Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Beschwerdekammer | Entscheidungsdatum | 01.04.2025 | |
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Aktenzeichen | 26 Ta (Kost) 6068/24 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2025:0401.26TA.KOST6068.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 33 RVG, § 45 GKG |
1. Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen, ist im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Beendigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen. Bei den die weiteren Kündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich regelmäßig um Hilfsanträge. Für diese ist der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG zu erhöhen, wenn über sie entscheiden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden
2. Wird während des Rechtsstreits später eine weitere - zu einem früheren Zeitpunkt wirkende - Kündigung ausgesprochen, handelt es sich regelmäßig bei dem zuerst angekündigten Antrag der Sache nach nur noch um einen Hilfsantrag (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. August 2022 – 26 Ta (Kost) 6047/22, Rn. 15).
3. Auch wenn in diesem Fall beide Kündigungen bereits mit der Klageschrift angegriffen worden sind, steht einer Zusammenrechnung der Anträge wirtschaftliche Identität nicht entgegen, soweit die Beendigungszeitpunkte auseinanderliegen und den Kündigungen unterschiedliche Lebenssachverhalte zugrunde liegen.
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. September 2024 – 20 Ca 5522/24 – abgeändert und der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich auf 98.899,98 Euro festgesetzt.
I.
Die Parteien haben über die Wirksamkeit zweier Kündigungen gestritten. Zunächst hatte die Beklagte unter dem 23. April 2024 eine ordentliche Kündigung zum 31. Juli 2024 ausgesprochenen. Am 30. April 2024 ist dem Kläger darüber hinaus eine außerordentliche Kündigung vom 29. April 2023 zugegangen. Darüber hinaus hat der Kläger Weiterbeschäftigung und die Zahlung von Boni für die Jahre 2022 und 2023 geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 17. Juli 2024 das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt, in dem sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 2024 und auf eine monatliche Bruttovergütung sowie eine Freistellung, die Zahlung einer Abfindung und die Erteilung eines Zeugnisses geeinigt haben.
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert mit Beschluss vom 5. September 2024 auf 70.149,99 Euro festgesetzt. Dabei hat es für den die außerordentliche Kündigung vom 29. April 2024 betreffenden Antrag drei Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht. Für den die ordentliche Kündigung betreffenden Antrag hat es wegen wirtschaftlicher Identität keine Erhöhung des Gegenstandswerts vorgenommen. Die die Boni betreffenden Anträge hat das Arbeitsgericht mit jeweils 20.700 Euro berücksichtigt.
Die Klägervertreterin hat gegen den ihr am 7. Oktober 2024 zugestellten Beschluss mit einem am 8. Oktober 2024 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass die außerordentliche Kündigung mit einem Vierteljahreseinkommen und die ordentliche Kündigung wegen des späteren Beendigungszeitpunkts mit einem weiteren Vierteljahreseinkommen in die Berechnung einzubeziehen seien. Die Kündigungen seien auf unterschiedliche Streitgegenstände gestützt worden. Danach seien für die beiden Kündigungsschutzanträge jeweils 28.749,99 Euro und für die die Boni betreffenden Anträge insgesamt 41.400 Euro, zusammen also 98.899,98 Euro anzusetzen.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Gegenstandswert (§ 33 RVG) für das Verfahren und den Vergleich beträgt jedenfalls nicht weniger als 98.899,98 Euro.
1) Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen, ist im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Beendigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen. Bei den die weiteren Kündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich regelmäßig um Hilfsanträge. Für diese ist der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG zu erhöhen, wenn über sie entscheiden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden (so auch Streitwertkommission Nr. 21.3: Mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten) (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. November 2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19, Rn. 9).
2) Maßgeblich für die Wertung eines Kündigungsschutzantrags als Hilfsantrag oder als Hauptantrag ist allerdings das im Rahmen der Begründung zum Ausdruck kommende Interesse der klagenden Partei. Nicht ausreichend ist insoweit allein die Formulierung als Hauptantrag.
a) Ein auf eine Kündigung bezogener Kündigungsschutzantrag fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch eine auf einen früheren Beendigungszeitpunkt bezogene Kündigung aufgelöst ist. Er ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen eine früher greifende Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten-)Interesse der klagenden Partei. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur „vorsorglich“ im Verhältnis zu einer bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die andere Kündigung beendet ist (vgl. BAG 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16, Rn. 46). Der Zusatz „hilfsweise“ oder „vorsorglich“ macht deutlich, dass der Arbeitgeber sich in erster Linie auf einen anderen Beendigungstatbestand beruft, auf dessen Rechtswirkungen er nicht verzichten will (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12, Rn. 44; 12. Oktober 1954 - 2 AZR 36/53, zu III der Gründe). Die „hilfsweise“ oder „vorsorglich“ erklärte Kündigung steht unter einer – zulässigen - auflösenden Rechtsbedingung iSv. § 158 Abs. 2 BGB. Ihre Wirkung endigt, wenn feststeht, dass das Arbeitsverhältnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgelöst worden ist (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 474/12, Rn. 20).
b) Wird während des Rechtsstreits später eine weitere - zu einem früheren Zeitpunkt wirkende - Kündigung ausgesprochen, handelt es sich regelmäßig bei dem zuerst angekündigten Antrag der Sache nach nur noch um einen Hilfsantrag. Nur bei Erfolg des später in den Prozess eingebrachten Antrags, der eine zu einem früheren Zeitpunkt wirkende Kündigung betrifft, kann der zu dem früheren Zeitpunkt eingebrachte Antrag, der sich auf eine Kündigung bezieht, die das Arbeitsverhältnis erst später beenden sollte, noch relevant sein. Wenn eine klagende Partei den die früher wirkende Kündigung betreffenden Antrag als Hauptantrag formuliert, ist das in der Sache zutreffend. Der Antrag, der zwar früher eingereicht wurde, aber eine zu einem späteren Zeitpunkt wirkende Kündigung betrifft, wandelte sich in diesem Fall der Sache nach zum Hilfsantrag. Über ihn ist nur noch zu entscheiden, wenn sich nicht die zu dem früheren Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung als wirksam herausstellt. Wegen § 40 GKG ist der danach als Hilfsantrag zu wertende Ausgangsantrag gebührenrechtlich dennoch zu berücksichtigen, da es insoweit auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem der Antrag den Rechtszug eingeleitet hat, unabhängig davon, ob über ihn entschieden wird oder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, 4 GKG vorliegen. Denn zum Zeitpunkt der „Einleitung des Rechtszugs“ handelte es sich um einen Hauptantrag (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. August 2022 – 26 Ta (Kost) 6047/22, Rn. 15).
c) Hier hat der Kläger beide Kündigungen bereits mit der Klageschrift angegriffen. Der die ordentliche Kündigung betreffende Antrag ist wie der die außerordentliche Kündigung betreffende Antrag als Hauptantrag formuliert, nach den Ausführungen unter a) und b) jedoch als Hilfsantrag zu verstehen.
3) Der die ordentliche Kündigung betreffende Antrag hat den Gegenstandswert dennoch erhöht. Der Hilfsantrag ist nach § 45 Abs. 1, 4 GKG zu bewerten, weil er durch den gerichtlich festgestellten Vergleich miterledigt worden ist.
Selbst wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem spätesten Beendigungstermin einer der Kündigungen einigen, kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind regelmäßig alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des „Gesamtpakets“ aus, in das meist sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg 2. September 2016 – 5 Ta 101/16, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 19. Mai 2021 - 17 Ta (Kost) 6041/21). Hier haben die Parteien den Beendigungstermin sogar über den mit der ordentlichen Kündigung vereinbarten Termin hinaus festgelegt. Das spricht recht eindeutig dafür, dass beide Kündigungen im Rahmen des Vergleichs mitgeregelt worden sind.
4) Einer Berücksichtigung des die ordentliche Kündigung betreffenden Antrags steht wirtschaftliche Identität nicht entgegen, da den Kündigungen unterschiedliche Lebenssachverhalte zugrunde lagen. Dementsprechend ist der Sachverhalt hier nicht mit den Konstellationen zu vergleichen, in denen außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigungen auf denselben Lebenssachverhalt gestützt werden. Die nachgeschobene außerordentliche Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis drei Monate früher beenden als die ordentliche Kündigung, was den Ansatz von insgesamt sechs Bruttoeinkommen rechtfertigt.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angesichts des Erfolgs der Beschwerde nicht angefallen.
IV.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.