Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 06.03.2025 | |
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Aktenzeichen | 11 VA 2/25 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2025:0306.11VA2.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 2. Januar 2025 wird hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines vollständigen Aktenauszuges aufgehoben. Der Antragstellerin ist zu Händen ihres Verfahrensbevollmächtigten auf ihre Kosten ein vollständiger Auszug aus der vom Amtsgericht Nauen unter dem Aktenzeichen 25 XVII … in Papierform geführten Betreuungsakte betreffend („Name 01“), geb. am … 1937, verstorben am ... 2023 zu erteilen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Das Amtsgericht Nauen führte unter dem Aktenzeichen 25 XVII … ein Betreuungsverfahren mit Frau („Name 01“), geb. am ... 1937, als Betroffenen. Diese verstarb am ... 2023. Die Akte wurde teilweise als Papierakte (73 Seiten) und zuletzt in elektronischer Form geführt.
Die hiesige Antragstellerin hat unter dem 7. Oktober 2024 und klarstellend zur Prüfung der Testierfähigkeit der Betroffenen und Ermittlung der für die Berechnung ihres Pflichtteils maßgeblichen Tatsachen die Gewährung der Akteneinsicht in die Betreuungsakte und Erteilung einer vollständigen Abschrift dieser an ihren Verfahrensbevollmächtigten beantragt.
Das Amtsgericht Nauen hat durch Beschluss vom 2. Januar 2025 nach § 13 Abs. 2 FamFG die (unbeschränkte) Akteneinsicht in die Betreuungsakte bewilligt und den Antrag auf Erteilung eines vollständigen Aktenauszuges abgelehnt. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung des Aktenauszuges, da hinsichtlich des elektronischen Teils kein berechtigtes Interesse gemäß § 13 Abs. 5 FamFG, § 299 Abs. 3 Satz 3 ZPO dargelegt worden sei. Es sei in Bezug auf die Papierakte zwischen einem Aktenausdruck und Auszügen zu unterscheiden. Durch die gesetzliche Formulierung (“Auszügen“) im Plural sei nicht eindeutig ein vollständiger Auszug gemeint. Es erscheine rechtsmissbräuchlich, wenn von vorneherein ein vollständiger Auszug beantragt werde; es könnten einzelne Seiten benannt werden. Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 6. Januar 2025 per beA zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2025, eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin beim Brandenburgischen Oberlandesgerichts einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff EGGVG gestellt. Die zitierte Entscheidung des Kammergerichts vom 17. März 2011, auf die sich das Amtsgericht Nauen bezogen habe, belege vielmehr einen nicht beschränkten Anspruch auf Fertigung von Ablichtungen. Das OLG Köln habe in seinem Beschluss vom 8. April 2019 darauf hingewiesen, dass eine vorausgehende Akteneinsichtsgewährung wie bei der Vorgängerregelung in § 34 Abs. 1 2. HS FGG a.F. nicht erforderlich sei. Eine Grenze bilde nur ein rechtsmissbräuchlicher Auftrag wegen unzumutbaren Aufwandes für die Geschäftsstelle. Auf die Bitte, die Seitenzahlen mitzuteilen, sei u.a. mitgeteilt worden, dass keine dahingehende Absicht bestehe. Ein berechtigtes Interesse hinsichtlich einzelner Auszüge sei nicht erforderlich und sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das Gericht habe sich auch nicht für eine Übersendung nach § 13 Abs. 4 FamFG entschieden.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 2. Januar 2025 teilweise aufzuheben und das Amtsgericht anzuweisen, den Antrag der Antragstellerin auf Übersendung eines vollständigen Auszuges der nicht elektronisch geführten Betreuungsakte zu Az.: 25 XVII … gemäß § 13 Abs. 3 FamFG stattzugeben.
Der Direktor des Amtsgerichts Nauen verweist im Rahmen der Entscheidung nach § 13 Abs. 3 FamFG auf das zu berücksichtigende Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung, das mit der Erteilung von Ablichtungen in größerem Maße betroffen sei als bei einer bloßen Akteneinsicht. Durch die Erteilung von Ablichtungen bestehe die Gefahr der Weiterverbreitung des Akteninhalts in deutlich höherem Maße. Unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes sei der Anspruch auf Ablichtungen auf die Aktenteile zu begrenzen, an denen gerade auf die Erteilung von Ablichtungen bezogenes berechtigtes Interesse der Antragstellerin bestehe. Daher sei es gerechtfertigt, erst Akteneinsicht zu nehmen und sodann die Aktenteile zu bezeichnen, von denen Ablichtungen begehrt würden.
II.
1.
Der nach § 23 Abs.1 EGGVG gegen die Versagung der Erteilung eines vollständigen Aktenauszuges als Justizverwaltungsakt nach § 13 Abs. 2, Abs.7 EGGVG (vgl. BGH, Beschl. v. 15.11.2023 - IV ZB 6/23 OLG Köln, Beschl. v. 04.02.2019 - 7 VA 11/18) statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch gemäß § 26 Abs.1 EGGVG innerhalb der Ausschlussfrist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung beim hiesigen Gericht eingegangen. Aufgrund der Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 6. Januar 2025 endete diese nach den § 16 Abs. 2 FamFG, § 222 ZPO am 6. Februar 2025. An diesem Tag ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen.
2.
Der Antrag ist auch begründet, sodass die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Amtsgericht zur kostenpflichtigen Übermittlung der in Papierform geführten Betreuungsakte betreffend („Name 01“), Az.: 25 XVII … zu verpflichten ist. Das Amtsgericht wird zu entscheiden haben, ob die Versendung nach § 16 FamGKG von der Zahlung eines hinreichenden Vorschusses abhängig gemacht wird.
Die Versagung der Teilung eines vollständigen Aktenauszuges aus der in Papierform geführten Betreuungsakte ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihrem bewilligten Akteneinsichtsrecht.
Insoweit wird zum Teil vertreten, dass es bereits an einer richterlichen Befugnis zur Entscheidung über den Umfang der selbständig von der Geschäftsstelle nach § 13 Abs.3 FamFG an den Antragsteller zu überlassenden Dokumente mangels ausdrücklicher Regelung bereits fehle (Ahn-Roth in Prütting/Helm, FamFG, 2022, § 13, Rn. 38). Aufgrund des in § 13 Abs. 3 FamFG insoweit erfolgten ausdrücklichen Regelungsgegenstandes, des ausdrücklichen Antrages der Antragstellerin und der erfolgten richterlichen Bescheidung ist eine Prüfungskompetenz insoweit im vorliegenden Fall jedoch nicht zu verneinen.
Entgegen der Ansicht des Direktors des Amtsgerichts ist der Anspruch auf Erteilung von „Auszügen“ und „Abschriften“ im Übrigen - bereits nach dem Gesetzeswortlaut - nicht von einem weiteren berechtigten Interesse abhängig und damit grundsätzlich nicht beschränkt (vgl. KG, Beschl. v. 17.03.2011 - 1 W 457/10, Rn. 12 nach juris; Sternal in Keidel/Sternal, FamFG, 19. Auflage 2017, § 16, Rn. 61). Zulässig ist nach den § 13 Abs. 3 FamFG, § 16 FamGKG, § 14 GNotKG allein die Abhängigmachung von einem Vorschuss. Ausgehend von einem etwaigen missverständlichen Wortlaut der Vorschrift (“Soweit gewährt wird“) ist eine vorausgehende tatsächliche Akteneinsicht nicht zu fordern (OLG Köln, Beschl. v. 08.04.2019 - I-2 Wx 100/19, Rn. 1 nach juris). Das Verständnis des im Plural verwendeten Begriffs von „Auszügen“ und „Abschriften“ ist auch kein Zeichen dafür, dass Einzeldokumente in Bezug genommen werden, oder die Abhängigmachung von konkreten Seitenzahlen der Akte zu fordern ist. Vielmehr belegen die Gesetzesmaterialien zur früheren Geltung von § 34 Abs. 1 Satz 2 1. HS FGG (BT-Drs 16/6308, Seite 181 f), der nur mit redaktionellen Änderungen in § 13 Abs. 3 FamFG übernommen wurde (OLG Köln, wie zuvor), dass eine Einschränkung nur in den Fällen des Rechtsmissbrauchs aufgrund unzumutbaren Aufwands für die Geschäftsstelle (OLG Köln, wie zuvor; KG, wie zuvor; Ahn-Roth in Prütting/Harms, a.a.O., Rn.38; Sternal in Keidel/Sternal, a.a.O. § 16, Rn. 61; Adamus, juris-PK - FamR 22/2019, Anm.7; einschränkend OLG München, Beschl. v. 20.07.2006 - 33 Wx 151/06, Rn.9 ff) vorzunehmen ist. Einen solchen verneint der Direktor des Amtsgerichts angesichts des Umfanges der Papierakte von 73 Seiten nachvollziehbar ausdrücklich. Wie zu § 78 Abs.1 Satz 2 FGO ist die Formulierung des Gesetzestextes dahingehend auszulegen, dass unter „Abschriften“ Ablichtungen zu verstehen sind (vgl. BT-Drs IV 3523, 9 zu § 75 FGO als Entwurf).
Soweit sich der Direktor des Amtsgerichts Nauen auf datenschutzrechtliche Aspekte und das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG beruft, vermag dieser Aspekt vorliegend keine Beschränkung des Rechts auf Auszüge und Abschriften zu rechtfertigen. Vielmehr ist diesem Aspekt im Rahmen der Prüfung des Rechts auf Akteneinsicht und der insoweit gebotenen Abwägung der gegenläufigen Interessen Rechnung zu tragen. Das Amtsgericht hätte im Rahmen der Abwägung nach § 13 Abs. 1 FamFG durch eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf die für die Testierfähigkeit und den Umfang des Nachlasses zur Berechnung eines Pflichtteilsanspruchs maßgeblichen ärztlichen Stellungnahmen und Beschlüsse sowie das Vermögensverzeichnis den datenschutzrechtlichen Aspekten, als auch dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rechnung tragen können. Dies gilt umso mehr, als eine Vertiefung des Eingriffs infolge einer höheren Gefahr der Verbreitung durch die gerichtliche Erteilung von Auszügen nicht erkennbar ist. Auch ohne ausdrückliche Regelung ist zum Einen anerkannt, dass im Rahmen der Akteneinsicht in Gerichtsakten mit eigenen Mitteln angefertigte Kopien oder Aufnahmen zulässig sind (vgl. insoweit auch zu § 78 FGO bei entsprechender Dienstanweisung BFH, Beschl. v. 18.02.2008 - VII S 1/08 (PKH), BFH/NV 2008, 1169, 1170). Zudem sind elektronische Akten nach § 13 Abs. 5 FamFG, § 299 Abs.3 ZPO - im Umfang der Gewährung - komplett zum Abruf zu Verfügung zu stellen oder zu übermitteln und damit ebenso leicht zu vervielfältigen und zu verbreiten. Soweit im Rahmen von § 78 Abs. 1 Satz 2 FGO Ausfertigungen und Abschriften nur insoweit beansprucht werden können, wie sie zur Prozessführung geeignet und erforderlich sind, und umfangreiche Ablichtungen nur dann beansprucht werden können, wenn ein Beteiligter sein Ziel nicht auch durch Akteneinsicht erreichen kann (vg. Thürmer in : Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, Stand 1/125, § 78 FGO, Rn. 78), sodass kein Anspruch auf Fotokopien der gesamten Gerichtsakten besteht (st. Rsp. des BFH, Beschl. v. 05.02.2003 - V B 239/02, zuletzt BFH, Beschluss v. 12.02.2018 - X B 8/18, BFH/NV 2018, 635 Rn. 10; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 78 Rn. 78), vermag der Gesichtspunkt in Bezug auf zivilrechtliche Gerichtsakten nicht zu überzeugen. Anders als im Steuerrecht liegen diesen Akten keine vollständigen (behördeninternen) Verwaltungsvorgänge mit einem gesamten Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bei. Vergleichbare Unterlagen im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren sind nur unter zusätzliche Anforderungen zu erhalten, vgl. § 117 Abs.2 Satz 2 ZPO.
III.
Aufgrund der Begründetheit des Antrages sind Gerichtskosten nicht angefallen (vgl. Nr. 15300 und 15301 KV GNotKG).
Gründe für die Anordnung der Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten der Antragstellerin nach § 30 Satz 1 EGGVG erachtet der Senat für nicht gegeben. Hierfür reicht es nicht, dass der Antrag der Antragstellerin zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt. Nach dieser Vorschrift kann das Oberlandesgericht nach billigem Ermessen bestimmen, dass die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, ganz oder teilweise aus der Staatskasse zu erstatten sind, sodass die Regelung des § 81 Abs. 1 FamFG gemäß § 81 Abs. 5 FamFG verdrängt wird. Nach § 30 Satz 1 EGGVG bildet die Überbürdung der außergerichtlichen Kosten den Ausnahmetatbestand und bedarf einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall. Dafür genügt selbst allein der Erfolg des Antrages nicht (BGH, Beschl. v. 30.01.2008 - IV AR (VZ) 3/05, Rn. 1 nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2024 - I 3 VA 15/23 Rn 43, und Beschluss vom 23.06.2017 - I-3 VA 6/16 Rn.33 nach juris m.w.N.; BayObLG, Beschl. v. 31.05.2024 - 101 VA 243/23, Rn. 49 nach juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.01.2010 - 20 VA 6/09, Rn.19 nach juris). Vielmehr muss eine offensichtlich oder besonders schwere Rechtsverletzung bzw. ein willkürliches Verhalten vorliegen (BayObLG, Beschl. v. 08.05.2024 - 101 VA 18/24, Rn. 37 nach juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.01.2010 - 20 VA 6/09, Rn.19 nach juris). Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht.
Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 2 EGGVG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung im Einklang mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur.