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angeblich unglaubhaftes Vorbringen zur Staatsangehörigkeit, nicht von Belang, Nigeria, Kamerun, offensichtlich unbegründet


Metadaten

Gericht VG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 21.03.2025
Aktenzeichen VG 9 L 71/25.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2025:0321.9L71.25.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 30 Abs. 1 AsylG §

Leitsatz

Geht das Bundesamt davon aus, der Antragsteller besitze eine andere als die von ihm angegebene Staatsangehörigkeit, genügt es nicht, wenn nur hinsichtlich des vom Bundesamt geprüften Herkunftslandes ein Offensichtlichkeitsgrund im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG vorliegt. Beruft sich der Antragsteller auf eine Verfolgung in dem Staat der vom ihm behaupteten Staatsangehörigkeit und meint das Bundesamt, der Antragsteller besitze eine andere als die von ihm angegebene Staatsangehörigkeit, kommt eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages in Betracht, wenn entweder hinsichtlich des Verfolgungsgeschehens ein Offensichtlichkeitsgrund vorliegt oder die Behauptungen zur Staatsangehörigkeit derart unglaubhaft sind, dass bereits dieses Vorbringen insbesondere nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als eindeutig unwahr anzusehen ist.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 09. Dezember 2024 (VG 9 K 175/25.A) gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. November 2024 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt O_____ aus Berlin wird abgelehnt.

Gründe

Das Verwaltungsgericht Cottbus hat über den Antrag zu entscheiden, obwohl erhebliche Zweifel an der im Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Januar 2025 und vom Bundesamt vertretenen Annahme bestehen, der Antragsteller sei Staatsangehöriger Nigerias (hierzu näher unten). Bei einer kamerunischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers wäre zwar das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zuständig (vgl. § 15 Abs. 2 der zum 1. März 2024 in Kraft getretenen Sechsten Verordnung zur Änderung der Gerichtszuständigkeitsverordnung (GVBl für das Land Brandenburg II, Nummer 13 vom 14. Februar 2024). Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht Cottbus an die rechtskräftige Verweisung gebunden (§ 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, § 17a Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz).

Der hiernach vom Verwaltungsgericht Cottbus zu entscheidende Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, mit welchem der Antragsteller sinngemäß begehrt,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Dezember 2024 (VG 9 K 175/25.A) gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. November 2024 anzuordnen,

hat Erfolg.

Gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist die gerichtliche Prüfung im Rahmen der im Eilverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung gem. § 80 Abs. 5 VwGO auf die Frage beschränkt, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Gem. § 36 Abs. 1 AsylG darf die in der Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist nur dann eine Woche betragen, wenn der Asylantrag unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 AsylG oder offensichtlich unbegründet ist. Damit beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die Einschätzung des Bundesamtes, dass die Unbegründetheit des Asylantrages offensichtlich ist, ernstlichen Zweifeln unterliegt. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Geringe Zweifel reichen hierfür nicht aus (vgl. BVerfGE 94, 166/194). Dabei bleiben Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig, § 36 Abs. 4 S. 2 AsylG.

Hiervon ausgehend ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Das Bundesamt hat die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein unbegründeter Asylantrag ist hiernach als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind.

Diese Regelung setzt insoweit die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments in deutsches Recht um. Hiernach kommt eine offensichtliche Unbegründetheit im Sinne des nationalen Rechts nach Art. 31 Abs. 8 a) der Richtlinie 2013/32/EU u.a. dann in Betracht, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind.

Nicht von Belang i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist das Vorbringen dann, wenn es für die Prüfung des Asylantrages aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich oder unbeachtlich ist. Das ist u.a. der Fall, wenn das Vorbringen des Antragstellers von vorneherein keinen Bezug zu den eine Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhaltet, also sämtliche vorgebrachten Gründe asylfremd sind, und auch wenn selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Schutzsuchenden ersichtlich rechtlich kein Schutzstatus nach Art. 16a GG, §§ 3 oder 4 AsylG folgen kann. Eine asylrechtliche Relevanz ergibt sich dabei auch nicht, wenn offenkundig Möglichkeiten des landesinternen Schutzes oder einer inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3d und 3e AsylG) bestehen und der Antragsteller sich darauf verweisen lassen muss, denn auch in einem solchen Fall liegt auf der Hand, dass aus dem Vorbringen des Antragstellers offensichtlich kein Schutzanspruch erwachsen kann.

Hiervon ausgehend mag zwar viel dafür sprechen, dass das Vorbringen des Antragstellers als „belanglos“ anzusehen wäre, soweit – wie das Bundesamt – auf eine nigerianische Staatsangehörigkeit und – infolgedessen ausschließlich – auf die vom Antragsteller im „Herkunftsstaat“ Nigeria befürchteten Bedrohungen abgestellt wird. Denn in diesem Fall liegt auf der Hand und drängt sich auf, dass der Antragsteller in Bezug auf die von ihm in Nigeria befürchtete Verfolgung und Bedrohung – nach seinem Vorbringen sei der Antragsteller in einem Flüchtlingscamp in Nigeria gewesen und habe dieses fluchtartig verlassen müssen, weil ihn aus Kamerun stammende „Amazonian-Kämpfer“ dort erkannt und ihm vorgeworfen hätten, dass er der kamerunischen Regierung Informationen geliefert habe – auf eine inländische Fluchtalternative innerhalb Nigerias zu verweisen wäre.

Zu diesem Ergebnis ist das Bundesamt indes nur gelangt, weil es den Vortrag des Antragstellers zu der von ihm angegebenen kamerunischen Staatsangehörigkeit als unglaubhaft bewertet und es den Antragsteller als einen Staatsangehörigen Nigerias behandelt hat; vor diesem Hintergrund hat das Bundesamt für die Beurteilung internationalen Schutzes ausschließlich auf das Herkunftsland Nigeria abgestellt. Es hat folglich das Verfolgungsvorbringen des Antragstellers in Bezug auf Kamerun bei der Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ausgeblendet.

Der Antragsteller hat indes bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt eine u.a. vom kamerunischen Staat ausgehende staatliche Verfolgung behauptet. Er hat insoweit vorgetragen, dass er Kamerun (zunächst Richtung Nigeria in das Flüchtlingscamp) verlassen habe, weil er von kamerunischen Sicherheitskräften als Separatist oder Unterstützer von „Amazonian-Kämpfern“ angesehen und vom kamerunischen Militär gesucht worden sei. Dies ist im Kern flüchtlingsschutzrelevant und genügt zumindest, dass der Antrag auf internationalen Schutz nicht mit dem Offensichtlichkeitsverdikt im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG – als nicht von Belang – zu versehen ist.

Abgesehen davon, dass in dem Bundesamtsbescheid hierzu jegliche Ausführungen fehlen, liegen hinsichtlich des vom Bundesamt als unglaubhaft bewerteten Vorbringens zu der Staatsangehörigkeit des Antragstellers und zu dem Verfolgungsgeschehen in Kamerun die Voraussetzungen einer offensichtlichen Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ebenfalls nicht vor (vgl. zur Zulässigkeit des „Austausches“ der Offensichtlichkeitsgründe: VG Wiesbaden, Beschluss vom 23. April 2024 – 4 L 353/24.WI.A – juris Rn. 28). Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, sodass die Begründung für seinen Asylantrag offensichtlich nicht überzeugend ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Bundesamt hat – wie bereits ausgeführt – angenommen, der Antragsteller sei nigerianischer Staatsangehörigkeit und die Behauptung, er besitze die Staatsangehörigkeit Kameruns, sei unglaubhaft. Hierzu heißt es in dem angegriffenen Bescheid:

So ergibt sich aus einer VIS-Antragsauskunft vom 24. Januar 2024, dass dem Antragsteller ein polnisches (Schengen-)Visum nach Vorlage eines ihm am 06. Februar 2020 ausgestellten nigerianischen Reisepasses erteilt worden ist. Das setzt zwingend voraus, dass der Antragsteller zumindest zweimal eine nigerianische Botschaft oder sonstige Behörde aufgesucht haben muss, um seine Identität und Herkunft dort nachzuweisen. Dies wird letztlich auch vom Antragsteller bestätigt, indem er erklärte, zweimal die Behörden in Abuja zwecks Abgabe seiner Fingerabdrücke aufgesucht zu haben. Da nicht einzusehen ist, weshalb die nigerianischen Behörden ihm, dem Antragsteller, einen nigerianischen Reisepass ausstellen sollten, wenn er nicht auch Staatsangehöriger Nigerias sein würde, spricht bereits die Ausstellung des Ausweispapieres, untersetzt durch das dem Antragsteller später ausgestellte Visum, für dessen nigerianische Staatsangehörigkeit. Insbesondere ergeben sich vom Empfängerhorizont keinerlei Hinweise für eine Fälschung des Reisepasses. Eine solche Fälschung dürfte unter Zugrundelegung lebensnaher Betrachtung mit Rücksicht auf engmaschige Kontrollen und technische Überprüfungen an den Flughafen aufgefallen sein: vorliegend habe der Antragsteller Nigeria mit dem Flugzeug verlassen und sei, dies mit einem Transit in Frankfurt/Main, weiter nach Polen gereist. Dass er gleich drei internationale Flughäfen passiert haben könnte, ohne dass eine Fälschung von Ausweispapieren aufgefallen wäre, wird diesseits als ausgeschlossen erachtet.

Hieraus kann aber nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, der Antragsteller müsse die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzen und seine Angaben zu einer kamerunischen Staatsangehörigkeit seien eindeutig falsch. Denn nach der vorhandenen Auskunftslage, die das Bundesamt in dem angegriffenen Bescheid nicht einmal ansatzweise betrachtet hat, ist es gerade nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller (nach seinem Vorbringen mit Hilfe eines Schleppers) in Nigeria einen formell echten, wenn auch inhaltlich möglicherweise falschen Reisepass erhalten haben kann. Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria vom 8. Januar 2025; dort Seiten 20 f.) heißt es hierzu:

„Aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragstellenden (gemeint sind Antragsteller bzw. Personen, die einen Antrag gestellt haben) ist es möglich, nigerianische Geburtsurkunden, Heiratsurkunden und Reisepässe zu erhalten, die zwar formell echt sind, inhaltlich jedoch lediglich auf Angaben der Antragsteller (im Original: „Antragstellenden“) beruhen.

Es sind kaum gefälschte nigerianische Pässe im Umlauf, da es keinerlei Problem darstellt, einen echten Pass unter Vorlage gefälschter Dokumente oder Verwendung falscher Daten zu erhalten. Nigerianische Passbehörden stellen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts im Einzelfall selbst bei Vorlage eines erkennbar ge- oder verfälschten Passes einen neuen, formal echten Pass mit den Personaldaten aus dem gefälschten Pass aus und stempeln den ge- bzw. verfälschten Pass lediglich ungültig, ohne ihn einzuziehen.

Die Echtheit eines Passes kann grundsätzlich nur von der ausstellenden Behörde verifiziert werden, da die passausstellenden Behörden nicht miteinander vernetzt sind. Überprüfungen dauern aus diesem Grund lange. Hinsichtlich der Proxypässe (also Pässen, die in Abwesenheit des Passbewerbers/der Passbewerberin von Dritten beantragt werden) ist dies ein nahezu unlösbares Problem. Der neueste Trend geht dahin, dass nigerianische Pässe mit Aufenthaltskarten von EU, Kanada, USA etc. beantragt werden, da in diesen Fällen auch gleich ein entsprechender Aufenthaltstitel zur Einreise in eines der genannten Länder vorliegt. …“

Vor diesem Hintergrund kann aber gerade nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, aus dem Erhalt eines auf der Grundlage eines nigerianischen Reisepasses ausgestellten Visums sei auch auf eine nigerianische Staatsangehörigkeit zu schließen. Denn, wie sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergibt, ist es problemlos möglich, dass von nigerianischen Behörden ein formell echter, wenn auch inhaltlich falscher Reisepass ausgestellt worden ist, der dann wiederum problemlos die Ausstellung eines Visums ermöglicht haben dürfte. Aus dem Akteninhalt und dem Vorbringen des Antragstellers ergeben sich auch sonst keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass er über seine Staatsangehörigkeit getäuscht haben dürfte bzw. keine weiteren Hinweise für die Annahme des Bundesamtes, der Antragstellers sei Nigerianer.

Da auch sonst nicht ersichtlich ist, dass einer der Gründe im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG und Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU vorliegt, unterliegt das Offensichtlichkeitsverdikt ernstlichen Zweifeln mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass die Kosten der Prozessführung aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen nicht aufgebracht werden können, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die hierzu erforderlichen Belege oder sonstige Nachweise hat der Antragsteller nicht eingereicht, obwohl er hierzu verpflichtet ist (§ 117 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.