Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 26.03.2025 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 39/25 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2025:0326.1WS39.25S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Besetzungseinwand des Verteidigers Rechtsanwalt Prof. Dr. D. vom 04. Februar 2025 wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
I.
Vor der 3. großen Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Potsdam findet seit dem 21. Februar 2025 die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten G. nach Abtrennung aus dem vormals gegen ihn gemeinsam mit einem Mitangeklagten geführten Verfahren wegen des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt statt.
Mit Verfügung vom 20. Januar 2025, ausgeführt und dem Verteidiger zugestellt am 23. Januar 2025, teilte der Kammervorsitzende dem Verteidiger des Angeklagten G. unter gleichzeitiger Ladung zur am 21. Februar 2025 beginnenden und am 03., 07., 12., 24., 19., 21., 24. und 26. März 2025 fortzusetzenden Hauptverhandlung die Gerichtsbesetzung mit. An der Hauptverhandlung sollten der Mitteilung zufolge als beisitzende Berufsrichterinnen Richterinnen am Landgericht S. und E. sowie die Schöffinnen W. und H. als für den ersten Verhandlungstag zugewiesene Schöffinnen teilnehmen.
Nachdem Frau W. in einer an das Gericht gerichteten E-Mail vom 22. Januar 2025 mitteilte, dass sie aufgrund der Leitung einer Klausurtagung des Personalrats im Bezirksamt S. als dessen Vorsitzende am 07. März 2025 verhindert sei, erging am 23. Januar 2025 nach Feststellung der Verhinderung der Schöffin W. und Heranziehung des Ersatzschöffen, ausgeführt und dem Verteidiger zugestellt am 27. Januar 2025, eine neue Besetzungsmitteilung, die statt Frau W. Frau F. auswies.
Am 23. Januar 2025 teilte Frau H. ihre urlaubsbedingte Verhinderung für den 21., 24. und 26. März 2025 unter Beifügung einer Buchungsbestätigung vom 15. Januar 2025 für einen Spanienurlaub im Zeitraum vom 21. bis 28. März 2025 mit. Daraufhin wurde ihre Verhinderung durch den Vorsitzenden am 27. Januar 2025 festgestellt und die Heranziehung eines Ersatzschöffen verfügt. Mit Datum vom 28. Januar 2025 erfolgte eine weitere, Frau B. als Ersatz für Frau H. ausweisende, Mitteilung der Gerichtsbesetzung an den Verteidiger, die ihm am selben Tage zuging.
Gegen die geänderte Gerichtsbesetzung erhob der Verteidiger unter dem 04. Februar 2025 schriftsätzlich den Besetzungseinwand. Er wendet ein, das Gericht sei hinsichtlich der Schöffinnen F. und B. nicht ordnungsgemäß besetzt.
Mit Beschluss vom 19. Februar 2025 erachtete die Kammer den Besetzungseinwand für unbegründet und legte ihn – über die Staatsanwaltschaft – dem Senat zur Entscheidung vor.
Die Akte ist mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 12. März 2025, den Besetzungseinwand als unbegründet zu verwerfen, am 14. März 2025 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen. Die Generalstaatsanwaltschaft erachtet den Besetzungseinwand als unbegründet. Dem Verteidiger Dr. D. des Angeklagten ist die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zur Kenntnis gegeben worden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 20. März 2025 ist er dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entgegengetreten.
II.
1. Die Rüge der Gerichtsbesetzung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ist gemäß § 222b Abs. 2, Abs. 3 StPO statthaft. Gemäß § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG ist das Oberlandesgericht für die Entscheidung zuständig und der Senat zu einer Entscheidung berufen, da die Hauptverhandlung noch andauert.
Der Verteidiger ist auch berechtigt, den Besetzungseinwand im eigenen Namen - wie vorliegend geschehen - zu erheben (vgl. Gmel in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung 9. Auflage 2023, § 222 b StPO, Rn. 2).
2. Die zulässige Besetzungsrüge ist indes unbegründet. Die Gerichtsbesetzung ist ordnungsgemäß. Zwar begründen berufliche Umstände nur ausnahmsweise die Unzumutbarkeit (Meyer - Goßner/ Schmitt, StPO Kommentar, 67. Aufl., § 54 GVG, Rn. 6; hierzu und dem Folgenden: BGH, Urteil vom 04. Februar 2015, Az. 2 StR 76/14); indes wird dies für Berufsgeschäfte u.a. angenommen, bei denen sich der Schöffe nicht durch einen anderen vertreten lassen kann, weil die Geschäfte ihrer Art nach eine Vertretung nicht zulassen oder kein geeigneter Vertreter zur Verfügung steht. Über die Anerkennung einer derartigen Verhinderung hat der zur Entscheidung berufene Richter unter Abwägung aller Umstände bei Berücksichtigung der Belange des Schöffen, des Verfahrensstands und der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. hierzu und dem Folgenden: BGH, Beschluss vom 05. August 2015, Az. 5 StR 276/15 m.w.N.). Er ist zu weitergehenden Erkundigungen hinsichtlich des angegebenen Hinderungsgrundes nicht verpflichtet, wenn er die Angaben für glaubhaft hält. Vorliegend hat die Schöffin W. in ihrer E-Mail vom 22. Januar 2025 angegeben, freigestellte Vorsitzende des Personalrats im Bezirksamt S. von B. zu sein und als solche die Klausurtagung des Personalrats am 07. März 2025 zu leiten. Dies stellt keine vertretungsfähige Tätigkeit dar; insoweit ist der Strafkammervorsitzende nicht von einem zu weiten Begriff des Hinderungsgrundes ausgegangen, als er die Schöffin auf deren Mitteilung von der Mitwirkung an der Verhandlung entband. Die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens zu beurteilen, war allein Sache des Vorsitzenden; er überschritt sein pflichtgemäßes Ermessen nicht dadurch, dass er es ohne weitere Prüfung zugrunde legte (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Dezember 1976, Az. 3 StR 363/76). Die Ermessensentscheidung des Vorsitzenden wurde mit Datum vom 23. Januar 2025 gemäß § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG aktenkundig dokumentiert. Die Überprüfung der Entschließung, einen Schöffen von der Dienstpflicht zu entbinden, ist allein am Maßstab der Willkür auszurichten (vgl. BGH, Beschluss vom 05. August 2015, Az. 5 StR 276/15). Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist, bestehen nicht. Die Heranziehung dieses und nur dieses Prüfungsmaßstabes wird dem Wortlaut des § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG gerecht, wonach die Entscheidung des Vorsitzenden nach § 54 Abs. 1 GVG, einen Schöffen von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen zu entbinden, nicht anfechtbar ist (Anschluss an Arnoldi, Praxiskommentar zu BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. 2 StR 342/15). § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 mit dem Ziel des Gesetzgebers eingeführt, die Zahl von Urteilsaufhebungen infolge von Besetzungsfehlern wesentlich zu verringern (vgl. BT-Dr. 8/976, 24 ff.). Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sollte dem Willen des Gesetzgebers entsprechend eine Ausnahme allein bei „echten Ausreißern“ gelten. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn eine Entbindung objektiv willkürlich und (nicht lediglich falsch, sondern) grob fehlerhaft ist, wofür, wie bereits konstatiert, vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen.
Auch die urlaubsbedingte Entbindung der Schöffin H. begegnet keinen Bedenken. Mit Ihrer Mitteilung vom 23. Januar 2025, eingegangen bei Gericht am 27. Januar 2025, hat die Schöffin H. angezeigt, die für den 21., 24. und 26. März 2025 anberaumten Fortsetzungstermine aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit nicht wahrnehmen zu können, und dies mit einer sie betreffenden Buchungsbestätigung/Rechnung des Reiseanbieters „l.“ für einen Spanienaufenthalt vom 15. Januar 2025 für den Zeitraum vom 21. bis 28. März 2025 belegt. Ein Urlaub begründet in der Regel die Unzumutbarkeit der Schöffendienstleistung (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. 2 StR 342/15). Die insoweit vom Vorsitzenden zu treffende Ermessensentscheidung wurde durch diesen mit Datum vom 27. Januar 2025 gemäß § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG aktenkundig gemacht. Ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter ist daher auch bei der Entpflichtung der Schöffin H., die keine Willkür erkennen lässt, nicht zu entdecken.
Schließlich sind auch die Entscheidungen des Vorsitzenden, in beiden Fällen die Schöffinnen von der Dienstleistung insgesamt zu entbinden und die jeweiligen Fortsetzungstermine nicht zu verlegen, speziell im Fall der Entbindung der Schöffin W., die „nur“ für den 07. März 2025 ihre Verhinderung angezeigt hatte, nicht als willkürlich anzusehen. Unabhängig davon, ob eine Pflicht hierzu überhaupt angenommen werden kann (überzeugend ablehnend etwa OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2020, Az. 2 Ws 36/20), war dies jedenfalls vorliegend angesichts dessen, dass ein umfangreiches Beweisprogramm bereits vorbereitet war und Zeugen geladen waren - für den Fortsetzungstermin am 07. März 2025 waren es vier an der Zahl, was im Übrigen im Rahmen des Rügevorbringens, das revisionsrechtlichen Anforderungen zu genügen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Mai 2024, Az. 1 Ws 65/24 m.w.N.), nicht dargestellt worden ist - nicht geboten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist auch die Erhebung einer erfolglos gebliebenen Besetzungsrüge als erfolglos eingelegtes Rechtsmittel anzusehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. April 2020, in: NStZ 2020, 565 f., OLG Celle, Beschluss vom 27.01.2020, 3 Ws 21/20, in: StraFo 2020 159; vgl. auch die Begründung des Entwurfs zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05. November 2019, BT-Drucks. 19/14747, S. 32).