Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren, Bewilligung einer Teilrente...

Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren, Bewilligung einer Teilrente für den Zeitraum "ab Juli 2024" obgleich lediglich "für Juli 2024" beantragt war


Metadaten

Gericht SG Potsdam 48. Kammer Entscheidungsdatum 22.11.2024
Aktenzeichen S 48 R 222/24 ECLI ECLI:DE:SGPOTSD:2024:1122.S48R222.24.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2024 verpflichtet, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.5.2024 dem Grunde nach in vollem Umfang zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.5.2024 wird für notwendig erklärt.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Frage der Kostentragung für ein Widerspruchsverfahren im Streit. Die Klägerin wendet sich gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 22.7.2024, der zum Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.5.2024 ergangen ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die 1941 geborene Klägerin beantragte vertreten durch ihre bevollmächtigte Rentenberaterin am 6.5.2024 für den Monat Juli 2024 eine Teilrente i.H.v. 81 % und ab 1.8.2024 wieder eine Vollrente i.H.v. 100 %. Zu diesem Zeitpunkt stand sie im Bezug einer Vollrente in Form der Altersrente für Frauen.

Die Beklagte erteilte der Klägerin am 28.5.2024 einen neuen Rentenbescheid „ab dem 1.7.2024“ als Teilrente i.H.v. 81 %. Diese werde für die Zeit „ab dem 1.7.2024 laufend monatlich“ gezahlt. In der Begründung für die Neuberechnung der Rente ist auf Seite 2 des Bescheides ausgeführt: „Ihre Rente wird neu berechnet, weil

– wir für die Zeit ab dem 1.7.2024 ihre gewählte Teilrente berücksichtigen.

– eine Rentenanpassung durchzuführen war.“ Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheides wird auf Bl. 7-16 der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Gegen den Bescheid vom 28.5.2024 legte die Klägerin vertreten durch ihre bevollmächtigte Rentenberaterin am 8.6.2024 Widerspruch ein und trug vor, dass dem Bescheid eine Aussage über einen weiteren Bescheid ab 1.8.2024 nicht entnommen werden könne, weshalb ein Widerspruch vonnöten sei. Es werde beantragt, die Rente der Klägerin ab 1.8.2024 entsprechend des Antrags vom 6.5.2024 als Vollrente zu berechnen.

Die Beklagte erteilte der Klägerin am 18.6.2024 einen neuen Rentenbescheid „ab dem 1.8.2024“ als Vollrente. Diese werde für die Zeit ab dem 1.8.2024 laufend monatlich gezahlt. In der Begründung für die Neuberechnung der Rente ist auf Seite 2 des Bescheides ausgeführt: „Ihre Rente wird neu berechnet, weil wir für die Zeit ab dem 1.8.2024 keine gewählte Teilrente mehr berücksichtigen.“

Daraufhin erklärte die Klägerin am 26.6.2024 bezugnehmend auf den „Abhilfebescheid“ vom 18.6.2024, dass das Widerspruchsverfahren erledigt sei und beantragte die Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 516,46 €. Widerspruchsgegenstand sei die Neuberechnung der Rente ab 1.8.2024 als Vollrente gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.7.2024 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und entschied, dass Kosten des Widerspruchsverfahrens nicht zu erstatten seien. In der Begründung heißt es, dass ein fehlender Hinweis auf einen folgenden Bescheid keinen Widerspruch begründe.

Dagegen hat die Klägerin am 29.7.2024 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Sie trägt vor, da dem Bescheid vom 28.5.2024 nicht habe entnommen werden können, dass die Beklagte noch einen neuen Rentenbescheid ab 1.8.2024 als Vollrente erlassen werde, sei davon auszugehen gewesen, dass der Bescheid vom 28.5.2024 auch für die Zukunft ab 1.8.2024 gelte. Dies habe jedoch nicht dem Antrag der Klägerin vom 6.5.2024 entsprochen. Der Widerspruch sei daher zulässig und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen. Bei dem Bescheid vom 18.6.2024 handele es sich um einen Abhilfebescheid. Dass ihr Widerspruch nunmehr mit Bescheid vom 22.7.2024 als unbegründet abgewiesen worden sei, sei für sie nicht nachvollziehbar. Ihr Widerspruch habe sich gegen die Höhe der Rente ab 1.8.2024 gerichtet. Mit einem entsprechenden Hinweis zu einer Neuberechnung der Rente ab 1.8.2024 im Bescheid vom 28.5.2024 hätte das Widerspruchsverfahren vermieden werden können.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2024 zu verpflichten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.05.2024 dem Grunde nach in vollem Umfang zu erstatten sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.05.2024 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass es ihr technisch nicht möglich sei, einen Rentenbescheid nur für einen bestimmten Monat zu erlassen. Es gehe maschinell immer nur ein Rentenbescheid „ab dem ….“. Es gebe auch Termine, zu denen es technisch erst möglich sei, eine Rentenberechnung für einen zukünftigen Zeitraum vorzunehmen. Das sei im vorliegenden Fall am 28.05.2024 zwar schon für den Monat Juli 2024 möglich gewesen, aber noch nicht für den Monat August 2024.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angegriffene Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 22.7.2024 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat einen vollen Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte gem. § 63 Abs. 1 SGB X, denn ihr Widerspruch ist vollumfänglich erfolgreich gewesen.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides vom 28.5.2024 bezog die Klägerin eine Altersrente für Frauen im Umfang der Vollrente. Sie hatte lediglich für einen Monat beantragt, ihr anstatt der Vollrente eine Teilrente (iHv 81 %) auszuzahlen. Damit lag lediglich für den Monat Juli 2024 ein Grund für die Gewährung von lediglich 81 % der Vollrente vor. Indem mit dem angegriffenen Bescheid nicht lediglich für Juli 2024, sondern ab Juli 2024 der Rentenzahlbetrag der Klägerin als Teilrente in Höhe von 81 % der Vollrente neu berechnet wurde, wurde für die Zeit ab August 2024 eine rechtwidrige Regelung getroffen. Dagegen wandte sich die Klägerin im Ergebnis erfolgreich mit ihrem Widerspruch.

Die Beklagte trägt vor, es sei ihr im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 28.5.2024 technisch nicht möglich gewesen

- entweder die Neuberechnung allein auf den Monat Juli 2024 zu beschränken – hätte sie dies getan hätte für August 2024 die bis dahin bestehende Regelung (Vollrente) weitergegolten,

- oder gleichzeitig für die Zeit ab August 2024 auch neu zu berechnen – dann wäre gleichzeitig mit der Regelung der Teilrente für Juli 2024 wieder die Vollrente für August 2024 geregelt worden.

Sollte das von der Beklagten genutzte Computerprogramm die Erstellung solcher Bescheide tatsächlich nicht ermöglichen, auch nicht händisch, so liegt es in ihrer Sphäre, hier für eine Änderung zu sorgen oder anderenfalls die (kosten-)rechtlichen Konsequenzen einer rechtwidrigen Bescheiderteilung zu tragen. Dass sie mit Bescheid vom 28.5.2024 „ab Juli 2024 bis laufend“ neu berechnete, jedoch nur in Höhe der Teilrente von 81 % obgleich der Antrag der Klägerin von Anfang an auf den Monat Juli 2024 beschränkt war, führte zur Widerspruchseinlegung der Klägerin. Die Klägerin beruft sich außerdem darauf, dass sie den Widerspruch bereits dann nicht erhoben hätte, wenn sich in der Begründung des Bescheides ein Hinweis darauf gefunden hätte, dass eine weitere Neuberechnung ab August 2024 erfolgen wird. Jedenfalls dieser Hinweis wäre der Beklagten bereits am 28.5.2024 unstreitig technisch möglich gewesen.

Der Widerspruch der Klägerin hatte auch Erfolg. Mit Bescheid vom 18.6.2024, mithin zeitlich nach der Widerspruchserhebung, wurde der Rentenzahlbetrag der Klägerin ab August 2024 erneut als Vollrente neu berechnet und damit dem Widerspruchsbegehren im vollem Umfang entsprochen. Es kommt für die Frage des Erfolgs des Widerspruchs nicht darauf an, dass die Beklagte dem Widerspruch ausdrücklich abhilft. Es genügt für einen Erfolg des Widerspruchs im Sinne des § 63 SGB X, dass dem Widerspruchsbegehren objektiv durch die Behörde entsprochen worden ist.

Ein Widerspruch ist aber nicht immer schon dann erfolgreich im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wenn zeitlich nach der Einlegung des Rechtsbehelfs eine den Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht, sondern es ist auch erforderlich, dass zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R, SozR 4-1300 § 63 Nr. 13 RdNr 16 unter Bezugnahme auf BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 5 RdNr 15; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 4 RdNr 11; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 13 S 34; BSG SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 S 13).

Dafür, dass der Widerspruch der Klägerin nicht kausal für den Bescheid vom 18.6.2024 war, finden sich keinerlei Anhaltspunkte.

Die Verneinung der Kausalität zwischen Widerspruch und begünstigender Entscheidung ist in der Rechtsprechung des BSG eine Ausnahme (vgl. Prof. Dr. Peter Becker in: Hauck/Noftz SGB X, § 63, Rn. 27a). So wurde Kausalität verneint, wenn ein Antrag wegen unzureichender Mitwirkung abgelehnt wurde, dann die Mitwirkung im Widerspruchsverfahren nachgeholt und nun dem Antrag stattgegeben wurde (BSG vom 21. 7. 1992 - 4 RA 20/91, SozR 3-1300 § 63 Nr. 3; BSG vom 18. 12. 2001 - B 12 KR 42/00 R, USK 2001-61, Juris-Rz 13). Ebenfalls verneint wurde die erforderliche kausale Verknüpfung von Widerspruch und Erfolg für den Fall, dass ein fehlerhafter Leistungsbescheid kausal auf unvollständige Angaben des Leistungsberechtigten zurückzuführen war und die fehlenden Informationen erst im Widerspruchsverfahren nachgereicht wurden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.07.2012 zum Aktenzeichen L 18 AL 125/11) sowie im Fall eines EU-Ausländers, der erst im Verlaufe eines gegen die Ablehnung von SGB II-Leistungen anhängigen Widerspruchsverfahrens eine Arbeit aufgenommen hatte mit der Folge, dass der an sich gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegebene Leistungsausschluss entfiel (Hessisches LSG, Urteil vom 23.09.2016 zum Aktenzeichen L 7 AS 1035/15). Ein diesen Konstellationen vergleichbarer Sachverhalt liegt hier nicht vor. Die im Widerspruchsverfahren erfolgte Neuberechnung der Rente der Klägerin ab August 2024 als Vollrente beruhte nicht auf einer nachgeholten Mitwirkungshandlung, nachträglich eingereichten Informationen nach zunächst unvollständigen Angaben, einer der Sphäre der Klägerin zuzurechnenden nachträglichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse oder einem diesen Konstellationen vergleichbaren Umstand.

Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 28.5.2024 war notwendig im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X. Bei der Beurteilung der Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung ist eine weite Auslegung geboten, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass das Sozialrecht eine Spezialmaterie ist, die nicht nur der rechtsunkundigen Partei, sondern selbst ausgebildeten Juristen Schwierigkeiten bereitet (vgl. Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 63 SGB X (Stand: 08.10.2024), Rn. 65). Für die Beantwortung der Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig ist, kann sinngemäß auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die das BVerfG zum Merkmal der Erforderlichkeit von Prozesskostenhilfe entwickelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 97/11 R –, juris mit Heranziehung von BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 2493/10 - NZS 2011, 775; BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Entscheidender Maßstab ist hiernach nicht das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko, sondern die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit (vgl. BSG aaO). Da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen, kann die Notwendigkeit einer Zuziehung nur ausnahmsweise verneint werden (vgl. BSG aaO). Denn es ist davon auszugehen, dass die Beauftragung eines Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen regelmäßig erfolgt, wenn in Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BSG aaO). Danach steht die Notwendigkeit der Zuziehung der Bevollmächtigten vorliegend nicht in Zweifel, erst Recht nicht, wenn man berücksichtigt, dass es um eine laufende Rentengewährung ging, die unbefristet in die Zukunft auf 81 % herabgesetzt worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung ist nicht zulässig, § 144 Abs. 1 SGG. Anlass, die Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.