Gericht | VG Cottbus 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.07.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 6 K 183/18.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0711.6K183.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | §§ 3 ff AsylG, §§ 4 ff AsylG |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Verpflichtung der Beklagten zur Flüchtlingsanerkennung bzw. Gewährung internationalen Schutzes sowie hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich ihres Herkunftslandes der Russischen Föderation vorliegen.
Die Kläger sind Staatsbürger der Russischen Föderation. Die Klägerin zu 1. sei eigenen Angaben zufolge ethnische Russin und stamme aus der Stadt U____ in der O____ J____. Sie sei am 1_____ 1970 geboren worden und mit einem ethnischen Tschetschenen verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe, die am 3_____ 2011 geschieden worden sei, stammten insgesamt fünf Kinder, so auch die Klägerin zu 2. als auch der Kläger zu 3. im hiesigen Verfahren. Die Klägerin zu 1. sei in einem Waisenhaus aufgewachsen und habe die letzten Jahre vor ihrer Ausreise in U____ gelebt. Sie habe die Schule bis zur 10. Klasse besucht und anschließend eine Ausbildung zur Konditorin abgeschlossen. Als sie bereits verheiratet gewesen sei, habe sie ergänzend Vorschulpädagogik im Fernstudium studiert. Dieses Studium habe sie allerdings nicht abgeschlossen. Zuletzt sei sie Betreuerin in dem Waisenhaus in U____ tätig gewesen, wo sie selbst aufgewachsen sei. Die wirtschaftliche Situation der Kläger sei gut gewesen. Die Klägerin zu 1. habe in der Russischen Föderation gearbeitet und eine Dreizimmerwohnung besessen. Ihr ältestes Kind M_____ sei am 1_____ geboren worden, habe zuletzt in der Republik Tschetschenien gelebt und sei bereits im Jahr 2012 in die Bundesrepublik eingereist und als Asylberechtigter anerkannt worden. Die Klägerin zu 1. habe gemeinsam mit ihrer ältesten Tochter M_____, die ein eigenes gerichtliches Verfahren zum Aktenzeichen VG 6_____ beim VG Cottbus anhängig gemacht habe, sowie ihren weiteren Kindern M_____, F_____ und dem am 1_____ geborenen Sohn M_____ die Russische Föderation am 27. Juni 2014 verlassen und sei über den Landweg am 10. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Am 7. August 2015 stellten die Kläger ihre Asylanträge.
Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 1. Dezember 2015 gab die Klägerin zu 1. im Wesentlichen an, dass sie ihr Heimatland verlassen habe, weil ihr Sohn seit Dezember 2007 der Sondereinheit des Präsidenten der Tschetschenischen Republik Ramzan Kadyrow angehört habe. Im Jahr 2012 habe ihr Sohn diese Einheit unerlaubt verlassen. Anschließend seien im Januar oder Februar 2013 Gefolgsleute Ramzan Kadyrows zu ihr gekommen und hätten sie bedroht und nach dem Aufenthaltsort ihres Sohnes gefragt. Dies habe sich mehrfach wiederholt. Im Mai 2014 habe die Klägerin zu 1. die Information erhalten, dass ihr Exmann verhaftet worden sei. Ihr sei empfohlen worden zusammen mit ihren Kindern das Land zu verlassen. Sie habe daraufhin noch abgewartet bis ihre Tochter ihren Ausbildungsabschluss abgelegt habe und sei daraufhin ausgereist. In ihrer Heimatstadt U____ (O____ J____) lebe weiterhin ihr leiblicher Bruder.
Mit Ablehnungsbescheid vom 9. Januar 2018 versagte die Beklagte – vertreten durch das Bundesamt – die Flüchtlingseigenschaft, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab und erkannte keinen subsidiären Schutzstatus zu. Darüber hinaus stellte das Bundesamt in seinem Bescheid fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Die Kläger wurde zudem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Kläger wurden darauf hingewiesen, dass falls Sie die Ausreisefrist nicht einhalten werden, sie in die Russische Föderation abgeschoben werden. Darüber hinaus wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass dem Vortrag der Klägerin zu 1. bereits keine gezielte und individuelle Rechtsgutsverletzung zu entnehmen sei. Gegen eine flüchtlingsrelevante Bedrohung spreche, dass sich die Klägerin zu 1. während der Anhörung als völlig unpolitische Person präsentiert habe. Ein politisches Engagement sei ebenso verneint worden wie die Mitgliedschaft in einer Partei. Ein Verfolgungsgrund sei dem Vortrag der Klägerin zu 1. nicht zu entnehmen. Auch stelle die Tatsache, dass die Klägerin zu 1. zu dem Aufenthalt ihres Sohnes befragt worden sei, kein Verfolgungsmerkmal dar. Es sei das gute Recht eines Staates zur Aufklärung eines Sachverhaltes Leute, die ein Geschehen scheinbar mitbekommen hätten, zu Sache zu befragen. Es könne allerdings auch offenbleiben, ob die Kläger in ihrer Heimat entsprechend vorverfolgt worden seien bzw. künftig verfolgt würden, da sie vorliegend internen Schutz in einem Teil ihres Herkunftslandes genießen könnten. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor, da sie keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit befürchten müssten. Selbst für schwere Kapitalverbrechen werde in der Russischen Föderation die Todesstrafe nicht mehr verhängt. Es bestehe ein Moratorium. Schließlich seien keine Abschiebungsverbote gegeben. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt.
Mit ihrer Klage vom 23. Januar 2018 verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung führen sie aus, dass die Verfolgungsfurcht der Klägerin zu 1. zum einen aus der Verfolgung ihres erwachsenen Sohnes M_____ durch den tschetschenischen Staatspräsidenten Kadyrow und zum anderen aus der Verfolgung durch ihren immer noch sehr regimetreuen Ehemann und Kindesvater erwachse, der äußerst gewalttätig sei und zudem das Recht auf die Kinder beanspruche. Der älteste Sohn der Klägerin zu 1. sei bis 2012 als Bodyguard für Ramzan Kadyrow tätig gewesen, sodass er Einblicke in die Kommandostruktur, die Familienverhältnisse und die Mitglieder der Leibwächtergruppe um Ramzan Kadyrow bekommen habe. Der älteste Sohn sei im Jahr 2012 in die Bundesrepublik geflüchtet und als Asylberechtigter anerkannt worden. Im Auftrag von Ramzan Kadyrow hätten Personen seiner Privatarmee bzw. von ihm beauftragte Personen im Januar oder Februar 2013 bei den Klägern nach dem Verbleib des ältesten Sohnes und Bruders gefragt. Bereits hier sei die Klägerin bzw. ihre Kinder bedroht worden, die Gefolgsleute gegenüber der Klägerin mitgeteilt hätten, dass sie nicht vergessen solle, dass sie Russin sei und Töchter habe. Im Zusammenhang mit dem bekannten autokratischen Regierungsstil und den mannigfaltigen Menschenrechtsverletzungen zur Durchsetzung seiner Ziele, könne dies nur als eine Drohung für Leben und Gesundheit der Töchter der Klägerin angesehen werden. Die Kläger seien auch durchaus der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt gewesen. Insgesamt seien die Gefolgsleute von Ramzan Kadyrow dreimal zu den Klägern in die Wohnung gekommen und hätten die Klägerin zu 1. mit der Verletzung von Leben und Gesundheit der Kinder bedroht. Diese Drohungen seien durchaus auch ernst zu nehmen. Nicht nur sei die Amtsführung des Ramzan Kadyrowv von Menschenrechtsverletzungen geprägt, zudem gehe dieser bekanntermaßen gegen Abweichler mit brutaler Härte vor. Es dürfe als gerichtsbekannt gelten, dass nicht nur die "Verräter" die Exekution durch Auftragsmörder befürchten müssten, sondern, dass auch die Verwandten im Zuge der Blutrache liquidiert werden würden. Die Drohung von Gefolgsleuten des Ramzan Kadyrows gegen Familienmitglieder vorzugehen, sei eine realistische und ernst zu nehmende Gefahr für Leib und Leben der Familienmitglieder. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Kläger irgendwo in Russland von den Behörden Schutz gegen Ramzan Kadyrow erhalten würden, vielmehr sei bei Abwägung der Interessen an einer weiteren Teilnahme der Privatarmee des Ramzan Kadyrows mit der Gesundheit und dem Leben der Klägerin und ihrer Kinder seitens Putins auf jeden Fall Ramzan Kadyrow der Vorzug gegeben werden. Eine inländische Fluchtalternative stehe den Klägern nicht zur Verfügung. Der Kläger zu 3. sei nunmehr 16 Jahre alt. Spätestens in zwei Jahren bestehe bei dem Kläger die Gefahr, dass er zum Wehrdienst eingezogen werde. So bestehe derzeit in der Russischen Föderation eine Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren des Föderalen Gesetzes über militärische Pflichten und Militärdienst. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu 3. in den relevanten Altersbereich falle und (noch) keinen Wehrdienst geleistet habe und somit von der Wehrpflicht sicher ausgeschlossen sei, lägen nicht vor. Mindestens lägen im Bereich der Kläger Abschiebungsverbote vor, da bei ihrer Rückkehr nach Russland damit zu rechnen sei, dass sie als Familienangehörige des M_____ verfolgt würden und ihnen erheblicher Schaden drohe.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Januar 2018 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise den Klägern subsidiären Schutz zuzuerkennen,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist dem klägerischen Vorbringen entgegengetreten und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Mit Beschluss vom 16. November 2020 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 2. jeweils informatorisch befragt. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift in der Gerichtsakte verwiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten bezüglich des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes, den Verwaltungsvorgang der zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises D_____ sowie die Erkenntnismittelliste für die Russische Föderation Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts.
Über die Klage konnte in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden, nachdem die Beklagte auf diese Folge in der Ladung vom 13. Juni 2024 zum Termin zur mündlichen Verhandlung, zugestellt am 17. Juni 2024 gegen Empfangsbekenntnis, ausdrücklich hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Entscheidung war gemäß § 76 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) durch den Einzelrichter zu treffen, dem der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit unanfechtbarem Beschluss der Kammer vom 16. November 2020 übertragen wurde.
Die insgesamt zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu, § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2018 erweist sich – einschließlich der enthaltenen Abschiebungsandrohung sowie des Einreise- und Aufenthaltsverbotes – insgesamt als rechtmäßig und verletzt die Kläger dementsprechend auch nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK, BGBl. 1953 II. S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 S. 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird.
Eine solche Verfolgung kann nicht nur von dem Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) sowie von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, wobei es keine Rolle spielt, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Es müssen aus der Perspektive des Antragstellers hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass Akteure im Sinne des § 3d AsylG Maßnahmen beabsichtigen, die zu einer Gefahrenlage führen, die als Verfolgung zu qualifizieren ist.
Bei der Prüfung der Bedrohung im Sinne des § 3 AsylG ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10; Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09, beide juris). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 10. Oktober 2018 – 3 B 24.18 –, juris). Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände wird ein verständiger Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33.07 –, juris).
Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr einer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 – 9 C 59/91 –, juris). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann also sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem oder weil der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG (VG Berlin, Urteil vom 10. Februar 2020 – 12 K 770/16 A –, Rn. 22, juris).
In beiden Fällen ist für die Beurteilung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 –10 C 5/09 –, juris).
Vorverfolgten kommt dabei die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. EU Nr. L 337/9 vom 20. Dezember 2011, im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Oktober 2018 – 3 B 24.18 –, juris, Rn. 16, 18).
Kann nicht festgestellt werden, dass einem Asylbewerber Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120.17 –, juris).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger seine Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. VG Cottbus, Urteile vom 7. November 2019 – 6 K 539/17.A, vom 21. November 2019 – 6 K 169/17.A, vom 21. Februar 2020 – 6 K 608/17.A –, Rn. 26 - 32, alle juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Falle der Kläger nicht vor. Insbesondere konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangen, dass im Falle einer Rückkehr der Kläger in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG droht. Zur Begründung wird insoweit zunächst in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen im Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 9. Januar 2018 verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Sofern die Klägerin zu 1. darauf abstellt, dass sie Angst habe in der Russischen Föderation von Anhängern des tschetschenischen Machthabers Kadyrow bzw. von seinen Männern bedroht zu werden, weil ihr ältester Sohn M_____ unerlaubt die Sondereinheit Kadyrows verlassen habe und nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 20. September 2012 mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2013 als Asylberechtigte anerkannt wurde, führt dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Falle der Kläger. Hintergrund hiervon ist, dass die Klägerin zu 1. aber auch die Klägerin zu 2. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben, dass ihr ältester Sohn M_____, der mehrere Jahre in der Bundesrepublik Deutschland gelebt habe und zuletzt drogenabhängig geworden sei, mittlerweile wieder in der Russischen Föderation lebe, dort eine Familie gegründet und Kinder bekommen habe und wieder in den Sicherheitsstrukturen von Ramzan Kadyrow tätig sei. Eine Verfolgung des ältesten Sohnes M_____ kann somit zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden. Insofern erschließt sich nicht, weshalb die Kläger, als Angehörige eines bei den Sicherheitskräften Kadyrows tätigen Mannes, von diesen verfolgt werden sollten. Auch pflege ihr ältester Sohn M_____ in der gemeinsamen Wohnung seinen Vater (den Exmann der Klägerin zu 1.), sodass entgegen dem Vorbringen in der persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 1. Dezember 2015, eine Verfolgung ihres Ex-Ehemannes durch die Sicherheitskräfte Kadyrows, denen der gemeinsame älteste Sohn angehört, jedenfalls jetzt ausgeschlossen ist. Vielmehr lebt sowohl der älteste Sohn als auch der Exmann der Klägerin zu 1. unbehelligt in der Republik Tschetschenien. Für eine Verfolgung bestehen somit zum jetzigen Zeitpunkt keine Anzeichen.
Sofern man entgegen dem klägerischen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung dennoch von einer Verfolgung des ältesten Sohnes M_____ ausgehen sollte, reicht dies für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere für eine asylrechtlich-relevante Vorverfolgung gemäß §§ 3, 3b AsylG im Hinblick auf die Kläger nicht aus. Zunächst blieb der Vortrag der Klägerin zu 1. diesbezüglich vage. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, dass ihr und ihren jüngeren Kindern – d. h. den hier interessierenden Klägern zu 2. und 3. – nichts angetan worden sei. Vielmehr sei nach ihrem ältesten Sohn M_____ gesucht und nach seinem Aufenthaltsort erkundigt worden. Im Übrigen blieb unklar, worin in dem konkreten Vorbringen der Klägerin eine asylrelevante Verfolgungshandlung zu erblicken sei. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss nämlich eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 Asyl. Eine solche ist hier nicht ersichtlich. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nennt bei begründeter Furcht vor Verfolgung als Anknüpfungsmerkmal ausdrücklich die Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Einen konkreten Zusammenhang zu diesem Anknüpfungsmerkmal und der Bedrohung hinsichtlich des Aufenthaltsortes ihres Sohnes durch die Männer, die sie zu Hause aufgesucht haben sollen, hat die darlegungsbelastete Klägerin zu 1. nicht geschildert.
In sich nicht schlüssig bleibt der sinngemäße Vortrag der Klägerin zu 1., dass sie von ihrem Exmann wegen der gemeinsamen Kinder verfolgt werde. So hat die Klägerin ausgeführt, dass sie sich bereits im Jahr 2011 von ihrem Mann hat scheiden lassen. Anschließend habe sie allerdings noch bis zum 27. Juni 2014 in der Russischen Föderation und namentlich in ihrem Heimatort U____ gelebt, sodass eine persönliche Verfolgung durch ihren Exmann bereits in der Vergangenheit faktisch nicht stattgefunden habe. Die Scheidung von ihrem Ehemann liegt eigenen Ausführungen zufolge drei Jahre vor der Ausreise und ist insoweit nicht mehr als ursächlich für die letztlich im Jahr 2014 erfolgte Ausreise anzunehmen. Dass die Ausreise im Jahr 2014 unter dem Eindruck der mutmaßlichen Verfolgungen durch ihren Ehemann geschehen sei, überzeugt somit auch deswegen nicht, weil die Klägerin bereits in der mündlichen Anhörung beim Bundesamt ausgeführt hat, dass ihre Tochter noch ihre Ausbildung habe beenden müssen. Bereits dies spricht gegen eine akute Bedrohungslage.
Aber ungeachtet der Frage, ob die Kläger tatsächlich vorverfolgt ausgereist sind, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb aus, weil die Kläger auf die Inanspruchnahme internen Schutzes nach § 3e AsylG verwiesen werden können. Zunächst müssen sich die Kläger an dieser Stelle entgegenhalten lassen, dass sie sich zwar auf mögliche Verfolgungshandlungen und somit auf eine Bedrohungslage in der Republik Tschetscheniens im Nordkaukasus berufen, sie allerdings – mit Ausnahme des ältesten Sohnes der Klägerin zu 1. M_____, dessen Asylbegehren hier allerdings nicht Streitgegenstand ist – jedenfalls die letzten Jahre vor ihrer Ausreise seit 2010 nicht mehr im Nordkaukasus nicht gelebt haben. Die Klägerin zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich ausgeführt, dass sie zuletzt in der Stadt U____ nördlich von Moskau mit ihren Kindern gelebt habe. Dort ist sie heimatlich verwurzelt, dort lebt auch weiterhin Ihr Bruder mit seiner Familie. Vor diesem Hintergrund ist es der Klägerin zu 1. und den Kläger zu 2. und 3. zuzumuten einerseits in ihrer tatsächlichen Heimatstadt U____ bzw. ihrer tatsächlichen Heimatregion O____ J____ und nicht der Heimatregion ihres Exmannes oder aber auch in einer anderen Region der Russischen Föderation niederzulassen und Ihnen insoweit interne Schutzmöglichkeiten im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung stehen, die erreichbar und unzumutbar sind.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach der sich dem Gericht bietenden Auskunftslage besteht grundsätzlich eine interne Schutzalternative innerhalb der Russischen Föderation, wo sie vor den Zugriffen von sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren sicher sind und sie ihr Existenzminimum sichern können. Grundsätzlich können sie an einen anderen Ort in der Russischen Föderation flüchten und dort leben. Mit Blick auf die Erkenntnismittel ist den Klägern die Inanspruchnahme einer internen Schutzalternative unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse – nämlich die Klägerinnen zu 1. und 2. sind volljährig, gesund und erwerbsfähig – und der aktuellen Lageberichte auch zumutbar.
Die Russische Föderation ist zudem einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2 %), ca. 6,3 % der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19 %) über bedeutende Ressourcen. Die Staatsverschuldung ist mit rund 10 % des BIP weiterhin vergleichsweise moderat (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 04.07.2023, S. 96). Die offizielle Arbeitslosenquote von 4,8 % ist niedrig, wobei die tatsächliche Arbeitslosigkeit auf 11 bis 18 % geschätzt wird. Fast 14 % der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum entspricht (12.130 Rubel im 2. Quartal 2019). Allerdings veranschlagt die Russische Akademie der Wissenschaft das tatsächlich erforderliche Existenzminimum auf 33.000 Rubel. Für Einkommen unterhalb des Existenzminimums besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Der Mindestlohn für Vollbeschäftigte beträgt 12.130 Rubel im Monat (vgl. AA, Lagebericht vom 21.05.2021, S. 21). Familien erhalten Familienbeihilfen, wobei Familien mit mehr als drei Kindern besonders unterstützt werden (vgl. BFA, a.a.O., S. 100 ff.).
Unüberwindbare Hindernisse, sich eine wirtschaftliche Existenz, jedenfalls auf geringem Niveau, im Heimatland zu sichern, sind nicht erkennbar. Es ist insgesamt von existenzsichernden Lebensbedingungen gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von staatlichen Unterstützungsleistungen, auch wenn diese nicht dem deutschen Niveau entsprechen mögen, auszugehen. Nach der vorliegenden Auskunftslage gibt es verschiedene staatliche Hilfen in der Russischen Föderation: Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt (vgl. Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, 08. November 2023, S. 103 f.; VG Bremen, Urteil vom 5. Dezember 2023 – 6 K 535/20 –, Rn. 23 - 25, juris).
Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden (vgl. Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, 08. November 2023, S. 113 f.).
Auch haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von Nachfluchtgründen wegen einer möglicherweise befürchteten Einziehung zum Wehrdienst und einem militärischen Einsatz im Krieg in der Ukraine. So ist diese Frage für die Klägerin zu 1. und 2. aber auch für den Kläger zu 3. nicht von Relevanz, da gemäß dem föderalen Gesetz der Russischen Föderation ’Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst’ der Einberufung zum Grundwehrdienst ausschließlich männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren unterliegen. Namentlich der am 1_____ 2008 geborene Kläger zu 3. unterfällt mit Blick auf sein noch minderjähriges Alter unter keinen Umständen der Kategorie der Wehrpflichtigen.
Unabhängig von der Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Einziehung der Kläger und namentlich des Klägers zu 3. zum Wehrdienst bzw. zum Kriegseinsatz und daran anknüpfender Folgen ist nicht ersichtlich, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung „wegen“ eines asylrelevanten Merkmals im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG – d.h. wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – vorliegt. Es fehlt auch insoweit an einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die russischen Behörden mit einer Einziehung zum Wehrdienst oder einer Bestrafung bei Entziehung zumindest auch an ein asylrelevantes Merkmal anknüpfen werden. Insbesondere ist eine Verfolgung wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 3a Abs. 3 AsylG) hier nicht ersichtlich. Die Verpflichtung zum allgemeinen Wehrdienst in der Russischen Föderation grundsätzlich unterschiedslos alle Männer im Alter von derzeit 18 bis 30 Jahren, die russische Staatsbürger sind und sich in der Russischen Föderation dauerhaft aufhalten bzw. dort gemeldet sind. Eine Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfolgt nicht. Auch im Hinblick auf die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen von der Wehrpflicht oder die Dauer des Grundwehrdienstes lässt sich den Erkenntnismitteln nichts anderes entnehmen.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines sie in ihrem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden.
Nach § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Es ist nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Hierfür wurde weder etwas vorgetragen noch ist sonst etwas ersichtlich. Die Todesstrafe droht in der Russischen Föderation seit 2009 nicht mehr, da sie de facto abgeschafft ist (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand 10. September 2022 vom 28. September 2022, S. 20; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – Länderinformation der Staaten Dokumentation Russische Föderation, Datum der Veröffentlichung 3. Februar 2023, Seite 67). Eine Bedrohung innerhalb der Russischen Föderation infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar hat es im Rahmen des aktuellen Krieges in der Ukraine auch Angriffe auf unmittelbar an die Ukrainer angrenzenden Regionen der Russischen Föderation gegeben, aber es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Bedrohungslage auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation durch die Ukraine besteht.
Sofern die Klägerin zu 1. sinngemäß vorbringt, dass der von ihr geschiedene Ehemann sie im Falle einer Rückkehr in Russland finden werde und töten werde, überzeugt auch dies nicht. So hat die Klägerin zu 2. entgegen den Ausführungen ihrer Mutter in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ihr Vater bereits sehr alt und krank sei und der Pflege ihres ältesten Bruders bedürfe. Ihr Bruder M_____ sei der einzige der sich um ihn kümmern können. Mit Blick hierauf stellt es sich als lebensfremd dar, dass die Klägerin zu 1. von ihrem Mann, der aufgrund seines Alters und seines schlechten gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, auf der Straße abgefangen und umgebracht werde.
Insbesondere können aber auch der Klägerinnen zu 1. und 2. aber auch der Kläger zu 3. keinen subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG aus einer drohenden Rekrutierung in der Russischen Föderation bzw. eine Einberufung und Entsendung in den Ukrainekrieg – wie bereits oben ausführlich dargelegt – ableiten, da sie wegen ihres Geschlechts respektive ihres Alters – der Kläger zu 3. ist minderjährig – einer Wehrpflicht bereits nicht unterfallen und somit keinerlei Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger zu 3. durch die russischen Behörden zum Kriegseinsatz in der Ukraine herangezogen wird.
Die Kläger haben ferner keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 3 EMRK insbesondere dann der Fall, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK kann allerdings nur beanspruchen, wem prinzipiell landesweit im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Strafe oder Behandlung droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne Fluchtalternative bestehen. Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse – dem internen Schutz nach § 3e AsylG vergleichbare – Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen (vgl. EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011, Sufi und Elmi, Nr. 8319/07 und 11449/07, Rn. 266; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – juris Rn. 26, 36).
Eine unmenschliche Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in ganz außergewöhnlichen Ausnahmefällen anzunehmen (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09, NVwZ 2011, 413). Die ernsthafte, ein Mindestmaß an Schwere aufweisende Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann erreicht sein, wenn ein Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 – BVerwG 1 B 25.18 – juris Rn. 9 ff.). Der Umstand, dass die Lage des Betroffenen einschließlich der Lebenserwartung unter anderem durch Unterschiede in medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Standards beeinträchtigt wird, reicht nicht aus (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2014 – BVerwG 10 C 15.12 – juris Rn. 23).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein werden oder dass ihnen aufgrund einer außergewöhnlichen Sicherheits- oder humanitären Lage die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in der Russischen Föderation droht. Auf die obigen Ausführungen zur mangelnden Darlegung einer Bedrohungslage wird zunächst verwiesen. Auch unter Berücksichtigung der gegen die Russische Föderation verhängten Wirtschaftssanktionen wegen des Krieges in der Ukraine ist mit Blick auf die gesichteten Erkenntnismittel nicht erkennbar, dass die Kläger in Russland ihren Lebensunterhalt nicht jedenfalls auf niedrigstem Niveau werden sichern können. Namentlich die Klägerinnen zu 1. und 2. sind volljährig und erwerbsfähig und mangels entgegenstehender Angaben auch gesund. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Kläger Verwandte an verschiedenen Orten in Russland haben, die sie im Falle einer Rückkehr unterstützen können. So lebt der Bruder der Klägerin zu 1. weiterhin in der etwa 240 km von Moskau entfernten Stadt U____. Mit einer Unterstützung durch ihren Bruder kann die Klägerin zu 1. sowie ihre Kinder im Falle einer Rückkehr nach Russland rechnen. Moskau ist von U____ sowohl mit privaten Auto aber auch mit Bussen in wenigen Stunden erreichbar. Zu berücksichtigen ist hierbei zudem, dass die Klägerin zu 1. als ethnische Russen keinen Diskriminierungen ausgesetzt sein wird und bereits in der Russischen Föderation berufstätig gewesen ist.
Auch ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Es ist von den Klägern nicht dargelegt wurde und auch nicht erkennbar, dass ihnen bei einer Überstellung in die Russische Föderation eine konkrete und erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist eine wesentliche Verschlechterung nicht schon bei einer ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 28. Juni 2011 – OVG 8 LB 221.09 – juris Rn. 27 m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Zweck der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht, eine bestehende Krankheit optimal zu behandeln und dem Ausländer am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland teilhaben zu lassen. Vielmehr muss sich dieser grundsätzlich und vorbehaltlich der Sicherung der existenziellen Bedürfnisse auf den Standard der Gesundheitsversorgung seines Herkunftslandes verweisen lassen, selbst wenn der betreffende Standard nicht dem Niveau in Deutschland entspricht. Es ist Aufgabe des jeweiligen Herkunftslandes, dafür zu sorgen, dass seine Staatsangehörigen die für sie notwendige und im Heimatstaat mögliche medizinische Versorgung auch dann erhalten, wenn sie nur über ein geringes oder gar kein Einkommen verfügen (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 1 VR 1/23 – juris Rn. 109).
Diesbezüglich wurde durch die Kläger weder etwas vorgetragen noch sonst etwas ersichtlich.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigt, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG umfasst nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. September 2017 – 2 L 85/17 – juris, Leitsatz und Rn. 13). Mit Blick auf den hier entwickelten Maßstab greift vorliegend die gesetzliche Vermutung zu Ungunsten der Kläger.
Auch im Übrigen ist gegen den Bescheid in materiell-rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern.
Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde weder seitens der Kläger weder etwas vorgetragen noch sind für das Gericht nach eigener Prüfung Gründe dafür ersichtlich, dass die Befristung auf 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte.
Die Kostenentscheidung einschließlich der Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es vorliegend nicht, da das Verfahren gerichtskostenfrei war.
Rechtsmittelbelehrung: