Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 19.10.2010 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 7 TaBV 1444/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 148 ZPO |
Zur Vorgreiflichkeit eines Beschlussverfahrens zur Feststellung der Zuständigkeit von Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat
Das Verfahren hinsichtlich der Beschwerde des Beteiligten zu 1) – 7 TaBV 1444/10 – ird gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge im Verfahren 16 TaBV 1144/10 ausgesetzt.
1. Die Beteiligten streiten über die Zuständigkeit zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen zur Einführung verschiedener EDV-Systeme.
Die Beteiligte zu 2 (im folgenden Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen eines weltweit tätigen Konzerns des Textileinzelhandels mit über 300 bundesweit betriebenen Filialen. Der Antragsteller und Beteiligte zu 1 (im folgenden Betriebsrat) ist der für die Berliner Filiale Nr. ... in der F. Straße gebildete 5köpfige Betriebsrat. Der Beteiligte zu 3 ist der bei der Arbeitgeberin an ihrem Sitz in Hamburg gebildete Gesamtbetriebsrat (im folgenden Gesamtbetriebsrat).
Die Arbeitgeberin führte 2004 in ihren Filialen ein einheitliches elektronisches Kassensystem namens Extenda des gleichnamigen schwedischen Anbieters ein, das neben den warenspezifischen Angaben auch mitarbeiterbezogene Daten wie Kassierernummer, Personalkartennummern beim Personaleinkauf u.a. Daten erfasst und über einen in jeder Filiale befindlichen POS-Server an einen in der Zentrale des Konzerns in Stockholm befindlichen Zentralserver weiterleitet. Von dort werden wiederum Daten auf die POS-Server in den Filialen überspielt. Außerdem werden von dort die entsprechenden Daten zum Zwecke der Warensteuerung über ein zentrales Warenwirtschaftssystem der Buchhaltung, der Verwaltung von Personaleinkäufen etc. und an verschiedene andere Server in Stockholm und in der Zentrale der Arbeitgeberin in Hamburg weitergeleitet.
Die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat unterzeichneten am 7. Juli 2010 eine Gesamtbetriebsvereinbarung über den Einsatz des Kassensystems „Extenda“, die die weitere Anwendung des Kassensystems „Extenda“ einschließlich Schnittstellen und Übermittlung an Dritte regeln soll. Für die Einzelheiten dieser Gesamtbetriebsvereinbarung wird auf Bl. 643 ff. d.A. Bezug genommen. Weiterhin existiert bei der Arbeitgeberin zum Personaleinkauf eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Personaleinkaufskarte, für deren Einzelheiten auf Bl. 338 – 341 d.A. Bezug genommen wird.
Außerdem verhandelte die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat in einer Einigungsstelle über die von ihr geplante Einführung der Software „Loss Prevention“, mit dem individuelle Kassiererdaten mit gebildeten Durchschnittsdaten verglichen werden sollen. Nachdem der Gesamtbetriebsrat in einem Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg über die Anfechtung des Spruchs der Einigungsstelle, mit dem diese seinen Antrag auf Nichteinführung abgelehnt hatte, gescheitert war, unterzeichnete er am 13. Oktober 2010 eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung des Systems „Loss Prevention“ (Bl. 751 ff. d.A.).
Der Betriebsrat nimmt – ebenso wie weitere örtliche Betriebsräte - für sich in Anspruch für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu „Extenda“ und „Loss Prevention“ allein zuständig zu sein und macht mit dem beim Arbeitsgericht Berlin am 19. Mai 2009 eingegangenen und der Arbeitgeberin am 28. Mai 2009 zugestellten Antrag insbesondere Unterlassungsansprüchen geltend, die er auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr 6 BetrVG stützt. Außerdem begehrt er die Feststellung, dass er für den Abschluss von Regelungen über das Auswertungssystem „Loss Prevention“ und über die Einführung und die Anwendung des elektronischen Kassensystems „Extenda“ zuständig sei. Die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat begründen ihre Zurückweisungsanträge damit, der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die diese beiden Systeme betreffen, allein zuständig.
In einem beim Arbeitsgericht Potsdam mit einem am 20. April 2009 eingegangenen Antrag hat ein anderer Betriebsrat ebenfalls für sich die Zuständigkeit für seinen Betrieb in Anspruch genommen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in dem Beschwerdeverfahren (16 TaBV 1144/10) in diesem Verfahren sämtliche Betriebsräte der Arbeitgeberin beteiligt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 21. April 2010 u.a. die Unterlassungs- und Feststellungsanträge mit der Begründung zurückgewiesen, nicht der Betriebsrat sondern der Gesamtbetriebsrat sei zuständig.
Gegen diesen dem Betriebsrat am 4. Juni 2010 zugestellten Beschluss richtet sich seine Beschwerde, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 2. Juli 2010 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem am 18. August 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Betriebsrat verfolgt auch im Beschwerdeverfahren seine Anträge mit der Begründung weiter, er sei für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu „Extenda“ und „Loss Prevention“ zuständig. Beide Systeme könnten so betrieben werden, dass nicht auf Daten aus allen Filialen zurückgegriffen wird müsse.
2. Das Verfahren war gemäß § 148 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zum Aktenzeichen 16 Sa 1144/10 auszusetzen. Dieses Verfahren ist vorgreiflich. Denn eine Entscheidung über die dort anhängigen Feststellungsanträge über die Zuständigkeit des Betriebsrats für den Abschluss von Regelungen mit der Arbeitgeberin über „Loss Prevention“ und über die Einführung und die Anwendung des elektronischen Kassensystems „Extenda“ bindet die Beteiligten des hiesigen Beschlussverfahrens insoweit, jedenfalls solange sie beteiligt bleiben und im Rahmen ihrer Beteiligung die Entscheidung ihnen gegenüber ergeht.
2.1 Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, durch die eine betriebsverfassungsrechtliche Frage materiell-rechtlich entschieden wird, sind der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. Folge der materiellen Rechtskraft ist, dass erneute abweichende Entscheidungen desselben oder eines anderen Gerichts innerhalb bestimmter objektiver, subjektiver und zeitlicher Grenzen ausgeschlossen sind. Ein Antrag, der die gleiche Streitfrage erneut zur Entscheidung stellt, ist unzulässig, weil der Rechtsschutz bereits gewährt wurde (BAG vom 20.03.1996 – 7 ABR 41/95 - NZA 1996, 1058-1061). Eine erneute Sachentscheidung in diesem Sinne liegt nicht nur vor, wenn der Streitgegenstand des zweiten Rechtsstreits mit dem des ersten identisch ist, sondern auch und gerade in Fällen der Präjudizialität, d.h. dann, wenn die im Vorprozess entschiedene Rechtsfolge Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits ist. Die Rechtskraft verhindert nicht nur ein zweites Verfahren mit denselben Beteiligten und demselben Streitgegenstand, sondern auch eine das unmittelbare Gegenteil bestätigende Entscheidung in einem zweiten Verfahren (kontradiktorische Entscheidung). Dabei erwächst eine Entscheidung im Beschlussverfahren nicht nur gegenüber Antragsteller und Antragsgegner in (subjektiver) Rechtskraft, sondern gegenüber allen Beteiligten, unabhängig davon, ob sie sich im Verfahren geäußert haben oder nicht (BAG vom 13.12.2005 – 1 ABR 31/03 – nv, in juris).
2.2 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich das Verfahren vor der Kammer 16 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg als vorgreiflich. Streitgegenstand des dortigen Verfahrens ist die Feststellung, ob der Betriebsrat für den Abschluss der Betriebsvereinbarungen zuständig ist oder ob dies in die Kompetenz des Gesamtbetriebsrats fällt. Wird dem Antrag stattgegeben, folgt – da die Mitbestimmungspflichtigkeit der Maßnahme selbst zwischen den Beteiligten unstreitig ist - daraus die Zuständigkeit des Betriebsrats. Wird der Antrag des Betriebsrats dort zurückgewiesen, steht nach Rechtskraft der Entscheidung fest, dass er für diese Frage nicht zuständig ist. Zugleich erwächst diese Entscheidung auch über den Zurückweisungsantrag des Gesamtbetriebsrats in Rechtskraft gegenüber den anderen an dem Verfahren beteiligten Betriebsräten, so auch gegenüber dem hiesigen Antragssteller; jedenfalls dann, wenn er bis dahin noch am Verfahren beteiligt bleibt. Dabei kann dahinstehen, ob in diesem Fall der Antrag des hiesigen Betriebsrats wegen doppelter Rechtshängigkeit schon unzulässig ist, oder aber die Zurückweisung des Feststellungsantrages einer kontradiktorischen Entscheidung zwischen denselben Beteiligten, d.h. zwischen dem hiesigen Betriebsrat, der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat entgegensteht. Dem entspricht Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nach § 83 Abs. 3 BetrVG. Beteiligt an einem Beschlussverfahren sind – anders als im Klageverfahren - nämlich nicht nur Antragssteller und „Antragsgegner“. Kraft Gesetzes sind vielmehr die Personen und Stellen zu beteiligen, die in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen werden. Damit soll die (subjektive) Rechtskraft eines nach dem Amtsermittlungsgrundsatz durchgeführten Beschlussverfahrens um der Einheitlichkeit der Beurteilung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtslage willen und aus Gründen der Prozessökonomie möglichst weit erstreckt werden (BAG vom 28.03.2006 – 1 ABR 59/04 - AP Nr 128 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Dies gilt aber insbesondere in den Fällen, in denen wie hier die Betriebsparteien bei einem unzweifelhaft dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr 6 BetrVG unterfallenden Sachverhalt über die Zuständigkeit von Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat streiten. Diese Frage kann sinnvoll nur einheitlich für alle Betriebe geklärt werden.
Für die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens kann der Streit der Beteiligten über die Notwendigkeit, alle Betriebsräte in dem Verfahren zu beteiligen, dahinstehen. Solange alle Betriebsräte in dem Verfahren vor der Kammer 16 beteiligt sind, wirkt der dortige Beschluss für und gegen sie. Hinsichtlich der Unterlassungsanträge war das Verfahren ebenfalls auszusetzen, da der Anspruch des Betriebsrats von der im Verfahren vor der Kammer 16 zu entscheidenden Frage abhängt, ob der einzelne Betriebsrat für den Abschluss der Betriebsvereinbarungen zuständig ist, oder ob dies in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fällt.
3. Aus diesen Gründen war das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung der Kammer 16 auszusetzen. Auch über die Frage der doppelten Rechtshängigkeit war nicht sogleich zu entscheiden, da dies auch davon abhängig ist, ob es im Laufe des Verfahrens zu Änderungen bei der zwischen den Beteiligten höchst umstrittenen Beteiligtenstellung kommt.