A -, juris Rn. 71 m. w. N.). Im Gegenteil: Wie bereits dargelegt ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers schon keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.