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Asyl, Klage unbegründet, Russische Föderation, Tschetschenien, Wehrdienst


Metadaten

Gericht VG Cottbus 6. Kammer Entscheidungsdatum 16.05.2024
Aktenzeichen VG 6 K 2353/16.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0516.6K2353.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen §§ 4 ff AslyG, § 3 ff AsylG

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Verpflichtung der Beklagten zur Flüchtlingsanerkennung bzw. Gewährung internationalen Schutzes sowie hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich ihres Herkunftslandes der Russischen Föderation vorliegen.

Die Kläger sind Staatsbürger der Russischen Föderation und stammen eigenen Angaben zufolge aus der Republik Inguschetien. Die Klägerin zu 1. sowie der Kläger zu 2., ihr leiblicher Sohn, sind am 6_____ respektive am 1_____ 2003 in der Stadt Malgobek geboren worden. Der Ehemann der Klägerin zu 1. stamme aus Grosny. Mit ihm sei sie bereits seit über 30 Jahren nach islamischen Brauch verheiratet. Standesamtlich habe sie am 16. Januar 2006 geheiratet. Ihr ältester Sohn sei am 9_____ 1985 geboren und habe nach seiner Ausbildung für die Polizei gearbeitet. Er sei bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen. Eine Bekannte habe der Klägerin gesagt, dass hierzu Videos im Internet zu finden seien. Ihr Sohn, der getötet worden sei, habe bereits mit 16 Jahren geheiratet. Seine Ehefrau und ihre gemeinsamen 3 Töchter seien nach dem Tod gleich zu den Eltern der Ehefrau gefahren. Diese lebten in einem Dorf in Tschetschenien. Sie habe noch 2 erwachsene Töchter, die weiterhin in Russland lebten. Die Mutter der Klägerin lebe noch in Malgobek. Der Ehemann der Klägerin habe nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes psychische Probleme bekommen und habe das Land verlassen. Die Klägerin gehe davon aus, dass er in die Ukraine gegangen sei. Darüber hinaus habe noch einen Adoptiv- oder Ziehsohn gehabt. Bei diesem handelte es sich um den Neffen ihres Mannes. Dieser sei im März 2022 in der Ukraine gefallen. Die Klägerin habe die 8. Klasse abgeschlossen und sei zuletzt Hausfrau gewesen und habe einen kleinen Handel betrieben. Die Klägerin zu 1. habe gesundheitliche Probleme mit der Schilddrüse gehabt, die im Heimatland medikamentös behandelt worden seien. Am 26. November 2014 seien die Kläger aus Russland ausgereist und schließlich am 3. Dezember 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Am 19. Januar 2015 stellten die Kläger ihre Asylanträge.

Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. Mai 2015 gab die Klägerin zu 1. im Wesentlichen an, dass sie ihr Heimatland verlassen habe, weil ihr ältester Sohn, der bei den staatlichen Behörden gearbeitet habe, am 10. September 2014 bei einer Explosion getötet worden sei. Ihr Ehemann habe am Ende des Monats die Russische Föderation verlassen und sei in die Ukraine gegangen, da es seinem Kopf nicht gut gegangen sei. Er sei geistig nicht mehr auf der Höhe gewesen und habe nicht gewusst, was er tue. Nachdem ihr Ehemann die Russische Föderation verlassen habe, sei die Klägerin zu 1. von staatlichen Organen kontaktiert und für etwa 2-3 Stunden wegen ihres verstorbenen Sohnes vernommen worden. Auch der Kläger zu 2. sei in der Schule von staatlichen Stellen angesprochen worden.

Mit Ablehnungsbescheid vom 2. Dezember 2016 versagte die Beklagte – vertreten durch das Bundesamt – die Flüchtlingseigenschaft, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab und erkannte keinen subsidiären Schutzstatus zu. Darüber hinaus stellte das Bundesamt in seinem Bescheid fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Die Kläger wurde zudem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Kläger wurden darauf hingewiesen, dass falls Sie die Ausreisefrist nicht einhalten werden, sie in die Russische Föderation abgeschoben werden. Darüber hinaus wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die Klägerin zu 1. keine gezielte und individuelle Rechtsgutverletzung geltend gemacht habe, sondern vielmehr erklärt habe, dass sie hauptsächlich aus Angst einer erneuten Befragung der Sicherheitskräfte ausgesetzt zu sein das Heimatland verlassen habe. Es sei keines der Anknüpfungsmerkmale für eine nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz relevante Verfolgung einschlägig. Gegen eine flüchtlingsrelevante Bedrohung spreche zudem, dass sich die Klägerin zu 1. während der Anhörung als völlig unpolitische Person präsentiert habe. Gleiches gelte auch für den Kläger zu 2., dass für diesen keine gesonderten Asylgründe geltend gemacht worden seien. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor, da sie keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit befürchten müssten. Selbst für schwere Kapitalverbrechen werde in der Russischen Föderation die Todesstrafe nicht mehr verhängt. Es bestehe ein Moratorium. Schließlich seien keine Abschiebungsverbote gegeben. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt.

Mit ihrer am 21. Dezember 2016 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung führen sie aus, dass die Kläger vor ihrer Flucht von Sicherheitskräften nur befragt nicht etwa auch körperlich misshandelt worden seien. Allerdings würden sie in große Gefahr geraten, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren müssten. Sie müssten damit rechnen, Opfer von Folter und Gewalt zu werden. Es sei eben in Tschetschenien gängige Praxis der Sicherheitsbehörden Angehörige von Terrorverdächtigen zunächst nur aufzusuchen oder für wenige Stunden mitzunehmen und zu befragen und es später zu verschleppen und zu foltern, um sie zur Preisgabe von Informationen zu zwingen. Hinzu komme, dass sich in letzter Zeit, also erst nach der Ausreise der Kläger Ende 2014, die Menschenrechtslage in Russland weiter verschlechtert habe.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Dezember 2016 die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Klägern subsidiären Schutz zuzuerkennen oder festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes bestehen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist dem klägerischen Vorbringen entgegengetreten. Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Ablehnungsbescheid vom 2. Dezember 2016.

Mit Beschluss vom 15. Juli 2020 wurde der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die erschienenen Kläger nacheinander einzeln informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift in der Gerichtsakte verwiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten bezüglich des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes, den jeweiligen Verwaltungsvorgängen der Ausländerbehörde des Landrates des Landkreises D_____ sowie die Erkenntnismittelliste für die Russische Föderation Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden, weil sowohl die Kläger als auch die Beklagte auf diese Folge mit der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung war gemäß § 76 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) durch den Einzelrichter zu treffen, dem der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit unanfechtbarem Beschluss der Kammer vom 15. Juli 2020 übertragen wurde.

Die insgesamt zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu, § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG.

Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2016 erweist sich – einschließlich der enthaltenen Abschiebungsandrohung sowie des Einreise- und Aufenthaltsverbotes – insgesamt als rechtmäßig und verletzt die Kläger dementsprechend auch nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK, BGBl. 1953 II. S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 S. 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird.

Eine solche Verfolgung kann nicht nur von dem Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) sowie von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, wobei es keine Rolle spielt, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Es müssen aus der Perspektive des Antragstellers hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass Akteure im Sinne des § 3d AsylG Maßnahmen beabsichtigen, die zu einer Gefahrenlage führen, die als Verfolgung zu qualifizieren ist.

Bei der Prüfung der Bedrohung im Sinne des § 3 AsylG ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10; Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09, beide juris). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 10. Oktober 2018 – 3 B 24.18 –, juris). Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände wird ein verständiger Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33.07 –, juris).

Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr einer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 – 9 C 59/91 –, juris). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann also sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem oder weil der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG (VG Berlin, Urteil vom 10. Februar 2020 – 12 K 770/16 A –, Rn. 22, juris).

In beiden Fällen ist für die Beurteilung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 –10 C 5/09 –, juris).

Vorverfolgten kommt dabei die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. EU Nr. L 337/9 vom 20. Dezember 2011, im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Oktober 2018 – 3 B 24.18 –, juris, Rn. 16, 18).

Kann nicht festgestellt werden, dass einem Asylbewerber Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120.17 –, juris).

Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger seine Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. VG Cottbus, Urteile vom 7. November 2019 – 6 K 539/17.A, vom 21. November 2019 – 6 K 169/17.A, vom 21. Februar 2020 – 6 K 608/17.A –, Rn. 26 - 32, alle juris).

Ausgehend von diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Falle der Kläger aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Verfolgungsgeschichte insgesamt nicht vor. Insbesondere konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangen, dass im Falle einer Rückkehr der Kläger in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG droht.

Zunächst hat der Kläger zu 2. in der mündlichen Verhandlung sinngemäß ausgeführt, dass er von einem Besuch seiner Verwandten und namentlich seiner Großmutter in seinem Herkunftsland der Russischen Föderation lediglich absieht, weil er als Mann mit einer Einberufung zum Militärdienst und einem Einsatz im Ukraine-Krieg rechne. Eine besondere Furcht vor staatlicher Verfolgung habe er nicht erwähnt. Sofern der Kläger zu 2. darauf abstellt, dass er als Kind in der Schule von Männern aufgesucht worden und verhört worden sei, reicht dies für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere für eine asylrechtlich relevante vor Verfolgung gemäß §§ 3, 3b AsylG nicht aus. Zunächst blieb der Vortrag der Klägerin zu 1. diesbezüglich vage. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, dass dem Kläger zu 2. nichts angetan worden sei. Im Übrigen blieb unklar worin in der Vernehmung eine asylrelevante Verfolgungshandlung zu erblicken sei. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss nämlich eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 Asyl. Eine solche ist hier nicht ersichtlich. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nennt bei begründeter Furcht vor Verfolgung als Anknüpfungsmerkmal ausdrücklich die Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Einen konkreten Zusammenhang zu diesem Anknüpfungsmerkmal und der Vernehmung durch die maskierten Männer, die in der Schule aufgesucht haben sollen, hat der darlegungsbelastete Kläger zu 2. nicht geschildert. Sofern der Kläger zu 2. darauf abstellt, dass es sich um eine Vernehmung wegen einer Straftat – die Klägerin zu 1. hat während der mündlichen Verhandlung die Abschrift einer schriftlichen Vorladung zu einer Vernehmung wegen einer Straftat vom 20. Februar 2015 vorgelegt – handeln soll, ist auch insoweit ein in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgezähltes Anknüpfungsmerkmal nicht auszumachen.

Aber auch für eine Vorverfolgung der Klägerin zu 1. ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Vortrag der Klägerin zu 1. ist in sich widersprüchlich, sodass letztlich durch das Gericht nicht eindeutig ermittelt werden konnte, weshalb die Klägerin zu 1. die Russische Föderation genau verlassen hat. Jedenfalls konnte eine asylrechtlich relevante Vorverfolgung der Klägerin zu 1. aufgrund eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Anknüpfungsmerkmales nicht festgestellt werden. So hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass nach einem terroristischen Anschlag auf ihren ältesten Sohn, der bei den tschetschenischen Sicherheitsbehörden gearbeitet habe und ums Leben gekommen sei, ihr Ehemann psychisch erkrankt sei. Er habe daraufhin die Russische Föderation verlassen und sei in die Ukraine gegangen. Mit ihm sei auch bereits die Ausreise der Klägerin zu 1. abgesprochen worden. Insoweit lag zunächst der Schluss nahe, dass die Klägerin auf Geheiß bzw. wegen ihres Ehemannes die Russische Föderation verlasen habe. Allerdings habe die Klägerin zu 1. zu ihrem Ehemann seitdem keinen Kontakt mehr. Sie selbst ist auch nicht in die Ukraine gegangen. Auf Nachfrage, weshalb sie nicht wie vereinbart in die Ukraine zu ihrem Ehemann gegangen sei, habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geantwortet, dass dort Krieg herrsche. Auf Nachfrage des Gerichts, dass im Jahr 2015 in der Ukraine noch kein Krieg geherrscht habe und ob die Klägerin den Bürgerkrieg in der Ukraine meine, antwortete sie, dass sie jetzt nicht mehr die Ukraine wegen des Krieges könne. Allerdings gebe es in der Ukraine bereits seit 2012 ein Durcheinander. Sofern die Klägerin zu 1. eine Bedrohung darin gesehen habe, dass ihr Sohn – der Kläger zu 2. – in der Schule von maskierten Männern mitgenommen und verhört worden sei, so hat sich eine solche empfundene Bedrohung jedenfalls nicht gegen sie persönlich gerichtet, sodass auch insoweit hierin keine ihr gegenüber erfolgte Verfolgungshandlung gesehen werden kann. Zu einer bereits erfolgten Vernehmung ihrer Person hat sie in der mündlichen Verhandlung nichts ausgeführt. Insoweit besteht ein Widerspruch zu ihrem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt im Jahr 2015.

Allerdings hat die Klägerin ausgeführt, dass sie und ihre Familie mit Kadyrow und den Machtstrukturen in Tschetschenien selbst keine Probleme gehabt habe. Ihr Sohn sei schließlich für die Polizei in Tschetschenien tätig gewesen. Letztlich blieb das Vorbringen der Klägerin zu 1. insgesamt uneindeutig. Eine konkrete Bedrohung durch den russischen Staat – außer aufgrund einer möglichen Einberufung ihres Sohnes (hierzu sogleich unten) – hat sie letztlich nicht vorgebracht. Vielmehr habe Klägerin zu 1. Zudem auf Nachfrage ausgeführt, dass sie sich in der Russischen Botschaft in Deutschland einen Auslandsreisepass besorgen wolle. Auch dies spricht bereits gegen eine Furcht vor Verfolgung durch den russischen Staat.

Aber ungeachtet der Frage, ob die Kläger tatsächlich vorverfolgt ausgereist sind, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb aus, weil die Kläger auf die Inanspruchnahme internen Schutzes nach § 3e AsylG verwiesen werden können. So müssen sich die Kläger hier entgegenhalten lassen, dass selbst im Falle einer hypothetischen Verfolgung in ihrer ursprünglichen Heimatregion Tschetschenien, wo sie zuletzt vor der Ausreise gelebt haben, ihnen in anderen Regionen der Russischen Föderation interne Schutzmöglichkeiten im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung stehen, die erreichbar und unzumutbar sind.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Nach der sich dem Gericht bietenden Auskunftslage besteht grundsätzlich eine interne Schutzalternative innerhalb der Russischen Föderation, wo sie vor den Zugriffen von sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren sicher sind und sie ihr Existenzminimum sichern können. Grundsätzlich können sie an einen anderen Ort in der Russischen Föderation flüchten und dort leben. Mit Blick auf die Erkenntnismittel aber auch dem Umstand, dass die Mutter der Klägerin zu 1. nicht in der Republik Tschetschenien, sondern in der Nachbarrepublik Inguschetien lebt und die Kläger im Falle einer Rückkehr durch die Einräumung einer (wenn auch nur vorübergehenden) Wohngelegenheit unterstützen könnte, ist den Klägern die Inanspruchnahme einer internen Schutzalternative unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse und der aktuellen Lageberichte auch zumutbar. Darüber hinaus verfügen die Kläger über mehrere Verwandte in der Russischen Föderation, von denen eine finanzielle Unterstützung denkbar ist.

Die Russische Föderation ist zudem einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2 %), ca. 6,3 % der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19 %) über bedeutende Ressourcen. Die Staatsverschuldung ist mit rund 10 % des BIP weiterhin vergleichsweise moderat (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 04.07.2023, S. 96). Die offizielle Arbeitslosenquote von 4,8 % ist niedrig, wobei die tatsächliche Arbeitslosigkeit auf 11 bis 18 % geschätzt wird. Fast 14 % der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum entspricht (12.130 Rubel im 2. Quartal 2019). Allerdings veranschlagt die Russische Akademie der Wissenschaft das tatsächlich erforderliche Existenzminimum auf 33.000 Rubel. Für Einkommen unterhalb des Existenzminimums besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Der Mindestlohn für Vollbeschäftigte beträgt 12.130 Rubel im Monat (vgl. AA, Lagebericht vom 21.05.2021, S. 21). Familien erhalten Familienbeihilfen, wobei Familien mit mehr als drei Kindern besonders unterstützt werden (vgl. BFA, a.a.O., S. 100 ff.).

Unüberwindbare Hindernisse, sich eine wirtschaftliche Existenz, jedenfalls auf geringem Niveau, im Heimatland zu sichern, sind nicht erkennbar. Es ist insgesamt von existenzsichernden Lebensbedingungen gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von staatlichen Unterstützungsleistungen, auch wenn diese nicht dem deutschen Niveau entsprechen mögen, auszugehen. Nach der vorliegenden Auskunftslage gibt es verschiedene staatliche Hilfen in der Russischen Föderation: Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt (vgl. Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, 08. November 2023, S. 103 f.; VG Bremen, Urteil vom 5. Dezember 2023 – 6 K 535/20 –, Rn. 23 - 25, juris).

Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden (vgl. Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, 08. November 2023, S. 113 f.).

Auch haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von Nachfluchtgründen wegen der von ihnen befürchteten Einziehung zum Wehrdienst und einem militärischen Einsatz im Krieg in der Ukraine. Zunächst ist diese Frage für die Klägerin zu 1. nicht von Relevanz, da gemäß dem föderalen Gesetz der Russischen Föderation ’Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst’ der Einberufung zum Grundwehrdienst ausschließlich männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren unterliegen.

Unabhängig von der Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Einziehung des Klägers zu 2. zum Wehrdienst bzw. zum Kriegseinsatz und daran anknüpfender Folgen ist nicht ersichtlich, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung „wegen“ eines asylrelevanten Merkmals im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG – d.h. wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – vorliegt. Es fehlt auch insoweit an einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die russischen Behörden mit einer Einziehung zum Wehrdienst oder einer Bestrafung bei Entziehung zumindest auch an ein asylrelevantes Merkmal anknüpfen werden. Insbesondere ist eine Verfolgung wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 3a Abs. 3 AsylG) hier nicht ersichtlich. Die Verpflichtung zum allgemeinen Wehrdienst in der Russischen Föderation grundsätzlich unterschiedslos alle Männer im Alter von derzeit 18 bis 30 Jahren, die russische Staatsbürger sind und sich in der Russischen Föderation dauerhaft aufhalten bzw. dort gemeldet sind. Eine Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfolgt nicht. Auch im Hinblick auf die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen von der Wehrpflicht oder die Dauer des Grundwehrdienstes lässt sich den Erkenntnismitteln nichts anderes entnehmen.

Für den Fall, dass der Kläger zu 2. sich eine Einberufung zum Wehrdienst entziehen werde, führt eine drohende Bestrafung des Klägers zu 2. Bei der Einreise in die Russische Föderation im Falle einer Wehrdienstentziehung nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn auch insoweit knüpft der mit der Bestrafung verbundene Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 geschütztes Rechtsgut jedenfalls nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal, insbesondere nicht an eine zugeschriebene politische oppositionelle Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG an. Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Betroffene in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Die politische Überzeugung wird in erheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit Mitteln des Strafrechts oder in anderer Weise auf Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen schon deshalb zugreift, weil dieser seine mit der Staatsraison nicht übereinstimmende politische Meinung nach außen bekundet und damit notwendigerweise eine geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt. Eine solche Annahme kann insbesondere gerechtfertigt sein, wenn er eine Behandlung erleidet, die härter ist als sie sonst zur Verfolgung ähnlicher – nichtpolitischer – Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist, sogenannter "Politmalus" (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2021 – 2 BvR 2954/09 – juris Rn. 24; Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 – juris Rn. 53; BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – BVerwG 1 C 29.17 – juris Rn. 22). Demgegenüber liegt keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn die staatliche Maßnahme allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dient. Dies gilt insbesondere auch für Sanktionen, die an eine Wehrdienstentziehung anknüpfen, und zwar auch dann, wenn sie von einem totalitären Staat verhängt werden. Es ist entscheidend, ob der Staat mit ihnen lediglich Angriffe auf seine Grundordnung abwehren, die Allgemeinheit vor Gefahren schützen, seinen Bestand wahren und die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechterhalten will oder ob er gleichzeitig auch die Absicht verfolgt, den Betroffenen wegen seiner abweichenden Überzeugung oder wegen sonstiger flüchtlingsschutzerheblicher persönlicher Merkmale zu treffen. Indizien hierfür können ein unverhältnismäßiges Ausmaß der Sanktionen oder deren diskriminierender Charakter sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – BVerwG 1 C 29.17 – juris Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1987 – BVerwG 9 C 184.86 – juris Rn. 16).

Nach diesen Maßstäben drohen zunächst russischen Wehrdienstpflichtigen Verfolgungsmaßnahmen wegen einer Entziehung vom Wehrdienst etwa durch bewusstes Ignorieren des Musterungsbescheids oder des Einberufungsbefehls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der Zuschreibung einer politischen Überzeugung und somit auch nicht in Anknüpfung an dieses asylrelevante Merkmal. Bei einer Gesamtbetrachtung und Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel spricht Überwiegendes gegen eine Anknüpfung an eine zugeschriebene politische Überzeugung bei Sanktionierung der Entziehung vom Grundwehrdienst. Nach den einschlägigen russischen Gesetzen, die auch seit Beginn des Ukraine-Krieges nicht geändert wurden, stellt das Nichterscheinen beim Militärkommissariat nach Erhalt einer Vorladung nach Art. 21.5 des russischen Ordnungswidrigkeitengesetzes eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldstrafe von 500 bis 3.000 Rubel (ca. 8 bis 50 Euro) geahndet wird. Der Strafrahmen für das Nichtbefolgen eines Einberufungsbefehls zum Grundwehrdienst (draft evasion) reicht gemäß Art. 328 Abs. 1 des russischen Strafgesetzbuches von Geldstrafe von bis zu 200.000 Rubel (ca. 3.373 Euro) bis zu einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Allerdings ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein deutlicher Anstieg der Strafverfolgungsverfahren wegen Entziehung vom Grundwehrdienst zu verzeichnen. Allein vom 1. Mai 2022 bis zum 20. September 2022 erreichte die Zahl der an russischen Gerichten wegen Wehrdienstentziehung oder Entziehung vom alternativen Zivildienst geführten Strafverfahren mit 410 Strafverfahren ein Zehn-Jahres-Hoch. Im ersten Halbjahr des Jahres 2022 wurden 564 Personen wegen Wehrdienstentziehung verurteilt, auch dies stellt einen deutlichen Anstieg gegenüber den Vorjahren dar. Gleichwohl wurde in allen Fällen (nur) eine Geldstrafe verhängt. Erkenntnisse über Fälle, in denen Haftstrafen verhängt wurden, liegen nicht vor. Damit ist zu beobachten, dass die russischen Behörden die Wehrdienstentziehung zwar nunmehr konsequenter verfolgen. Die verhängten Strafen befinden sich aber weiterhin auf eher niedrigem Niveau. Eine Zuschreibung politischer Überzeugungen seitens des russischen Staates gegenüber den Wehrdienstpflichtigen, die sich dem Wehrdienst entziehen, ist letztlich nicht zu entnehmen. Es mag zwar im Bereich des Vorstellbaren liegen, dass einer Entziehung vom Wehrdienst vor dem Hintergrund eines Krieges, wie hier des Krieges Russlands gegen die Ukraine, von Seiten des Staates eine politische Komponente beigemessen wird. Den vorliegenden Erkenntnissen lässt sich dies hinsichtlich der Sanktionierung der Grundwehrdienstentziehung jedoch nicht entnehmen. Vielmehr zeigen diese, dass die Wehrdienstentziehung zwar konsequenter verfolgt wird als in der Vergangenheit. In diesem Vorgehen spiegelt sich auch jedenfalls der deutliche Personalbedarf der russischen Streitkräfte – gerade auch aufgrund des Ukrainekrieges – wider. Dagegen lässt sich aber weder den verhängten Strafen, noch der Gesetzgebung oder der tatsächlichen Praxis der Strafverfolgung als solcher ein Anhaltspunkt für eine Anknüpfung an eine zugeschriebene politische Überzeugung entnehmen, die sich etwa in einer besonderen Strafschärfe niederschlagen würde (vgl. insgesamt VG Potsdam, Urteil vom 10. Mai 2023 – 6 K 352/18.A –, Rn. 28 - 35, juris).

Zwar hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie eine Vorladung und sinngemäß einen Einberufungsbefehl für den Krieg in der Ukraine im Jahr 2015 erhalten habe, allerdings handelt es sich bei diesem Schreiben vom 20. Februar 2015 lediglich um eine Vorladung zu einer Vernehmung wegen einer Straftat nach § 316 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation. Dieses Schreiben hat nicht mit dem Krieg und einem möglichen Militärdienst zu tun.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines sie in ihrem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden.

Nach § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Es ist nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Hierfür wurde weder etwas vorgetragen noch ist sonst etwas ersichtlich. Die Todesstrafe droht in der Russischen Föderation seit 2009 nicht mehr, da sie de facto abgeschafft ist (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand 10. September 2022 vom 28. September 2022, S. 20; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – Länderinformation der Staaten Dokumentation Russische Föderation, Datum der Veröffentlichung 3. Februar 2023, Seite 67). Eine Bedrohung innerhalb der Russischen Föderation infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar hat es im Rahmen des aktuellen Krieges in der Ukraine auch Angriffe auf unmittelbar an die Ukrainer angrenzenden Regionen der Russischen Föderation gegeben, aber es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Bedrohungslage auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation durch die Ukraine besteht.

Insbesondere kann der Kläger zu 2. keinen subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG aus einer drohenden Rekrutierung in der Russischen Föderation bzw. eine Einberufung und Entsendung in den Ukrainekrieg ableiten.

Nach der zitierten Vorschrift ist ein Antragsteller – wie dargelegt – subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei ist festzuhalten, dass eine etwaige Heranziehung des Klägers zu 2. zum Wehrdienst nicht per se eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung beachtlich wahrscheinlich macht. Soweit der Kläger zu 2. vielmehr eine Entsendung in Ukrainer befürchtet, kann dahinstehen, ob dies einen ernsthaften Schaden durch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung begründet, denn jedenfalls ist eine Entsendung des Klägers zu 2. in den Krieg nicht beachtlich wahrscheinlich.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers zu 2. ist vorliegend zunächst nicht überwiegend wahrscheinlich, dass dieser einerseits mit einer Einberufung zum Wehrdienst und andererseits darüber hinaus mit der Entsendung in die Ukraine zu rechnen hat, sodass. er sich vorliegend nicht auf den subsidiären Schutzstatus mit Erfolg berufen kann.

So bestehen bereits Zweifel, dass der Kläger zu 2. überhaupt zum Wehrdienst einberufen wird, jedenfalls aber ist eine Entsendung in die Ukraine nicht wahrscheinlich, und zwar weder aufgrund der bestehenden Wehrpflicht noch mit Blick auf die in der Russischen Föderation ausgerufene Teilmobilmachung.

Der männliche Kläger zu 2., der sein 18. Lebensjahr vollendet hat, unterfällt zunächst der Wehrpflicht. Gemäß dem föderalen Gesetz ’Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst’ unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren der Einberufung zum Grundwehrdienst. Die Entscheidung, ob eine Person einberufen wird oder nicht, darf erst dann getroffen werden, wenn die betreffende Person mindestens 18 Jahre alt ist. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Für gewöhnlich findet zweimal jährlich eine Stellung/Einberufung statt: zwischen 1. April und 15. Juli sowie zwischen 1. Oktober und 31. Dezember. Die Grundlage dafür bilden präsidentielle Erlässe (Ukasy). Ausnahmen sind für folgende Personengruppen vorgesehen: Bewohner bestimmter Gebiete des hohen Nordens werden zwischen 1. Mai und 15. Juli oder zwischen 1. November und 31. Dezember einberufen. Bewohner ländlicher Regionen, welche in Aussaat- und Erntearbeiten involviert sind, werden zwischen 15. Oktober und 31. Dezember einberufen. Pädagogische Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen werden zwischen 1. Mai und 15. Juli einberufen. Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium. Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen, für das Frühjahr 2023 147.000 und für Herbst 2023 130.000 Personen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 2. April 2024, Russische Föderation. Militärdienst vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs, S. 5 f.). Mit Blick hierauf ist bereits die Wahrscheinlichkeit einer Einberufung des Klägers zu 2. bereits herabgesetzt.

Grundwehrdienstleistende können zudem, sofern sie sich nicht freiwillig für friedenserhaltende Maßnahmen im Ausland melden, grundsätzlich ausschließlich auf dem Territorium der Russischen Föderation eingesetzt werden. Derzeit gibt es keine Hinweise auf eine Beteiligung russischer Grundwehrdienstleistender an Kampfhandlungen in der Ukraine. Allerdings werden Grundwehrdienstleistende auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim sowie zur Grenzsicherung entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt. Zudem werden sie unter Druck gesetzt, Verträge mit der Armee zu unterzeichnen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 02.04.2024, Russische Föderation. Militärdienst vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs, S. 15). Das in den besetzten ukrainischen Gebieten eingesetzte russische Militärpersonal setzt sich aus Vertragssoldaten, im Rahmen der Teilmobilmachung einberufenen Reservisten und Freiwilligen zusammen. Als Reservist gilt, wer nach Ableistung des Wehrdienstes aus der Armee ausgeschieden ist. Grundwehrdienstleistende gehören nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu den Reservisten (Auswärtiges Amt, 10.02.2023, Schreiben an Bundesministerium des Innern und für Heimat, S. 2). Selbst für den unwahrscheinlichen Fall einer Einberufung zum Grundwehrdienst ist daher ein Einsatz im Ukrainekrieg für die Kläger auf absehbare Zeit nahezu ausgeschlossen, sodass sich der Kläger zu 2. vorliegend nicht auf einen subsidiären Schutzstatus berufen kann.

Ergänzend sei noch ausgeführt, dass die Möglichkeit besteht, den Wehrdienst durch einen alternativen Zivildienst zu ersetzen. Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Art. 59 der Verfassung garantiert. Eine gesetzliche Grundlage steht diesbezüglich das Föderale Gesetz „Über den alternativen Zivildienst“ dar. Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche, d. h. etwa die politische oder pazifistische Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionellen Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht. Jährlich werden etwa 2.000 Anträge auf Wehrersatzdienst gestellt, wovon geschätzt die Hälfte positiv beschieden wird. Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes ’Über den alternativen Zivildienst’). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft. Wer allerdings bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag mehr auf Ableistung eines Wehrersatzdienstes stellen. Bei Verkündung einer Mobilmachung ist die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformation der Staatendokumentation – Russische Föderation, 8. November 2023, Seite 41).

Schließlich spricht aber auch der Umstand, dass der Pflegesohn der Klägerin zu 1. im Krieg in der Ukraine gefallen sei, nicht dafür, dass ihren Sohn – den Kläger zu 2. – dasselbe Schicksal ereilen werde. Bereits aus dem Vorbringen der Klägerin zu 1. hinsichtlich ihres Pflegesohns N_____ ergibt sich, dass dieser Teil des tschetschenischen Sicherheitsapparates von Ramzan Kadyrow gewesen ist. Aufgrund offen zugänglicher Quellen im Internet konnte durch das Gericht ermittelt werden, dass der Ziehsohn der Klägerin zu 1. bereits seit November 2014 Teil der Streitkräfte des Innenministeriums und namentlich im 141. Motorisierten Spezialregiment „Akhmat Kadyrow“ zuletzt „Sever“ gewesen und im Gebiet Charkow in der Ukraine am 5. März 202 gefallen ist (vgl. etwa https://www.kavkazr.com/a/brat-ubitogo-v-ukraine-geroya-chechni-polgoda-pytaetsya-dobitjsya-vyplaty-za-ego-smertj-ot-polka-imeni-kadyrova-/32487216.html). Er hat sich als Freiwilliger gemeldet.

Die Kläger haben ferner keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 3 EMRK insbesondere dann der Fall, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK kann allerdings nur beanspruchen, wem prinzipiell landesweit im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Strafe oder Behandlung droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne Fluchtalternative bestehen. Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse – dem internen Schutz nach § 3e AsylG vergleichbare – Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen (vgl. EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011, Sufi und Elmi, Nr. 8319/07 und 11449/07, Rn. 266; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – juris Rn. 26, 36).

Eine unmenschliche Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in ganz außergewöhnlichen Ausnahmefällen anzunehmen (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09, NVwZ 2011, 413). Die ernsthafte, ein Mindestmaß an Schwere aufweisende Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann erreicht sein, wenn ein Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 – BVerwG 1 B 25.18 – juris Rn. 9 ff.). Der Umstand, dass die Lage des Betroffenen einschließlich der Lebenserwartung unter anderem durch Unterschiede in medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Standards beeinträchtigt wird, reicht nicht aus (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2014 – BVerwG 10 C 15.12 – juris Rn. 23).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein werden oder dass ihnen aufgrund einer außergewöhnlichen Sicherheits- oder humanitären Lage die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in der Russischen Föderation droht. Auf die obigen Ausführungen zur mangelnden Darlegung einer Bedrohungslage wird zunächst verwiesen. Auch unter Berücksichtigung der gegen die Russische Föderation verhängten Wirtschaftssanktionen wegen des Krieges in der Ukraine ist mit Blick auf die gesichteten Erkenntnismittel nicht erkennbar, dass die Kläger in Russland ihren Lebensunterhalt nicht jedenfalls auf niedrigstem Niveau werden sichern können. Namentlich der Kläger zu 2. ist volljährig und erwerbsfähig und mangels entgegenstehender Angaben auch gesund. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Kläger Verwandte an verschiedenen Orten in Russland haben, die sie im Falle einer Rückkehr unterstützen können.

Auch ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Es ist von den Klägern nicht dargelegt wurde und auch nicht erkennbar, dass ihnen bei einer Überstellung in die Russische Föderation eine konkrete und erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist eine wesentliche Verschlechterung nicht schon bei einer ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 28. Juni 2011 – OVG 8 LB 221.09 – juris Rn. 27 m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Zweck der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht, eine bestehende Krankheit optimal zu behandeln und dem Ausländer am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland teilhaben zu lassen. Vielmehr muss sich dieser grundsätzlich und vorbehaltlich der Sicherung der existenziellen Bedürfnisse auf den Standard der Gesundheitsversorgung seines Herkunftslandes verweisen lassen, selbst wenn der betreffende Standard nicht dem Niveau in Deutschland entspricht. Es ist Aufgabe des jeweiligen Herkunftslandes, dafür zu sorgen, dass seine Staatsangehörigen die für sie notwendige und im Heimatstaat mögliche medizinische Versorgung auch dann erhalten, wenn sie nur über ein geringes oder gar kein Einkommen verfügen (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 1 VR 1/23 – juris Rn. 109). Diesbezüglich wurde durch die Kläger weder etwas vorgetragen noch sonst etwas ersichtlich. Sofern die Klägerin zu 1. sinngemäß vorbringt, dass sie aufgrund ihrer Schilddrüsenerkrankung, nicht in die Russische Föderation abgeschoben werden könne, überzeugt dies nicht. Die Klägerin zu 1. hat nämlich ausgeführt, dass sie bereits in ihrem Herkunftsland der Russischen Föderation aufgrund ihres Schilddrüsenleidens in medizinischer Behandlung gewesen sei und auch eine medikamentöse Versorgung stattgefunden habe.

Auch im Übrigen ist gegen den Bescheid in materiell-rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern.

Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde weder seitens des Klägers weder etwas vorgetragen noch sind für das Gericht nach eigener Prüfung Gründe dafür ersichtlich, dass die Befristung auf 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte.

Die Kostenentscheidung einschließlich der Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es vorliegend nicht, da das Verfahren gerichtskostenfrei war.

Rechtsmittelbelehrung: