Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Bußgeldsachen | Entscheidungsdatum | 31.03.2025 | |
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Aktenzeichen | 2 ORbs 40/25 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2025:0331.2ORBS40.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 11. September 2024 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Bernau bei Berlin zurückverwiesen.
I.
Der Zentraldienst der Polizei des Landes Brandenburg verhängte gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 16. Februar 2023 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts (Tat vom 1. November 2022) ein Bußgeld von 210 € und ein Fahrverbot von einem Monat.
Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen hiergegen durch Urteil vom 11. September 2024 verworfen, weil er ohne genügende Entschuldigung im Termin zur Hauptverhandlung ausgeblieben sei. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene durch seinen Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er u.a. den Eintritt der Verfolgungsverjährung geltend macht und das Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG beanstandet.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
1. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist im Ergebnis der hierzu auf die Sachrüge veranlassten Überprüfung Verfolgungsverjährung nicht eingetreten.
Die zunächst laufende dreimonatige Verjährungsfrist wurde durch die am 13. Januar 2023 veranlasste Anhörung des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG) und sodann erneut durch Zustellung des Bußgeldbescheids vom 16. Februar 2023 wirksam unterbrochen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG).
Der letztgenannten Unterbrechung der Verjährung steht nicht entgegen, dass die am 17. Februar 2023 durch Einlegung in den Briefkasten bewirkte Ersatzzustellung an der Meldeanschrift des Betroffenen unwirksam war, weil der Betroffene sich seit dem 7. Dezember 2022 in der („Land 01“) in Haft befand. Dieser Zustellungsmangel ist dadurch geheilt, dass der Bußgeldbescheid seinem empfangsberechtigten Verteidiger tatsächlich zugegangen ist (§ 51 Abs. 1 S. 1 OWiG, § 1 BbgVwZG, § 8 VwZG).
Der tatsächliche Zugang des Schriftstücks ist dadurch belegt, dass der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid am 24. Februar 2023 für den Betroffenen Einspruch eingelegt hat und darüber hinaus Akteneinsicht genommen hat, so dass jedenfalls im Zeitpunkt der Einsichtnahme in die Bußgeldakte (Rücksendung der Akte an die Bußgeldbehörde am 27. März 2023, BI. 65 d.A.) die Heilung des Zustellungsmangels wirksam geworden und die Unterbrechung der Verjährung eingetreten ist (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 8. August 2017 — 3 RBs 106/17, BeckRS 2017, 122300).
Der Verteidiger war aufgrund bestehender rechtsgeschäftlicher Zustellungsvollmacht empfangsberechtigt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:
„(...) Die Gesamtschau der für die anzustellende Einzelfallprüfung maßgeblichen Umstände ergibt hier, dass der Rechtsanwalt („Name 01“) den Betroffenen im Bußgeldverfahren als mit rechtsgeschäftlicher Zustellungsvollmacht versehener Verteidiger vertreten sollte und wollte. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2023 legte er gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein, begehrte Akteneinsicht und teilte mit, dass der Betroffene vorerst von seinem Schweigerecht Gebrauch mache. Auch das weitere Verhalten von Rechtsanwalt („Name 01“) im Verfahren macht deutlich, dass er die Verteidigung des Betroffenen übernommen hatte. Insoweit trägt er im Rahmen der Begründungsschrift erstmals vor, von dem Betroffenen nicht bevollmächtigt zu sein. Hingegen suggerierte er in dem gesamten Verfahren von dem Betroffenen legitimiert worden zu sein. Zum einen billigte er die Zustellung des Bußgeldbescheides, ohne die Bußgeldstelle auf eine etwaige fehlende Bevollmächtigung hinzuweisen und erhielt die jeweiligen Ladungen zu den Hauptverhandlungsterminen, aus deren elektronischen Empfangsbekenntnisses hervorgeht, dass er "zur Entgegennahme legitimiert" sei (BI. 112, 116 d. A.). Ebenso stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BI. 102 d. A.) und nahm an dem Hauptverhandlungstermin am 11. September 2024 (BI. 130 ff. d. A.) teil. Daher ist es u erheblich, dass sich in der Akte keine Vollmacht des Betroffenen befindet (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 1 OLG 161 SsBs 13/17 -, juris)."
Diese zutreffende Würdigung wird vom Rechtsbeschwerdegericht geteilt.
Der Heilung des Zustellungsmangels steht ferner nicht entgegen, dass nicht der Betroffene als Adressat der Zustellverfügung, sondern der empfangsberechtigten Verteidiger den Bußgeldbescheid tatsächlich erhalten hat.
Zwar setzt eine Heilung von Zustellungsmängeln einen Zustellungswillen der veranlassenden Behörde voraus (vgl. OLG Celle Beschl. v. 10. März 2021 — 2 Ss [OWi] 348/20; OLG Hamm Beschl. v. 8. August 2017 — 3 RBs 106/17, jeweils zit. nach Juris). Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Zustellungsadressat und der tatsächliche Empfänger des Schriftstücks identisch sind; vielmehr reicht es aus, wenn das Dokument nicht dem genannten Adressaten, sondern einer Person zugeht, an die die Zustellung ebenfalls hätte gerichtet werden können (BayObLG, Beschl. vom 21. Januar 2022 — 202 ObOWi 2/22, NZV 2022, 482, 484). § 8 VwZG stellt diesbezüglich ausdrücklich auf den Zugang beim „Empfangsberechtigten", nicht beim Zustellungsadressaten ab, was auch dem Sinn und Zweck der Heilungsvorschriften gerecht wird (BayObLG aaO.). Der Begriff „Empfangsberechtigter" entspricht insoweit der „Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte" in § 189 ZPO, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung zu der bundesgesetzlichen Regelung in § 8 VwZG ergibt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 8. August 2017 — 3 RBs 106/17, BeckRS 2017, 122300). Im Übrigen ist eine Heilung des Zustellungsmangels auch dann möglich, wenn der Empfänger die Ermächtigung zur Empfangnahme erst nach Vornahme der fehlerhaften Zustellung erhält (BayObLG, aaO.; Göhler/Gürtler/Thoma, OWiG 19. Aufl. § 33 Rdnr. 35).
Darüber hinaus ist auch der Ablauf der absoluten zweijährigen Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG rechtzeitig mit dem ersten in dem Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 17. August 2023 gemäß § 32 Abs. 2 OWiG wirksam gehemmt worden.
Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend wie folgt ausgeführt:
„Der Umstand, dass auf Antrag des Betroffenen in der Folgezeit wegen Versäumung dieser Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG durch Beschluss des Amtsgerichts vom 19. Oktober 2023 gewährt worden ist, beseitigte die Ablaufhemmung nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 15. 07. 2008 - 3 Ss ÖWi 180/08 = BeckRS 2008, 18098; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19. 01.2018 - 1 OW1 2 SsBs 84/17 OLGSt OWiG § 74 Nr 24; 09. 07.2002 - 1 Ss 74/02 = BeckRS 2002, 31129484; KG, Beschl. v. 15. 12.2021 - 3 Ws [B] 304/21 = BeckRS 2021, 45818; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. März 2023 - 202 ObOWi 314/23 -, juris). Vielmehr tritt die Wirkung der Ablaufhemmung auch aufgrund eines wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin ergangenen Urteils unabhängig von dessen sachlicher Richtigkeit ein (OLG Brandenburg, Beschluss vom 15. Mai 2020 - (1 B) 53 Ss-OWi 163/20 (95/20). Dabei kann offenbleiben, ob die verjährungsverlängernde Wirkung des nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Urteils dann ausscheidet, wenn es in willkürlicher Weise ergangen ist (vgl. BGH Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00), da sich vorliegend hierfür keine Anhaltspunkte bieten."
2. Die Rechtsbeschwerde hat allerdings mit der zulässig erhobenen, den Begründungsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügenden Verfahrensrüge der Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG Erfolg.
Die Verteidigung hat insoweit u.a. vorgetragen, für den Betroffene geltend gemacht zu haben, dass er weiterhin in der („Land 01“) inhaftiert sei und er deshalb weder zu dem Hauptverhandlungstermin vom 11. September 2024 wirksam geladen worden sei, noch habe erscheinen können. Dieses jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignete Entschuldigungsvorbringen hätte Anlass für eine Erörterung in den Urteilsgründen geben müssen.
Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann. Hat der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen vor dem Hauptverhandlungstermin mitgeteilt, oder bestehen sonst Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen, so muss sich das Urteil mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, warum das Gericht den vorgebrachten bzw. ersichtlichen Gründen die Anerkennung als ausreichende Entschuldigung versagt hat (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 1. Dezember 2011 — 1 Ss [OWi] 207/11; Beschl. v. 21. März 2017 — [2 B] 53 Ss-OWi 124/17 [68/17]; Beschl. v. 20. Februar 2007 - 1 Ss [OWi] 45/07; Beschl. v. 30. Mai 2018 — [2 B] 53 Ss-OWi 164/18 [144/18]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285 m. w. N.; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 34, 35).
Da das Rechtsbeschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist und diese nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen darf (OLG Köln, Beschl. v. 20. Oktober 1998 — Ss 484/98 B, NZV 1999, 261, 262), ist eine tragfähige, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachprüfbare Auseinandersetzung mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen unabdingbar; das Amtsgericht ist deshalb bei der Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung gehalten, die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigen sollen, so vollständig und ausführlich mitzuteilen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung, ob zutreffend von einer nicht genügenden Entschuldigung ausgegangen worden ist, allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist (vgl. OLG Hamm VRS 93, 450, 452).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, denn es geht auf das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nicht näher ein. Auch sonst ist den Urteilsgründen für eine rechtsfehlerfreie Würdigung hierzu nichts Hinreichendes zu entnehmen. Vielmehr lässt die nicht weiter erläuterte Erwägung, der Betroffene habe „Gründe für sein Ausbleiben (...) nicht nachgewiesen", besorgen, dass das Tatgericht verkannt hat, dass der Betroffene insoweit nicht zu einem Nachweis der angegebenen Entschuldigungsgründe verpflichtet ist (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, aaO. § 74 Rdnr. 29, 31 mwN.). Bei dieser Sachlage ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung des angefochtenen Urteils zur Frage des Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung im Sinne von § 74 Abs. 2 OWiG verwehrt.
3. Das infolge der Urteilsaufhebung neu mit der Sache befasste Tatgericht wird bei einem etwaigen erneuten Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu berücksichtigen haben, dass zwar konkreten Hinweisen für einen Entschuldigungsgrund im Rahmen der Amtsaufklärung grundsätzlich nachzugehen ist, jedoch bloße Mutmaßungen seitens der Verteidigung ohne Mitteilung eines hinreichend konkretisierten und aufklärbaren Sachverhaltes hierzu in der Regel keine Veranlassung geben (Göhler/Seitz/Bauer, aaO. § 74 Rdnr. 29).