Gericht | VG Frankfurt (Oder) 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.02.2014 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | VG 1 K 528/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 121 VwGO |
Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem ein Bescheid aufgehoben worden ist, steht dem Erlass eines wiederholenden Bescheides entgegen, solange die Rechtsnorm und der Lebenssachverhalt, auf die sich das aufhebende Urteil stützt, im Entscheidungserheblichen unverändert sind.
Die Änderung von Satzungsvorschriften, auf die das Gericht das rechtskräftige Urteil nicht gestützt hatte, ist insoweit irrelevant.
Keine ausnahmsweise Durchbrechung der Rechtskraft allein wegen der erheblichen Höhe der umstrittenen Beitragsforderung.
Der „Heranziehungsbescheid zum Schmutzwasserbeitrag“ des Beklagten vom X. xxx 2011 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom X xxx 2011 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe der beizutreibenden Forderung abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin, eine GmbH, ist Eigentümerin des Grundstücks xxx Straße xx in SSS (ehem. Flurstücke xxx der Flur xx sowie xxx und xxx der Flur XX) mit einer Gesamtfläche von 148.546 m². Sie betreibt auf dem Grundstück ein Krankenhaus, zu dem zahlreiche Gebäude gehören.
Die Gemeinde xxx gehört zu den Mitgliedern des vom Beklagten vertretenen Zweckverbandes, der sich seit seiner Gründung verschiedene Satzungen über die Erhebung von Beiträgen für die öffentliche Schmutzwasserentsorgung gab.
Auf der Grundlage einer dieser Satzungen forderte der Beklagte mit „Heranziehungsbescheid zum Schmutzwasserbeitrag“ vom 7. September 2005 von der Klägerin für das oben genannte Grundstück einen Schmutzwasserbeitrag in Höhe von 230.399,28 €. Der Berechnung der Beitragsforderung legte er eine Teilfläche der Flurstücke xxx und xxx der Flur XX und des Flurstücks xxx der Flur xx von 125.217 m² zugrunde und multiplizierte diese Fläche mit dem Faktor 1,6 für eine Bebauung mit 2 Vollgeschossen sowie mit dem Beitragssatz von 1,15 €/m2.
Einen gegen diesen Beitragsbescheid eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom X. xxx 2005 zurück.
Die Klägerin erhob am 19. Oktober 2005 Klage. Während des laufenden Klageverfahrens beschloss die Verbandsversammlung des vom Beklagten vertretenen Zweckverbandes am 9. Dezember 2009 eine Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die öffentliche Schmutzwasserentsorgung (SBS 2009), die gemäß ihrem § 14 rückwirkend zum 1. September 2005 in Kraft treten und ihre aus verschiedenen Gründen unwirksamen Vorgängersatzungen ersetzen sollte. Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. e) SBS 2009 sollten Grundstücke, für die im Bebauungsplan eine sonstige Nutzung ohne oder mit nur untergeordneter Bebauung festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden (z.B. Schwimmbäder, Camping- oder Sportplätze, nicht aber Friedhöfe) im Vergleich zu anderen Grundstücken nur mit der Hälfte ihrer Grundstücksfläche veranlagt werden.
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) gab der Klage der Klägerin mit Urteil vom 12. April 2010 (1 K 1432/05) statt. Die Aufhebung des Beitragsbescheides begründete sie mit einer Unwirksamkeit der Regelung des § 4 Abs. 2 Buchst. e) SBS 2009. Das Gericht befand in dem Urteil vom 12. April 2010, dass es sich bei dieser Regelung um einen echten und damit unzulässigen Artabschlag handele. Die sich daraus ergebende Gesamtnichtigkeit der Beitragssatzung führe zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, da die Satzung als erforderliche Rechtsgrundlage ausscheide und alle sonst als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Vorgängersatzungen denselben Fehler aufgewiesen hätten.
Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen. Einen Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 17. Februar 2011 (OVG 9 N 29.10) wegen Versäumung der Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung verworfen.
Unter dem 8. April 2011 erließ der Beklagte einen neuen „Heranziehungsbescheid zum Schmutzwasserbeitrag“, mit dem er wiederum unter Verweis auf die SBS 2009 die Zahlung eines Schmutzwasserbeitrags für die Flurstücke xxx der Flur xx und xxx sowie xxx der Flur xx in Höhe von 230.399,28 € forderte.
Auch gegen den neuen Beitragsbescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2011 zurückwies.
Die Klägerin hat am 25. Mai 2011 Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie u.a. auf die Rechtskraft des Urteils in dem Rechtsstreit 1 K 1432/05, mit dem ein identischer Heranziehungsbescheid zwischen denselben Beteiligten mit dem gleichen Regelungsinhalt und -zeitraum aufgehoben worden sei.
Nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in verschiedenen Urteilen (u.a. vom 27. Juni 2012 – OVG 9 B 20.11 –) die Schmutzwasserbeitragssatzung des vom Beklagten vertretenen Zweckverbandes als nichtig angesehen hat, weil diese unzulässige Regelungen über die Aufrundung bei der Ermittlung von Vollgeschosszahlen enthielt, zog der vom Beklagten vertretene Zweckverband entsprechende Konsequenzen. In ihrer Sitzung vom xx. Juli 2012 beschloss die Verbandsversammlung die Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die öffentliche Schmutzwasserentsorgung vom 17. Juli 2012 (Schmutzwasserbeitragssatzung – SBS 2012). Die SBS 2012 trat gemäß ihrem § 14 rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft. Sie enthielt geänderte Regelungen über die Ermittlung der anzusetzenden Vollgeschosszahl in § 4 Abs. 4 SBS 2012; hier ist jetzt anstelle der in der SBS 2009 vorgesehenen Aufrundung eine Abrundung angeordnet. Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Buchst. e) blieb in der SBS 2012 im Vergleich zu der entsprechenden Bestimmung in der SBS 2009 unverändert.
Die Klägerin beantragt,
den „Heranziehungsbescheid zum Schmutzwasserbeitrag“ des Beklagten vom 8. April 2011 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er darauf, dass die Rechtskraftwirkung des Urteils in dem Rechtsstreit 1 K 1432/05 für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich sei. Dieses Urteil habe sich allein auf einen Beitragsbescheid bezogen, der im vorliegenden Verfahren weder streitgegenständlich noch sonst relevant sei. Die Rechtskraftwirkung umfasse nur den Tenor der Entscheidung, nicht aber die Begründung. Das Verwaltungsgericht habe in dem Urteil nicht festgestellt, dass die Klägerin etwa nicht beitragspflichtig sei oder das Grundstück nicht der Beitragspflicht unterliege. Der Beitragsbescheid sei vielmehr lediglich wegen vermeintlicher formaler Mängel in der Beitragssatzung aufgehoben worden. Da der Beklagte an dem aufgehobenen Bescheid nicht festhalte, könne dies dahinstehen.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Grundsatz der Rechtskraft. Dieser verbiete den Erlass eines wiederholenden Bescheides nur, solange Rechtsnorm und Lebenssachverhalt im Entscheidungserheblichen unverändert geblieben seien. Vorliegend bestehe keine unveränderte Sach- und Rechtslage (mehr). Der Neubescheid beruhe auf der SBS 2012 die mit der Vorgängersatzung nicht mehr identisch sei, sondern abweichende Beitragsmaßstäbe aufweise.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6. Januar 2014 auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ergänzend darauf hingewiesen, dass die Gesamtsumme der Beitragsforderungen aus den Bescheiden, zu denen bereits rechtskräftige Urteile ergangen waren und die insoweit mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbar seien, mehr als 10 % des Gesamtbeitragsaufkommens im Verbandsgebiet betrage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Rechtsstreits und des Verfahrens VG 1 K 1432/05 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die – soweit wesentlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung des Einzelrichters waren.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene „Heranziehungsbescheid zum Schmutzwasserbeitrag“ und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der erneuten Heranziehung der Klägerin zu einem Schmutzwasserbeitrag steht die Rechtskraft des im Rechtsstreit 1 K 1432/05 erlassenen Urteils vom 12. April 2010 entgegen. Denn der Schmutzwasserbeitragsbescheid vom 8. April 2011 entspricht inhaltlich dem Bescheid vom 7. September 2005, der mit dem vorgenannten Urteil aufgehoben worden ist. Der Erlass eines solchen wiederholenden Bescheides verstößt gegen das aus der Rechtskraft des genannten Urteils erwachsende Wiederholungsverbot. Danach darf die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen. Dabei geht es um die durch das Urteil gezogene Schlussfolgerung aus Rechtsnorm und Lebenssachverhalt; diese Folgerung gilt jedenfalls soweit und solange Rechtsnorm und Lebenssachverhalt im Entscheidungserheblichen unverändert sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Januar 2012 – OVG 9 S 48.11 –, Seite 3 des Beschlussabdrucks).
Dies ist vorliegend der Fall. Denn die neue Schmutzwasserbeitragssatzung vom 17. Juli 2012 (SBS 2012), auf die der Beklagte die erneute Veranlagung zur Zahlung eines Schmutzwasserbeitrags in identischer Höhe nunmehr stützt, enthält in ihrem § 4 Abs. 2 Buchst. e) eine Regelung, die gegenüber der im Urteil vom 12. April 2010 für nichtig gehaltenen Regelung unverändert ist. Geändert worden sind die Satzungsregelungen lediglich in anderen Punkten, auf die das damals zuständige Gericht die Entscheidung im Rechtsstreit 1 K 1432/05 nicht gestützt hatte und die die Höhe des hier umstrittenen Beitrags nicht berühren. Änderungen der im Vorprozess entscheidungserheblich gewesenen und damals vom Gericht missbilligten Umstände weist die neue Satzung nicht auf. Es ist auch zweifelhaft, ob eine solche Satzungsänderung überhaupt zulässig wäre. Denn nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des OVG dürfte es sich bei § 4 Abs. 2 Buchst. e) SBS 2012 um eine zulässige Regelung des Maßes der baulichen Nutzung handeln. Rechtmäßige Regelungen dürfen rückwirkend nicht geändert werden.
Dass die beanstandete Satzungsregelung bei einer rechtlichen Prüfung aus heutiger Sicht abweichend von dem rechtskräftigen Urteil als wirksam zu beurteilen sein könnte, hat keinen Einfluss auf den Eintritt und den Bestand der Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO (vgl. zum Ganzen nochmals den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 4. Januar 2012 – OVG 9 S 48.11 –, Seite 2 ff. des Beschlussabdrucks). Umstände, die ausnahmsweise eine Durchbrechung der Rechtskraft rechtfertigen könnten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 24. Juni 1993 – III ZR 43/92 –, zitiert nach juris Rn. 20 ff.), sind vom Beklagten auch nach ausdrücklichem Hinweis mit gerichtlicher Verfügung vom 2. Dezember 2013 nicht vorgetragen worden; solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
Allein mit der besonderen Bedeutung der umstrittenen Beitragsforderung für den vom Beklagten vertretenen Zweckverband lässt sich eine solche Durchbrechung der Rechtskraft nicht begründen. Denn der Beklagte hatte es selbst in der Hand, entsprechend dieser besonderen Bedeutung alles zu tun, um den Eintritt der Rechtskraft jenes Urteils zu verhindern, mit dem der erste Beitragsbescheid aufgehoben wurde. Dass dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, beruht aber auf einem bestimmten Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten, das dem Beklagten zuzurechnen ist. Die Prozessbevollmächtigten hatten die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung versäumt und nach den Gründen des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2011 genügten die Darlegungen des Beklagten in dem Verfahren 9 N 29.10 nicht, um ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis verneinen zu können (Seite 5 des Beschlussabdrucks). Beruht der Eintritt der Rechtskraft danach allein auf einem dem Beklagten zuzurechnenden Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten, erschließt sich dem Einzelrichter nicht, warum die Rechtskraft hier zulasten der Klägerin durchbrochen werden sollte.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts in dem vorgenannten Beschluss erscheint es im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass Schadensersatzansprüche des Zweckverbandes gegen seine Prozessbevollmächtigten bestehen könnten. Soweit die Rechtskraft des ersten Urteils dazu führen würde, dass die streitgegenständliche Beitragsforderung gegenüber der Klägerin nicht durchgesetzt werden könnte, müsste dies also auch nicht notwendig zu einem Verlust für den Zweckverband in entsprechender Höhe führen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).