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Nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Klagerücknahme, Zumutbarkeit, Bewilligungsreife


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 12. Senat Entscheidungsdatum 09.04.2025
Aktenzeichen 12 M 4/25 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0409.12M4.25.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 92; 166 VwGO, 269; 114 ZPO

Leitsatz

Nach einer Klagerücknahme kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe trotz Bewilligungsreife grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Hiervon ist allenfalls dann aus Billigkeitsgründen eine Ausnahme zu machen, wenn dem Antragsteller im Einzelfall ein weiteres Zuwarten mit der verfahrensbeendenden Prozesserklärung nicht mehr zumutbar gewesen ist.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den „Beschluss“ des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. März 2025 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist bereits nicht statthaft, da es an einem den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts fehlt. Das Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 14. März 2025 erfüllt das Wirksamkeitserfordernis eines Beschlusses in Gestalt der handschriftlichen Unterzeichnung oder wirksamen elektronischen Signatur des Richters nicht (zum Erfordernis der Unterzeichnung nach § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO Bamberger, in: Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 117 Rn. 17; zur Anwendbarkeit von § 117 VwGO auf Beschlüsse Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 117 Rn. 1, § 122 Rn. 3; zur Folge fehlender Unterschrift Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, VerwR [46. EL, August 2024], § 117 VwGO Rn. 5). Der nicht weiter begründete Nichtabhilfebeschluss vom 28. März 2025 vermag die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe durch Beschluss nicht zu ersetzen und stellt auch keine Nachholung der fehlenden Unterschrift dar.

Der Beschwerde wäre der Erfolg aber auch versagt, sofern man von einer beschlussförmigen Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Schreiben vom 14. März 2025 ausginge: Prozesskostenhilfe wird grundsätzlich nur für die beabsichtigte Rechtsverfolgung (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO) und damit für die Zukunft bewilligt. Maßgeblich für die Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist allerdings nicht der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag, sondern derjenige der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 6. Juni 2006 - OVG 12 M 28.05 -, juris Rn. 2). Daher kann Prozesskostenhilfe ausnahmsweise auch noch nach dem Abschluss des Verfahrens vor dem Gericht des betreffenden Rechtszuges bewilligt werden, wenn der Antragsteller zuvor alles ihm Zumutbare unternommen hat, um dem Gericht eine Entscheidung über den bewilligungsreifen Prozesskostenhilfeantrag zu ermöglichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1998 - 1 PKH 3/98 , juris Rn. 2; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO [46. EL, August 2024], § 166 Rn. 13). Das Verwaltungsgericht verneint dies vorliegend u.a. wegen der auf den 21. Februar 2024 datierten und damit bei Klageerhebung am 6. August 2024 mutmaßlich bereits veralteten Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese Schlussfolgerung erscheint jedoch zweifelhaft, da die zeitgleich eingereichten Belege deutlich jüngeren Datums sind (z.B. Kontoauszüge aus Juli 2024), so dass es sich bei der Datumsangabe auf dem Formular um ein Versehen handeln dürfte. Auch die vom Verwaltungsgericht monierte fehlende zwischenzeitliche Aktualisierung der Prozesskostenhilfeunterlagen ist der Klägerin nicht entgegenzuhalten - sie ließe eine ursprüngliche Bewilligungsreife unberührt und führt allenfalls dazu, dass erneut Belege zur Glaubhaftmachung der wirtschaftlichen Situation zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag einzureichen wären (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Bewilligungsreife und der Mittellosigkeit Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 166 Rn. 14a).

Die Frage der Bewilligungsreife kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, da eine nachträgliche Gewährung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens grundsätzlich nicht für den - hier vorliegenden - Fall der Klagerücknahme in Betracht kommt (OVG BE-BB, Beschluss vom 8. März 2012 - OVG 11 M 10.12 -, juris Rn. 1; Beschluss vom 6. Juni 2006 - OVG 12 M 28.05 -, juris Rn. 2; Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 9 M 81.05 -, juris Rn. 2; OVG RP, Beschluss vom 1. April 2021 - 7 D 11518/20 -, juris Rn. 4; OVG NW, Beschluss vom 20. April 2017 - 13 E 219/17 -, juris Rn. 2; OVG NI, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 4 PA 175/10 -, juris Rn. 2 f.; Zimmermann-Kreher, in: BeckOK/VwGO [1.7.2024], § 166 Rn. 48; Happ; in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 27; a.A. OVG BE-BB, Beschluss vom 16. März 2010 - 11 M 16/10, BeckRS 2010, 48039; OVG NI, Beschluss vom 21. November 2011 − 13 LA 222/10 -, juris Rn. 44 ff.; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 48). Denn die Klagerücknahme lässt gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO die Rechtshängigkeit der Klage rückwirkend entfallen. Damit gibt es keinen Zeitpunkt der Entscheidungsreife mehr, auf den bezogen rückwirkend Prozesskostenhilfe bewilligt werden könnte (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 8. März 2012 - OVG 11 M 10.12 -, juris Rn. 1; Beschluss vom 6. Juni 2006 - OVG 12 M 28.05 -, juris Rn. 2; Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 9 M 81.05 -, juris Rn. 2; OVG RP, Beschluss vom 1. April 2021 - 7 D 11518/20 -, juris Rn. 5). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat zudem nicht die Aufgabe, finanziell bedürftige Personen für prozessbedingte Kosten bzw. dafür eingegangene Verpflichtungen nachträglich zu entschädigen (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 4. Januar 2022 - OVG 3 M 112/21 -, BA S. 2; OVG NW, Beschluss vom 20. April 2017 - 13 E 219/17 -, juris Rn. 2). Der Antragsteller hat es grundsätzlich selbst in der Hand, eine Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags zu vermeiden, indem er das Gericht zunächst zur Entscheidung auffordert und erst danach die Klage zurücknimmt (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 9 M 81.05 -, juris Rn. 3; OVG SH, Beschluss vom 28. Oktober 2003 - 3 O 27/03 , juris Rn. 4; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO [46. EL, August 2024], § 166 Rn. 133).

Ob aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise auch nach Klagerücknahme Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, wenn dem Antragsteller ein weiteres Abwarten mit der Prozesserklärung unzumutbar oder die Verfahrensbeendigung nicht zuzurechnen war, kann dahingestellt bleiben (vgl. die Fallgruppen bei Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO [46. EL, August 2024], § 166 Rn. 134). Vorliegend sind solche besonderen Umstände jedenfalls weder dargetan noch erkennbar. So hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 3. März 2025 direkt im Anschluss an den Vorschlag der Beklagten zur gütlichen Einigung vom 28. Februar 2025 die Rücknahme der Klage erklärt. Allein der Umstand, dass die Klagerücknahme - wie hier - Bestandteil eines Vorschlags zur gütlichen Streitbeilegung ist, führt noch nicht dazu, dass ein weiteres Zuwarten mit der Klagerücknahme nicht mehr zumutbar war (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 9 M 81.05 -, juris Rn. 3; anders VGH BW, Beschluss vom 31. Juli 2024 - 11 S 1117/24 -, juris Rn. 17, sofern die Ausländerbehörde erklärt, dass dies „Voraussetzung für eine zeitnahe Entscheidung und Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels sei“). Indem die Klägerin auf die Frage der Beklagten, inwiefern Einverständnis mit dem Vorschlag zur gütlichen Einigung bestehe, unmittelbar die Klagerücknahme folgen ließ, gab sie dem Verwaltungsgericht keine Gelegenheit mehr, vor der Verfahrensbeendigung über den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Entsprechend dem Einigungsvorschlag der Beklagten war vor der Visumserteilung aber ohnehin noch eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen und deren Ergebnis abzuwarten, so dass die Klägerin ohne relevante Zeitverluste im Hinblick auf ihr Rechtsschutzziel befürchten zu müssen, zunächst ihr Einverständnis mit der beklagtenseits angebotenen Vorgehensweise hätte erklären und beim Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Maßgaben der gütlichen Einigung eine zeitnahe Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch hätte anmahnen können. Hieran ändert auch nichts, dass das Verwaltungsgericht vor dem rückwirkenden Wegfall der Rechtshängigkeit möglicherweise nicht in angemessener Frist über den entscheidungsreifen Antrag entschieden hat (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 13. Mai 2015 - OVG 7 M 7/14 -, BA S. 3). Indem mithin weder ersichtlich noch vorgetragen ist, dass der Klägerin ein weiteres zeitlich begrenztes Zuwarten unzumutbar gewesen wäre, scheidet eine nachträgliche Gewährung von Prozesskostenhilfe aus Billigkeitsgesichtspunkten aus (vgl. OVG BE-BB, Beschluss vom 8. März 2012 - OVG 11 M 10.12 -, juris Rn. 2; Beschluss vom 6. Juni 2006 - OVG 12 M 28.05 -, juris Rn. 2; Beschluss vom 12. Mai 2006 - OVG 9 M 81.05 -, juris Rn. 3; OVG RP, Beschluss vom 1. April 2021 - 7 D 11518/20 -, juris Rn. 10 f.; anders für den Fall einer - hier nicht erkennbaren - „faktischen Zwangslage“ OVG BE-BB, Beschluss vom 13. Mai 2015 - OVG 7 M 7/14 -, BA S. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).