Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 08.04.2025 | |
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Aktenzeichen | 13 WF 21/25 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2025:0408.13WF21.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Lübben (Spreewald) vom 16.01.2025 - 30 F 3030/23 - in Ziffer 2. seines Ausspruchs abgeändert.
Ziffer 2. erhält folgende Fassung:
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 1.010 € festgesetzt.
1. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Auferlegung der Verfahrenskosten in einem vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger.
Mit Antrag vom 27.06.2023 (Bl. 1) hat die Antragstellerin, vertreten durch ihren Vater und unter Beistandschaft des Landkreises … (Ort 1), Jugendamt, … (Ort 2), im Wege des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger gegenüber der Antragsgegnerin, ihrer Mutter, die Festsetzung laufenden Unterhalts in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergelds sowie rückständigen Unterhalts für den Zeitraum vom 01.12.2022 bis zum 30.06.2023 in Höhe von insgesamt 3.201,50 € beantragt. Mit Schriftsätzen vom 10.08.2023 (Bl. 8) und 27.09.2023 (Bl. 28) hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, angesichts ihrer weiteren Kindesunterhaltsverpflichtungen und ihres Bürgergeldbezugs sei sie zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von monatlich 20 € in der Lage.
Mit Schriftsätzen vom 12.12.2023 (Bl. 42) und 11.01.2024 (Bl. 44) hat die Antragstellerin ihre Abstandnahme von der Durchführung des streitigen Verfahrens erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Diese habe Anlass zur Antragstellung geboten, da sie ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit betreffend die Leistung von Kindesunterhalt nicht nachgekommen sei.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.01.2025 (Bl. 66) unter Hinweis auf § 243 Nr. 2 FamFG die Verfahrenskosten der Antragsgegnerin auferlegt, wogegen sich diese mit ihrer Beschwerde vom 21.01.2025 (Bl. 71) mit der Begründung wendet, die Verfahrenseinleitung nicht veranlasst zu haben, insbesondere ihren Auskunftsverpflichtungen gegenüber der Antragstellerin vollumfänglich nachgekommen zu sein.
Die Antragstellerin, die mit Eintritt ihrer Volljährigkeit am 04.01.2025 die Beistandschaft des Jugendamts für die Prozessführung (§§ 1715 Abs. 2, 1713 BGB) nicht weiter in Anspruch nehmen kann (vgl. OLG Celle BeckRS 2013, 5126), hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
2. Die nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 269 Abs. 5, 567 ff. ZPO statthafte und zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist in der Sache begründet.
Maßstab für die nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 269 Abs. 5 ZPO isoliert anfechtbare Kostenentscheidung, die das Amtsgericht zu treffen hatte, da aufgrund der Mitteilung der Antragstellerin, von der Stellung eines Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens abzusehen, ihr Festsetzungsantrag vom 27.06.2023 als zurückgenommen gilt (§ 255 Abs. 6 FamFG), ist § 243 FamFG (vgl. BeckOK FamFG/Weber, 53. Ed. 1.3.2025, § 255 FamFG Rn. 8; MüKoFamFG/Macco, 4. Aufl. 2025, § 255 FamFG Rn. 8).
Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich um eine Endentscheidung über die Kosten in einer Familienstreitsache. Der Beschwerdewert des § 567 Abs. 2 ZPO ist vorliegend erreicht. Den Gründen der Beschwerdeschrift vom 21.01.2025 ist zu entnehmen, dass die Beschwerde darauf zielt, die Kosten des Verfahrens insgesamt nicht zu tragen; die Mindestbeschwerdesumme von 200 € ist damit erreicht.
Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich, worauf das Amtsgericht zutreffend abgestellt hat, um eine Ermessensentscheidung nach § 243 FamFG. Gemäß § 243 Satz 1 FamFG entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen abweichend von den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens. Die Kostenverteilung in Unterhaltssachen soll flexibel und wenig formal gehandhabt werden können, um insbesondere dem Dauercharakter der Verpflichtung Rechnung tragen zu können (BGH FamRZ 2017, 816 ff.; 2011, 1933). Auch wenn der Tatrichter grundsätzlich in der Bewertung frei ist, welche Gewichtung er den einzelnen Kriterien beimessen will und wie er damit letztlich die Kostenquote ermittelt, enthebt ihn das nicht seiner Verpflichtung, eine umfassende Ermessensprüfung anhand aller kostenrechtlich relevanten Umstände durchzuführen (BGH FamRZ 2017, 816; 2011, 1933).
Den sich damit ergebenden Anforderungen wird die angefochtene Kostenentscheidung nicht gerecht. Die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur umstrittene Frage, ob die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene Ermessensentscheidung nach § 243 FamFG vom Beschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das erstinstanzliche Gericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat (so OLG Koblenz BeckRS 2021, 39418; BeckOK FamFG/Schlünder, 53. Ed. 1.3.2025, § 243 Rn. 19; Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, § 243 FamFG Rn. 11), oder ob das Beschwerdegericht, weil es als zweite Tatsacheninstanz in Familien- und Familienstreitsachen stets zu einer eigenen Entscheidung unter Berücksichtigung neuen Sachvortrags berufen ist, auch im Falle von Entscheidungen am Maßstab des § 243 FamFG eine eigene Ermessensentscheidung vorzunehmen hat (BGH FamRZ 2017, 97; OLG Frankfurt a. M. FamRZ 2021, 543; MüKoFamFG/Witt, 4. Aufl. 2025, § 243 Rn. 41), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Die erstinstanzliche Entscheidung ist, da das Amtsgericht den für die Kostenentscheidung maßgeblichen Sachverhalt seiner Entscheidung nicht in zutreffender Weise zugrunde gelegt hat, jedenfalls ermessensfehlerhaft.
Billigem Ermessen entspricht vorliegend allein, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, §§ 243 Satz 2 Nr. 1 FamFG in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Das Amtsgericht hat den Anwendungsbereich des § 243 Satz 2 Nr. 2 FamFG zu Lasten der Antragsgegnerin verkannt. Der nach dieser Vorschrift zugunsten einer/s Antragsgegners/in zu wertende Ermessensgesichtspunkt setzt voraus, dass ein/e Antragsgegner/in einer vorgerichtlichen Aufforderung zur Auskunftserteilung nicht oder nicht vollständig nachkommt. Nach der Gesetzesbegründung zu § 243 FamFG (BT.Drucks. 16/608, S. 259) soll damit eine ungenügende Auskunftserteilung kostenrechtlich sanktioniert werden; § 243 Nr. 2 FamFG führt als Folge der Auskunftspflichtverletzung grundsätzlich zu einer verschuldensunabhängigen Kostenhaftung (OLG Jena BeckRS 2014, 11487; MüKoFamFG/Witt, a. a. O. § 243 Rn. 19).
Das Amtsgericht geht mit nicht nachvollziehbarer Argumentation davon aus, die Antragsgegnerin habe Anlass zur Antragstellung geboten, indem sie im Rahmen ihrer vorgerichtlichen Auskunfterteilung keine überzeugenden Gründe für die Kündigung ihres Beschäftigungsverhältnisses zum Jahresende 2022 mitgeteilt habe. Gegenstand der von § 243 Nr. 2 FamFG sanktionierten Auskunftserteilung ist aber nur die Vollständigkeit der für die Ermittlung der Höhe des geschuldeten Unterhalts erforderlichen Angaben; ob sich daraus eine Verletzung einer Erwerbsobliegenheit ergeben könnte, ist das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung und hat keine Auswirkung auf die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung. Dem von der Antragstellerseite vorgelegten vorgerichtlichen Schriftwechsel zwischen der Antragstellerseite und der Antragsgegnerin, insbesondere dem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 12.04.2023 (Bl. 48) ist zu entnehmen, dass das Jugendamt bereits vor der Antragstellung am 27.06.2023 Kenntnis darüber hatte, dass die Antragsgegnerin ihre Erwerbstätigkeit seit Dezember 2022 aufgegeben und von Bürgergeld und anderen Transferleistungen lebte. Diesen Umstand hat das Jugendamt selbst nicht in Abrede gestellt, soweit es mit Schreiben vom 24.06.2024 (Bl. 58) mitteilt, die Antragsgegnerin habe auf das Auskunftsersuchen vom 12.12.2022 am 06.02.2023 und im Februar 2023 Unterlagen eingereicht. Dass die Antragstellerseite zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung (27.06.2023) von einer unvollständigen oder abweichenden Tatsachengrundlage ausgegangen sein könnte als zum Zeitpunkt der Abstandnahme vom streitigen Verfahren (12.12.2023) ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Einwendungen gegen den verfahrenseinleitenden Antrag neue, der Antragstellerseite bis dahin nicht bekannten Tatsachen und Umstände vorgebracht hat.
Andere Umstände, insbesondere das grundsätzliche Bestehen einer erhöhten Erwerbsobliegenheit einer/eines Unterhaltsverpflichteten gegenüber seinen minderjährigen Kindern, sind für die Entscheidung über die Kosten eines Verfahrens nach Antragsrücknahme nicht ohne das Hinzutreten weiterer, besonderer Umstände maßgeblich. Andere Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin auf andere Weise vorwerfbar Anlass für die Verfahrenseinleitung gegeben haben könnte, sind nicht ersichtlich.
In Anbetracht dessen entspricht billigem Ermessen im Sinne des § 243 Satz 1 FamFG allein, die Kosten des Verfahrens - dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 3 ZPO folgend - der Antragstellerin aufzuerlegen.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 243 Satz 1 FamFG unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 91 ZPO.
Der Festsetzung des Verfahrenswerts für den Beschwerdegegenstand liegen §§ 37 Abs. 3, 40 Abs. 1 FamGKG zugrunde. Das Interesse der Antragsgegnerin, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens nicht tragen zu müssen, bestimmt sich wie folgt: Bei einem erstinstanzlichen Verfahrenswert von 8.757,50 € fallen 122,20 € Gerichtsgebühren an (KV 1210 FamKG = 0,5 x 245 €) sowie Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 887 (VV Nr. 3100 RVG = 1,3 x 558 € + 20 € + 19 % USt).