Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 12. Berufungskammer | Entscheidungsdatum | 17.01.2025 | |
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Aktenzeichen | 12 Sa 765/24 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2025:0117.12SA765.24.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 315 BGB |
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Leistungszulage.
Auf das seit 2012 und bis Jahresende 2024 bestehende Arbeitsverhältnis war kraft beidseitiger Verbandsmitgliedschaft das ERA-Tarifwerk anwendbar.
Der als Fachkraft Triebwerkstechnik beschäftigte Kläger erhielt ein Zeitentgelt. Hierzu bestimmt der ERA-Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiete I und II, vom 20. Mai 2016 (im Folgenden: ERA-TV):
„8 Zeitentgelt
8.1 Zeitentgelt liegt vor, wenn das tarifliche Grundentgelt für eine sach- und ordnungsgemäße Ausführung der übertragenen Arbeit bezahlt wird. Zusätzlich können die Beschäftigten aufgrund einer Beurteilung ihrer Leistung eine Leistungszulage erhalten.
… Die Beurteilung der Leistung erfolgt durch den Arbeitgeber oder dessen Beauftragten.
8.2 Den Beschäftigten im Zeitentgelt werden Leistungszulagen gewährt, die im Durchschnitt des Betriebes 10 % der Summe der tariflichen Grundentgelte der Beschäftigten im Zeitentgelt betragen. Ein Anspruch auf eine individuelle Leistungszulage besteht nicht.
… Wenn ein Beschäftigter in eine höhere Entgeltgruppe oder höhere Entgeltstufe aufrückt, kann die individuelle Leistungszulage ganz oder teilweise angerechnet werden und wird mit der nächsten Beurteilung neu festgelegt.
… 8.4 Ergibt sich aus einer Leistungsbeurteilung eine Erhöhung der Leistungszulage, wird diese ab dem der Festsetzung folgenden Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt.
Eine festgestellte Leistungsminderung ist dem Beschäftigten unverzüglich mitzuteilen. Er erhält seine bisherige Leistungszulage während einer darauffolgenden Übergangszeit von 3 Kalendermonaten weiter. In den letzten 2 Wochen vor Ablauf der Übergangsfrist findet eine neue Leistungsbeurteilung statt, die für die ab dem 4. Monat zu zahlende Leistungszulage maßgebend ist.
8.5 Bei Anwendung eines Beurteilungsverfahrens ist dieses zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat zu vereinbaren.Die Beurteilung der Leistung erfolgt mindestens einmal jährlich zu betrieblich vereinbarten Zeitpunkten.“
Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet II vom 10. Dezember 2018 (im Folgenden: MTV) regelt eine Ausschlussfrist wie folgt:
„15 Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis
15.1 Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind beiderseits innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen
15.2 Sind die Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht, so ist innerhalb einer weiteren Frist von 3 Monaten nach Geltendmachung Klage beim Arbeitsgericht zu erheben oder die tarifliche Gütestelle anzurufen
15.3 Die in vorstehenden Ziffern 15.1 und 15.2 vorgesehenen Fristen sind Ausschlußfristen derart, daß mit dem fruchtlosen Ablauf der Frist das geltend zu machende Recht erlischt.“
Auf den Beschäftigungsbetrieb des Klägers sind bzw. waren eine Reihe von Gesamtbetriebsvereinbarungen anwendbar. Die „Gesamtbetriebsvereinbarung Leistungsbeurteilung und Entwicklungsbedarf (PDR) bei Rolls-Royce Deutschland“ vom 1. August 2004 (im Folgenden: GBV Leistungsbeurteilung) bestimmt:
„2.2 Beurteilungszeitpunkt
Die Beurteilungen werden im ersten Quartal eines Jahres durchgeführt.2.3 Beurteilungszeitraum
Als Beurteilungszeitraum gilt die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember des Vorjahres. Bei Mitarbeitern, die weniger als 12 Monate im Unternehmen sind oder versetzt wurden, sind die entsprechenden Zeiträume zu beurteilen. Bei Versetzung eines Mitarbeiters in eine andere Abteilung ist von allen Führungskräften eine Leistungseinschätzung für den Zeitraum, den der Mitarbeiter in ihrer Abteilung war, zeitnah abzugeben.2.7 Einspruch
Der Beurteilte kann das Ergebnis der Beurteilung innerhalb einer Woche schriftlich beim unmittelbaren Vorgesetzten beanstanden. Die Frist beginnt mit der Kenntnisnahme des Beurteilungsergebnisses. Abwesenheitszeiten haben aufschiebende Wirkung. Bleibt die Beurteilung strittig, ist der nächsthöhere Vorgesetzte in das Verfahren einzuschalten. Dem Beurteilten ist innerhalb von vier Wochen das Ergebnis der Rücksprache schriftlich mitzuteilen. Ab Zugang der Mitteilung hat der Beurteilte gemäß der §§ 84 und 85 BetrVG das Recht, Beschwerde einzulegen und eine Kommission innerhalb von zwei Wochen schriftlich abzurufen. …“
Die „Ablösende Gesamtbetriebsvereinbarung Entgeltkomponente Einzelleistung“ vom 20. Dezember 2012 (im Folgenden: ablösende GBV) bestimmte:
„2.2.1 Eingangswert
Der Eingangswert der jeweiligen Beurteilungsstufe ist der Wert, auf den der einzelne Mitarbeiter Anspruch hat, sofern er im Rahmen der Jahresbeurteilung diese Beurteilungsstufe erreicht hat.“
Für die Jahre 2018 bis 2020 beurteilte dessen Vorgesetzter den während dieses Zeitraums in die Entgeltgruppe 5 zweite Zusatzstufe eingruppierten Kläger mit der Beurteilungsstufe H. Dies entspricht einer Beurteilung mit „übertrifft die Leistungsanforderungen“. Nach der ablösenden GBV ist dieser Beurteilung ein Eingangswert von 20 % zugeordnet. Der Kläger erhielt eine Leistungszulage in Höhe von 636 EUR brutto. Dies sind 20 % des monatlichen Grundentgelts, das sich für ihn auf 3.176 EUR belief. Die Leistungszulage war zum Ende des Kalendermonats fällig.
Im Januar 2022 erwarb der Kläger eine Prüferlizenz. Sein monatliches Entgelt blieb unverändert.
Für das Jahr 2021 beurteilte die Beklagte den Kläger mit der Leistungsstufe G. Dieser Leistungsstufe ordnete die ablösende GBV einen Eingangswert von 12 % zu. Die Bewertung wurde dem Kläger am 11. Mai 2022 mitgeteilt.
Zum Jahresbeginn 2023 trat bei der Beklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung Entgeltkomponente Einzelleistung vom 13. Dezember 2022 (im Folgenden: GBV Entgeltkomponente) in Kraft, die die ablösende GBV ablöste. Dort bestimmt Ziffer 3.6:
„Die Leistungszulagen der Mitarbeiter bleiben durch den Abschluss dieser Gesamtbetriebsvereinbarung unberührt.“
Im Januar 2023 schlossen die Parteien einen ab Februar 2022 wirkenden Änderungsvertrag (Bl. 36 dA), wonach das monatliche Brutto-Entgelt bestehend aus dem Tarifentgelt und drei Zulagen, die sich insgesamt auf knapp über 12 % des Tarifentgelts belaufen, 3.812 EUR betrage.
Für das Jahr 2022 beurteilte die Beklagte den Kläger mit der Beurteilungsstufe G. Die Mitteilung der Beurteilung an den Kläger erfolgte am 22. März 2023.
Nach vorgerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 26. April 2023, am Folgetag per Mail abgesandt, machte der Kläger mit der dort am 26. Juli 2023 eingegangenen Klage zum Arbeitsgericht für die Monate Februar 2022 bis Juni 2023 die Zahlung der monatlichen Differenzen zwischen der gewährten Vergütung und einer Vergütung nach dem tariflichen Grundentgelt der Entgeltgruppe 7 zuzüglich einer Leistungszulage in Höhe von 20 % auf dieses Grundentgelt mit einem monatlichen Betrag von 244,- EUR gerichtlich geltend.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, mit Erwerb der Prüferlizenz sei er mit entsprechenden Prüfarbeiten beauftragt worden. Er hat die Auffassung vertreten, deshalb ab dem Januar 2022 gemäß den im Entgeltrahmentarifvertrag normierten Eingruppierungsgrundsätze in die Entgeltstufe 7 eingruppiert gewesen zu sein. Zuzüglich zu der daraus resultierenden Grundvergütung hätte ihm eine Leistungszulage entsprechend der Gesamtbetriebsvereinbarung in Höhe von 20 % gewährt werden müssen. Die Herabstufung und Verminderung der Leistungszulage infolge der Leistungsbeurteilung im April 2022 beachte nicht die Anforderungen aus Ziffer 8.4 ERA-TV, wonach sich eine Übergangszeit anschließe und eine neue Leistungsbeurteilung hätte stattfinden müssen. Soweit für die Berufung von Interesse hat er vor dem Arbeitsgericht beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 4.148,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins jeweils aus einem Betrag in Höhe von 244,00 EUR brutto seit dem 01.03.2022, 01.04.2022, 01.05.2022, 01.06.2022, 01.07.2022, 01.08.2022, 01.09.2022, 01.10.2022, 01.11.2022, 01.12.2022, 01.01.2023, 01.02.2023, 01.03.2023, 01.04.2023, 01.05.2023, 01.06.2023 sowie 01.07.2023 zu zahlen.
Außerdem hat er einen Feststellungsantrag gestellt wegen einer Verpflichtung der Beklagten zur Fortgewährung der Leistungszulage.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht Klageabweisung beantragt,
Sie hat dort ausgeführt, Ergebnis einer Überprüfung der Eingruppierung des Klägers, die in den Änderungsvertrag aus Januar 2023 gemündet sei, sei dessen Eingruppierung in die EG 7 Hauptstufe gewesen. Die daraus folgende Erhöhung des tariflichen Grundentgelts auf die Leistungsbestandteile habe sie in Anwendung von Ziffer 8.2 ERA-TV auf die Leistungsbestandteile anrechnen können. Dies sei mit der Änderungsvereinbarung aus Januar 2023 in voller Höhe geschehen. Nach dem Tarifvertrag oder der GBV bestehe kein Anspruch darauf, dass eine individuelle Zulage bei einer Höhergruppierung ebenfalls bezogen auf das neue, höhere Tarifentgelt nach oben angepasst werde. Im Übrigen stelle die Beurteilung für 2021, jedenfalls aber die Beurteilung für 2022 die nächste Beurteilung im Sinne der ERA-Vorschrift dar, die für die Vergütung maßgebend gewesen sei.
Mit Urteil vom 13. Februar 2024 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach der einschlägigen tarifvertraglichen Regelung sei die Beklagte berechtigt gewesen, infolge der Höhergruppierung des Klägers dessen Leistungszulage zu kürzen. Die Auslegung der Tarifvorschrift ergäbe, dass bei einem Aufstieg eine „neue“ Beurteilung der Leistung erst aufgrund der geänderten bzw. teilweise erweiterten Arbeitstätigkeiten erfolge, wie sie der nachgängig erfolgenden Beurteilung zu Grunde zu legen seien. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Fortführung der auf einer nicht mehr ausgeübten Tätigkeit basierenden Beurteilung. Daher könne er bis März 2023 keine höhere Leistungszulage beanspruchen. Ebenso bestünden keine Differenzansprüche seit April 2023, da sich seitdem die Leistungszulage nach der in diesem Monat erfolgten Leistungsbeurteilung richte. Der Kläger hätte in Anwendung der tarifvertraglichen Regelung Einspruch gegen diese Beurteilung einlegen können. Es wäre dann die Aufgabe der Kommission gewesen, nach Ziffer 2.8 darüber zu entscheiden, ob seine Leistungen der Beurteilungsstufe H entsprochen hätten. Der Kläger habe auch nicht zur Qualität seiner Leistungen entsprechend der Stufe H vorgetragen. Das tarifvertraglich geregelte Verfahren bei festgestellter Leistungsminderung sei nicht einschlägig. Im Hinblick auf die Übernahme höherwertiger Tätigkeiten, fehle es an einer Leistungsminderung verstanden als Verschlechterung bei gleichbleibenden Arbeitsaufgaben.
Gegen das ihm am 6. März 2024 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. März 2024 Berufung eingelegt und – nach Fristverlängerung auf den 6. Juni 2024 – an diesem Tag begründet. Er verfolgt die Klageforderung unter Neuberechnung der monatlichen Differenz weiter und bezieht die monatlichen Differenzbeträge bis März 2024 in den Zahlungsantrag ein. Er macht geltend, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Regelung zur Anrechnung der individuellen Leistungszulage im Falle der Höhergruppierung angewandt. Die einschlägige Gesamtbetriebsvereinbarung sehe eine unterjährige Herabsetzung der Leistungszulage nicht vor. Die von dem Arbeitsgericht vorgenommene Auslegung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, da höhergruppierte Beschäftigte gegenüber solchen benachteiligt würden, die in ihrer bisherigen Entgeltgruppe verblieben. Da somit für den Kläger die Bewertungsstufe H fortgegolten habe, greife die tarifliche Regelung zum Vorgehen bei Feststellung einer Leistungsminderung. Dieses Verfahren habe die Beklagte aber nicht eingehalten. Dem Kläger könne das innerbetriebliche Beschwerdeverfahren nicht entgegengehalten werden. Dieses sei nicht geeignet, über die Hintertür tarifvertragliche Ausschlussfristen abzukürzen. Wegen der im Frühjahr 2024 ebenfalls auf die Stufe G erfolgten Leistungsbeurteilung habe er im Workday-System vermerkt, mit der Beurteilung nicht einverstanden zu sein. Wegen des verzögerten Abschlusses des Änderungsvertrags sei ihm die Tatsache der falschen Gehaltszusammensetzung nicht bewusst gewesen, so dass er sich dagegen auch nicht habe wehren können.
Er beantragt,
das Urteil des Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel vom 13.02.2024 - 7 Ca 5272/23 - abzuändern und insgesamt wie folgt neu zu fassen:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.486,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jeweils aus einem Betrag in Höhe von 244,00 EUR brutto seit dem 01.03.2022, 01.04.2022, 01.05.2022, 01.06.2022, 01.07.2022, 01.08.2022, 01.09.2022, 01.10.2022, 01.11.2022, 01.12.2022, 01.01.2023, 01.02.2023, 01.03.2023, 01.04.2023, 01.05.2023 und 01.06.2023 sowie jeweils aus einem Betrag in Höhe von 258,20 EUR brutto seit dem 01.07.2023, 01.08.2023, 01.09.2023, 01.10.2023, 01.11.2023, 01.12.2023, 01.01.2024, 01.02.2024, 01.03.2024 und 01.04.2024 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat die Berufung beantwortet. Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und beruft sich auf die Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfristen.
Mit Schreiben vom 8. Januar 2025 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Befugnis zur Anrechnung aus Ziffer 8.2 ERA-TV als einseitiges Bestimmungsrecht im Sinne von § 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu verstehen sein könne, und die Parteien nach Ermessensgrenzen und -erwägungen gefragt.
Der Kläger hat dazu auf Vertrauensschutz hingewiesen, den er aus dem Fehlen einer unterjährigen Änderungsmöglichkeit der Leistungszulage nach der Gesamtbetriebsvereinbarung herleitet sowie auf die fehlende Transparenz der Gehaltsabrechnungen, die den Gesamtbetrag nicht weiter aufsplitten würden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, jedenfalls habe sich die Anrechnungsentscheidung im Rahmen billigen Ermessens bewegt. Es sei billig, eine Neubewertung im Falle einer höheren Eingruppierung vorzunehmen, da sich dann die Tätigkeit des Mitarbeiters ändere. Sie habe den Fall des Klägers nicht anders gehandhabt als vergleichbare Fälle.
Die Berufung hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig und insoweit begründet, als der Kläger die Fortzahlung der bis Ende 2022 gewährten Leistungszulage für die Monate Januar bis März 2023 geltend macht. Die diesbezüglich von der Beklagten eingewandte Anrechnung bei Aufrücken in eine höhere Entgeltgruppe greift nicht durch, weil sie nicht dem mit der Einräumung eines einseitigen Bestimmungsrechts durch die in Rede stehende Tarifvorschrift verbundenen billigen Ermessen entspricht. Im Übrigen ist die Berufung dagegen unbegründet und ist die Klageabweisung durch das Arbeitsgericht zu bestätigen bzw. sind die im Berufungsverfahren in die Klageforderung einbezogenen weiteren monatlichen Teilbeträge zurückzuweisen. Ansprüche wegen der Leistungslage bis einschließlich Dezember 2022 sind in Anwendung der ersten Stufe der Ausschlussfrist aus dem Manteltarifvertrag verfallen. Ansprüche auf Fortzahlung der Leistungszulage ab April 2023 bestehen nicht, weil in Anwendung der tarifvertraglichen Regelung in Ziffer 8.2 ERA-TV seitdem die im März 2023 mitgeteilte Leistungsbeurteilung für 2022, wie sie eine Leistungszulage nicht in Höhe von 20 %, sondern nur von 12 % des Grundentgelts begründet, maßgebend ist. Im Einzelnen:
1. Die Berufung einschließlich der Einbeziehung weiterer monatlicher Teilbeträge in den Zahlungsantrag ist zulässig.
a. Die Statthaftigkeit der Berufung folgt aus § 64 Absatz 2 Buchstabe b Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 600 EUR. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung aus § 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG und die durch gerichtliche Entscheidung verlängerte Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger gewahrt. Die Berufungsbegründung zeigt mögliche Rechtsfehler der angefochtenen Entscheidung auf und genügt so den inhaltlichen Anforderungen aus § 520 Absatz 3 Zivilprozessordnung (ZPO).
b. Die im Berufungsverfahren erfolgte Einbeziehung der Monate bis März 2024 in den Klageantrag ist ebenfalls zulässig. Gemäß § 264 Nummer 2 ZPO liegt im Hinblick auf den erstinstanzlich zusätzlich beschiedenen Feststellungsantrag wegen einer fortbestehenden Verpflichtung, die Leistungszulage zu zahlen, keine Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO, die an den dort aufgestellten Anforderungen zu messen sein würde, vor. Die Einbeziehung in den Zahlungsantrag überführt den Feststellungsantrag teilweise und bei gleichbleibendem Klagegrund in eine Zahlungsklage.
2. Nachzahlungen für die Monate Februar bis Dezember 2022 kann der Kläger nicht beanspruchen. Diese Ansprüche würden jedenfalls in Anwendung von Ziffer 15.1 MTV verfallen sein. Wegen der hiervon jüngsten Ansprüche würde Fälligkeit mit Ende Dezember 2022 eingetreten sein. Der Begriff der Fälligkeit im Sinne einer Ausschlussklausel ist unter Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte interessengerecht auszulegen (BAG, 28. August 2019 - 5 AZR 425/18 juris Rn 39; BAG, 22. Oktober 2019 - 9 AZR 532/18, juris Rn 30). Danach genügt es vorliegend, dass der Kläger die Nachforderung nach den normativ auf sein Arbeitsverhältnis einwirkenden Vorschriften aus den einschlägigen Tarifverträgen und Gesamtbetriebsvereinbarungen hätte errechnen und geltend machen können. Wie mit der Klagebegründung später geschehen, hätte er aus dem aus der veränderten Eingruppierung nach den maßgebenden tarifvertraglichen Vorschriften zur Eingruppierung folgenden neuen tariflichen Grundentgelt und der zuvor gewährten Leistungszulage die Forderung berechnen können. Die Geltendmachung weiterer Zahlungen als Leistungsprämie für Dezember 2022 hätte also bis Ende März 2022 erfolgen müssen. Das Geltendmachungsschreiben für den Kläger ist aber erst im April 2022 abgesandt worden. Dementsprechend sind Nachforderungen für Februar bis November 2022 ebenfalls verfallen.
3. Für Januar bis März 2023 kann der Kläger die Fortzahlung der bis Ende 2022 gewährten Leistungszulage beanspruchen.
a. Ausgangspunkt ist die Regelung in Ziffer 8.4 ERA-TV.
aa. Danach ist jedenfalls für Sachverhalte ohne Aufrücken in eine höhere Entgeltgruppe oder stufe die einmal gewährte Leistungszulage abänderbar nur bei einer Veränderung der Leistungsbeurteilung. Wie es das Bundesarbeitsgericht zu einem ähnlichen Tarifvertrag ausgeführt hat, folgt hieraus, dass die Änderung eines einmal festgelegten Leistungsentgelts – abgesehen von bloßen Fehlerkorrekturen – voraussetzt, dass eine wirksame Neubeurteilung erfolgt ist. Solange es an einer solchen fehlt, ist deshalb das bisherige Leistungsentgelt fortzuzahlen (BAG, 8. Juni 2014 - 10 AZR 699/13, juris Rn 34).
bb. Unter dem bisherigen Leistungsentgelt ist allerdings der bisher gewährte Betrag zu verstehen. Hierfür spricht der Wortlaut der auf die „bisherige Leistungszulage“ abstellt. Für die Heraufsetzung des Leistungsentgelts infolge eines höheren Grundentgelts enthält die tarifvertragliche Regelung keine Anhaltspunkte. Dass sich das Leistungsentgelt aus einem Prozentsatz des Grundentgelts berechnet, bedeutet nicht, dass im Falle einer Höhergruppierung die Leistungszulage automatisch anzupassen ist.
b. Die Regelung in Ziffer 8.2 ERA-TV führt vorliegend zu keiner Minderung des zuvor gewährten Leistungsentgelts. Die von der Beklagten vorgenommene vollumfängliche Anrechnung der Erhöhung des Grundentgelts auf die Leistungszulage ist unbillig und deshalb für den Kläger nicht verbindlich.
aa. Ziffer 8.2 ERA-TV eröffnet für den Arbeitgeber die Befugnis, im Falle des Aufrückens des Beschäftigten in eine höhere Entgeltgruppe oder höhere Entgeltstufe eine Anrechnung auf eine gewährte und tarifvertraglich geschützte Leistungszulage vornehmen zu können. Die Anrechnung ist nicht automatisch die Rechtsfolge des Aufrückens in eine höhere Entgeltgruppe oder -stufe, sondern der Arbeitgeber „kann“ eine Anrechnung vornehmen. Diese Befugnis stellt sich als einseitiges Bestimmungsrecht im Sinne von § 315 BGB dar. Ein solches Bestimmungsrecht kann einer Arbeitsvertragspartei durch Tarifvertrag eingeräumt werden (vgl. BAG, 31. Januar 2002 – 6 AZR 214/00, juris Rn 20). Es muss dann aber die Konkretisierung der Arbeitsbedingungen aufgrund der tariflichen Bestimmungsklausel die Grundsätze billigen Ermessens (§ 315 Absatz 1 BGB) wahren (vgl. BAG, 28. November 1984 - 5 AZR 195/83, juris Rn 35). Räumt eine tarifliche Bestimmung dem Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ein, so hat er seine Entscheidung nach billigem Ermessen im Sinne von § 315 Absatz 1 BGB zu treffen (BAG, 17. Oktober 1990 - 4 AZR 138/90, juris Rn 17). Dementsprechend muss der Arbeitgeber die Entscheidung nach Ziffer 8.2 ERA-TV, ob er eine Anrechnung vornimmt, nach billigem Ermessen im Sinne von § 315 Absatz 1 BGB treffen.
bb. In Anwendung von § 315 Absatz 3 BGB ist die Bestimmung durch den Arbeitgeber, ob und in welchem Umfang er eine Anrechnung vornimmt, für den Arbeitnehmer nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Ansonsten hat das Arbeitsgericht die Bestimmung zu ersetzen und über die Anrechnung zu entscheiden. Vorliegend genügt die von der Beklagten vorgenommene volle Anrechnung den genannten Anforderungen nicht. Die deshalb vom Gericht zu treffenden Entscheidung über die Anrechnung geht dahin, dass eine Anrechnung zu unterbleiben hat.
(1) In § 315 Absatz 3 BGB ist angeordnet, dass bei entsprechender Bindung des einseitigen Bestimmungsrechts die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur dann verbindlich ist, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil des Gerichts getroffen. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn sie alle wesentlichen Umstände und die Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigt (BAG, 28. November 1984 - 5 AZR 195/83, juris Rn 35; BAG, 17. Okt. 1990 - 4 AZR 138/90, juris Rn 17).
(2) Die Tarifbestimmung in Ziffer 8.2 gibt einen maximalen Rahmen der Anrechnung vor. Aus dem weiteren Wortlaut der Vorschrift folgt, dass mit der Anrechnung die Zeit bis zu einer erneuten Leistungsbeurteilung überbrückt werden soll. Aus dem weiteren Tarifzusammenhang spricht der in Ziffer 8.4 ERA-TV zum Ausdruck kommende Grundsatz des Schutzes der erreichten Leistungszulage grundsätzlich gegen eine Anrechnung und außerdem die grundsätzlich bestehende Erwartung, dass eine Höhergruppierung oder -stufung zu einem insgesamt höheren Entgelt führt, und nicht durch Kürzung einer Leistungszulage aufgezehrt wird. Für eine Anrechnung spricht die Überlegung, dass im Hinblick auf die Übertragung höherwertiger Aufgaben im Hinblick auf die gesteigerten Anforderungen eine schlechtere Leistungsbeurteilung drohen könnte mit der Folge einer dann eintretenden Entgeltkürzung, welche aber grundsätzlich vermieden werden sollte.
(3) Vor dem Hintergrund der entwickelten Kriterien verfehlt nach dem Verständnis der Kammer die Praxis der Beklagten, regelmäßige eine Anrechnung vorzunehmen, die Grundsätze billigen Ermessens. Die gegen eine Anrechnung sprechenden Gesichtspunkte finden darin keine Berücksichtigung.
(4) Auch aus dem vorliegend zu beurteilenden Einzelfall sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, wonach die Anrechnung als billig erschiene. Die Beklagte hätte berücksichtigen müssen, dass die erste Beurteilung nach Höhergruppierung im Januar 2022 noch mehr als ein Jahr ausstand. Für einen solch langen Zeitraum trotz Ausführung höherwertiger Aufgaben im Ergebnis keinen Mehrverdienst zu gewähren, erscheint besonders begründungsbedürftig. Die Leistungsbeurteilung aus April 2021 reicht insoweit nicht aus. Hierbei handelt es sich um eine nur einmalige Beurteilung der Leistungen mit nicht mehr aktuellen Arbeitsaufgaben, so dass eine Kürzung hierauf nicht gestützt werden könnte.
(5) Bei der Ersetzung der Ermessensentscheidung des Arbeitgebers durch die Entscheidung des Gerichts hat die Kammer sich daran orientiert, dass die Höhergruppierung im Hinblick auf die verbesserten Fähigkeiten und gesteigerten Anforderungen an den Kläger zu einer Entgeltsteigerung führen soll. Außerdem führt die Orientierung an dem bisherigen Grundentgelt bereits zu einer Absenkung im Vergleich zu einer aus dem neuen Grundentgelt zu ermittelnden Leistungszulage bei unverändertem Prozentsatz.
c. Der Fortgewährung der Leistungszulage für Januar bis März 2023 stehen auch die nach der Höhergruppierung erfolgten Leistungsbeurteilungen nicht entgegen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass mit der nächsten Leistungsbeurteilung, wie sie nach Ziffer 8.2 für die Neufestlegung der Leistungszulage maßgebend sein soll, eine Beurteilung in der neuen Tätigkeit gemeint ist. Dies trifft auf die im April 2022 mitgeteilte Beurteilung, wie sie noch auf die Tätigkeiten in 2021 bezogen war, nicht zu. Die geänderten höherwertigen Tätigkeiten in 2022 waren Gegenstand der im März 2023 mitgeteilten Beurteilung. Diese ist analog Ziffer 8.3 ERA-TV erst für das Entgelt ab April 2023 maßgebend, so dass sie den hier zu begründenden Ansprüchen für die Monate bis März 2023 nicht entgegensteht.
d. Die zum Jahresbeginn 2023 in Kraft getretene ablösende GBV lässt den Anspruch unberührt. Dies folgt aus der entsprechenden Anordnung bei Ziffer 3.6. Durch den Abschluss des Änderungsvertrags im Januar haben die Prozessparteien den aus der zwingenden normativen Wirkung der Tarifvorschriften folgenden Anspruch auf die höhere Leistungszulage nicht abbedingen können.
e. Der Anspruch ist nicht verfallen. Die erste Stufe der Ausschlussfrist gemäß Ziffer 15.1 MTV ist durch das am 27. April 2023 abgesandte Mailschreiben mit der Geltendmachung gewahrt. Für die Klageerhebung ist auf den Tag der Einreichung bei Gericht, also den 26. Juli 2023, abzustellen (vgl. § 167 ZPO), so dass die dreimonatige Frist aus Ziffer 15.2 MTV ebenfalls gewahrt ist.
4. Ab April 2023 kann der Kläger keine Nachzahlungen der Leistungsprämie beanspruchen.
a. In Anwendung von Ziffer 8.2. ERA-TV ist – wie es das Arbeitsgericht ausgeführt hat – ab diesem Monat auf die Leistungsbeurteilung für 2022 abzustellen, die dem Kläger im März 2023 mitgeteilt wurde. Diese Beurteilung betrifft einen Zeitraum, während dessen der Kläger ganz überwiegend mit den höherwertigen Aufgaben nach der Entgeltgruppe 7 beschäftigt war. Sie stellt somit die neue Beurteilung im Sinne der Tarifvorschrift dar.
b. Eine Zweitbeurteilung analog Ziffer 8.4 ERA-TV war nicht erforderlich. Entscheidend gegen die von dem Kläger befürwortete kumulative Anwendung der Vorschrift zum Erfordernis der Zweitbeurteilung auch im Fall des Aufrückens in eine höhere Entgeltgruppe spricht das in Ziffer 8.2 ERA-TV von der nächsten Beurteilung im Singular die Rede ist, ohne dass die aus der Ziffer 8.4 ERA-TV folgende zweifache Beurteilung erkennbar Berücksichtigung gefunden haben würde.
c. Die resultierende Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten ohne und Beschäftigten mit Höhergruppierung ist vor dem Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, wie ihn die Tarifvertragsparteien zu beachten haben (vgl. dazu zB. BAG, 20. Juli 2023 - 6 AZR 256/22, juris Rn 36ff), nicht zu beanstanden. Die sachliche Rechtfertigung ist darin begründet, dass für die Beschäftigten mit Höhergruppierung die Beurteilung in einer geänderten Arbeitsaufgabe erfolgt. Somit liegt keine Verschlechterung gegenüber einer Beurteilung in der gleichen Arbeitsaufgabe vor, wie sie der Anlass für eine Überprüfung der Leistungseinschätzung durch die tarifvertraglich vorgegebene Zweibeurteilung ist.
d. Die einmalige Beurteilung ist mit dem mitgeteilten Ergebnis maßgebend. Mit der GBV Leistungsbeurteilung haben die Betriebsparteien mit normativer Wirkung für das Arbeitsverhältnis ein Beurteilungsverfahren geregelt, das einem Schiedsgutachten entspricht. Ein Beschäftigter muss das in Ziffer 8.7 geregelte Einspruchsverfahren nutzen, will er eine Korrektur des Ergebnisses durch die dafür mit besonderer Sachkunde eingesetzte Kommission erreichen. Außerhalb dieses Verfahrens kann er nur die offenbare Unrichtigkeit der Beurteilung einwenden, für die es aber vorliegend keine Anhaltspunkte gibt (vgl. zu alledem: BAG, 9. Februar 2020 - 10 AZR 19/19, juris).
e. Das zur Leistungsbeurteilung mitgeteilte Ergebnis G begründet nach der ablösenden GBV, dort Ziffer 2.2, nur den Anspruch auf eine Leistungsprämie im Umfang von 12 %. Eine solche Prämie hat aber die Beklagte mit den an den Kläger ab April 2023 geleisteten Zahlungen erfüllt.
5. Die ausgeurteilten Zinsen folgen aus §§ 286 Absatz 2 Ziffer 1, § 288 Absatz 1 BGB in Verbindung mit der Fälligkeitsbestimmung auf das Monatsende.
III.
Von den Nebenentscheidungen ist die Kostenentscheidung in § 92 ZPO begründet. Für das Berufungsverfahren hat das Gericht eine Quote errechnet, die das anteilige wechselseitige Unterliegen im Hinblick auf die Gesamtforderung zum Ausdruck bringt. Für das erstinstanzliche Verfahren hat das Gericht in Anwendung von § 92 Absatz 2 ZPO von einer Kostenbeteiligung der Beklagten abgesehen, weil deren Unterliegen im Hinblick auf den dort wegen des zusätzlich anhängigen Feststellungsantrags höheren Streitwert geringfügig bleibt.
Veranlassung, gemäß § 72 Absatz 2 ArbGG die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.