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Vollstreckung unzulässig wegen § 79 AGZ BVerfGG, Vollziehung von bestandskräftigen Schmutzwasserbeitragsbescheiden


Metadaten

Gericht VG Cottbus 6. Kammer Entscheidungsdatum 01.11.2024
Aktenzeichen VG 6 L 2/23 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:1101.6L2.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 123 VwGO §, 79 BVerfGG §, 80 Abs. 5 VwGO §

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 6. Januar 2023 gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2022 wird angeordnet. Die am 7. Dezember 2022 der M_____ AG zugestellte Pfändungsverfügung wird aufgehoben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 3.000,98 € festgesetzt.

Gründe

Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter anstelle der Kammer getroffen werden, da sich die Beteiligten hiermit mit Schriftsätzen jeweils vom 11. Juli 2023 (Antragsteller) sowie vom 17. Juli 2023 (Antragsgegner) einverstanden erklärt haben, § 87a Abs. 2, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die wörtlichen Anträge des Antragstellers vom 6. Januar 2023,

  1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 06.01.2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 01.12.2022 – A_____ – anzuordnen,

  2. sollte der Bescheid des Antragsgegners vom 01.12.2022 – Az. 5_____ – zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits vollzogen sein, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Vollziehung vorläufig rückgängig zu machen, 

  3. den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung der Beitragsforderung aus den Bescheiden des Antragsgegners – Az. S_____– vorläufig einzustellen und vorläufig zu unterlassen,

haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Anträge zu 1. und 2. sind nach § 80 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO statthaft, da sowohl Pfändungs- als auch Einziehungsverfügung Verwaltungsakte sind, die mit Widerspruch und Anfechtungsklage in der Hauptsache angegriffen werden können (vgl. VGH Baden-Württemberg, Entscheidung vom 20. Januar 1961 – II 841/60, juris) und die grundsätzlich mit Widerspruch verbundene aufschiebende Wirkung aus § 80 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen ist, da es sich hier zum Einen um eine Maßnahme der Vollstreckung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 16 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) handelt. Darüber hinaus handelt es sich bei der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugleich um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, sodass auch aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung von Anfechtungsklage und Widerspruch entfällt. Die „Anforderung“ von öffentlichen Abgaben und Kosten erfasst nämlich nicht nur die Anforderung der Geldleistung selbst, sondern alle Handlungen der Verwaltung, die auf die Verwirklichung des öffentlichen Anspruchs gerichtet sind, da nur so der Finanzierungszweck des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO erreicht werden kann. Daher sind Leistungsbescheid und Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des Leistungsbescheides rechtlich gleich zu behandeln, d.h. der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gilt auch für Rechtsmittel gegen Vollstreckungsakte, die im Vollzug der Abgaben- oder Kostenbescheide ergehen (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 3. September 2020 – 6 L 630/19 –, juris; OVG Münster, Beschluss vom 17. Dezember 1969 – 4 B 586/69 = OVGE 25, 195, 196; OVG Saarlouis, Beschluss vom 12. Oktober 2007 - 1 B 340/07, beck-online; BeckOK VwGO/Gersdorf, 46. Edition, Stand: 1. Juli 2018 § 80 Rn. 55; M. Ronellenfitsch, in: Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Auflage, § 54 Rn. 8; Sodan/Ziekow/Puttler, VwGO, 4. Auflage, § 80 Rn. 63, beck-online).

Nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen bzw. die Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO in entsprechender Anwendung aussetzen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung – hier der Antrag zu 2. – anordnen (§ 80 Abs. 5 S. 3 VwGO).

Die so verstandenen Anträge zu 1. und 2. sind zunächst zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller rechtzeitig mit anwaltlichem Faxschreiben vom 6. Januar 2023 gegen die in Rede stehende Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2022, die der M_____ AG als Drittschuldnerin am 7. Dezember 2022 und dem Antragsteller als Schuldner am 7. Dezember 2022 nachrichtlich als Ausfertigung zugegangen ist, Widerspruch erhoben.

Obwohl der Antragsteller daneben zugleich auch die Aussetzung der Vollziehung der streitbefangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung beantragt hat und somit auch die Zugangsvoraussetzungen für den gerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 6 VwGO – es geht hier, wie erwähnt, auch um Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten – gegeben sind, bedurfte es eines solchen vorherigen (erfolglosen) Aussetzungsantrags beim Antragsgegner nicht, da die Vollstreckung der bestandskräftigen Schmutzwasserbeitragsbescheide nicht nur droht, sondern bereits stattfindet, § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO (vgl. VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 9. Mai 2018 – 6 K 2172/18 –, juris),

Der so verstandene Antrag zu 1. ist auch begründet.

Nach § 80 Abs. 5 S. 1 und Abs. 4 S. 3 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen die Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, diese anordnen bzw. die Vollziehung des Verwaltungsaktes entsprechend § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts im Sinne von § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO bestehen dann, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, wobei im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ein im Vergleich zum Klageverfahren reduzierter Prüfungsrahmen maßgeblich ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2008 – OVG 9 S 41.07; VG Cottbus, Beschluss vom 27. April 2001 – 6 L 169/00; VG Cottbus, Beschluss vom 11. Juni 2009 – 6 L 323/08; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. Januar 2009 – 5 L 201/08; FG Saarland, Beschluss vom 20. März 2001 – 1 V 315/00 -, zu § 69 Abs. 2 FGO, alle zit. nach juris).

Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die streitgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2022 stellt sich als rechtswidrig dar.

Mit der Pfändungsverfügung vom 1. Dezember 2022 vollstreckt der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller sieben bestandskräftige Schmutzwasserbeitragsbescheide jeweils vom 13. November 2017 in der Gestalt entsprechender Widerspruchsbescheide jeweils vom 21. März 2019 sowie diesbezügliche Säumniszuschläge jeweils für einen Gesamtzeitraum vom 18. Dezember 2017 bis zum 17. Dezember 2022 hinsichtlich eines jeden Schmutzwasserbeitragsbescheid sowie jeweils eine Mahngebühr hinsichtlich eines jeden Schmutzwasserbeitragsbescheides in Höhe von 5,00 €.

Der Antragsgegner vollstreckt diese bestandskräftigen Schmutzwasserbeitragsbescheide im Verwaltungsvollstreckungsverfahren. Das Verwaltungsvollstreckungsverfahren richtet sich für das Land Brandenburg nach dem VwVGBbg.

Rechtsgrundlage für den Erlass der Pfändungsverfügung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2022 ist § 22 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg i.V.m. § 309 der Abgabenordnung (AO). Soll eine Geldforderung gepfändet werden, so hat die Vollstreckungsbehörde gemäß dieser Vorschrift dem Drittschuldner schriftlich zu verbieten an den Vollstreckungsschuldner zu zahlen und dem Vollstreckungsschuldner schriftlich zu gebieten sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. Die Pfändung ist bewirkt, wenn die Verfügung dem Drittschuldner zugestellt ist (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg i.V.m. § 309 Abs. 2 S. 1 AO). Ermächtigungsgrundlage für die hier mit der Pfändungsverfügung verbundene Überweisungsverfügung des Antragsgegners ist § 22 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg i.V.m. § 314 AO.

Es mag an dieser Stelle dahinstehen, ob die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gemäß § 3 VwVGBbg und sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 19 Abs. 2 VwVGBbg insgesamt für die Vollstreckung der in Rede stehenden Schmutzwasserbeitragsbescheide vorliegen, da jedenfalls die Vollstreckung im hiesigen Fall aufgrund eines Vollstreckungsverbotes rechtswidrig ist.

Der Antragsteller kann für sich das spezielle Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) in Anspruch nehmen. Die durch den Antragsgegner betriebene Vollstreckung der in Rede stehenden Schmutzwasserbeitragsbescheide jeweils in der Gestalt der entsprechenden Widerspruchsbescheide ist mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2022 (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, juris) sowie vom 12. November 2015 (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 –, juris) nicht in Einklang zu bringen und stellt sich somit als rechtswidrig und letztlich unzulässig dar.

Nach § 79 Abs. 2 BVerfGG bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt (Satz 1). Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig (Satz 2). Die Nichtigkeitserklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht führt demnach dazu, dass auf der Norm beruhende bestandskräftige Verwaltungsakte – wie hier die durch den Antragsteller mit der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 1. Dezember 2022 vollstreckte Schmutzwasserbeitragsbescheide jeweils vom 13. November 2017 in der Gestalt der entsprechenden Widerspruchsbescheide vom 21. März 2019 – einerseits unberührt bleiben, andererseits aber nicht (weiter) vollstreckt werden dürfen. § 79 Abs. 2 BVerfGG und mithin auch das Vollstreckungsverbot nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG findet analoge Anwendung, wenn eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf einer bestimmten Auslegungsvariante einer Norm beruht, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 1905/02 -, juris, Rn. 9). Diese Analogie gilt auch dann, wenn durch einen stattgebenden Kammerbeschluss nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eine verfassungskonforme Auslegung einer Norm vorgenommen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.01.2019 – 9 C 2/18 -, juris, Rn. 33; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.09.2019 – OVG 9 S 18.18 -, juris, Rn. 13; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.Septmber 2018 – OVG 9 S 10.18 -, juris, Rn. 9) oder die Anwendung einer Norm auf eine bestimmte, aber eine Vielzahl von Fällen betreffende Konstellation für verfassungswidrig erklärt wird (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 29.10.2019 – VG 6 K 707/18 -, juris, Rn. 21).

Ob Letzteres mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (BVerfG – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, juris) erfolgt ist oder doch eine verfassungskonforme Auslegung, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Anwendung von § 8 Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetzes des Landes Brandenburg in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung (KAG n. F.) in Fällen, in denen Beiträge schon nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der zuvor geltenden Fassung vom 27. Juni 1991 (KAG a. F.) nicht mehr erhoben werden könnten, gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt und insoweit das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt (VG Cottbus, Beschluss vom 29. Mai 2020 – 6 L 586/17 –, Rn. 51 - 52, juris).

Gleiches gilt sinngemäß für den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2022 (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, juris), wonach eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1GG i.V.m. Art 20 Abs. 3 GG durch die Anwendung von § 8 Abs. 7 S. 2 KAG und ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des Beschlusses vom 12. November 2015 (BVerfG – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, juris) auch dann vorliegt, wenn es zwischenzeitlich zu einem Wechsel des Aufgaben- bzw. Einrichtungsträgers gekommen ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, Rn. 8 - 9, juris).

Hier liegt zum einen ein Fall vor, in dem § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG keine Anwendung finden kann, weil dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, juris) gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstoßen und insoweit das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzen würde. Dies kommt nämlich bei Grundstücken in Betracht, für die bereits – wie hier (sogleich unten) – vor dem Jahr 2000 die rechtlich gesicherte tatsächliche Anschlussmöglichkeit geschaffen worden ist. Denn nur bei solchen Grundstücken kann infolge der vierjährigen Festsetzungsfrist nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b. KAG i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO im Zeitpunkt der Änderung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG (1. Februar 2004) die Lage einer Vertrauensschutz schaffenden hypothetischen Festsetzungsverjährung eingetreten sein (vgl. zu den Einzelheiten der hypothetischen Festsetzungsverjährung OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Februar 2016 – 9 B 1.16 -, juris Rn. 29 ff.; Beschluss vom 4. September 2019 – 9 S 18.18 -, juris Rn. 11; dem entgegen: BVerwG Urteil vom 6. Oktober 2021 – 9 C 9/20 – juris; BVerfG, Beschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 – juris).

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, juris Rn. 15 ff., bezogen auf die sogenannte hypothetische Festsetzungsverjährung der bisherigen Auslegungspraxis der Verwaltungsgerichte (vgl. bspw. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2018 – OVG 9 N 89.16 –, juris Rn. 20 m. w. N.), wonach der Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung wegen der Anlagenbezogenheit des Herstellungsbeitrags nicht die Entstehung einer neuen, sich auf eine andere Anlage beziehenden Herstellungsbeitragspflicht hindere und der Vertrauensschutz wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung daher nicht mehr greife, wenn Beiträge auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 KAG für eine rechtlich andere Anlage erhoben würden, eine Absage erteilt (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 30. November 2022 – 4 K 944/19 –, Rn. 27 - 28, juris). Den Wechsel des Aufgabenträgers solchermaßen als unbeachtlich anzusehen, sei weder mit dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes noch mit den gleichfalls darin verankerten Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit vereinbar (zitiert nach VG Cottbus, Urteil vom 30. November 2022 – 4 K 944/19 –, Rn. 27 - 28, juris).

Ist nämlich die abzugeltende Vorteilslage eingetreten, dann muss somit der Bürger damit rechnen, dass er zur Zahlung von Beiträgen herangezogen wird. Je weiter dieser Zeitpunkt zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich allerdings die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für diese Vorteilslage (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 3. November 2021 - 1 BvL 1/19 -, Rn. 62, juris). Sie ist ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Daran kann auch der bloße Wechsel des Aufgabenträgers nichts ändern. Die Leistung der (früheren) Kommune, hier der Anschluss an die Wasser- und Abwasseranlage, hat sich durch das Aufgehen in ein größeres Verbandsgebiet nicht verändert (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, juris). Damit beginnt auch die Frist für das Vertrauen nicht wieder neu zu laufen. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Das wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, juris).

Diese Grundsätze waren auch auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, mit der Folge, dass der in der Vergangenheit erfolgte Wechsel des Einrichtungsträgers entgegen der Auffassung des Antragstellers zu berücksichtigen ist.

Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens lag die zur Erhebung der Schmutzwasserbeiträge relevante Vorteilslage bereits vor dem Jahr 2000 vor.

Zunächst erfolgte die Leitungsherstellung in der W_____ in 1_____ Ortsteil F_____ ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorganges und den Angaben des Antragsgegners zufolge bereits im Jahr 1995. Zu diesem Zeitpunkt bestand für die in Vorderliegerlage liegenden Grundstücke des Antragsstellers somit auch eine Anschlussmöglichkeit. Diese Anschlussmöglichkeit war auch vor dem Hintergrund des begrenzten Erkenntnisstandes des Eilverfahrens auch rechtlich gesichert, da die seinerzeit für H_____ gültige Schmutzwasserbeseitigungssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes G_____ (W_____) über die Schmutzwasserbeseitigung den Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage vom 18. September 2003 in § 5 Abs. 1 vorsah, dass jeder Grundstückseigentümer eines im Gebiet des W_____ liegenden Grundstücks berechtigt ist vom W_____ zu verlangen, dass sein Grundstück zur Ableitung von Schmutzwasser nach Maßgabe dieser Satzung an die bestehende öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen wird.

Mit Blick auf die Bebaubarkeit der Grundstücke waren diese durch die dauerhafte Inanspruchnahmemöglichkeit der leitungsgebundenen Einrichtung auch grundsätzlich wirtschaftlich bevorteilt im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG, da der Begriff der Vorteilslage nach § 19 Abs. 1 KAG in Ansehung des stattgebenden Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2022 - 1 BvR 798/19 -, juris, nur noch grundstücks-, nicht jedoch auch einrichtungsbezogen verstanden werden kann (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 30. November 2022 – 4 K 944/19 –, juris).

Mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2022 führt letztlich auch der Beitritt der Gemeinde H_____ im Jahr 2006 entgegen der früheren Rechtsprechung der Kammer nicht zum Untergang der Anlage, sodass auch die 15-Jahresfrist des § 19 Abs. 1 KAG dadurch nicht neu zu laufen begonnen hat (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 30. November 2022 – 4 K 944/19 –, Rn. 26, juris).

Die Gemeinde H_____ mit den Ortsteilen F_____, G_____, G_____, B_____, D_____ und D_____ ist mit Beschluss vom 08. Dezember 2005 (Beschluss-Nr.: 0_____) am 1. Januar 2006 dem M_____ beigetreten.

Bis zum Beitritt der Gemeinde H_____ zum 1. Januar 2006 betrieb der Beklagte gemäß § 1 Abs. 1 seiner Schmutzwasserbeseitigungssatzung vom 7. April 2005 (bekannt gemacht im Amtsblatt des Landkreises D_____ vom 28. April 2005, Nummer 08, S. 57ff.) nach Maßgabe dieser Satzung zur Beseitigung des in seinem Entsorgungsgebiet anfallenden Schmutzwassers zwei selbstständige zentrale Anlagen nämlich a) seit dem 1. Januar 2004 eine rechtlich selbstständige Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Entsorgungsgebiet M_____, das sich auf dem Gebiet der Stadt M_____ in den Gemarkungsgrenzen Stand 30. Juni 2003 befindet und b) eine rechtlich selbstständige öffentliche Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im übrigen Verbandsgebiet des M_____. Infolge des Beitritts der Gemeinde H_____ zum 1. Januar 2006 hat der Antragsgegner sein maßgebliches Satzungswerk geändert. So bestimmt die 1. Änderungssatzung der Schmutzwasserbeseitigungssatzung des M_____ vom 8. Dezember 2005 (bekannt gemacht im Amtsblatt für den Landkreis D_____ Nr. 36, 12. Jahrgang vom 2. 20. Dezember 2005 auf S. 118 sowie im Amtsblatt für den Landkreis T_____ Nr. 39, 13. Jahrgang vom 19.12.2005 auf S. 17) in § 1 Abs. 1, dass der M_____ nach Maßgabe dieser Satzung zur Beseitigung des in seinem Entsorgungsgebiet anfallenden Schmutzwassers vier selbstständige zentrale Anlagen betreibt, nämlich a) seit dem 1. Januar 2004 eine rechtlich selbstständige Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Entsorgungsgebiet M_____, das sich auf dem Gebiet der Stadt M_____ in den Gemarkungsgrenzen Stand 30. Juni 2003 befindet, b) seit dem 1. Januar 2006 eine rechtlich selbstständige öffentliche Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Entsorgungsgebiet der Gemeinde H_____ mit den Ortsteilen F_____, G_____, G_____, B_____, D_____ und D_____ (Entsorgungsgebiet H_____), c) seit dem 1. Januar 2006 eine rechtlich selbstständige Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Entsorgungsgebiet der Gemeinde H_____ mit dem Ortsteil F_____ (Entsorgungsgebiet F_____) d) eine rechtlich selbstständige Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im übrigen Verbandsgebiet des M_____, […].“ Erst aufgrund der am 2. Dezember 2010 beschlossenen und zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Schmutzwasserbeseitigungssatzung (bekannt gemacht im Amtsblatt für den Landkreis D_____Nr. 39, 17. Jahrgang vom 14. Dezember 2010 auf den S. 41 ff. sowie im Amtsblatt für den Landkreis T_____ Nr. 34, 18. Jahrgang vom 14. Dezember 2010 auf S. 42 ff.) wurden die hier interessierenden Schmutzwasserbeseitigungsanlagen für die Entsorgungsgebiete F_____ und H_____ in die rechtlich selbstständige öffentliche Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im übrigen Verbandsgebiet des M_____ integriert. Seitdem betreibt der M_____ ununterbrochen zwei Anlagen zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung: die Anlage auf dem hier nicht interessierenden Entsorgungsgebiet des ehemaligen Wasser- und Abwasserverband A_____ und die Anlage im übrigen Verbandsgebiet, welches seitdem auch das gesamte Gebiet der Gemeinde H_____ umfasst.

Sofern der Antragsgegner in diesem Zusammenhang vorbringt, dass die Beitragspflicht des Antragstellers hinsichtlich der herangezogenen Grundstücke erst am 1. Januar 2013 entstand, weil die Schmutzwasserbeitragssatzung des M_____ vom 4. September 2014, die sich Rückwirkung zum 1. Januar 2013 beimisst, die erste wirksame Satzung sei und mit dem Beitritt der Gemeinde H_____ zum Verbandsgebiet die Frist neu zu laufen beginne, überzeugt das vor dem Hintergrund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht.

Ist die nämlich abzugeltende Vorteilslage – wie oben ausgeführt bereits vor dem Jahr 2000 – eingetreten, dann muss somit der Bürger damit rechnen, dass er zur Zahlung von Beiträgen herangezogen wird. Je weiter dieser Zeitpunkt zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich allerdings die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für diese Vorteilslage (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 3. November 2021 - 1 BvL 1/19 -, Rn. 62). Sie ist ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Daran kann auch der bloße Wechsel des Aufgabenträgers nichts (mehr) ändern. Die Leistung der (früheren) Kommune, hier der Anschluss an die Wasser- und Abwasseranlage, hat sich durch das Aufgehen in ein größeres Verbandsgebiet nicht verändert. Damit beginnt auch die Frist für das Vertrauen nicht wieder neu zu laufen. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. April 2022 – 1 BvR 798/19 –, Rn. 15 - 16, juris).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Vollstreckung aus den letztlich verfassungswidrigen Schmutzwasserbeitragsbescheiden jeweils in der Gestalt der korrespondierenden Widerspruchsbescheide vor dem Hintergrund des § 79 Abs. 2 BVerfGG als unzulässig dar, sodass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Pfändungsverfügung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2022 im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO anzuordnen ist.

Die Aufhebung der bereits im Sinne des § 309 Abs. 2 S. 1 AO bewirkten Pfändung folgt aus § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung nämlich schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 80 Abs. 5 S. 3 VwGO).

Der Antrag des Antragstellers zu 3., wonach dieser begehrt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung der Beitragsforderung aus den Bescheiden des Antragsgegners – Az. S_____ – vorläufig einzustellen und vorläufig zu unterlassen, hat indes keinen Erfolg.

Er dürfte zu einen bereits neben dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft sein. Denn nach § 123 Abs. 5 VwGO gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO. Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich der Vorrang des Verfahrens nach §§ 80, 80a VwGO, soweit es um vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der vorläufigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts geht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 30. Aufl., 2024, § 123 Rdnr. 4). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Antragsgegner bereits Vollstreckungsmaßnahmen, die selbst Verwaltungsakte sind – wie hier mit der in Streit stehenden Pfändungs- und Einziehungsverfügung – ergriffen hat, sodass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Vollstreckungsmaßnahme nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Mai 2017 – 2 S 894/17 –, juris; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 16. Oktober 2017 – 5 L 1140/17.NW –, Rn. 2, juris, VG Gießen, Beschluss vom 30. September 2010 – 8 L 2069/10.GI –, Rn. 5, juris).

Sofern man allerdings vertreten würde, dass das Begehren des Antragsstellers mit Blick auf die grundsätzlich unzulässige Vollstreckung aus den bereits bestandskräftigen Schmutzwasserbeitragsbescheiden über die bloße Aufhebung einer insoweit speziellen Vollstreckungsmaßnahme – hier der Pfändungs- und Einziehungsverfügung – hinausgeht und somit über die bloße Aufhebung hinaus das Unterbinden jedweder Vollstreckungsmaßnahmen durch den Antragsteller aus dem bestandskräftigen Schmutzwassersbeitragsbescheiden angestrebt wird, wäre dem entgegenzuhalten, dass wegen der ausführlichen, oben dargelegten Beschlussgründe zur Unzulässigkeit der Vollstreckung und der daraus folgenden Rechtswidrigkeit der konkreten Vollstreckungsmaßnahme – hier der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners – ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht gegeben sein dürfte (vgl. zum qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis ausführlich VG Cottbus, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 6 L 39/19 –, juris).

Maßgeblich für die Frage des Vorliegens des Rechtsschutzinteresses ist, ob der Antragsteller ein schützenswertes Interesse gerade an der begehrten Eilentscheidung hat (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 35. EL September 2018, VwGO § 123 Rn. 121c). Das Rechtsschutzbedürfnis erfordert für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art und Umfang ein berechtigtes Interesse, um die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes auf das zur Durchsetzung subjektiver Rechte erforderliche Maß zu beschränken und einem Missbrauch prozessualer Rechte vorzubeugen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18/17 –, Rn. 24, juris). Mit dem Erfordernis des Vorliegens eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses soll demzufolge vermieden werden, dass die Gerichte in eine Rechtmäßigkeitsprüfung eintreten müssen, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist (vgl. zum Normkontrollverfahren BVerwG, Urteil vom 23. April 2002 – 4 CN 3/01 –, Rn. 10, juris) oder das auf einfacherem und schnellerem Wege ohne Inanspruchnahme der Gerichte realisiert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18/17 –, Rn. 24, juris; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 29. März 2019 – 4 B 5/19 –, Rn. 4, juris).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Verwaltungsrechtsschutz grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Klagen sowie vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für den Antragsteller unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 – 3 C 35/07 –, BVerwGE 132, 64-79, juris, Rn. 26; vom 12. Januar 1967 - BVerwG 3 C 58.65 - BVerwGE 26, 23, vom 8. September 1972 - BVerwG 4 C 17.71 - BVerwGE 40, 323 <326 f.>, vom 29. Juli 1977 - BVerwG 4 C 51.75 - BVerwGE 54, 211 <214 f.> und vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <212>). Dieses spezielle, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtete qualifizierte Rechtsschutzinteresse ist nicht gegeben, wenn es an einer begründeten Besorgnis für die Rechtsstellung eines Antragstellers fehlt. Für einen vorbeugenden Rechtsschutz ist somit kein Raum, wenn es dem Betroffenen zuzumuten ist, die befürchteten Maßnahmen der Verwaltung abzuwarten und er auf einen als ausreichend anzusehenden nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <212>). Daher sind Anträge, die auf vorbeugenden gerichtlichen Rechtsschutz gegen zukünftige Maßnahmen der Verwaltung gerichtet sind, regelmäßig unzulässig (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 29. November 2011 – 6 L 131/11 –, juris; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 2. Juli 2019 – 3 L 76/19 –, Rn. 8 - 10, juris), wenn der Antragsteller ggf. der Anfechtung und Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO zugängliche Verwaltungsakte abwarten kann, um sich sodann gegen diese zur Wehr zu setzen und so ggf. auch den – wenn auch nur vorübergehenden – Verlust von Vermögenswerten hinnehmen kann (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 29. November 2011 – 6 L 131/11 –, juris).

Vorläufiger vorbeugender Rechtsschutz kommt somit nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn es dem Rechtsschutzsuchenden unzumutbar ist, die befürchtete Rechtsverletzung abzuwarten und sodann erst die nach der Verwaltungsgerichtsordnung gegebenen (repressiven) Rechtsbehelfe auszuschöpfen -Württemberg, Beschluss vom 24. Mai 1994 – 10 S 451/94 –, juris). Mit Blick darauf, dass die Verwaltungsbehörde – hier der Antragsgegner – ebenfalls an Recht und Gesetz gebunden ist, ist vorliegend davon auszugehen, dass die Gründe, die zur Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 1. Dezember 2022 und zu Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers geführt haben, den Antragsgegner von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen abhalten werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hiernach waren die Kosten dem Antragsteller als auch dem Antragsgegner jeweils zur Hälfte aufzuerlegen, da der anwaltlich vertretene Antragssteller mit seinem Antrag zu 3. neben dem „gleichwertigen“ Antrag zu 1. nicht durchdringen konnte.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 (NVwZ Beilage 2013, 57 ff.). Nach Ziff. 1.7.1 2. HS des Streitwertkataloges beträgt der Streitwert ein Viertel des Streitwertes der Hauptsache (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 13. August 2021 – 6 L 266/20 –, Rn. 52 - 53, juris). Der Antrag zu 2. ist vom Antrag zu 1. als Annex mitumfasst und wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus. Da sich der Antrag zu 3. vorliegend auf denselben Streitgegenstand wie der Antrag zu 1. bezogen hat, war dieser hier nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Der Hauptsachestreitwert beträgt hier 12.003,92 € und richtet sich nach der gepfändeten Gesamtsumme. Vor diesem Hintergrund war der Streitwert im hiesigen Eilverfahren auf 3.000,98 € festzusetzen.

Rechtsmittelbelehrung: