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Entscheidung 12 U 5/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 03.04.2025
Aktenzeichen 12 U 5/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0403.12U5.24.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das am 18.12.2023 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 18 O 54/23, teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 15.108,92 € sowie Rechtsverfolgungskosten i. H. v. 1.029,35 € jeweils nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.05.2021 (Beklagter zu 1.) bzw. seit dem 28.05.2021 (Beklagte zu 2.) zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 25 % ihres materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schadens, der aus dem Verkehrsunfallereignis vom 19.10.2020 zukünftig resultiert, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in I. Instanz haben die Klägerin 83 % und die Beklagten 17 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 20 % und die Beklagten zu 80 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz sowie die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten, ihr sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aufgrund des Unfallereignisses vom 19.04.2020 gegen 14:00 Uhr auf der B … zwischen („Ort 01“) und („Ort 02“) zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Die Klägerin überquerte gemeinsam mit ihrem Ehemann („Name 01“) die B … bei Kilometer … im Bereich der Einmündung eines Waldweges, wobei die Klägerin den Waldweg mit ihrem Fahrrad aus Richtung („Ort 03“) kommend befuhr und ihre Fahrt nach Überqueren der Straße in Richtung Bungalowsiedlung fortsetzen wollte. Der Beklagte zu 1. befuhr mit seinem Motorrad die B … aus Richtung („Ort 01“) kommend in südlicher Richtung. Dabei überschritt er die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h, wobei die genaue Geschwindigkeit zwischen den Parteien streitig ist. Als der Beklagte zu 1. eine Rechtskurve durchfahren hatte, sah er die Klägerin und deren Ehemann die Straße auf ihren Fahrrädern – aus seiner Sicht von links nach rechts – überqueren. Trotz eines vom Beklagten zu 1. eingeleiteten Bremsmanövers kam es zu einer Kollision des Motorrades mit dem Fahrrad der Klägerin, wodurch die Klägerin erheblich verletzt wurde. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über die einer Haftung der Beklagten zu Grunde zu legende Quote und diesbezüglich insbesondere darüber, in welchem Umfang eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. vorgelegen hat und inwieweit diese für den Unfall kausal geworden ist. Weiter besteht Streit über die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie über das Vorliegen der Voraussetzungen des Feststellungsantrages. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit am 18.12.2023 verkündetem Urteil hat das Landgericht unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagten verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 20.000,00 € und materiellen Schadensersatz von 163,58 € jeweils nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.05.2021 als Gesamtschuldner sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 1.822,96 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch der Klägerin folge aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, § 421 S. 1 BGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S., S. 4 VVG. Allerdings müsse die Klägerin nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG einen Teil ihrer Schäden selbst tragen. Keine der unfallbeteiligten Parteien habe den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses geführt. Auch stehe im Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte zu 1. gegen § 3 StVO verstoßen habe. Dabei habe der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens ausgeführt, dass der Unfall für den Beklagten zu 1. vermeidbar gewesen wäre, wenn er die zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h eingehalten hätte. Zudem hätte der Beklagte zu 1. nach Verlassen der Kurve gegebenenfalls vorhandenen Verkehr sowie den Straßenrand aufmerksam beobachten müssen. Im Ergebnis der Beweisaufnahme sei zugleich davon auszugehen, dass die Klägerin das Motorrad des Beklagten zu 1. vor Beginn der Überquerung der Straße wahrgenommen habe und deshalb mit dem Überqueren der Straße habe warten müssen. Bei der vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge sei der hierin liegende Verstoß der Klägerin gegen § 1 StVO sowie gegen § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO deutlich höher zu gewichten als der Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. Dies rechtfertige eine Haftungsverteilung nach einer Quote von 75 % zu 25 % zulasten der Klägerin. Zulasten der Beklagten sei zusätzlich die Betriebsgefahr des Motorrades zu berücksichtigen, sodass insgesamt eine hälftige Haftungsteilung anzusetzen sei. Im Ergebnis sei ein Schmerzensgeld i. H. v. 20.000,00 € gerechtfertigt. Die Klägerin habe ein Polytrauma unter anderem mit einem Subduralhämatom und mehrere Frakturen erlitten. Im Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Klägerin auch anhaltende Schmerzen am Schlüsselbein und eine schmerzhafte Narbe oberhalb des linken Hüftgelenks sowie eine geringgradig eingeschränkte Drehfähigkeit an der linken Hüfte nachgewiesen. Im Rahmen des materiellen Schadensersatzanspruchs seien Zuzahlungen für Verordnungen sowie die Kosten für den Rettungseinsatz i. H. v. insgesamt 226,75 € und Kosten von 100,00 € für das beschädigte Fahrrad zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der Haftungsquote ergebe sich ein Anspruch von 163,58 €. Zudem seien Rechtsanwaltskosten i. H. v. 1.822,96 € auf der Grundlage der im Jahre 2020 geltenden Vorschriften anzusetzen. Der Feststellungsantrag sei nicht begründet. Die Klägerin habe drohende Folgeschäden nicht bewiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. med. („Name 02“) sei vielmehr zum Ergebnis gekommen, dass die bei der Klägerin bestehende leicht- bis mittelgradige Demenz im wesentlichen Ausdruck einer unfallunabhängigen dementiellen Entwicklung sei. Wegen der Begründung im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Beide Parteien haben gegen das ihnen jeweils am 18.12.2023 zugestellte Urteil mit jeweils am 18.01.2024 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihr Rechtsmittel mit einem am 09.02.2024 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Beklagten haben ihre Berufung nach Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis zum 19.03.2024 mit an diesem Tage eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisangeboten. Sie greift das landgerichtliche Urteil lediglich wegen des vollständig abgewiesenen Feststellungsanspruches an, wobei sie ausführt, sie begehre entsprechend der nicht angegriffenen Quotelung der Schadensverursachungsbeiträge durch das Landgericht nur noch die Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten in Höhe von 25 % für mögliche zukünftige materielle und immaterielle Schäden. Zu Unrecht habe das Landgericht den Feststellungsantrag mit der Begründung abgewiesen, drohende Folgeschäden seien nicht bewiesen worden. Das Landgericht habe verkannt, dass an die Darlegung der für ein Feststellungsbegehren erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts späterer Schadensfolgen nur maßvolle Anforderungen zu stellen seien. Eine solche Wahrscheinlichkeit sei bei Knochenverletzungen regelmäßig anzunehmen. Fehlerhaft habe das Landgericht zudem ein orthopädisches oder chirurgisches Gutachten nicht eingeholt. Auch habe das Landgericht verkannt, dass der Sachverständige Dr. med. („Name 03“) in seinem Gutachten zu der Auffassung gelangt sei, dass dauerhafte Unfallfolgen in der mäßigen bis geringgradigen schmerzhaften Einschränkung im Bereich der Übergänge von der Halswirbelsäule zur Brustwirbelsäule rechts, sowie in einer geringgradig eingeschränkten Drehfähigkeit der linken Hüfte bestünden. Aus diesen als geringgradig eingestuften dauerhaften Beeinträchtigungen könnten in der Zukunft weitere Einschränkungen entstehen, die zur Begründetheit des Feststellungsantrages führen müssten.

Die Berufung der Beklagten müsse ohne Erfolg bleiben. Zutreffend habe das Landgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. festgestellt. Das Urteil setze sich mit den Aussagen der Zeuginnen („Name 04“) (geborene …) und („Name 05“) zu den Angaben des Beklagten zu 1. nach dem Unfall zu einer von ihm gefahrenen Geschwindigkeit von 100 bis 110 km/h zutreffend auseinander. Die Angaben der Zeuginnen stünden auch nicht im Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. („Name 06“) im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens. Dieser habe bei der Ermittlung der Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrads im Strafverfahren zugunsten des Beklagten zu 1. nur ein Abbremsen mit der Hinterradbremse unterstellt und eine Ausgangsgeschwindigkeit zwischen 75 und 88 km/h ermittelt. Der Beklagte zu 1. habe jedoch angegeben, er habe auch mit der Vorderradbremse gebremst. In diesem Fall sei nach den Feststellungen des Sachverständigen eine Ausgangsgeschwindigkeit zwischen 82 und 92 km/h anzunehmen. Ferner habe der Sachverständige ausgeführt, in diesem Fall wäre der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h vermeidbar gewesen. Schließlich sei die Höhe des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden, wobei das Landgericht das zögerliche Regulierungsverhalten der Beklagten nicht einmal berücksichtigt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 18.12.2023, Az. 18 O 54/23, teilweise abzuändern und festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr 25 % ihres materiellen und immateriellen Schadens, der aus dem Verkehrsunfallereignis vom 19.10.2020 zukünftig resultiert, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind, und

die Berufung der Beklagten vom 18.01.2024 zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen sinngemäß,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 18.12.2023 teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen sowie

die Berufung der Klägerin vom 18.01.2024 zurückzuweisen.

Die Beklagten beziehen sich ebenfalls auf ihr erstinstanzliches Vorbringen nebst Beweisangeboten. Unzutreffend sei die Feststellung des Landgerichtes, dass der Beklagte zu 1. den Unfall mitverschuldet habe und dieser für ihn vermeidbar gewesen sei. Es liege auch kein Verstoß gegen § 3 StVO vor. Das Landgericht habe bereits keine Feststellungen getroffen, mit welcher Geschwindigkeit der Beklagte zu 1. letztlich gefahren sei. Tatsächlich sei dieser allenfalls mit einer geringfügig überhöhten Geschwindigkeit von 75 km/h, höchstens von 80 km/h gefahren. Eine höhere Geschwindigkeit habe die Klägerin jedenfalls nicht nachgewiesen. Dabei setze sich das Landgericht mit den Angaben der Zeuginnen („Name 05“) und („Name 04“) fehlerhaft auseinander. So habe die Polizeibeamtin („Name 05“) vermerkt, dass der Beklagte zu 1. ihr gegenüber eine Geschwindigkeit von höchstens 80 km/h angegeben habe. Dies habe das Landgericht nicht berücksichtigt. Ebenso habe es nicht dargelegt, warum es den Angaben der Zeugin („Name 04“) folgen wolle, wonach der Beklagte zu 1. ihr gegenüber angegeben habe, mit 100 km/h, höchstens mit 110 km/h gefahren zu sein. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1. unter Schock gestanden habe. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, warum den Angaben der Zeugin („Name 04“) mehr Glauben geschenkt werden könne als den Angaben des Beklagten zu 1. gegenüber der Zeugin („Name 05“). Auch der Sachverständige habe eine Geschwindigkeit in einer Größenordnung von 100 bis 110 km/h nicht feststellen können. Der Sachverständige habe zudem festgestellt, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. nicht unfallursächlich ausgewirkt habe. Etwas anderes habe der Sachverständige auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Termin vor dem Landgericht nicht ausgeführt. Der Sachverständige habe an seiner Feststellung festgehalten, dass der Unfall selbst bei einer Geschwindigkeit des Motorrades von 70 km/h und einer perfekten Bremsung des Beklagten zu 1. mit Vorderrad- und Hinterradbremse eingetreten wäre. Unzutreffend sei die Feststellung des Landgerichtes, der Beklagte zu 1. habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß verhielten. Auch insoweit gelte, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen eine verspätete Reaktion des Beklagten zu 1. nicht vorgelegen habe. Die Ausführungen des Gerichts zu einem angeblichen Sichtschatten, in dem sich das Motorrad befunden habe, fänden keine Stütze im Gutachten. Falsch bewerte das Landgericht auch die Unfallörtlichkeit. Der Beklagte zu 1. habe den Kurvenbereich bereits einige Zeit vor der Kollision verlassen und sei weithin sichtbar und hörbar gewesen. Zudem handele es sich nicht um einen Unfall an einer Straßenkreuzung, die Klägerin habe die Bundesstraße vielmehr im Bereich eines Waldweges überquert, der zusätzlich mit einer Durchgangssperre versehen gewesen sei. Fehlerhaft sei zudem das Verhalten der Klägerin gewesen, die trotz Erkennbarkeit des herannahenden Beklagten zu 1. die Straße überquert und hierzu auf das Fahrrad aufgestiegen und losgefahren sei. Hinter dem groben Verschulden der Klägerin trete die Betriebsgefahr des Motorrades zurück. Keinesfalls sei eine hälftige Haftungsteilung gerechtfertigt. Auch das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 20.000,00 € sei deutlich überhöht. Allenfalls sei ein Schmerzensgeld von 10.000,00 € gerechtfertigt. Nicht nachvollziehbar sei zudem die Kostenentscheidung des Landgerichtes.

Zutreffend habe das Landgericht den Feststellungsantrag als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe weiterhin etwaige künftige, zumal heute noch nicht voraussehbare Einschränkungen nicht dargelegt, die zu einem späteren materiellen oder immateriellen Schadensersatzanspruch führen könnten. Auch die Feststellung des Sachverständigen Dr. med. („Name 03“), der das von der Klägerin vermisste orthopädisch-unfallchirurgische Gutachten erstattet habe, zu den geringgradigen Einschränkung der Klägerin reichten hierzu nicht aus.

Der Senat hat die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), Zweigstelle Eberswalde, zum Az. 215 Js 4788/20 beigezogen.

II.

1. Die Berufungen sind zulässig, insbesondere sind die Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Klägerin stützt ihr Rechtsmittel unter anderem darauf, das Landgericht habe verkannt, dass eine Feststellungsklage betreffend die weiteren materiellen und immateriellen Schäden nach einem Unfallereignis bereits dann begründet sei, wenn der Eintritt späterer Schadensfolgen hinreichend wahrscheinlich sei, was bei Knochenverletzungen regelmäßig anzunehmen sei. Die Beklagten stützen ihr Rechtsmittel unter anderem darauf, das Landgericht habe zu Unrecht eine Haftung ihrerseits angenommen und dabei verkannt, dass allenfalls eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. vorliege, die indes nicht unfallursächlich geworden sei, da sich die Kollision auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ereignet hätte; auch werde die Betriebsgefahr des Motorrades jedenfalls durch das schuldhafte Fehlverhalten der Klägerin verdrängt. Beide Parteien machen mithin Rechtsfehler geltend, auf denen das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.

2. Das Rechtsmittel der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg, während das Rechtsmittel der Beklagten nur teilweise begründet ist.

a) Die Klägerin hat gegen die Beklagten aufgrund des Unfalls vom 19.04.2020 einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 15.000,00 € aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

Bei einem Unfall zwischen einem Kfz und einem Fahrrad erfolgt die Abwägung der beiderseitigen Haftungsanteile nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB, wobei ein Verkehrsverstoß eines Radfahrers durchaus dazu führen kann, die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Fahrzeuges vollständig zu verdrängen (vgl. etwa die Entscheidungen OLG Köln NZV 2008, S. 100; OLG Nürnberg NZV 2005, S. 422). Ein Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls nach § 17 Abs. 3 StVG scheidet hingegen für den Kraftfahrer aus, da § 17 StVG auf das Verhältnis zwischen Radfahrer und Kraftfahrer keine Anwendung findet (OLG München, Urteil vom 20.10.2021, Az. 10 U 6514/20, Rn. 48, juris; OLG Nürnberg, a. a. O., juris Rn. 33).

Ein Verkehrsverstoß der Klägerin steht vorliegend fest. Dieser folgt allerdings nicht aus den vom Landgericht angeführten Bestimmungen in § 1 StVO und § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO, sondern aus § 10 StVO. Nach dieser Vorschrift muss derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren will, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in den Fahrbahnbereich zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Verkehrsverstoß des Einfahrenden (BGH DAR 2011, S. 696; OLG München, Urteil vom 16.02.2022, Az. 10 U 6245/20, Rn. 23, veröffentlicht in juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 47. Aufl., § 10 StVO, Rn. 11). Hier war die Klägerin nach ihrem eigenen unbestrittenen Vortrag im Bereich der Sperre des von ihr zunächst befahrenden Waldweges vor der Einmündung auf die B … von ihrem Fahrrad abgestiegen und hatte vorrangigen Verkehr auf der Bundesstraße passieren lassen. In der darauffolgenden Weiterfahrt liegt ein Anfahren von einem sonstigen Straßenteil auf die Fahrbahn im Sinne von § 10 StVO, auch wenn sich die Klägerin nicht in den fließenden Verkehr einordnen, sondern die Fahrbahn lediglich queren wollte, um den auf der anderen Straßenseite weiter verlaufenden Waldweg zu erreichen (zu einer vergleichbaren Situation siehe auch OLG München, a. a. O.). Die Klägerin stellt im Rechtsstreit auch nicht in Abrede, dass sie bei dem Versuch, die Bundesstraße zu überqueren, mit dem Fahrrad gefahren ist. Vielmehr hat sie im Rahmen ihrer Anhörung durch das Landgericht im Termin vom 25.10.2021 erklärt, dies müsse wohl so gewesen sein. Zugleich spricht damit der Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 StVO. Dieser ist nicht erschüttert. Die Klägerin hat vielmehr angegeben, sie habe das herannahende Motorrad zwar nicht sehen können, aber akustisch wahrgenommen. In dieser Situation hätte sie ein Einfahren in den Fahrbahnbereich nicht beginnen dürfen, ohne sicherzustellen, dass sie die Fahrbahn überqueren konnte, bevor das Motorrad die Überquerungsstelle erreichte. Dies stellt die Klägerin in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Abrede.

Zugleich ist auch dem Beklagten zu 1. ein Verkehrsverstoß in Form einer Geschwindigkeitsüberschreitung vorzuwerfen. Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte zu 1. sich mit einer Geschwindigkeit von jedenfalls 82 km/h der Unfallstelle genähert hat. Damit hat er die an der Unfallstelle geltende Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten, also gegen § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Anl. 2 (laufende Nr. 49), Zeichen 274 StVO verstoßen. Insoweit hat der Sachverständige Dipl.-Ing. („Name 06“) in seinem im Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 1. eingeholten Gutachten vom 19.10.2020, das das Landgericht zutreffend gemäß § 411a ZPO verwertet hat, nachvollziehbar festgestellt, dass der Beklagte zu 1. mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von 75 bis 88 km/h gefahren ist, wenn lediglich die Hinterradbremse zum Einsatz gekommen ist. Zugleich hat der Sachverständige ausgeführt, dass bei zusätzlichem Einsatz der Vorderradbremse - was er im Strafverfahren mangels entsprechender Bremsspur nicht unterstellt hat - von einer Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrades zwischen 82 und 92 km/h auszugehen sei. Eine genauere Eingrenzung hänge vom Umfang des Einsatzes der Vorderradbremse ab. Der Beklagte zu 1. hat im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht eingeräumt, dass er mit beiden Bremsen gebremst hat, wobei er die vordere Bremse nicht allzu stark betätigt habe, um ein Überschlagen des Motorrades zu verhindern. Danach ist mit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine Ausgangsgeschwindigkeit von 82 km/h anzusetzen, während ein höherer Wert nicht nachgewiesen ist. Zugleich hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht im Termin am 27.06.2022 dargelegt, seine Ausführungen zu einer Unvermeidbarkeit der Kollision im Gutachten vom 19.10.2020 erfassten lediglich den Fall einer Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1. von maximal 75 km/h. Bei einer höheren Geschwindigkeit des Motorrades - also auch bei der vorliegend anzunehmenden Annäherungsgeschwindigkeit von 82 km/h - wäre die Kollision vermeidbar gewesen. Der Senat folgt auch diesen Feststellungen des Sachverständigen. Schon im Ausgangsgutachten hat der Sachverständige festgestellt, dass die Kollision für den Beklagten zu 1. vermeidbar gewesen wäre, wenn dieser statt mit der zum damaligen Zeitpunkt noch angesetzten Geschwindigkeit von 75 bis 88 km/h lediglich mit 69 km/h gefahren wäre. Ist aber aufgrund der zwischenzeitlich eingeräumten Benutzung der Vorderradbremse die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1. (mindestens 82 km/h) und damit auch dessen Geschwindigkeitsüberschreitung tatsächlich höher gewesen, so folgt hieraus denknotwendig, dass ihm für ein Bremsmanöver eine größere Fahrtstrecke zur Verfügung gestanden hätte als bei einer Geschwindigkeit von lediglich 75 km/h und er sein Motorrad beim Fahren mit einer Geschwindigkeit von lediglich 70 km/h entsprechend früher zum Stillstand gebracht hätte, nämlich vor der Kollisionsstelle.

Eine höhere Geschwindigkeit ist nicht auf der Grundlage der Angaben der Zeuginnen („Name 04“) und („Name 05“) anzunehmen. Zwar hat die Zeugin („Name 04“), die als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr vor Ort war, im Rahmen ihrer Vernehmung durch das Landgericht angegeben, der Beklagte zu 1. habe ihr gegenüber geäußert, er sei höchstens 110 km/h gefahren, wobei der Beklagte zu 1. ersichtlich davon ausgegangen sei, dass an der Unfallstelle 100 km/h erlaubt gewesen seien. Auch hat die Zeugin („Name 05“), die den Unfallhergang polizeilich aufgenommen hat, bestätigt, dass die Zeugin („Name 04“) ihr die Angaben des Beklagten zu 1. so geschildert hat. Dementsprechend hat die Zeugin („Name 05“) diese Angaben auch so in die Unfallanzeige aufgenommen. Selbst wenn die Richtigkeit der Zeugenaussagen angenommen wird - wofür aus Sicht des Senats vieles spricht -, lässt sich gleichwohl nicht sicher feststellen, in welchem Streckenabschnitt der Beklagte zu 1. mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h oder 110 km/h gefahren ist. So hat der Sachverständige Dipl.-Ing. („Name 06“) im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht ausgeführt, dass selbst bei einem Fahren mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h im Eingang der Kurve die Geschwindigkeit auf bis zu 92 km/h gefallen sein kann, alleine weil der Beklagte zu 1. das Gas beim Durchfahren der Kurve weggenommen hat. Entsprechend geringere Geschwindigkeiten ergeben sich, wenn die nach den Zeugenaussagen vom Beklagten zu 1. eingeräumte Mindestgeschwindigkeit von 100 km/h angesetzt wird. Danach kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1. mit einer Geschwindigkeit von mehr als den vom Sachverständigen angesetzten 82 km/h im Moment des Verlassens der Kurve gefahren ist.

Ein weiterer Verkehrsverstoß - etwa gegen § 1 Abs. 2 StVO - ist dem Beklagten zu 1. nicht vorzuwerfen. Ebenso sind keine Umstände nachgewiesen, die ein Fahren mit einer unterhalb der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h liegenden Geschwindigkeit durch den Beklagten zu 1. erfordert hätten. Zutreffend verweisen die Beklagten darauf, dass die Klägerin die Fahrbahn der Bundesstraße nicht an einer Straßenkreuzung queren wollte, sondern im Bereich eines auf der einen Seite zusätzlich abgesperrten Waldweges. Entgegen der Ansicht des Landgerichtes durfte der Beklagte zu 1. durchaus darauf vertrauen, dass in diesem Bereich stehende Fahrradfahrer sein Vorrecht nicht verletzen und nicht versuchen würden, vor ihm die Fahrbahn zu überqueren. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 3 Abs. 2a StVO. Die Vorschrift erfordert, dass eine Gefährdung von älteren Menschen insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit ausgeschlossen wird. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die jeweilige Person aufgrund äußerer Merkmale erkennbar einer der in der Vorschrift genannten Gruppen angehört (vgl. BGH VersR 2000, S. 199, Rn. 8; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 3 StVO, Rn. 29 a), wofür es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte gibt. Ohnehin hat der Beklagte zu 1. angegeben, er habe die Eheleute („Name 01“) erstmals wahrgenommen, als diese sich bereits auf die Straße bewegt hätten, daraufhin habe er die Bremsung eingeleitet. Ebenso wenig vermag der Senat der Auffassung des Landgerichtes zu folgen, allein das Durchfahren eines Kurvenbereichs oder die Annäherung an den Kollisionsort aus einem Sichtschatten heraus erforderten ein Unterschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Vielmehr durfte der Beklagte zu 1. - wie ausgeführt - darauf vertrauen, dass niemand ohne Beachtung seines Vorrechtes versuchen würde, die Fahrbahn zu überqueren.

Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge hat das Landgericht zunächst noch zutreffend den Verkehrsverstoß der Klägerin als deutlich gravierender als die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. gewertet. Ebenso hat es zu Recht die Betriebsgefahr des Motorrades berücksichtigt. Gerade die vergleichsweise geringe - nachgewiesene - Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1. rechtfertigt indes eine hälftige Haftungsverteilung nicht. Es hat vielmehr bei der überwiegenden Haftung der Klägerin zu verbleiben. Der Senat bewertet den Mithaftungsanteil der Klägerin mit 2/3.

b) Der Höhe nach steht der Klägerin ein Schmerzensgeld von 15.000,00 € zu.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Im Rahmen der bei Verkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen (BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1982, S. 985; VersR 1992, S. 1410; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 14. Aufl., Rn 274 ff). Einzubeziehen ist auch die absehbare künftige Entwicklung des Schadensbildes (BGH VersR 2004, S. 1334; BGHZ 18, S. 149). Weiterhin hat sich das Schmerzensgeld an Urteilen für vergleichbare Fälle zu orientieren (vgl. BGH VersR 1996, S. S. 382, VersR 1976, S. 967, VersR 1970, S. 134; Küppersbusch/Höher, a. a. O., Rn. 281). Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die auch den Umfang einer Mithaftung des Geschädigten zu berücksichtigen hat, sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20, NJW 2022, 1953 Rn. 13 m.w.N., veröffentlicht in juris).

Ausweislich der vorliegenden Arztberichte hat die Klägerin ein Schädel-Hirn-Trauma mit Subduralhämatom links, eine Halswirbelsäulenfraktur des Gelenkfortsatzes C6 rechts und Querfortsatzes C7 rechts, eine Dornfortsatzfraktur der Brustwirbelsäule TH 3 bis TH 6, eine Brustkorbverletzung mit Sternumfraktur, eine Rippenserienfraktur Costae 1-3 und Costae 5, eine dislozierte Klavikulaschafttrümmerfraktur rechts, eine instabile Beckenfraktur mit lateraler Sakrumfraktur und Sprengung des Kreuzdarmbeingelenkes sowie eine bilaterale vordere Beckenringfraktur und eine pertrochantäre Femurfraktur links erlitten. Die Klägerin wurde noch am Unfalltage operativ versorgt und zunächst bis zum 30.04.2020 - also 11 Tage - auf der Intensivstation behandelt. Danach befand sie sich bis zum 11.05.2020 - mithin weitere 11 Tage - in stationärer Krankenhausbehandlung. An diese schloss sich eine rund 2 Monate dauernde stationäre Rehabehandlung an. Im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Dr. med. („Name 03“) in seinem Gutachten vom 18.08.2023 zudem fest, dass bei der Klägerin anhaltende Schmerzen am Schlüsselbein, eine schmerzhafte Narbe oberhalb des linken Hüftgelenks sowie eine geringgradig eingeschränkte Drehfähigkeit an der linken Hüfte und eine mäßig bis geringgradige schmerzhafte Einschränkung im Bereich der Übergänge der Halswirbelsäule zur Brustwirbelsäule rechts gegeben sind. Nicht nachgewiesen sind hingegen die von der Klägerin erstinstanzlich behaupteten psychischen Beeinträchtigungen. Der Sachverständige Prof. Dr. med. („Name 02“) hat diese in seinem Gutachten vom 19.06.2023 vielmehr überzeugend auf eine bei der Klägerin bestehende leicht- bis mittelgradige Demenz zurückgeführt, die im wesentlichen Ausdruck einer unfallunabhängigen dementiellen Entwicklung ist.

Aufgrund der Vielzahl der von der Klägerin erlittenen Frakturen, des Subduralhämatoms und der knapp 3 Monate andauernden stationären Behandlung der Klägerin hält der Senat unter Berücksichtigung des Mithaftungsanteils der Klägerin von 2/3 ein Schmerzensgeld i. H. v. 15.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend. Dabei war zu berücksichtigen, dass trotz der Vielzahl der Verletzungen, die die im Unfallzeitpunkt 77 Jahre alte Klägerin erlitten hat, nur eine vergleichsweise geringe dauerhafte Beeinträchtigung durch das Unfallgeschehen verblieben ist. Nicht heranzuziehen waren dabei die vom Landgericht angeführten Entscheidungen, da die dortigen Geschädigten unter deutlich gravierenderen Dauerfolgen litten als die Klägerin (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 2015, S. 1119; LG Ellwangen, Urteil vom 16.09.1994, Az. 3 U 183/94, veröffentlicht in BeckRS 1994, 123271; OLG Hamm NJWE-VHR 1996, S. 61). Ebenso nicht vergleichbar sind die von der Klägerin angeführten Referenzentscheidungen, denen jeweils deutlich schwerere Verletzungen und erheblichere Dauerfolgen zugrunde lagen (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1992, S. 370; OLG München, Urteil vom 13.02.2004, Az. 10 U 5381/02; OLG Celle, Urteil vom 12.03.2008, Az. 14 U 175/07; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 16.08.2001, Az. 3 U 160/00; jeweils zitiert nach Hacks/Wellner/Klein/Kohake, Schmerzensgeldbeträge 2025, 43. Aufl.).

Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes wegen eines zögerlichen Regulierungsverhaltens der Beklagten ist schließlich nicht veranlasst (zu den Voraussetzungen insoweit vgl. Küppersbusch/Höher, a. a. O., Rn. 278). Insbesondere war es legitim, dass die Beklagten die von der Klägerin behaupteten psychischen Folgeschäden bestritten haben. Letztlich haben sich diese im Rechtsstreit nicht bestätigt. Zudem hat die Klägerin erstinstanzlich ein deutlich übersetztes Schmerzensgeld von zuletzt 100.000,00 € gefordert.

c) Die Klägerin hat gegen die Beklagten zudem einen Anspruch auf Ausgleich ihrer materiellen Schäden i. H. v. 108,92 € aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Dabei wenden sich die Beklagten nicht mehr gegen die vom Landgericht berücksichtigten Zuzahlungskosten und Kosten für den Rettungseinsatz von 226,75 € sowie gegen den Betrag von 100,00 € wegen des beschädigten Fahrrades. Unter Berücksichtigung der Mithaftungsquote der Klägerin von 2/3 ergibt sich ein Betrag von 108,92 €.

d) Weitergehende Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche der Klägerin bestehen aus den vorgenannten Gründen auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 BGB, 3 Abs. 1 StVO, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

e) Im Hinblick auf die nicht im Streit stehende vorgerichtliche Aufforderung der Beklagten zum Ausgleich der Schmerzensgeldforderung durch ihre hierzu von der Klägerin beauftragten Prozessbevollmächtigten sind der Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten, die unter Berücksichtigung der begründeten Schmerzensgeldforderung von 15.000,00 € sowie der bis zum 31.12.2020 gültigen Gebührentabelle gemäß der Anl. 2 zum RVG mit 1.029,35 € zu bemessen sind (650,00 € × 1,3 Gebührensätze + 20,00 € + 19 % Umsatzsteuer).

f) Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Zahlungsansprüche kann die Klägerin aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit verlangen, also ab dem 22. (Beklagter zu 1.) bzw. 28.05.2021 (Beklagte zu 2.).

g) Entgegen der Auffassung des Landgerichtes kann die Klägerin die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten als Gesamtschuldner hinsichtlich ihres zukünftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schadens aus dem Verkehrsunfallereignis vom 19.10.2020 - soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden - verlangen, gemäß § 308 ZPO begrenzt auf eine Haftung der Beklagten im Umfang von 25 % wie beantragt. Gegenstand der Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses sein, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, hierüber eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Ein Rechtsverhältnis in diesem Sinn ist jedes Schuldverhältnis zwischen den Parteien, etwa das Bestehen einer Schadensersatzpflicht des Gegners, wobei es bei Verletzung eines absoluten Rechtsgutes für die Annahme des Feststellungsinteresses grundsätzlich ausreicht, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH MDR 2007, S. 792; BGH NJW 2001, S. 1431; Greger in Zöller, ZPO, Kommentar, 35. Aufl., § 256, Rn. 8, 20). Zusätzlich ist für die Annahme eines Feststellungsinteresses erforderlich, dass dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht, etwa dadurch, dass der Gegner das Recht ernsthaft bestreitet (Greger, a. a. O., Rn. 12). Auch im Rahmen der Begründetheitsprüfung ist es für die Stattgabe einer Feststellungsklage nicht erforderlich, dass ein Schaden feststeht; grundsätzlich genügt es, dass die Entstehung eines zu ersetzenden Schadens bzw. die Verwirklichung der Schadensersatzpflicht mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BGH MDR 2018, S. 143, Rn. 49; MDR 1992, S. 519, Rn. 8f; MDR 1972, S. 123, Rn. 33; Urteil vom 07.04.1952, Az. III ZR 194/51, BeckRS 1952, Nr. 31374665; Assmann in Wieczorek-Zeul/Schütze, ZPO, Kommentar, 5. Aufl., § 256, Rn. 205f). Allerdings ist in den Fällen, in denen bei Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten Rechtsgutes bereits ein Schaden eingetreten ist, aufgrund des Grundsatzes der Schadenseinheit eine Wahrscheinlichkeit für künftige Folgeschäden nicht notwendig, um die Begründetheit des Anspruchs zu bejahen; insoweit reicht wiederum die Möglichkeit des Schadenseintritts (BGH MDR 2018 a. a. O.; Assmann, a. a. O., Rn. 205).

Vorliegend reicht die von der Klägerin geltend gemachte Möglichkeit der Entstehung von weiteren Einschränkungen aus der vom Sachverständigen Dr. med. („Name 03“) in seinem Gutachten vom 18.08.2023 festgestellten dauerhaften, wenn auch nur mäßig bis geringgradigen schmerzhaften Einschränkung im Bereich der Übergänge der Halswirbelsäule zur Brustwirbelsäule rechts, sowie der geringgradig eingeschränkten Drehfähigkeit der linken Hüfte in der Zukunft für die Bejahung eines Feststellungsinteresses aus, zumal die Beklagten zugleich eine solche Möglichkeit ernsthaft bestreiten.

Auch im Rahmen der Begründetheitsprüfung bejaht der Senat die Möglichkeit einer Verschlechterung des Zustandes der Klägerin, die derzeit noch nicht absehbar ist und deshalb auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen war, zugleich weitere immaterielle Schäden aber auch nicht ausschließt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. med. („Name 03“) hat in seinem Gutachten die vorgenannten Einschränkungen eindeutig auf den Unfall zurückgeführt. Auch ist es dem Senat aufgrund der jahrelangen Befassung mit Körperschäden aufgrund von Verkehrsunfällen bekannt, dass sich dauerhafte Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit weiter verschlimmern und dementsprechend weitere materielle Schäden (etwa Zuzahlungen für Behandlungen) und immaterielle Schäden nach sich ziehen können. Gegenteiliges lässt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. („Name 03“) ebenfalls nicht entnehmen. Das Gutachten behandelt diese Frage schlicht nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Dabei rügen die Beklagten zu Recht die Fehlerhaftigkeit der landgerichtlichen Kostenentscheidung. Schon im Hinblick auf das von der Klägerin begehrte Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 100.000,00 € und dem vom Landgericht hierfür zuerkannten Betrag von 20.000,00 € kam eine Kostenaufhebung nicht in Betracht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, Satz 2 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird nach Anhörung der Parteien auf 25.163,58 € festgesetzt, §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO (Berufung Klägerin: 5.000,00 €, Berufung Beklagte: 20.163,58 €). Der am 18.12.2023 verkündete Streitwertbeschluss des Landgerichtes wird im Hinblick auf die nicht erfolgte Berücksichtigung des Streitwertes für den Feststellungsantrag gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG abgeändert. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 121.147,24 € festgesetzt, §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO (Schmerzensgeldforderung: 100.000,00 €, Zahlungsantrag: 1.147,24 €, Feststellungsantrag: 20.000,00 €).